Protokoll der Sitzung vom 23.04.2003

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Endlich merken Sie es auch! – Gerhard Bökel (SPD):Der Sprit für die Kettensägen ist ausgegangen!)

Dies ist nur möglich auf der Basis der vielfältigen Vertrauensarbeit in den letzten Jahren.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn, verehrter Herr Kollege Bökel, es bleibt dabei: Wir brauchen die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger der Region.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Demonstra- tiver Beifall des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

Es war „Ihre“ durchaus auch persönliche Leistung, in Waldeck-Frankenberg ein Klima geschaffen zu haben, in dem Sie eine Zweidrittelmehrheit und mehr der Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Region gegen den Nationalpark hatten.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der SPD)

Um das einmal sehr einfach zu sagen:Sie hatten Angst davor, dass die Naturschutzbehörden, die Sie losgelassen hatten, am Ende mit dem Argument Nationalpark dafür sorgen, dass sich in der ganzen Region, was die Ausweisung von Baugebieten, die Erschließung von anderen Dingen angeht,nichts mehr bewegt.Sie hatten Angst,dass sie selbst im Nationalpark leben müssen und keinen Nationalpark haben.

In den vier Jahren Arbeit des Umweltministers Wilhelm Dietzel haben wir die Arbeit der Naturschutzbehörden so geordnet,dass die Bürger wissen,worauf sie sich verlassen können.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, deshalb wird Wilhelm Dietzel jetzt auch in der Region dafür werben, indem er sagt: Ich stehe dafür, dass damit vernünftig umgegangen wird und die Bürger nicht mit dem Nationalpark gegängelt werden, sondern dass das Waldschutzgatter geschützt wird und auf der anderen Seite touristische und wirtschaftliche Entwicklungen in dieser Region möglich sind. Damit nutzt es beiden. – Die Voraussetzungen sind geschaffen. Ich bin optimistisch, dass wir es jetzt mit den Bürgern hinbekommen, was Sie mit den Bürgern nicht hinbekommen haben. Das ist der Unterschied.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oje! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kettensägen-Wilhelm macht den Nationalpark!)

Meine Damen und Herren, mit unserer Politik für den ländlichen Raum verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Unser Ziel ist es, die Wertschöpfung im ländlichen

Raum zu erhöhen. Wir wollen eine wohnort- und verbrauchernahe Produktion von Lebensmitteln sicherstellen. Eine starke Landwirtschaft braucht regionale Märkte und eine optimale Vermarktung. Dabei wollen wir, bei allen Schwierigkeiten, die das europäische Recht – wie ich denke, höchst unsinnigerweise – bereitet, als Land so weit helfen, wie wir können. Denn wir wollen, dass die Landwirte in Hessen als Unternehmer zwischen den verschiedenen Möglichkeiten ihres unternehmerischen Handelns wählen können. Dazu gehört übrigens auch, dass Landund Forstwirte in Hessen in Zukunft auch als Energiewirte eine unternehmerische Zukunft finden können. Mit einem Förderprogramm „Erneuerbare Energien“ werden wir die Errichtung von Anlagen zur energetischen Nutzung von Biomasse und Biogas fördern.Wir glauben, dass in den Biorohstoffen eine Zukunftschance liegt, und werden in einem Kompetenzzentrum Biorohstoffe an der Fortentwicklung und Umsetzung arbeiten.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, den Hochwasserschutz werden wir in Hessen weiter ausbauen.Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten und Restriktionen werden wir dafür sorgen, dass wir immer mehr Mittel zur Verfügung stellen.

Immer wenn es um Lebensqualität geht, wollen wir Hessen vorn sein und wollen wir Hessen vorn sehen. Dabei geht es auch um die so genannten weichen Standortfaktoren. – Ich muss da schon vorsichtig sein, weil Ruth Wagner mir sonst erzählt,zu Recht,dass Kunst und Kultur ein harter und ein weicher Standortfaktor ist, aber ein bisschen weich muss er bleiben dürfen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist ein harter Standortfaktor! So ist es!)

Ein Museum bleibt ein weicher Standortfaktor,wenn man reingeht,

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Nein!)

es bleibt ein harter Standortfaktor, wenn man bezahlen muss.

(Heiterkeit bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So viel zur Kultur!)

Aber ich denke, wir sollten beide Dinge zusammenhalten. Zu den weichen Standortfaktoren – ich hätte sie gern ein bisschen weich –

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

zählen auch Kunst und Kultur. Hessen ist das Land der Theater, Museen und Festspiele. Ob die documenta Kassel, die Buchmesse in Frankfurt oder die vielen Welterbestätten der UNESCO in Hessen bzw.die Anwärter darauf, sie alle stehen für die kulturelle Vielfalt des Landes und das internationale Renommee der Kulturschaffenden. Wir haben in den letzten Jahren schon dafür gesorgt, dass Hessen versucht, seinen Nachteil gegenüber anderen Bundesländern, den wir vorgefunden haben, in der Frage der Finanzausstattung in prozentualen Anteilen des Landeshaushalts zur Bevölkerung oder zur Wirtschaftskraft zu verringern.Wir werden auch in Zeiten knapper Kassen versuchen, dies weiterzuentwickeln und im bestverstandenen Sinne Public-Private-Partnership mit einzusetzen, wo immer es möglich ist. Mit der Fortschreibung des Kulturinvestitionsprogramms, das in der vergangenen Periode erarbeitet worden ist, haben wir hervorragende Vor

aussetzungen, mit einem finanziellen Kraftakt Kunst und Kultur in Hessen auf höchstem Niveau sicherzustellen.

Dazu gehört auch, dass wir uns derzeit engagiert darum bemühen, die Theaterbiennale von Bonn – damals durchaus ein Leuchtturmprojekt der Bundeshauptstadt – in das Rhein-Main-Gebiet zu holen. Auch das ist im Wesentlichen eine Geldfrage. Ich denke, dass wir das bewältigen können.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass alle Menschen in Hessen am Erfolg unseres Landes teilhaben. Deshalb lassen wir uns von dem Gedanken leiten, dass Hessen ein Land des Miteinanders und des sozialen Ausgleichs ist. Unsere Politik muss sowohl auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen als auch auf die Solidarität mit den Schwachen, Behinderten, aber auch auf die gemeinsame Arbeit mit Jungen und Älteren. Wir wissen, dass dies eine Aufgabe ist, die uns immer wieder neu fordert. Mir hat der Landesbeauftragte für die Behinderten, der in Zukunft nicht nur der Beauftragte für die behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung, sondern für alle Behinderten in unserem Lande sein wird, Herr Rinn, dem ich sehr dankbar bin, dass er diese Aufgabe wahrnimmt, gerade gestern in einer ersten Vorabmeldung gesagt: Das Bundesland Hessen hat auch in einem weiteren Jahr die Zahl der Beschäftigten mit Behinderung oberhalb der 6-%-Grenze gehalten. Wir sind sogar noch einmal ein kleines Stück besser und nicht schlechter geworden.

Das unterscheidet unser Bundesland, beginnend mit der Arbeit von Walter Wallmann und seinen ersten Initiativen bis heute, von allen anderen Bundesländern, Flächenländern sowieso,aber inzwischen auch von allen Stadtstaaten in der Bundesrepublik Deutschland. Behinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in keinem anderen Bundesland eine größere Chance als im Bundesland Hessen. Das ist eine Verpflichtung, wenn man ein wirtschaftlich leistungsstarkes Land ist. Wir haben diese Verpflichtung erfüllt.Wir sind stolz darauf, und wir wollen das auch in den kommenden fünf Jahren so fortsetzen.

(Beifall bei der CDU)

Wir stehen in der Pflicht, uns mit der Frage auseinander zu setzen, wie wir mit jungen Menschen umgehen.Wir haben die Situation älterer Menschen zu betrachten. Dazu gehört z. B. auch die Frage des Zugangs zur Ausbildung in den Pflegeberufen. Wir wollen in Zukunft durch die Einrichtung von Seniorenpartnerschaften in der Kinderbetreuung oder Patenschaften zwischen Auszubildenden in Betrieben und Mitarbeitern im Ruhestand dafür sorgen, dass neue Wege gegangen werden.Wenn das Miteinander der Generationen einen hohen Stellenwert hat, so gewinnt auf der anderen Seite zugleich die Chancengleichheit von Frauen und Männern – jenseits der Tatsache, dass sie ein Wert an sich ist – eine geradezu existenzielle Bedeutung vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung.Wir setzen darauf, dass die Potenziale hervorragend ausgebildeter Frauen unserer Gesellschaft und unserer Volkswirtschaft in Zukunft verstärkt zugute kommen. Dies spiegelt sich konkret in der Annahme der Strategie des Gender Mainstreaming durch die Landesregierung wider.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Lachen des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Experimentiermöglichkeiten des Gleichstellungsgesetzes, die wir geschaffen haben, werden wir beobachten, auswerten und die Konsequenzen daraus ziehen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), auf die Regierungsbank deutend: Überhaupt nicht durchgegendert! – Evelin Schönhut-Keil (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Nur noch Männer! – Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Gender Manstreaming!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als erste Landesregierung in Deutschland haben wir einen Integrationsbeirat geschaffen, der inzwischen durch seine erfolgreiche Integrationsarbeit derart akzeptiert ist, dass niemand mehr zu einem Landesausländerbeirat zurückkehren will. Die Koordination der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zugunsten der Integration ist Gegenstand vielfältiger Informationsmöglichkeiten und -aktivitäten in Hessen. Die Kampagne „Hessen grenzenlos“, gemeinsam mit den hessischen Organisationen des Sports und den Gemeinden, muss uns erst einmal jemand nachmachen.

Die unzureichenden Sprachkenntnisse der zweiten oder dritten Generation schaffen jedoch eine junge Gruppe von Langzeitarbeitslosen mit hoher gesellschaftlicher Sprengkraft. Die Verpflichtung für Jugendliche, Deutsch zu lernen, um am Regelunterricht teilzunehmen, und das Angebot an Eltern, entsprechende Deutschkurse schon vor dem ersten Schuljahr anzubieten, sind ein konsequenter und inzwischen von den betroffenen Eltern und Kindern sehr wohl verstandener Weg zu einer neuen Ära problemloser Integration. Auch hier hatten wir als Erste in Deutschland den Mut, neue Wege zu finden.

Jugendliche, deren Wurzeln nicht in Deutschland liegen, sind genauso klug und kreativ wie ihre deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler. In Zukunft werden sie mit dem, was wir in den letzten vier Jahren als Grundlage geschaffen haben,auch die gleichen Chancen haben wie ihre deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler.Ich denke,darauf können wir alle in unserem Bundesland stolz sein.

Die vergangene Legislaturperiode war auch davon geprägt, dass wir die Leistungen der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler wieder mit der angemessenen Anerkennung versehen haben.Die Einrichtung der Stelle eines Landesbeauftragten hat sich bestens bewährt. Der Kollege Rudi Friedrich gehört zwar nicht mehr dem Hessischen Landtag an;ich bin aber sehr froh und dankbar,dass er meinen Auftrag angenommen hat, die Aufgaben des Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler auch in Zukunft wahrzunehmen, um sicherzustellen, dass der ausgezeichnete Kontakte dieser Bürgerinnen und Bürger mit der Hessischen Landesregierung so bestehen bleibt, wie wir ihn in den vergangenen vier Jahren geschaffen haben.

(Beifall bei der CDU)

Aus den Zeitungsankündigungen weiß ich, dass vor allem Kolleginnen und Kollegen der Opposition angesichts der vielen und zu Anfang einer Legislaturperiode notwendigerweise – vielleicht auch bedauerlicherweise – sehr langen Ausführungen immer die Frage stellen, wie das mit der Finanzierung ist.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So nebenbei! – Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir hätten jetzt nicht nachgefragt!)

Nein, nicht nebenbei, weder wir noch Sie. – Deshalb lassen Sie mich klarstellen: Das Land Hessen als ein wirtschaftsstarkes Land kann sich unser Regierungsprogramm unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen leisten. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise werden auch wir Abstriche machen müssen. Aber auch bei zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wie sie in diesem Jahr möglicherweise zu verkraften sind, werden wir den Zeitrahmen zur Erreichung der hier formulierten Ziele gegebenenfalls strecken müssen. Aber wir sehen dabei keine Notwendigkeit, die gesteckten Ziele aufzugeben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Uiuiui!)

Diese Erklärung kann ich auf der Basis der finanzpolitischen Disziplin der vergangenen vier Jahre,

(Lachen und demonstrativer Beilfall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bei aller Besorgnis über unsere Lage,guten Gewissens abgeben. – Da diese Frage sich nicht an dem Schallpegel, der durch die jeweilige oppositionelle Erregung verursacht wird, sondern an Statistiken orientiert, will ich die Bürgerinnen und Bürger – alle tatsächlich Interessierten – darauf hinweisen, dass das Land Hessen im letzten Jahr eine deutlich stärkere Ausgabendisziplin an den Tag gelegt hat als diejenigen Länder, die ähnlich stark von Steuerausfällen betroffen waren, wie etwa Niedersachsen, Saarland oder Schleswig-Holstein.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer mehr Schulden gemacht!)

Das kommt übrigens inzwischen dadurch zum Ausdruck, dass wir im Jahr 2002 den dritten Platz unter allen Flächenländern bei der so genannten Steuerdeckungsquote, also dem Verhältnis von Steuereinnahmen des Landes zu den bereinigten Ausgaben des Landes, halten konnten.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist schon dreist!)

Lediglich Nordrhein-Westfalen und Bayern sind vor uns. Auf der einen Seite stellt sich die Frage: „Haben wir das Geld vernünftig angelegt? Ist es effizient? Sind unsere Aufgaben vernünftig wahrgenommen?“, auf der anderen Seite müssen wir aber auch fragen: „Stehen die Aufgaben in einem angemessenen Verhältnis zu dem,was bei uns erarbeitet wird?“; denn wer das höchste volkswirtschaftliche Einkommen erarbeitet, hat auch mehr öffentliche Kosten. Das Verhältnis zwischen diesen Fragen kommt in der Staatsquote zum Ausdruck. Hessen hat, nach Bayern, die zweitniedrigste Staatsquote unter allen Bundesländern. Das zeigt sehr deutlich, dass wir mit unseren Ressourcen vernünftig wirtschaften.

Trotzdem haben die dramatischen finanzpolitischen Entwicklungen natürlich ihre Auswirkungen auf Hessen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ergibt sich bei den Steuereinahmen für die ersten beiden Monate des Jahres 2003 ein Minus von 4,2 % für die öffentlichen Haushalte. Der Bund beklagt sogar einen Rückgang von 9,4 %. Hessen hat im Jahr 2002 von den westdeutschen Flächenländern, hinter Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein, prozentual die größten Steuereinnahmeausfälle nach Länderfinanzausgleich zu verkraften.Die auf breiter Front eingebrochenen Steuereinnahmen haben dazu geführt, dass wir die Neuverschuldung deutlich über das geplante Maß ausweiten mussten.