Protokoll der Sitzung vom 17.12.2003

Natürlich ist es auch etwas Besonderes, dass 60 % der Haushalte dieser Landesregierung verfassungswidrig sind.Auch nach einer solchen Landesregierung muss man in Deutschland lange suchen.

(Beifall bei der SPD)

Ich verstehe Ihre Nervosität. Wenn wir einen solchen Nachtragshaushalt vorlegen würden, wäre ich bestimmt noch viel nervöser.

Nun kann man all das irgendwie erklären. Dabei wird es wirklich interessant. Wie es gelungen ist, in eine eher kurze Begründung zu diesem Nachtragshaushalt – sieben Seiten lang – derart viele Widersprüche und Windigkeiten einzubauen, nötigt schon Respekt ab. Der geneigte Leser liest auf Seite 5:

Nach Art. 141 Satz 1 der Hessischen Verfassung dürfen im Wege des Kredits Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel zu werbenden Zwecken, d. h. zur Finanzierung von Investitionsausgaben beschafft werden.

Daraus folgert der Finanzminister schon im nächsten Satz:

Bereits aus der Formulierung „in der Regel“ ergibt sich, dass die Bindung der Kreditaufnahme an werbende Zwecke kein unverrückbares Erfordernis ist, vielmehr in begründeten Einzelfällen auch Ausnahmen von dieser Regel zulässig sind.

Das heißt, Karlheinz Weimar findet eine Regel, erinnert sich an die alte Weisheit, dass es keine Regel ohne Ausnahme gibt, und hat sofort einen Grund, sich bis über beide Ohren zu verschulden. Der Finanzminister wäre nicht der Finanzminister, wenn er nicht gleich, sozusagen ex cathedra, die Ausnahme zur Regel erklären würde. Entsprechend folgert er nämlich:

Ob eine solche Ausnahmesituation anzunehmen ist, entscheidet... allein (der Haushaltsgesetzgeber) im Rahmen des ihm eingeräumten Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums.

Herr Finanzminister, an dieser Stelle müssen wir Sie für einen Moment stoppen. Wie Sie wissen, ist diese Frage Gegenstand einer Klage vor dem Staatsgerichtshof, der sehr wohl noch ein Wörtchen mitzureden hat. Wir sind schon gespannt darauf, ob diejenigen in diesem Land, die für die Beachtung der Regeln zuständig sind, tatsächlich auch für eine Auslegung in eigener Regie sorgen dürfen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen, dass Sie sich seit Februar gern so aufführen, als ob Ihnen das Land gehörte.Aber was zu weit geht,geht zu weit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Weimar, kehren wir zu Ihren Begründungen zurück. Unter der Überschrift „Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht ist erneut gestört“ heißt es gleich zweimal:

Die höhere Verschuldung ist auch geeignet,der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts entgegenzuwirken.

Als Begründung führen Sie an, dass eine Verstärkung des konjunkturellen Abschwungs im Jahr 2003 durch die Haushaltspolitik des Landes vermieden werde. Über eine solche Argumentation könnte man sicherlich reden, würden Sie nicht bereits im nächsten Satz das Ganze völlig ad absurdum führen. Dort begründen Sie exakt die entgegengesetzte Maßnahme, nämlich Ihre Streichorgie im Rahmen der so genannten „Operation sichere Zukunft“. Das gipfelt in dem Satz:

Vor dem Hintergrund der allgemein erwarteten konjunkturellen Belebung ab dem Jahr 2004 er

scheinen aus heutiger Sicht die damit verbundenen Einschnitte auch gesamtwirtschaftlich vertretbar.

Meine Damen und Herren, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das sagt der Finanzminister, der in der gleichen Haushaltseinbringungsrede für das gleiche Jahr erklärt: Wir Hessen akzeptieren die für den Haushalt 2004 vom Bundesfinanzminister unterstellte Wachstumsprognose von plus 2 % nicht.Wir halbieren sie entgegen der Annahme aller Experten auf 1 %. – Was denn nun, Herr Weimar?

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Was denn nun, liebe Kolleginnen und Kollegen? Keynesianismus oder Sparorgie, wirtschaftlicher Aufschwung oder Schönfärberei des Bundesfinanzministeriums?

(Beifall bei der SPD)

Man muss sich doch wenigstens innerhalb ein und derselben Rede, innerhalb ein und derselben Haushaltseinbringung auf eine bestimmte Linie einigen können.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Man könnte zu diesem Nachtragshaushalt noch einiges sagen: zu der Art und Weise der Einbringung, zu Dauersitzungen ohne Pause, zu Abendsitzungen, verschobenen Haushaltsklausuren, zu in letzten Momenten eingebrachten Abstimmungspaketen.Herr Kaufmann hat das bei der zweiten Lesung hier schon einmal ausführlich dargestellt.

(Zurufe von der CDU)

Vielleicht ist dies ja der „Respekt“ einer Regierung, die von einer absoluten Mehrheit getragen wird,vor dem Parlament. Guter parlamentarischer Brauch ist es jedenfalls nicht.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Die Redezeit ist zu Ende. Das muss man akzeptieren.

(Heiterkeit – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das ist Ihr erster richtiger Satz!)

Die Zeit vergeht hier schneller, als man denkt.

(Heiterkeit)

Man könnte noch viele Worte sagen. Wir werden morgen darüber reden, in welcher Art und Weise Sie einem urplötzlich in Schwierigkeiten geratenen Grafen zu Hilfe gekommen sind. Insgesamt muss ich festhalten: Das geht hier ein bisschen zu wie auf einem Basar.Auf einem Basar würde es aber nicht so schlimm zugehen.

Diesem Nachtragshaushalt können wir auf keinen Fall zustimmen.Wir werden ihn deshalb ablehnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Nächste Wortmeldung,Herr Kollege Milde von der CDUFraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann verstehen, dass die SPD heute einen anderen Redner an das Mikrofon geschickt hat, denn wir haben dieselben Argumente schon zweimal ausgetauscht. Beim dritten Aufguss hat sie heute ein anderer vorgetragen.

(Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Pighetti, ich habe mich gefreut, dass Sie am Ende ein Lächeln übrig hatten. Das hat uns alle ein bisschen aufgemuntert.

Wir reden heute in dritter Lesung über den Nachtragshaushalt 2003. Wir passen die jetzt vorliegenden Zahlen an einen Haushalt an, der am Ende im Vollzug von den Einnahmen her besser geworden ist, als wir das noch Mitte des Jahres vermutet haben. Das ist ein Grund, sich zu freuen. Es ist besser gelaufen, als wir es dachten. Wir haben Mehreinnahmen, nicht Mindereinnahmen.

(Beifall bei der CDU)

Wir können jetzt zusätzlich 120 Millionen € in den Haushalt einstellen. Ich gebe zu: Dafür kann der hessische Finanzminister relativ wenig, denn es handelt sich um einen Erbschaft-/Schenkungsteuerfall. Ich weise jede Schuld an dem Zustandekommen dieser Zusatzeinnahmen zurück.

(Heiterkeit)

Möglicherweise handelt es sich hierbei aber um Einnahmen aus der Schenkungsteuer. Wenn jemand ein Vermögen dieser Größenordnung zu Lebzeiten überträgt, dann kann er dafür nur zwei Gründe haben. Er befürchtet entweder eine Verschlechterung der Erbschaftsteuersätze in der Zukunft und überträgt sein Vermögen jetzt, oder er befürchtet z. B. eine Höherbewertung von Immobilien oder sonstigem Vermögen. Um sein Vermögen zu retten, überträgt er es jetzt. Das ist ein deutliches Signal an diejenigen, die auf ihrem Parteitag gerade beschlossen haben, die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Das treibt die Menschen aus diesem Land.Das muss an der Stelle festgehalten werden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Wir haben im November Mehreinnahmen aus Steuern zu verzeichnen, die in den Haushalt eingestellt werden müssen. Wir haben gestern Abend im Haushaltsausschuss gehört, dass wir wahrscheinlich – sehr sicher kann man nicht sein, was die Steuereinnahmen angeht – in diesem Jahr noch einmal deutlich besser abschneiden werden. Wahrscheinlich werden wir um 200 bis 300 Millionen € besser abschneiden, und um diesen Betrag wird die Neuverschuldung in diesem Jahr sinken.Wir wissen es aber noch nicht genau, sonst hätten wir diesen Betrag per Antrag einstellen können. Es ist aber eine gute Nachricht, dass sich die Konjunktur und die Steuereinnahmen in diesem Jahr besser entwickelt haben, als wir dachten.

Herr Pighetti, ich vermisse, dass Sie einmal einen Vorschlag machen, welche konsumtiven Ausgaben man im laufenden Haushaltsvollzug nicht tätigen könnte, um die Verfassungsgrenze einzuhalten – außer Investitionen zeitlich zu schieben. Deswegen muss ich daran erinnern, was wir in diesem Jahr getan haben.

Ich erinnere daran,dass der Bundesfinanzminister im Mai dieses Jahres festgestellt hat, dass ihm 30 bis 40 Milliarden € fehlen.Was hat er gemacht? Er hat eine Haushaltssperre über 100 Millionen € erlassen – um 30 Milliarden € einzusparen.Das ist eine „großartige“ Leistung.

Wir haben in Hessen in dem Moment, als wir durch die Mai-Steuerschätzung wussten, wie dieses Jahr laufen würde, sofort eine komplette Haushaltssperre veranlasst, anschließend eine Bewirtschaftungsregelung erlassen und später einen Personaleinstellungsstopp verfügt, um all die Maßnahmen, die in diesem Jahr noch möglich waren, durchzusetzen. Insofern muss ich sagen: Wir haben in Hessen sofort reagiert, während andere noch lange gar nichts gemacht haben. Auch die anderen Bundesländer haben nichts gemacht. Da waren wir in Deutschland federführend.

(Beifall bei der CDU)