Protokoll der Sitzung vom 17.12.2003

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine Damen und Herren, wir fahren in der Tagesordnung fort und kommen zu den Gesetzeslesungen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Erhöhung der Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Hochschulen im Bereich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses – Drucks. 16/1614 –

Die Redezeit für die Fraktionen beträgt zehn Minuten. Der Gesetzentwurf wird von Herrn Staatsminister Corts eingebracht.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hessische Landesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Erhöhung der Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Hochschulen im Bereich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vor. Hauptziel ist es, die hessische Graduiertenförderung auf neue Grundlagen zu stellen. Eine zentrale Mittelvergabe zur Unterstützung von wissenschaftlichem Nachwuchs auf der Grundlage des Hessischen Gesetzes zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern ist aus unserer Sicht heute nicht mehr zeitgemäß. Sie stammt aus dem Jahre 1984. Damals war das Thema Autonomie der Hochschulen noch nicht aktuell. Viele Jahre lang war diese Regelung sinnvoll, nachdem sich die Länder 1983 gegen das frühere Graduiertenförderungsgesetz des Bundes ausgesprochen hatten.Daraufhin wurde in Hessen die landeseigene Regelung zur Graduiertenförderung beschlossen, deren Ausführung man den Hochschulen übertrug.

Finanziert wurde die Graduiertenförderung aus zentralen Haushaltsmitteln des HMWK, zuletzt im Jahre 2002 mit 1,5 Millionen € aus Kap. 15 30 ATG 99. Aus diesen Mitteln konnten jährlich bis zu 200 Promovierende gefördert werden.

Mit der Einführung der leistungsbezogenen Mittelzuweisung ab dem Jahre 2003 wurde die finanzielle Verantwortung für die Stipendienförderung an die Hochschulen abgegeben und damit das zentrale Verteilungsverfahren abgelöst. Die Hochschulen müssen nunmehr die Stipendien aus dem zugewiesenen Budget finanzieren. Niemand kann den Sinn der gezielten Förderung besonders begabter wissenschaftlicher Nachwuchskräfte infrage stellen. Dies ist ein Beitrag zur Sicherung des hohen wissenschaftlichen Niveaus an hessischen Hochschulen. Ohne ein solches Angebot würde fraglos ein erheblicher Teil hoch qualifizierter junger Wissenschaftler die Universität gleich nach dem Studium verlassen.

Die hessische Graduiertenförderung ist in ihrer Laufzeit seit 1984 aber nur einmal – das war im Jahre 1993 – auf damals 1.400 DM monatlich erhöht worden, mit dem Effekt, dass diese Förderung im Vergleich zu anderen Stiftungen, beispielsweise der Deutschen Forschungsgemeinschaft, kaum mehr attraktiv ist. Folgerichtig fordert daher die

Konferenz der hessischen Universitätspräsidenten die Aufhebung des Graduiertenförderungsgesetzes. Für die Aufhebung spricht auch, dass die finanzielle Verantwortung für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern seit der leistungsorientierten Mittelzuweisung ohnehin bei den Hochschulen liegt.

Im Übrigen ist festzustellen, dass sich die Universitäten in letzter Zeit dafür stark machen, die Doktorandenausbildung stärker als in der Vergangenheit zu strukturieren, indem sie eigene Instrumente schaffen, bei denen die Verantwortung für Auswahl, Betreuung,Ausbildung und Prüfung der Promovierenden liegt. Eine zentrale Mittelvergabe für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern entspricht grundsätzlich nicht mehr dem System der leistungsbezogenen Mittelzuweisung. Es ist vielmehr notwendig, im Sinne des neuen Haushaltssystems sowie zur Unterstützung einer effizienten Doktorandenförderung die volle Verantwortung auf die Hochschulen zu übertragen. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Autonomie der Hochschulen.

Das Hessische Gesetz zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern sowie die Durchführungsverordnung können deshalb aus unserer Sicht aus den genannten Gründen ersatzlos entfallen. Ich schlage vor, dem Wunsch der Hochschulpräsidenten zu folgen und das Graduiertenförderungsgesetz sowie die Durchführungsverordnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufzuheben. Ich bitte Sie daher sehr herzlich, dem Gesetzentwurf und damit auch dem Wunsch der Präsidenten der KHU bereits in der ersten Lesung zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Ich darf die Aussprache eröffnen, zehn Minuten Redezeit. Herr Dr. Spies für die SPD-Fraktion, bitte sehr.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich das Vorblatt zu diesem Gesetzentwurf anschaut, liest man darin, die Präsidenten möchten gern, dass die Regelung des Landes betreffend die Vergabe von Mitteln zur Doktorantenförderung aufgehoben wird. Warum möchten sie das? – Sie möchten das ein Stück weit für mehr Autonomie.Aber sie möchten das doch vor allem deshalb, weil es diese Mittel aktuell überhaupt nicht mehr gibt, weil der Umgang mit der Hochschulfinanzierung, wie ihn dieses Land prägt, dazu führt, dass das Geld, das dafür vorgesehen war,bei den Hochschulen ohnehin nicht mehr vorhanden ist. Wenn man schon nichts bekommt, dann will man doch wenigstens entscheiden, was man mit dem macht, was man nicht bekommt.

(Heiterkeit der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Dann lesen wir weiter und stellen fest: Dieses Vorblatt besagt,Alternativen zu diesem Gesetzentwurf gebe es keine. – Die Frage allerdings kann man sehr differenziert diskutieren, nämlich ob die angemessene Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses denn eine Aufgabe des Landes sei oder nicht. Ich komme gleich noch einmal dazu.

Dann kommt: Auswirkungen, die Frauen anders oder in verstärktem Maße betreffen als Männer – keine.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das sagen sie immer!)

Meine Damen und Herren, das ist doch schon ein interessanter Punkt. Eine Regelung des Landes, die besagt, dass bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auch die Frage: „Wie stellen wir Menschen, die kleine Kinder betreuen müssen, in die Situation, dies geregelt zu bekommen, während sie sich wissenschaftlicher Tätigkeit hingeben?“ zählt, wird aufgehoben. Denn die bisherige Vorschrift sieht vor, dass Kinderbetreuungskosten auch noch übernommen werden. Zu behaupten, das betreffe Männer und Frauen in gleicher Weise, entspricht nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Tatsache ist, dass das Männer und Frauen sehr wohl in unterschiedlicher Weise betrifft. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die längst begriffen haben,was für ein Irrsinn es ist,diese Potenziale zu verplempern, indem man es einer Hälfte der Menschheit zumindest schwieriger macht, ihre Fähigkeiten auch in der wissenschaftlichen Arbeit unter Beweis zu stellen, wird gerade an dieser Stelle eine Möglichkeit, die es in Hessen gibt und die dies erleichtert, abgeschafft. Frauen und Männer sind ganz sicherlich nicht in gleicher Weise betroffen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wenn wir über die Frage vernünftigerer Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses reden, wenn wir über mehr Autonomie reden – also Selbstgesetzgebung, wie Kant sagte, die Aufforderung, den Mut zu haben, weise zu sein –, setzt dies doch voraus, dass die Rahmenbedingungen, genau das zu tun, angemessen sind. Wie ist die Wirklichkeit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses? Ist es so, dass in allen Fällen durchgängig die reinen Qualifikationsfragen zu Buche schlagen, oder braucht es genau an dieser Stelle nicht Regelungen des Landes, die den Hochschulen helfen, internen Interessenverbindungen einen Rahmen zu geben?

Der Autonomiebegriff der Landesregierung ist an dieser Stelle – das traut man Herrn Corts gar nicht zu – von einem Idealismus geprägt, das ist schon eindrucksvoll. Staatsminister Corts, der letzte Anarchist, der sagte: Das kann jeder von unten allein entscheiden, wir brauchen gar keine Regelung. – Aber keine Sorge, so ist es nicht. Solche Art Autonomie gilt in Hessen nicht. Unbotmäßigkeiten der Hochschulen werden beantwortet mit: „Und bist du nicht willig, so brauche ich Gewalt – und gebe dir gar kein Geld mehr“, wie in Kassel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, natürlich ist es nicht Aufgabe des Landes – aber das tut das bisherige Gesetz auch nicht –, detailliert vorzugeben, in welchen fachlich-wissenschaftlichen Bereichen Nachwuchsförderung sinnvoll erfolgt.Das mögen die Hochschulen tun.Aufgabe des Landes aber ist es natürlich, klare Kriterien und klare Qualitätsregeln vorzugeben, für Neutralität und Unbefangenheit in der Beurteilung der Vergabe zu sorgen. Und wenn Sie ganz nebenbei in Ihrer Begründung erwähnen, es sei auch zu wenig Geld, um attraktiv zu sein: Wenn ein Stipendium, um attraktiv zu sein, zu gering dotiert ist, würden mir andere Verfahren einfallen, als es abzuschaffen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

In anderen Ländern ist man ein ganzes Stück weiter. Da hat man das Inzestuöse der akademischen Qualifikationsbeziehung durchaus begriffen und neutralisiert es, indem es,wie in den skandinavischen Ländern,klare Unterscheidungen zwischen Betreuenden und Beurteilenden gibt und diese überhaupt erst festgelegt werden, wenn Pro

dukte schon fertig sind. Was wir hier tun, ist, die Hochschulen der Schwierigkeit auszusetzen, aus eigenem Antrieb sachfremde Kriterien so vollständig zu entfernen, dass am Ende die Nachwuchsförderung tatsächlich sachlichen Bedürfnissen entspricht. Damit öffnen wir die Gefahr – ohne dass ich ernsthaft unterstellen wollte, dass das tatsächlich an einer Hochschule in Hessen passiert; ganz sicherlich nicht, aber zumindest theoretisch – eines sich selbst reproduzierenden Mittelmaßes, indem wir genau solche Entscheidungsprozesse in die Peripherie verlagern.

(Nicola Beer (FDP):Ach!)

Die Aufgabe des Staates, wenn er Autonomie ermöglicht, ist es nicht, die fachlichen Detailregelungen selbst zu treffen, aber die Spielregeln des Rahmens selbst festzulegen, weil es eine Zumutung sein kann, das zu verlangen, und weil es oft genug scheitert. Gesetze brauchen wir für die Fälle, in denen Dinge nicht von allein funktionieren oder in denen sie von allein schief laufen könnten. Genau diesen Zweck erfüllte diese Regelung. Man kann sie verbessern, man kann sie entwickeln, man könnte sie auch noch höher dotieren. Abschaffen ist ein intellektuell wenig anspruchsvoller Lösungsansatz.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf Frau Beer für die Fraktion der FDP das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDPFraktion unterstützt den von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf. Die von Herrn Kollegen Spies für die SPD-Fraktion vorgetragenen Bedenken teilen wir nicht. Denn es ist wahr, bislang haben die hessischen Hochschulen die Vergabe der Graduiertenförderung nach dem Hessischen Gesetz zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern als Auftragsangelegenheit durchgeführt. Seit dem 01.01.2003 sind die Mittel jedoch nicht mehr zentral in dem Haushaltsabschnitt des Ministeriums etatisiert, sondern sie wurden direkt bei den Hochschulen eingestellt. Die 1,5 Millionen € aus dem Jahr 2002 wurden in die Globalbudgets der Hochschulen überführt. Lieber Herr Kollege Spies, von daher hält es die FDP-Fraktion nur für folgerichtig, den Hochschulen jetzt auch den Freiraum zu geben, über die Details der Vergabe, insbesondere über Höhe und Art der Stipendien, selbst zu entscheiden.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das entspricht der Auffassung,die die FDP von der Autonomie der Hochschulen hat – eine Autonomie der Hochschulen,die wir in der letzten Legislaturperiode eingeführt haben und die wir als FDP-Fraktion weiter unterstützen.

Außerdem, lieber Herr Kollege Spies: Wenn Sie sich einmal die ersten im Vorfeld der hier diskutierten Neuregelung erlassenen Satzungen zur Vergabe der Graduiertenstipendien angucken, etwa die der Universität Gießen vom 10. September dieses Jahres, wie sie jetzt im „Staatsanzeiger“ vom Dezember veröffentlicht wurde, zeigt Ihnen das sehr deutlich, dass die von Ihnen eben vorgetragenen Befürchtungen nicht zutreffen. Es zeigt vielmehr, dass die Hochschulen die Stipendienbeiträge erhöhen

möchten und dass sie darüber hinaus auch eine Konzentration des Kreises der geförderten Personen sowie des Förderzeitraums vornehmen möchten.

Von daher geht es hier, anders als von Ihnen eben behauptet, nicht um die Förderung eines Mittelmaßes, sondern es geht vielmehr um die Anhebung der entsprechenden Anforderungen – etwas, was angesichts anderer Förderinstrumente, ich nenne als Beispiel nur die DFG-Stipendien, durchaus Sinn hat.

Aber, Herr Minister, eine Bemerkung kann ich mir für die FDP-Fraktion nicht verkneifen. Solche Autonomie im Kleinen reicht nicht aus, um zu verstecken, dass ansonsten in Hessen mit der neuen CDU-Landesregierung die Hochschulen offensichtlich wieder ans Gängelband der Politik gelegt werden.

(Beifall bei der FDP)

Die Diskussion um die und vor allem die Kritik an den öffentlichen Äußerungen der Präsidenten der Hochschulen in Kassel und neuerdings auch in Gießen machen dies nur allzu offensichtlich.

Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, glaube ich, dass wir die Diskussion im Ausschuss dazu nutzen müssen,einmal nachzufragen,welche Mittel den Hochschulen nach den eklatanten Kürzungen, die die Landesregierung leider für das Haushaltsjahr 2004 sehr zu unserem Bedauern im Bereich der Hochschulen plant, konkret für die Vergabe solcher Stipendien noch zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus finde ich es bedauerlich, Herr Minister, dass es offensichtlich bei der neuen Landesregierung nicht mehr Usus ist, den Fraktionen den Referentenentwurf zur Verfügung zu stellen, bevor es zum Kabinettsbeschluss kommt.Trotzdem gilt das Angebot der FDP-Fraktion, in ein zügiges Verfahren zur Beratung des von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurfs einzutreten. Meines Erachtens müsste eine schriftliche Anhörung aufgrund der im Rahmen der Kabinettsanhörung abgegebenen Stellungnahmen ausreichen. Ich denke, wir können die Beratungen im Ausschuss zügig durchführen. Das Angebot steht. Wir unterstützen das Anliegen, hier die Autonomie der Hochschulen zu vergrößern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Beer. – Frau Kühne-Hörmann, darf ich Sie bitten, für die CDU-Fraktion Stellung zu nehmen?

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt einen Wunsch der hessischen Universitätspräsidenten. Inhalt des Gesetzentwurfs ist die Aufhebung des Graduiertenförderungsgesetzes sowie der dazugehörenden Durchführungsverordnung.

Es geht um die finanzielle Förderung wissenschaftlicher Nachwuchskräfte,und es geht um die Unterstützung einer effizienten Doktorandenförderung, die in die volle Verantwortung der Hochschulen übertragen werden soll.

Darauf, wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist, ist schon eingegangen worden. Wichtig ist aus meiner

Sicht, dass mit dem Gesetzentwurf den Hochschulen die Möglichkeit gegeben wird, Art und Höhe der Förderung von Nachwuchswissenschaftlern in eigener Verantwortung zu gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Kollegin Beer hat es eben gesagt, Herr Siebel: Geld ist vorhanden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Herr Spies!)