Ich darf für meine Fraktion dabei klarstellen, dass es uns als FDP-Fraktion nicht darum geht, konkrete Verdächtigungen gegen einzelne Mitglieder dieses Hauses oder der Landesregierung auszusprechen. Vielmehr meinen wir, dass ein solcher Beschluss, das Parlament insgesamt aufgrund der neuen Erkenntnisse überprüfen zu lassen, derartige Verdächtigungen vermeiden helfen würde. Es geht uns darum, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einen Anspruch auf ein stasifreies Parlament in Hessen haben.
Sie haben einen Anspruch darauf, dass eine entsprechende Transparenz geschaffen wird. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass das, was wir als Anspruch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes stellen, auch für uns als Parlamentarier gelten muss. Das heißt, wenn hier überprüft wird, sollten wir uns als Abgeordnete auch dieser Überprüfung unterziehen.
Wir haben in der Sache bereits die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali
gen DDR angeschrieben. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten ist für eine Überprüfung des gesamten Parlaments ein entsprechender Parlamentsbeschluss in Hessen notwendig, da es im hessischen Abgeordnetengesetz, anders als in anderen Abgeordnetengesetzen – ich verweise auf das des Bundestages, des Niedersächsischen Landtages, der Landtage von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt,Thüringen und Sachsen –, hierfür keine allgemeine Regelung gibt. Nach Auskunft der Bundesbeauftragten wäre nach der Fassung eines solchen Beschlusses ab dem ersten Quartal 2004 für alle Überprüfungsvorgänge die vollständige Verfügbarkeit der Rosenholz-Dateien möglich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schlagen Ihnen vor, dass wir im Hauptausschuss das konkrete Verfahren, nach dem diese Überprüfung stattfinden soll, miteinander bereden und festlegen. Die einzelnen Mitglieder der FDPFraktion sind mit gutem Beispiel vorangegangen.Wir haben bereits für uns Einzelne die Überprüfung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes beantragt. Wir haben aber die Hoffnung, dass wir gerade im Hinblick auf das, was ich zur Transparenz und zum Anspruch der Bürger auf ein stasifreies Parlament gesagt habe, alle Fraktionen dieses Hauses dafür gewinnen können, unser Begehren mitzutragen, und dass sich der Landtag insgesamt überprüfen lässt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU-Fraktion begrüßt und unterstützt den Antrag der FDP ausdrücklich,
weil wir es als richtig und wichtig empfinden, dass sich auch westdeutsche Parlamente an dieser Debatte beteiligen, die ostdeutsche Parlamente schon seit längerer Zeit führen. Frau Beer sagte es, und wir verstehen ihren Antrag auch so, dass es nicht darum geht, unter Kollegen Misstrauen zu säen, dass es nicht darum geht, Kollegen einem Massenscreening zu unterziehen oder eine Röntgenreihenuntersuchung für Kollegen durchzuführen. Uns geht es um grundsätzliche Erwägungen. Es geht uns um den sehr hohen Symbolgehalt dieses Antrages, der auch zur Aufarbeitung von Geschichte aufruft. Es geht darum, uns solidarisch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten der jungen Bundesländer zu zeigen, für die solche Überprüfungen selbstverständlich sind.Es geht darum, deutlich zu machen, dass Stasizusammenarbeit kein singuläres ostdeutsches Ereignis war, weil wir wissen, dass 3.000 bis 3.500 informelle Mitarbeiter im Westen tätig waren.
Der Antrag ist auch deswegen gut und richtig,weil er dazu aufruft, gesamtdeutsche Verantwortung zu übernehmen. Es gibt keine Zweifel daran,dass es in höherem Maße verwerflich ist, wenn einer ohne Not in einem Rechtsstaat wie Westdeutschland gemeinsame Sache mit der Stasi machte, als wenn jemand in einem Unrechtsregime wie
der DDR in Verstrickungen gerät. Dieser Antrag eröffnet die Chance, ein symbolhaftes und ein deutliches Zeichen zu setzen, ein Signal gegen Verklebungen, Verniedlichungen und auch gegen Verharmlosung einer totalitären Diktatur zu setzen.
Die DDR steht als Synonym für Selbstschussanlagen, für über 200.000 Menschen, die in dunklen Folterkellern verschwunden sind. Die DDR steht für unsägliche Methoden der menschlichen Erniedrigung. Sie steht für das gegeneinander Ausspielen von Familien, für die Erpressung von Eltern mit der Drohung, ihnen die Kinder wegzunehmen. Die DDR steht für Enteignung. Sie steht für Berufsverbote. Sie steht für 100.000 Stasispitzel und IMs,
die nichts anderes als den Auftrag hatten, ein ganzes Volk auszuhorchen, und die dieses Regime erst ermöglicht haben.
Die Maßnahmen der Stasi und ihrer Helfershelfer waren maßlos. Sie kannten keinerlei menschliche Grenzen. Sie wurden erst durch die Tätigkeit von Spitzeln und informellen Mitarbeitern zur Realität. Da waren die IMs, die als Ärzte angeworben waren und kerngesunde Patienten in Todesangst versetzten, indem sie ihnen eine Krebskrankheit attestierten. Da waren IMs, die mit Informationen dafür sorgten, dass Unschuldige in Gefängnissen der DDR verschwunden sind. Diese Gefängnisse waren rechtsfreie Räume, in denen mit außergewöhnlich subtilen Methoden gequält und gefoltert wurde – Verweigerung der Nahrung, absichtliche Fehlbehandlung von Wunden und Krankheiten und Verabreichung von Psychopharmaka.
Es gibt immer noch einige, die sagen: Macht doch endlich einen Schlussstrich. Hört doch mit der Debatte über die Vergangenheit auf. – Ich halte das für instinktlos. Ich halte das für geschichtslos. Deswegen finde ich es richtig, dass die FDP sagt:Wir dürfen diese Schlussstrichdebatte nicht zulassen. – Das machen Sie mit diesem Antrag. Deswegen begrüßen wir diesen Antrag.
Ich finde, dieser Schlussstrich darf und kann nicht gezogen werden, weil bei den Opfern des Regimes die negativen Folgen bis heute nachwirken. Sie können diesen Schlussstrich nicht ziehen, weil sie die Vergangenheit nicht mehr loslässt. Das wahre Ausmaß der jetzt offen liegenden Aktivitäten der Stasi, ihrer Spitzel und ihrer informellen Mitarbeiter hat unsere schlimmsten Vermutungen übertroffen. Die Maßnahmen der Stasi und derer, die mit ihr gemeinsame Sache gemacht haben, sind ein einzigartiges Beispiel für den Verlust humaner Orientierung.Es waren die vielen informellen Mitarbeiter und Stasispitzel, die an den perfidesten Maßnahmen mitgewirkt haben – ich zitiere – „zur Zersetzung von Menschen“. Das ist das Abscheuliche an diesen Stasispitzeln gewesen.
Wenn sie „Zersetzung“ sagen, dann darf ich dazu ein Handbuch des Ministeriums für Staatssicherheit zitieren: „Zersetzung ist die Zersplitterung, die Lähmung, die Desorganisierung und die Isolierung feindlich negativer Kräfte.“ Wir wissen alle, was damit gemeint ist.
Viele derjenigen, die als informelle Mitarbeiter oder als sonstige Mitarbeiter der Stasi enttarnt worden sind,gaben an, dass sie für ein besseres, ein gerechteres Deutschland
gearbeitet haben. Viele derjenigen sagten, sie wendeten im Namen dieses besseren Deutschlands Gewalt an. Sie verstanden sich nicht als Berufskiller. Sie verstanden sich als Menschen, die von einer politischen Sendung motiviert waren. Sie meinten, dass diese Sendung ihr Handeln rechtfertigen wird. Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir ein gemeinsames Zeichen setzen, dass es keine Rechtfertigung dafür gibt. Lassen Sie uns, wenn auch mit einer symbolischen Überprüfung,wenigstens unmissverständlich deutlich machen, dass die Übernahme politischer Verantwortung und die Tätigkeit für einen Stasi- und Spitzelstaat unvereinbar sind. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich, hier gemeinsam mit uns dem FDPAntrag zuzustimmen. – Ich danke Ihnen ganz herzlich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nach dem Redebeitrag auch des Herrn Rhein von der CDU, in Ihrer Begründung zu Ihrem vorliegenden Antrag, alle Abgeordneten des Hessischen Landtags auf etwaige Kontakte zur Staatssicherheit der ehemaligen DDR überprüfen zu wollen, weisen Sie darauf hin, das gleiche Anliegen schon 1991 vorgebracht zu haben. Dieser Hinweis erscheint mir in der Tat zielführend, ist doch das Jahr eins der Wiedervereinigung eine Zeit gewesen, in der man einen solchen Antrag ansiedeln würde. Die Stasi war damals in ganz Deutschland präsent. Immer neue Anschuldigungen und Aufklärungen schreckten die Öffentlichkeit auf.
Der Hessische Landtag will mit dieser Vorgehensweise dem schleichenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Integrität des Parlamentes begegnen.
Die Stimmung im Lande war also so, dass die FDP-Fraktion zur Rückgewinnung der Integrität des Hessischen Landtags einen Staatssicherheitscheck für alle Abgeordneten als notwendig erachtete.
Aus heutiger Zeit möchte ich mir kein Urteil darüber anmaßen, ob diese Befürchtungen seinerzeit angemessen waren. Ich bin mir aber sehr sicher, dass der aktuelle Landtag ganz sicher an keinem Integritätsverlust durch eventuell ehemalige Stasikontakte leidet oder dass Derartiges in absehbarer Zeit droht.
In der schriftlichen Begründung ist nur ein Punkt genannt.Man kann der FDP nicht verbieten,alle zwölf Jahre den gleichen Antrag zu stellen. Wenn tatsächlich der ein
(Frank Gotthardt (CDU): Sie waren aber vor zwölf Jahren noch nicht im Landtag! – Nicola Beer (FDP): Haben Sie nicht gehört, Herr Pighetti, was ich gesagt habe?)
muss schon einmal nachgefragt werden,was mit der Überprüfung erreicht werden soll, warum gerade diese Frage klärenswert ist, welche Rechtsgüter wir dafür opfern wollen und wie es um die Verhältnismäßigkeit einer derartigen Vorgehensweise steht.
Daraus ergeben sich ein paar ganz klare Fragen. Soll zukünftig jedes Mal, wenn neue Dateien, Unterlagen oder sonstige Informationen auftauchen, die irgendetwas mit der Staatssicherheit der ehemaligen DDR zu tun haben, ein kompletter Abgleich dieser Dateien mit allen hessischen Landtagsabgeordneten erfolgen? Ich fände es jedenfalls erstaunlich, wenn man in einem bestimmten Turnus alle paar Jahre den kompletten Landtag auf Stasikontakte durchleuchten würde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicola Beer (FDP): Warum? – Frank Gotthardt (CDU): Sehr bedrohlich!)
Es gibt doch auf der Welt wahrlich ausreichend unappetitliche Geheimdienste, zu denen der gemeine Landtagsabgeordnete besser keine Kontakte haben sollte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Nicola Beer (FDP):Ein Glück,dass es dafür eine Behörde gibt!)
Frau Beer, wollen wir jetzt etwa eine Liste zwielichtiger Geheimdienste erstellen und alle Landtagsabgeordnete auf Kontakte zu diesen Diensten untersuchen lassen?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lebhafte Zu- rufe von der CDU – Zuruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD))