Protokoll der Sitzung vom 18.12.2003

(Heiterkeit)

Für die Sozialversicherung heißt das Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung, obligatorische Versicherung von Basisleistung plus freiwillig versicherbare Komfortleistung. Damit muss der Ausbau von Kapitalstöcken in einzelnen Zweigen einhergehen. Anders wird es nicht gelingen.

Trotz aller jugendlichen Frische, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Schlussrunde.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch ein Beispiel anbringen.

Das glaube ich nicht. Ich habe gesagt: Schlusssatz. – Herr Kollege, im Ernst, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Das ist der Schlusssatz. – Die Solidarität der Menschen in diesem Lande ist wirklich überspannt worden. Wenn Sie Solidarität in diesem Lande einklagen, dann sorgen Sie dafür, dass die Leute, die solidarisch handeln, auch die Möglichkeit dazu haben, und nehmen Sie ihnen nicht alles Geld aus der Tasche, damit sie sich noch frei bewegen können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war nur ein Satz!)

Als nächste Rednerin hat Frau Sozialministerin Lautenschläger das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon spannend, dass wir uns aufgrund eines Antrages der GRÜNEN mit der sozialen Marktwirtschaft und der katholischen Soziallehre beschäftigen. Ich bin überrascht, dass es inzwischen immer noch keinen Eingang in Ihre Parteiprogramme gefunden hat. Mit der katholischen Soziallehre und mit der sozialen Marktwirtschaft mussten Sie sich sehr lange auseinander setzen, bis Sie überhaupt zu dem Thema ökologische und soziale Marktwirtschaft gekommen sind.

Meine Damen und Herren, ich glaube, man muss genau hinterfragen – das hat mir ein bisschen bei Ihnen gefehlt, sehr geehrte Kollegin Schulz-Asche –, was eigentlich die Grundidee einer sozialen Marktwirtschaft ist, die heute immer noch als dritter Weg zwischen einem ungebändigten, nicht geordneten marktwirtschaftlichen Kapitalismus und totalitären Verwaltungswirtschaften beschrieben wird. Die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft – darauf hat Herr Kollege Rentsch hingewiesen – ist nicht irgendwo staatlich verankert, sondern mit Ludwig Erhard untrennbar verbunden. Die soziale Marktwirtschaft ist der Weg zu einer freiheitlichen, wirtschaftlich leistungsfähigen, dauerhaft sozialen und gerechten Ordnung einer Gesellschaft und einer Wirtschaft.

Die katholische Soziallehre – das müssen Sie sich in Erinnerung rufen –, deren Hauptbegründer Oswald von NellBreuning ist, hat immer deutlich gemacht, dass das Staatsverständnis verknüpft werden muss: so viel freie Gesellschaft wie möglich und so viel Staat wie notwendig. – Um es auf einen einfachen Nenner zu bringen: Jedem ist Hilfe

zur Selbsthilfe zu geben, um ihm seine eigenen Kräfte und Möglichkeiten zu geben.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Warum haben Sie das nicht gemacht in Hessen?)

Beruhigen Sie sich an der Stelle am besten. – Ich glaube, wir müssen genau unterscheiden, in welcher Situation wir heute sind. Da geht es um die Frage des Arbeitsmarktes – knapp 5 Millionen Arbeitslose. Wir müssen über dieses Verständnis unter diesem Gesichtspunkt diskutieren. Wenn Sie schon in Ihren Anträgen die katholische Soziallehre zitieren, dann denken Sie bitte auch über die Frage der Beteiligungsgerechtigkeit nach. Es geht nicht darum, in einem Wohlfahrtsstaat dauerhaft Arbeitslosenunterstützung, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zu geben.

Es geht um den entscheidenden Punkt, dass den Menschen wieder die Chance auf Arbeit, auf Teilhabe am Erwerbsleben gegeben wird. Das ist gerade heute, in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit extrem hoch ist, die ganz entscheidende Frage. Eines der viel zitierten und immer wieder gebrauchten Worte passt nach wie vor:Vieles muss sich im Sozialsystem ändern, damit alles beim Alten bleiben kann,damit überhaupt eine solche Gerechtigkeit weiter bestehen kann.

Es ist die große Frage der Akzeptanz eines Sozialstaates, mit der Sie sich bitte an dieser Stelle auch auseinander setzen, wenn die einen hohe Beiträge zahlen, die anderen überhaupt nicht mehr die Möglichkeit haben, über den Arbeitsmarkt selbst eine Leistung zu erbringen, weil ihnen der Weg zurück an den Arbeitsplatz aufgrund dieser Bedingungen am Arbeitsmarkt versperrt ist und gleichzeitig Steuern und Abgabenlast zu hoch sind.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Was hat das auf dem CDU-Bundesparteitag verloren?)

Sehr geehrter Herr Dr. Spies, Sie können sich gerne mit dem CDU-Parteitag auseinander setzen. – Aber da ist die zentrale Frage, der wir, wenn es um soziale Gerechtigkeit und soziale Marktwirtschaft geht, nachgehen müssen:Wie können wir unsere Systeme so ausrichten, dass wir wieder Menschen in Arbeit bekommen, dass wir bei dem demographischen Wandel – über den habe ich heute von Ihnen noch nichts gehört –, der eine der entscheidenden Fragen ist,zwischen den Generationen einen gerechten Ausgleich bekommen und die Systeme so ausrichten, dass zum Schluss wieder Vertrauen entsteht

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

in eine Rentenversicherung, in eine Gesundheitsversicherung und überhaupt die Möglichkeiten wieder eröffnet werden, an einem Arbeitsmarkt teilzunehmen und nicht nach wie vor die Schwarzarbeit als den einzigen großen Wachstumsmarkt in Deutschland zu haben?

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Als Hessische Landesregierung haben wir uns gerade mit der Frage der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sehr intensiv auseinander gesetzt, die im Vermittlungsausschuss unter den Hartz-Gesetzen eine große Rolle gespielt hat. Ich bin froh, dass es ein Optionsmodell geben wird, damit sich Kreise und kreisfreie Städte einmischen können. Das ist ein ganz entscheidender Faktor. Ich sage Ihnen aber auch: Es fehlen noch weiter gehende Reformen, damit Menschen wieder aus ihrer eigenen Kraft heraus in die Lage versetzt werden, nicht dauerhaft Wohlfahrt zu beziehen, sondern Sozialstaat darüber zu definieren, wieder in Arbeit zu kommen.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schulz-Asche?

Ich möchte erst im Zusammenhang ausführen, dann gerne.

Der eine Punkt ist der Arbeitsmarkt: die Frage der Teilhabe und die Aufgabe, Menschen, die nicht so gut qualifiziert sind, Möglichkeiten zu geben. Das spielt gerade wegen der Definition der Teilhabe am Arbeitsmarkt der Niedriglohn eine ganz große Rolle.

Der zweite Punkt, den Sie heute ausführlichst angesprochen haben, sind unsere sozialen Sicherungssysteme. Zur Rente haben Sie bewusst gar nichts gesagt, weil Sie genau wissen, dass die Menschen durch die Politik dieser Bundesregierung so verunsichert sind, dass keiner mehr Vertrauen in unser Rentensystem hat, und gleichzeitig alle wissen, dass wir Veränderungen brauchen, um es so aufrechtzuerhalten, dass eine Generationengerechtigkeit dauerhaft vorhanden ist.

Die Frage des Gesundheitssystems ist eine ganz spannende. Sie reden von Bürgerversicherung. Ich glaube, wir sollten wieder mehr über die freiheitliche Verantwortung und über die Frage von unterschiedlichen Systemen sprechen, wie sie heute manifestiert sind, zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung und der Möglichkeit, private und gesetzliche aneinander zu nähern.

Die Abgabenlast auf der einen Seite herunterzunehmen, wenn es um die Sozialversicherungsabgaben geht, aber auf der anderen Seite die Chancen am Arbeitsmarkt zu öffnen – das diskutieren Sie unter dem Gesichtspunkt Bürgerversicherung an keiner Stelle.

(Norbert Schmitt (SPD): Wie bitte? – Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Sie diskutieren das überhaupt nicht. Es geht wieder hin zur Einheitskasse, zu weniger Freiheit, zu weniger Verantwortung

(Norbert Schmitt (SPD): Keine Ahnung, aber davon viel!)

und aus meiner Sicht auch ganz klar hin zu einer schlechteren Versorgung. – Genau das wollen wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Sie haben sich mit dem Modell nicht auseinander gesetzt!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Umstellung auf eine Gesundheitsprämie.

(Norbert Schmitt (SPD): Kopfprämie!)

Ich glaube, ich muss das sehr deutlich erklären, weil Sie versuchen, durch Schlagworte Angst zu machen. Dabei geht es darum, ein System so umzustellen, dass es dauerhaft funktionieren kann.

(Norbert Schmitt (SPD): Ihre Sozialpolitik macht uns wirklich Angst! Da haben Sie Recht!)

Jeder soll tatsächlich die medizinisch notwendige Versorgung bekommen. Es soll nicht darauf ankommen, ob Sie die eine oder andere Versicherungskarte in der Tasche haben, wenn es darum geht, ob Sie gleich einen Termin bekommen oder erst später.

(Norbert Schmitt (SPD): Die Sozialverbände kriegen bei Ihnen überhaupt keinen Termin!)

Der große Vorteil einer Gesundheitsprämie liegt in der Abkopplung von einem Arbeitsverhältnis durch die Abkopplung vom Arbeitseinkommen.

Sehr geehrter Herr Kollege Schmitt, ich weiß, dass Sie das System der Gesundheitsprämie noch immer nicht verstanden haben.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich möchte Ihnen aber sehr deutlich sagen: Gerade heute zahlen in der gesetzlichen Krankenversicherung z.B.Partner mit kleinem Einkommen, die beide arbeiten müssen, um das Einkommen zu sichern, wesentlich mehr als der freiwillig Versicherte, obwohl sie ein wesentlich niedrigeres Einkommen haben. Wenn Sie das für sozial gerecht halten, dann, glaube ich, liegen wir tatsächlich sehr, sehr weit auseinander.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Das wollen wir beseitigen!)

Herr Schmitt, lesen Sie die Papiere nach. Ich will Ihnen nicht die Papiere dieses Parteitages der CDU vortragen. Ich will Ihnen aber gerne erklären, wie ein sozialer Ausgleich sehr einfach funktioniert, gerade für die Bezieher kleiner Einkommen, die dann Geld zurückbekommen, bzw. die Prämie in dieser Höhe erst gar nicht zahlen müssen.

(Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Die dauerhafte medizinische Versorgung ist sichergestellt, ebenso wie die Teilnahme am medizinischen Fortschritt in einer alternden Gesellschaft. Meine Damen und Herren, das ist eine Sache, die Sie völlig außerhalb Ihres Blickwinkels lassen.

(Norbert Schmitt (SPD): Sie könnten sagen, wie Sie das finanzieren!)

Ich sage Ihnen auch sehr gerne, wie wir das finanzieren. Sie müssen gar nicht dazwischenschreien. Denn dadurch, dass alle, wie es heute gerade nicht der Fall ist, an der Finanzierung beteiligt sind, ist es ein wesentlich gerechteres System. Denn jeder ist nach seiner Leistungsfähigkeit an der Finanzierung des Systems beteiligt.

Frau Ministerin, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abg. Spies?

Nein, ich versuche, in der Redezeit zu bleiben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der entscheidende Unterschied, warum die Gesundheitsprämie ein besseres System ist, auch durch den Beitrag an Kapitaldeckung. Dadurch wird sie dem demographischen Wandel besser gerecht.