Protokoll der Sitzung vom 29.01.2004

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer hier von dezentralen Strukturen redet und der Meinung ist, das könne man alles den Kommunen aufbürden, der lebt in einer vollkommenen anderen Welt. Es handelt sich dabei um eine verantwortungsvolle Aufgabe, die im Interesse der arbeitslosen Menschen unseres Landes erledigt wird. Die Kommunen werden diese Aufgabe nicht alleine bewältigen können.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Herr Kollege Rentsch, Sie haben eben stark auf die Gewerkschaften eingeschlagen. Dabei haben Sie aber ganz vergessen, dass der Verwaltungsrat, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, paritätisch besetzt ist.

(Beifall bei der SPD)

Man muss dann auch erwähnen, dass auch die Vertreter der Arbeitgeber einen ganz gehörigen Teil Verantwortung für die verkrusteten Strukturen tragen.Anstatt jetzt zu lamentieren, wäre es besser, wenn sie sich produktiv daran beteiligen würden, den Reformprozess zu unterstützen, der jetzt in Gang gesetzt worden ist.Wir verlangen, diesen Weg zu beschreiten.

Alle Experten sind sich darüber einig, dass es vollkommen verfrüht ist, jetzt zu behaupten, der Reformprozess sei gescheitert. Geben wir dem Reformprozess, wie er jetzt eingeleitet wurde,im Interesse der arbeitslosen Menschen eine echte Chance. Ich finde, die Menschen unseres Landes haben das verdient. – Meine Damen und Herren, vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Frankenberger, vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Boddenberg für die CDU-Fraktion.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sitzt das Handwerk da auch irgendwie drin?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Hahn, das Handwerk ist fast überall.

(Heiterkeit des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Hin und wieder sind Handwerker auch in der FDP.

(Heiterkeit des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Auch in der Bundesanstalt, der heutigen Bundesagentur, ist das Handwerk vertreten. Damit komme ich schon zu einem der Punkte, die ich ansprechen möchte. Hierzu lautet der Satz: Ein neuer Name ist noch keine Reform.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Michael Denzin (FDP))

Ich habe zurzeit das Gefühl – dieses habe ich aber nicht zum ersten Mal, seitdem Rot-Grün die Verantwortung im Bund hat –, dass wir mehr über Namen, Luftballons und Luftblasen sprechen als über konkrete Reformpolitik.

(Beifall der Abg. Volker Hoff und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Meine Damen und Herren,Sie sollten sich die Novelle anschauen, die sich mit der Bundesagentur, also der früheren Bundesanstalt, beschäftigt. Sie werden feststellen, dass sich die Hälfte dieses Papiers damit beschäftigt, dass der Name geändert wird. Inhaltlich bleibt dieses Papier weit hinter den Erwartungen zurück, die die CDU dazu formuliert hat.

Hier ist der Name Jagoda gefallen. Herr Kollege Frankenberger, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Ich möchte daran erinnern, dass Sie damals versucht haben, den Skandal – so nannten Sie das – zu personifizieren. Man muss dann auch daran erinnern, dass der heutige und damalige Bundeskanzler dieses gesamte Thema zur Chefsa

che machen wollte. Wenn es in dieser Sache ein Versagen gibt, dann ist es mit dem Namen des Bundeskanzlers verbunden. Sicherlich ist es auch mit dem Namen des zuständigen Herrn Gerster verbunden, der jetzt unrühmlich entlassen wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Er steht auch dafür, dass dort nichts, aber rein gar nichts bewegt wurde.

Ich will zwei oder drei Dinge aufgreifen, die in diesen Tagen auffallen. Ich habe nichts dagegen, dass die Bundesanstalt entdeckt, dass sie so etwas wie Kundenorientierung praktizieren muss. Ich habe auch nichts dagegen, dass sie versucht, das als Unternehmensgrundsatz in alle Ebenen zu transportieren. Wir müssen aber doch zur Kenntnis nehmen, dass wir es hier nicht mit einem Kunden klassischer Art zu tun haben. Wir haben es mit einer Klientel zu tun, deren Beiträge zunächst zwangsweise abführt werden. Das sind ja keine freiwilligen Kunden, wie es sie sonst gibt.Denn hier wird oft der Vergleich zwischen der Bundesagentur und der Telekom und anderen privatisierten Unternehmen des Bundes gezogen. Wir haben es mit Kunden zu tun, die eines erwarten, nämlich, dass sich diese Bundesanstalt oder Bundesagentur – wie immer sie auch heißen mag – mit ihrer zentralen Aufgabe beschäftigt, nämlich mit der Vermittlung der Arbeitslosen.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenn das der Kenntnisstand aller Beteiligten ist, dann kann ich nicht verstehen, dass wir uns nach wie vor mit so vielen Nebenkriegsschauplätzen beschäftigen müssen.

Einer dieser Nebenkriegsschauplätze ist Folgender. Das will ich sehr deutlich sagen. Herr Rentsch, ich vermute, dass Sie da zustimmen. Wenn man sich die Budgets anschaut, dann muss man sich die Frage stellen: Hat die Schwerpunktverlagerung,die schon vor zwei Jahren angekündigt wurde, eigentlich stattgefunden? Das Gesamtbudget beträgt 57 Milliarden c. Davon sind 22 Milliarden c für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vorgesehen. Ich komme damit zu dem, was Herr Rentsch, wie ich finde,völlig zu Recht aufgegriffen hat.Mittlerweile gibt es dort einen Markt, ein industrielles Geschäft mit den Arbeitslosen, dem wir ganz intensiv auf die Finger schauen müssen.

(Beifall der Abg. Volker Hoff (CDU) und Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ich glaube, das wird in Zukunft eine der zentralen Baustellen werden. Jeder neue Chef dieser Agentur wird sich daran messen lassen müssen, ob er in der Lage ist, dieses Problem aus dem Weg zu räumen.

Ich komme damit zu denjenigen, die hier namentlich angesprochen wurden. Das ist unabhängig davon, dass ich der Letzte wäre, der der Dame eine Träne nachheulen würde. Ich glaube, das habe ich mit vielen gemeinsam.

Auch das gehört jetzt auf den Prüfstand: Es gehört der Vorwurf auf den Prüfstand, dass es hier eine breite Lobbyistengruppe gegeben hat – und da mache ich ausdrücklich keinen Halt vor den Arbeitgebern –, die im Grunde genommen das verhindern will, was insgesamt Konsens ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Auch zur Dezentralisierung will ich etwas sagen. Wir haben gestern schon an anderer Stelle darüber gesprochen.

Ich glaube, dass der wichtigste Punkt in Zukunft tatsächlich in der Frage bestehen wird, wo denn die Zuständigkeiten liegen. Wir als CDU-Fraktion – nicht nur hier in Hessen – halten an der Überzeugung fest, dass die gesamte Problematik von Arbeitslosen insgesamt, insbesondere aber von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern in eine Hand gehört. Wir fordern weiterhin die Kommunen auf, diese ihnen jetzt gewährte Option wahrzunehmen. Die Ersten signalisieren bereits, dass sie in diese Richtung wollen.

Am Ende dieser aktuellen Debatte wird man, so glaube ich, leider immer noch feststellen müssen, wenngleich viele das bestreiten, dass wir tatsächlich nicht nur ein Umsetzungsproblem, wie es oft genannt wird, haben, sondern dass wir an vielen Stellen offensichtlich auch noch ein Erkenntnisproblem haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das wiederum heißt: Wir werden den Druck auf diejenigen, die das System nach wie vor gnadenlos ausnutzen, weiter erhöhen müssen. Ich rede wirklich nur von denjenigen, die leistungsfähig sind, aber sich der Leistung, die man eigentlich von ihnen fordern könnte,verweigern.Das wird deswegen weiterhin die zentrale Baustelle bleiben, weil wir damit die richtigen Signale in die Richtung derjenigen geben, die sich auch in eigener Verantwortung um eine neue Anstellung auf dem Arbeitsmarkt bemühen. Wir reden nachher über das Thema Ausbildung. Im gleichen Zusammenhang können wir hier außerhalb der Ausbildung für das spätere Berufsleben feststellen,

Herr Kollege Boddenberg, Sie müssten zum Ende kommen.

dass es nach wie vor viele gibt, die sich einigermaßen friedlich und ziemlich still und leise auf dem Kissen der sozialen Errungenschaften in dieser Republik ausruhen. Das muss endlich ein Ende haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schönhut-Keil für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe ein bisschen Verständnis für den jungen Kollegen Rentsch,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die Omi Evi! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

wenn er hier vorne tobt und sagt „Hau weg den Mist“.Nur ist es nicht so einfach. Ich warne vor schnellen Lösungen, die kurzfristig Heil versprechen.

Wir sind der Meinung, dass die Bundesagentur für Arbeit ihren Reformkurs weitergehen muss.

(Nicola Beer (FDP): Sie hat noch nicht einmal angefangen!)

Es gibt dazu im Moment keinerlei überzeugende Alternative. Das will ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich sagen. Herr Kollege Rentsch,wenn Sie sich ansehen,welche Aufgabenstellungen die Bundesagentur für Arbeit wahrnehmen muss,dann werden Sie sehen,dass gerade private Arbeitsvermittler überhaupt nicht in der Lage sind, sich diesem oft schwierigen Personenkreis überhaupt zu widmen. Deswegen gibt es keine Alternative. Im gleichen Zusammenhang sage ich auch: Da wir keine Freunde von aufgeblasenen zentralistischen Strukturen sind, muss überlegt werden, wie die Zusammenarbeit mit den örtlich vorhandenen Strukturen optimiert werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Denn wir sind davon überzeugt, dass wir gerade auch für die Langzeitsozialhilfeempfänger und -arbeitslosen weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten im zweiten Arbeitsmarkt brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Gerster mag es an Fingerspitzengefühl und Diplomatie gefehlt haben.Das mag auch ein Grund sein,warum er gescheitert ist. Insofern trägt er sicherlich auch selbst Schuld.Aber trotzdem muss man doch die Frage nach der Arbeitsfähigkeit der derzeitigen Struktur von Vorstand und Verwaltungsrat stellen, und das muss erlaubt sein.