Protokoll der Sitzung vom 29.01.2004

Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen. Die Fragen des Kollegen Reif dienen in der Regel nicht der

Aufklärung, sondern sind der Versuch der Eigendarstellung. Dafür hat er selbst genügend Gelegenheit.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine Damen und Herren, die Größe, auf die im Vorfeld und auch nach der Präsentation der Gutachten alle gebannt gestarrt haben, ist der Risikowert. Wir können heute – ich denke, sogar einvernehmlich – davon ausgehen, dass er bei 10–4 liegt, was oft so ausgedrückt wird, dass man von einem Ereignis in 10.000 Jahren ausgehen müsse.

(Michael Boddenberg (CDU): Ganz zu Ende gelesen haben Sie es nicht!)

Die Gutachter sagen dazu, dass der Wert, gemessen an den Kriterien, die in der Atomwirtschaft gelten, aber auch gemessen an den Kriterien, die in der Schweiz an den Betrieb von Anlagen nach der Störfallverordnung gelten, zu hoch ist. Auch hier ist er tausendfach zu hoch, wenn man von mindestens 100 betroffenen Personen ausgeht. Herr Kollege Reif, genau an dieser Stelle beginnt bei den Ausbaubefürwortern das Gefeilsche um den Risikowert.

(Clemens Reif (CDU): Ich habe noch überhaupt nichts gesagt!)

Es kommt die abenteuerliche Interpretation, dass einen ein Ereignis in 10.000 Jahren beruhigen könne. Man habe noch 9.950 Jahre Zeit bis zum nächsten Unfall, weil der letzte gut 50 Jahre zurückliege.

(Volker Hoff (CDU): So einen Blödsinn können nur Sie gesagt haben!)

Herr Kollege Hoff, damit wird Stimmung gemacht,

(Volker Hoff (CDU): Wer macht denn Stimmung? Bleiben Sie auf dem Teppich! Herr Kaufmann, hören Sie auf!)

obwohl offenbar jeder, der als seriös gelten will, wissen muss, dass die Risikowerte nichts mit einer Prognose – wann der Fall eintritt – zu tun haben können. Selbst wenn morgen, was hoffentlich nicht der Fall sein wird, ein Crash auf dem Flughafen passierte, und in drei Jahren noch einer, würde sich der Risikowert dadurch überhaupt nicht ändern.

(Volker Hoff (CDU): Jetzt machen Sie gerade Stimmung!)

Es bleibt die Feststellung, dass die Schweizer Kriterien in Deutschland nicht gelten – das ist formal richtig –, da es hierzulande keine verbindlichen Werte gibt. Das ist richtig, doch es macht die Situation objektiv nicht sicherer. Denn die Risikowerte kennen keine nationalen Unterschiede, möglicherweise aber – was ich nicht hoffen will – die Risikobereitschaft. Meine Damen und Herren, das von den Gutachtern ermittelte Risiko ist bis zu 140-mal so groß wie bisher.

(Volker Hoff (CDU): Jetzt wird wieder Stimmung gemacht!)

Alle Behauptungen, es sei nicht höher als bisher, sind nachweislich falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In unseren Augen ist eine Debatte über das Risiko eines GAU genauso wichtig wie die Betrachtung, was passiert, wenn nichts passiert. Das heißt: Können die geplante Landebahn und das Chemiewerk parallel arbeiten? Die Antwort darauf ist sehr klar. So wie jetzt geht es auf kei

nen Fall. Das haben alle gesagt. Massive Eingriffe in die Baulichkeiten und die Betriebsabläufe des Chemiewerks wären unumgänglich, damit die notwendigen grundlegenden Betreiberpflichten gewährleistet werden können. Ich darf zitieren:

Wenn die normalflugbetrieblichen Einwirkungen durch Lärm, Wirbelschleppen, elektromagnetische Einstrahlung auf den Anlagenbetrieb berücksichtigt werden, wird deutlich, dass wesentliche Veränderungen in der Anlagenführung sowie in der Betriebsorganisation erforderlich sind....

Hierzu sind mehr Maßnahmen erforderlich als „nur“ die Verlegung des Pförtnerhauses. Nur der schlüssige und nachvollziehbare Nachweis für die Realisierbarkeit geeigneter und wirksamer Maßnahmen ist eine Basis für die Abstimmung von Flugbetrieb auf der geplanten Landebahn NordWest und den Anlagen der Fa.TICONA/InfraServ.

Dies kann nachgeschaut werden auf Seite 8 in Teil 1 des TÜV-Pfalz-Gutachtens.

Meine Damen und Herren, eine genauere Betrachtung der als Mindestvoraussetzung genannten Veränderungen zeigt, dass auch dann immer noch Ausnahmegenehmigungen erforderlich würden, dass die Hindernisfreiheit ebenso eingeschränkt wäre wie die möglichen Landeverfahren.Allein mit Veränderungen am Chemiewerk ist ein regulärer Betrieb auf der geplanten Landebahn Nordwest also auch nicht möglich. Dabei sind die geforderten Veränderungen bei den baulichen Anlagen so gravierend, dass sie einen Weiterbetrieb kaum zulassen dürften. Ich nenne nur die Stichworte Kraftwerksschornstein,Hochregallager und Methanoltanks.Ticona kann in der Form,wie es heute immer wieder überprüft und genehmigt arbeitet, jedenfalls nicht weiterbetrieben werden. Das ist die eindeutige Feststellung der Gutachter.

Nach diesem Zwischenbericht bleibt es auch bei wohlwollender Betrachtung ein Rätsel, wie der Wirtschaftsminister, der für das Genehmigungsverfahren zuständig ist und von dem eine unvoreingenommene Beurteilung verlangt werden kann, zu der Aussage kommt, die Gutachten zeigten ihm – ich zitiere – „Wege zur Vereinbarkeit von Landebahn Nordwest und Ticona“. So steht es in Ihrer Presseerklärung vom 15. Januar.

Herr Staatsminister Rhiel, mit dieser Aussage kündigen Sie doch geradezu an,dass Sie Rabatt in Sicherheitsfragen geben wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Das ist das exakte Gegenteil von dem, was von Ihnen aufgrund Ihres Amtes erwartet werden muss.Wenn Sie in der Erklärung schreiben, dass es nach dem jetzigen Kenntnisstand keine Veranlassung gebe, die bisherige Planung und Verfahrensweise zu korrigieren, dann zeugt dies, gelinde gesagt, von einem erheblichen Maß an mangelndem Problembewusstsein.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Übrigens können wir feststellen, dass das Problembewusstsein sogar beim Ministerpräsidenten größer ist; denn das, was wir heute lesen können, geht in eine andere Richtung.

Sie können doch nicht objektiv die Probleme wegdefinieren, die vorhanden sind. Wenn Sie so weitermachen, wer

den Sie auch noch den Rest des Vertrauens der Menschen im Rhein-Main-Gebiet verspielen. Meine Damen und Herren, doch selbst wenn Sie – damit meine ich sowohl die Regierung als auch die mittlerweile geflüchtete CDUFraktion – trotz aller bisherigen und noch weiter zu erwartenden Bedenken an der Nordwest-Bahn festhalten und sogar, wie das der Ministerpräsident angekündigt hat, wenn Sie Ticona vertreiben und damit 1.000 Arbeitsplätze in Hessen vernichten,

(Rüdiger Hermanns (CDU): Das sagt ihr GRÜNEN!)

wären damit die besonderen Sicherheitsprobleme der Nordwest-Bahn keineswegs beseitigt. Hören Sie zu, Herr Kollege Hermanns. Sie stehen vor den nächsten besonderen Problemen dieser Planung.

(Zurufe der Abg. Rüdiger Hermanns und Rudi Ha- selbach (CDU))

In der Maßgabe 1.16 der landesplanerischen Stellungnahme ist ein weiteres spezielles Risiko der NordwestBahn aufgeführt, nämlich die Vogelschlaggefahr. Dies ist nicht so leicht vom Tisch zu wischen,denn der Vogelschutz steht nicht zur Disposition der Hessischen Landesregierung. Man kann ihn auch nicht aufkaufen. Sie haben eben nicht beachtet,dass ein Flughafenbetrieb in unmittelbarer Nachbarschaft von Oberflächengewässern – wie dem Main an der Staustufe Eddersheim und dem Mönchwaldsee – Sie mit Gefahren konfrontiert, die dort nicht so einfach in den Griff zu kriegen sind wie auf dem bisherigen Flughafengelände. Daran zeigt sich wieder einmal: Eine Anlage innerhalb von Waldflächen reduziert die Vogelschlaggefahr erheblich, weil insbesondere das Brüten derjenigen Vögel, die für den Flugbetrieb gefährlich sind, dort in wesentlich geringerem Maße stattfindet als auf der freien Fläche. Meine Damen und Herren, deswegen war es gar nicht dumm, dass die Wälder rund um den Flughafen zum Bannwald erklärt worden sind, nicht nur im Interesse der Menschen und des Schallschutzes, sondern auch im Interesse der Sicherheit des Flughafens.

(Clemens Reif (CDU): Weil Sie der gefährlichste Vogel sind!)

Denn die Abschirmung macht gegenüber solchen Flächen einen Sinn, wo Vogelflug in wesentlich höherem Maße vorhanden ist. Dieser Schutz wird durch die Rodungen und durch dichtes Heranführen an die Wasserflächen beseitigt. Das wird ein zusätzliches Risiko schaffen. Ich will das heute nicht vertiefen. Dazu reicht die Redezeit auch nicht aus. Ich muss jetzt langsam zum Schluss meiner Rede kommen. Ich möchte Ihnen aber sagen: Gucken Sie rechtzeitig hin, bevor Sie sich wieder in falscher Weise voreilig festlegen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Da gibt es weitere Probleme. Das geht objektiv nicht. Auch dass Sie die absolute Mehrheit haben, ändert nichts daran.

Meine Damen und Herren, ich kann erkennen, dass den Befürwortern heute noch immer die Einsicht fehlt, dass nur grundsätzlich andere Lösungen als der Ausbau vor Ort die Zukunft des Flughafens Frankfurt am Main und der Region Rhein-Main sichern können.Wir werden deshalb gewiss zu keinem Konsens in dieser Frage kommen. Allerdings halten wir es für die Pflicht der in der Politik Verantwortlichen, unabhängig davon dafür einzustehen,

dass es hinsichtlich der Sicherheit keinen Rabatt gibt.Den darf es nicht geben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Kaufmann, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Deshalb sollte unser Antrag,der nichts anderes begehrt,als dass dies eindeutig klargestellt wird, eigentlich auch Ihre Zustimmung finden. Flüchten Sie sich bitte nicht in die Ausrede, den Antrag ablehnen zu müssen, weil er von der falschen Fraktion gestellt wurde. Die Wahrheit misst man nicht an ihrer Herkunft, sondern an ihrem Inhalt. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Abg. Denzin für die FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kaufmann und Herr Rhiel haben eines gemeinsam:

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Vorsicht, keine Schärfe!)

Beide wissen nach der Anhörung schon, zu welchem Ergebnis man kommen wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Ich weiß es in der Tat noch nicht. Ich habe heute mit Genugtuung das Interview mit dem Ministerpräsidenten in der „Frankfurter Neuen Presse“ gelesen. In dem Interview stehen differenzierende Aussagen. Dort wurde gegen eine Festlegung Zurückhaltung geübt.