Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

Ich bedauere schon, dass das, was beim Parteitag der GRÜNEN als intensive Auseinandersetzung um die

Frage der Gewichtung der Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung der Frau geführt wurde, inzwischen zu einem solchen Ergebnis wie dem geführt hat, das heute hier vorgetragen wurde.

Allerdings bekommen Sie aus Ihrem eigenen Bereich auch entsprechende Urteile.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Haltung der Landesversammlung wurde hier nicht vorgetragen!)

Nein, sie wurde nicht vorgetragen, sondern ein sehr einseitiges Ergebnis dieser Landesversammlung ist hier vorgetragen worden.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht einmal das!)

Nicht einmal das, damit bin ich auch einverstanden.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Martin Häusling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren von Rot und Grün, der Europaabgeordnete Ceyhun, der meines Erachtens schon etwas zu sagen hat, sagte, dass sich Sozial- und Christdemokraten einig seien. Lediglich die GRÜNEN legten eine „naive Haltung“ an den Tag, und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nütze fundamentalistischen Gruppen wie der Milli Görüs.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Das trifft leider nicht die Situation im Hessischen Landtag, weil sich dort die Sozialdemokraten in der Tat auf die andere Seite geschlagen haben.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ausgerechnet Ceyhun dazu zu zitieren! Peinlich für Sie!)

Ich würde mir aber wünschen, dass es gelingt, dass wir im Rahmen der mit Sicherheit ausführlichen Anhörung im Hessischen Landtag zu einer sachgemäßeren Betrachtung des Ganzen kommen. Denn ich glaube schon, dass die Fragestellung es verdient, dass wir erstens sachlich und zweitens nicht unter Ausblendung der politischen Ebene religiöser Symbole über die Frage des Kopftuchs und anderer Symbole diskutieren. Ich glaube, wir sind es uns in diesem Rahmen auch schuldig, Rechenschaft zu legen über die Prägung unserer Kultur, über das, was innerhalb dieser Kultur selbstverständlich an religiöser Toleranz möglich ist, aber auch, welche Grenzen gezogen werden müssen, wenn wir die freiheitlich-demokratische Kultur pflegen, erhalten und auch täglich leben wollen. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Bei- fall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abg. Wagner von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich den Eindruck hatte, als ob die Sprecher von GRÜNEN und SPD in dieser schwierigen Frage der Rechtsgüterabwägung schon am Anfang

der Diskussion genau wissen, was das Ergebnis dieser Debatte ist, von der – so habe ich das verstanden – auch die Mehrheitsfraktion sagt: Wir sind bereit, uns die Dinge in einer Anhörung noch einmal anzuhören und sie zu diskutieren.

Herr Kollege Hahn hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in einer solchen Frage unterschiedliche Rechtsgüter zu debattieren sind wie Religionsfreiheit, Neutralitätsgebot des Staates, Schutz der Kinder vor Indoktrination und – das ist eigentlich der Anlass eines solchen Gesetzentwurfs – die Arbeit von Menschen, die im öffentlichen Dienst unseres Landes nicht nur Dienst leisten, sondern auch die Neutralität des Staates dokumentieren. Um diese Fragestellungen geht es in Wahrheit.

Es geht nicht – Frau Wolff, Herr Hahn und Herr Jung haben das deutlich gemacht, in einigen Punkten auch die Sprecher der Opposition – um die Religionsfreiheit. Wir wären alle froh, wenn z. B. in der Türkei das Maß an Religionsfreiheit für Christen bestünde, wie es in Deutschland, in Hessen für die islamische, die jüdische und sonstigen Glaubensüberzeugungen gilt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Darum geht es auch in der Abwägung. Es geht auch darum, dass in Art. 2 des Grundgesetzes steht, dass jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Was ist das Sittengesetz? In diesen Tagen können wir alle, wenn wir wollen, das Sittengesetz, das am besten Immanuel Kant formuliert hat, uns anlässlich seines 200. Todestages noch einmal vor Augen führen. Es heißt im Kern: Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit ein allgemeines Gesetz ist. – Das heißt, dass wir keine politische oder religiöse Missionierung in unserem Land zulassen, die die Rechte des Einzelnen, des Individuums in ihrem Kern verletzt. Das ist seit 1945 Staatsphilosophie in unserem Land.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Das muss aber für alle gelten!)

Das heißt, dass das Toleranzgebot und die Neutralitätspflicht für die Religionen – selbstverständlich, Frau Hinz, ich hoffe, dass wir darin übereinstimmen – gelten.

Sie erinnern sich aber vielleicht an eine ganz ähnliche Debatte. Hier will ich auch eine Minderheitsmeinung meiner Fraktion vortragen. Ich bin der Auffassung, die Herr Hahn hier vorgetragen hat.Aber ich sage ganz ehrlich, ich habe eine große Sympathie für die Minderheitenmeinung, die sagt: Liebe Freunde, erinnert euch an die Situation, in der die Zulassung zum öffentlichen Dienst infrage gestellt wurde,wenn ein Kandidat der KPD oder der DKP Lehrer oder Beamter im öffentlichen Dienst ist. Ist dann davon auszugehen, dass seine Mitgliedschaft automatisch den Verdacht darauf lenkt, dass er für den Dienst im öffentlichen Bereich nicht fähig ist? Darüber haben wir eine lange, leidenschaftliche Debatte geführt.

(Gerhard Bökel (SPD): Auch Heinz Herbert Karry!)

So ist es, Herr Kollege Bökel. – Wir hatten die SPD mit Herrn Krollmann als Innenminister und später Kultusminister. Er war in etwa 29 Fällen der Auffassung, dass bestimmte junge Anwärter selbst für den Referendardienst nicht geeignet seien, wenn sie Mitglied dieser Partei seien.

Wir als FDP waren damals der Meinung, dass wir eine strenge Einzelfallprüfung brauchen.

Liebe Freunde, liebe 109 Kollegen, ich sage das auch in einer eigenen Abwägung, bei der ich mir nicht sicher bin, ob sie wirklich so ist:Wenn im Bundesverfassungsgericht dieselbe Frage so diskutiert wurde, dann kommen wir auch bei Ihrem Gesetzentwurf nicht darum herum, zu fragen, ob es ausreicht,zu sagen,dass ein Symbol schon einen hinreichenden Verdacht begründet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber der Alternativvorschlag Ihres Rechtsanwaltskollegen Battis, den er für die nordrhein-westfälische SPD gemacht hat,trägt meiner Meinung nach auch nicht.Es kann doch nicht sein, dass, wie er vorschlägt, die Schulkonferenz darüber entscheidet, ob der junge Mann oder die junge Frau geeignet ist, Beamtin oder Beamter zu sein.

Ich glaube, keiner hat im Augenblick wirklich eine Lösung, von der man sagen kann: Das ist sie. – Deshalb möchte ich, Frau Wolff, weil ich Ihnen und der Regierung in nahezu allen Punkten zustimme, dringlich darum bitten, dass wir die Frage, ob wir mit diesem Instrument, das Sie vorgelegt haben, alle Verfassungshürden richtig überspringen, in einer ganz gründlichen Anhörung prüfen. Man kann nicht sagen: „Die Juristen sagen“, weil Juristen wie alle anderen Menschen unterschiedliche Meinungen haben, ob dieses Instrument tauglich ist. Herr Jung, wir sind uns einig, wir wollen vor dem Bundesverfassungsgericht nicht scheitern.

Liebe Damen und Herren, es kann nicht sein, dass wir das so naiv beiseite tun und andererseits leider so dogmatisch, Frau Kollegin von der SPD, jetzt schon wissen, was der richtige Weg ist. Wenn Sie es wüssten, hätten Sie eine Alternative vorgelegt. Das haben Sie bisher aber noch nicht gemacht.

Zum Schluss. Unser gemeinsames Anliegen muss doch sein, nicht zu warten, bis islamistische Bestrebungen Fuß fassen. Es könnte aber auch um andere Bestrebungen gehen.Ich möchte mir in diesem Zusammenhang keinen falschen Beifall von irgendwelchen Seiten zuziehen. Aber wir müssen auch darüber diskutieren können, ob z. B. die missionarische, theokratische, politische, extremistische Situation in Israel, die genauso nach Deutschland kommen könnte, gegebenenfalls unter demselben Gesichtspunkt zu betrachten ist wie die islamistische. Wir brauchen uns als Christen auch nichts vorzumachen, das ist alles schon vor uns geschehen. Im 16. und 17. Jahrhundert sind im Namen des Kreuzes mehr Menschen zu Tode gebracht worden als in anderen Bereichen. Das ist in Deutschland mit besonderer Gründlichkeit geschehen.

Zu sagen, wir brauchten jetzt kein Gesetz, ist falsch, das lehrt uns die Geschichte. Wir haben in diesem Land islamistische Bewegungen, politische Bewegungen, die die Grundordnung unseres Landes nicht schätzen und sie stürzen wollen. Wir müssen das tun, was viele in den Dreißigerjahren gesagt haben:Wehret den Anfängen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU sowie der Abg. Reinhard Kahl, Jürgen Walter und Gerhard Bökel (SPD))

Das Wort hat Herr Kollege Al-Wazir für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich wegen drei Punkten, die angesprochen worden sind, noch einmal zu Wort gemeldet. Frau Kultusministerin, der erste Punkt, der mich sehr verwundert, ist, dass Sie keine Antwort auf die Frage gegeben haben, warum es keinen Gesetzentwurf der Landesregierung gibt, obwohl die Landesregierung selbst eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die Formulierungsvorschläge erarbeiten soll.

(Michael Boddenberg (CDU): Zur Sache!)

Außerdem sind Sie mit keinem Wort darauf eingegangen, dass es den gesamten öffentlichen Dienst betreffen soll. Ich bin auf die Antwort auf die Frage gespannt, warum eigentlich Sie reden und nicht der Innenminister, in dessen Haus auch die entsprechende Arbeitsgruppe angesiedelt worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Frau Wagner, Herr Battis hat ausdrücklich zu der Frage Stellung genommen, ob man ein solches Verbot auf den gesamten öffentlichen Dienst ausweiten kann, und ausdrücklich gesagt, dass das verfassungsrechtlich höchst problematisch ist.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Natürlich! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Richtig, ein typischer Jurist!)

Dies hat er ausdrücklich gesagt, was für einen Juristen sozusagen schon das höchste der Gefühle ist. Herr Kollege Hahn, manchmal bin ich froh, dass ich keiner bin.

Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang:Wenn unser gemeinsames Interesse sein muss, dass wir dem Fundamentalismus entgegentreten, dann wundere ich mich, Frau Kultusministerin, warum so schnell vonseiten der Mehrheitsfraktion ein solcher Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt worden ist und dieselbe Mehrheitsfraktion und dieselbe Kultusministerin seit fünf Jahren nicht in der Lage sind, islamischen Religionsunterricht an hessischen Schulen anzubieten.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):Weil es das Verfassungsgerichtsurteil noch nicht gab! – Dr. Walter Lübcke (CDU): Zum Thema!)

Ich sage Ihnen auch, warum: Wir müssten uns doch einig sein, dass es darum geht, genau die muslimischen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, von denen etliche jetzt auch Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dieses Landes sind, aus den Hinterhöfen herauszuholen und in den Islamunterricht der Schulen zu holen. Dazu machen Sie seit fünf Jahren nichts, aber in einem solchen Bereich sind Sie ganz schnell dabei. – Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das haben Sie in den Neunzigerjahren auch nicht geschafft!)

Das passt deshalb nicht zusammen, weil – da haben Sie völlig Recht – wir kein laizistischer Staat sind. Es hat bei uns keinen Aristide Briand gegeben, der 1905 in Frankreich genau das umgesetzt hat.Es gibt in Deutschland keinen Kemalismus, der genau diese strikte Trennung beinhaltet. Den gibt es bei uns nicht. Es gibt aber einen säkularen Staat,das ist genau der Unterschied.Dieser säkulare Staat, gerade weil er kein laizistischer ist, hat die Pflicht

zur Neutralität, und die verletzen Sie mit diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Er hat auch Werte!)

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt, der mir sehr wichtig ist. Der Unterschied zwischen Modernisierern und Fundamentalisten im Islam verläuft nicht an der Frage „Kopftuch ja oder Kopftuch nein?“ Wenn Sie gehört haben, was Schirin Ebadi zu dieser Frage gesagt hat, dann können Sie sie nicht mehr als Kronzeugin benutzen. Wenn wir die Werte dieser westlichen Gesellschaft, die universellen Menschenrechte – die sind nicht westlich und nicht östlich –, die Neutralität des Staates hochhalten wollen, sind wir in der Pflicht, alle Religionen gleich zu behandeln,so rum oder so rum.Genau das machen Sie nicht. Frau Wagner, deshalb merke ich zum 200. Todestag von Immanuel Kant an: Kant hätte gesagt: wenn, dann für alle Religionen.– Da bin ich mir ganz sicher.Genau das haben Sie mit diesem Gesetzentwurf leider nicht erreicht. – Vielen Dank.