Protokoll der Sitzung vom 18.02.2004

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt, der mir sehr wichtig ist. Der Unterschied zwischen Modernisierern und Fundamentalisten im Islam verläuft nicht an der Frage „Kopftuch ja oder Kopftuch nein?“ Wenn Sie gehört haben, was Schirin Ebadi zu dieser Frage gesagt hat, dann können Sie sie nicht mehr als Kronzeugin benutzen. Wenn wir die Werte dieser westlichen Gesellschaft, die universellen Menschenrechte – die sind nicht westlich und nicht östlich –, die Neutralität des Staates hochhalten wollen, sind wir in der Pflicht, alle Religionen gleich zu behandeln,so rum oder so rum.Genau das machen Sie nicht. Frau Wagner, deshalb merke ich zum 200. Todestag von Immanuel Kant an: Kant hätte gesagt: wenn, dann für alle Religionen.– Da bin ich mir ganz sicher.Genau das haben Sie mit diesem Gesetzentwurf leider nicht erreicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Meine Damen und Herren, es liegen nun keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU eingebracht.

Wir überweisen ihn jetzt an den oder die Ausschüsse. – Herr Kollege Gotthardt.

Ausgedruckt ist der Kulturpolitische Ausschuss.Wir schlagen vor, den Gesetzentwurf dem Innenausschuss, federführend, und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, zu überweisen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann stellt sich noch einmal die Frage, warum Frau Wolff geredet hat!)

Sie haben in den nächsten Monaten Zeit, diese Fragen ständig zu stellen, und sie können ständig beantwortet werden. – Meine Damen und Herren, ich stelle fest, dass wir den Gesetzentwurf dem Innenausschuss, federführend, und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, überweisen.Widerspricht dem jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist das so beschlossen.

Meine Damen und Herren, nur ein Hinweis:

(Der Präsident läutet eine Glocke.)

Diese Glocke ist eine Originalglocke aus einer Gießerei in Sinn im Lahn-Dill-Kreis. Ich habe sie geschenkt bekommen. Ich gebe sie dem Landtag weiter, damit ich besser gehört werden kann, wenn es wirklich laut wird.

(Allgemeiner Beifall – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie ist grün! – Minister Dr. Christean Wagner: Herr Kaufmann, das ist Patina!)

Herr Kollege Kaufmann, das ist die Patina.

(Weitere Zurufe)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Umkehr in der hessischen Wirtschaftspolitik – Schluss mit der Fixierung auf Großprojekte, ran an die eigentlichen Probleme – Drucks. 16/1885 –

gemeinsam mit Tagesordnungspunkt 13:

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Wirtschaftsförderung – Drucks. 16/1820 –

und Tagesordnungspunkt 23:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Hessens Abstieg beim Wirtschaftswachstum erfordert schnelles Handeln – Drucks. 16/1889 –

und Tagesordnungspunkt 54:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Hessen auf dem Weg an die Spitze – Drucks. 16/1937 –

auf. – Die vereinbarte Redezeit beträgt 20 Minuten.

Das Wort hat Frau Abg. Schönhut-Keil für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir fordern in unserem Antrag eine Umkehr in der hessischen Wirtschaftspolitik. Es muss endlich Schluss sein mit der einseitigen Fixierung auf Großprojekte. Ran an die richtigen Probleme dieses Landes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werfen der Landesregierung vor, dass sie sich jahrelang nur auf die Realisierung von Großprojekten,wie z.B. auf den Frankfurter Flughafen, konzentriert hat, und dabei schlicht ein Chemiewerk auf der Einflugschneise vergisst. Zum Zweiten flog einen Sommer lang der „Fliegende Holländer“, der Transrapid, gleichsam über Hessen. Er kreist immer noch und ist nie realisiert worden. Ansonsten verweist der hessische Wirtschaftsminister immer nur einseitig auf die Bundesregierung und sagt: RotGrün ist an allem schuld.– Meine Damen und Herren,das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, so einfach können Sie Ihre Wirtschaftspolitik nicht gestalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage Sie: War es denn tatsächlich so, dass unter Kohl das deutsche Steuersystem bekanntlich einfach und überschaubar war? War es denn tatsächlich so, dass unter Kohl die Lohnnebenkosten im Minutentakt gesunken sind? War es denn tatsächlich so, dass unter Kohl die deutsche Wirtschaft beständig florierte und Arbeitslosigkeit kein Thema war? – Plötzlich, schier über Nacht, weil alles so toll war bei der CDU-Bundesregierung, deswegen wurden Schröder und Fischer gewählt. Jetzt erklären Sie uns: Rot-Grün ist an allem schuld. – Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Meine Damen und Herren, so einfach geht das dann doch nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schlicht und ergreifend das Gegenteil ist der Fall: RotGrün will die erforderlichen Reformen in diesem Land in der Wirtschaftspolitik durchsetzen, denn die sind seit 25 Jahren überfällig.Dass das schwer ist und dass das nicht zur allseitigen Begeisterung in jedem Punkt führt, ist auch

klar. Wir haben zumindest die lebende Stille über diesem Land beseitigt und wollen etwas für Deutschland tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen, die deutsche Wirtschaft verliere seit der Regierungsübernahme durch Rot-Grün an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Da muss man schon einmal einen Blick in die Statistik werfen. 11,6 % aller weltweit exportierten Waren und Dienstleistungen kamen im Jahre 2003 aus den USA, 9,4 % aus dem viel kleineren Deutschland und nur 5,4 % aus Japan. Die von Ihnen so sehr bewunderten Amerikaner hatten im Jahre 2003 ein Leistungsbilanzdefizit von 5 % – gemessen am Bruttoinlandsprodukt –, während Deutschland einen Überschuss von etwa 2 % erwirtschaftet hat. Das ist auch der Grund dafür, warum der Dollar derzeit so schwach ist.

Der britische „Economist“ hat zum Jahreswechsel bilanziert, dass die Deutschen Meister darin seien, das Glas nicht halb voll, sondern halb leer zu sehen.Wenn man sich die statistischen Daten der deutschen Wirtschaft anschaut, kann man nur sagen: Recht hat er.

Ich will Ihnen zwei Argumente einräumen. Seit dem Jahre 2000 hat die Weltwirtschaft ein tiefes Konjunkturtal durchschritten. Wie in jeder konjunkturellen Krise wurden auch diesmal die öffentlichen Kassen durch sinkende Steuereinnahmen und steigende Sozialausgaben belastet. Wir haben dieses Thema von verschiedenen Seiten immer wieder diskutiert. Die strukturellen Probleme der deutschen Volkswirtschaft traten während der Stagnation deutlich hervor,und der Handlungsdruck,von dem ich behaupte, dass er schon seit 20 Jahren besteht, nahm in der Politik stetig zu. Hier kann man durchaus hinzufügen: Der Druck, unter den uns die schrecklichen Zahlen immer wieder gesetzt haben, hat zumindest zu Reformanstrengungen geführt. Er hat dazu geführt, dass die deutsche Politik aufgewacht ist und sich zu verschiedenen Reformen, gerade auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, aufgerafft hat. Das ist gut so, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun können wir zur Kenntnis nehmen, dass der Konjunkturzyklus in einen weltweiten Aufschwung eingemündet ist und die Bundesregierung – zum Teil sogar mit Ihrer Unterstützung,meine Damen und Herren von der Union – strukturelle Reformen umgesetzt hat. Insofern ist die Behauptung, Rot-Grün sei an allem schuld, an der Stelle verfehlt.

Daraus folgern wir – das sagen im Moment alle renommierten Wirtschaftsforscher –, dass sich der Wind auf den Märkten dreht. Es ist wohl wahr, das muss ich einräumen, dass sich diese Erkenntnis unter den Konsumenten noch nicht herumgesprochen hat. Leider reagiert der private Konsum verzögert auf die konjunkturelle Belebung. Man muss aber sagen, dass auch bei uns der Aufschwung zunächst immer mit zusätzlichen Exporten beginnt.

Da die Konsumenten auch die Wähler sind, kann sich die Union im Moment noch in einem Umfragehoch sonnen. Da sich der Wind aber gedreht hat, kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben strategisch das Ziel verpasst, die Bundesregierung zu übernehmen und an dem Aufschwung zu partizipieren. Das werden wir tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, Sie können nicht weiterhin davon ausgehen,dass Deutschlands Wirtschaft in den Kel

ler geht, wenn die Exportnation Deutschland am weltwirtschaftlichen Aufschwung teilnimmt. Sie können vor allen Dingen nicht länger strukturelle Reformen einklagen, da die Bundesregierung diese Reformen längst auf den Weg gebracht hat.

(Frank Gotthardt (CDU): Da haben wir gestern wieder ein „gutes“ Beispiel gesehen!)

Um die Situation tatsächlich analysieren zu können, müssen wir den Blick nach Hessen richten und einmal schauen, ob Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da sieht es relativ düster aus. Der Erfolg Hessens war in erster Linie eine Leistung der Menschen und der in Hessen ansässigen Unternehmen. Auch Ihre Regierung hat dem Versuch nicht widerstehen können, sich die guten Wirtschaftszahlen in die eigene Bilanz zu schreiben. Deswegen müssen Sie sich auch am schlechten Abschneiden der hessischen Wirtschaft messen lassen. Das will ich an der Stelle einmal beleuchten.

Nach fünf Jahren Koch belegt Hessen in den Tabellen keine Spitzenplätze mehr. In der Disziplin „Wachstum“ hat Hessen in 2003 nach vorläufigen Zahlen nichts Positives zu melden. Im Gegenteil: Mit minus 0,1 % gegenüber 2002 ist seine Wirtschaft im vergangenen Jahr real geschrumpft. Hessen belegt damit nur den siebten Tabellenplatz unter allen Bundesländern.

Noch schlimmer sieht es in der Disziplin „Abbau der Arbeitslosigkeit“ aus. Während im Januar 2004 in Deutschland die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,6 % zurückgegangen ist, ist in Hessen die Arbeitslosenzahl um 6 % gestiegen. Hessen liegt damit auf dem letzten Platz aller Bundesländer.Wir haben mit einiger zynischer Freude zur Kenntnis genommen, dass das für die Staatskanzlei kein Grund mehr ist,ihre regelmäßig wiederkehrenden Presseerklärungen vom Erfolg der hessischen Wirtschaftspolitik zu verbreiten. Da ist in der Tat nichts schönzureden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wer sich in den guten Zeiten, in den Zeiten des Internetbooms und des Börsenbooms, mit den damaligen Wirtschaftsdaten gebrüstet hat,der muss sich jetzt an den Zahlen der Gegenwart messen lassen.

Meine Damen und Herren, es gibt eine Menge Baustellen, auf denen Ihre Arbeit derzeit ruht. Wenn ich mir den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion zur Wirtschaftspolitik anschaue, dann kann ich nur sagen: Grimms Märchen sind im Vergleich zu dem, was Sie hier beschreiben, ein Hort der Realität.