Protokoll der Sitzung vom 19.03.2004

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt auch nicht!)

Ich wehre mich dagegen, dass diese Stellungnahme im Vergleich zu allen anderen Stellungnahmen wie die eines „Übergremiums“ als unantastbar angesehen wird.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Sehr richtig!)

Ich will nicht aus einem Abwägungsprozess heraus. Es gibt keinen Rabatt, wenn es um Sicherheitsfragen geht – damit das klar ist.

(Beifall bei der FDP)

Aber es kann nicht sein, dass eine Stellungnahme einfach aufgrund veröffentlichter Meinung ein anderes Gewicht als alle anderen Stellungnahmen oder die Auffassungen aller anderen Wissenschaftler bekommt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU)

Es bleibt Gegenstand des Verfahrens, das abzuwickeln und dann letztlich zu entscheiden. Die Verfahrensentscheidung wird, wie wir alle wissen, noch einmal Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein. Es wäre jeder behämmert, der jetzt leichtfertig in irgendeine Richtung aus einer Vorfestlegung heraus, die immer suggeriert wird, Herr Kaufmann, eine Entscheidung treffen würde. Das kann sich keiner leisten.

Deshalb habe ich hier Vertrauen. Das ist kein Verfahren der Landesregierung. Das ist kein Verfahren derer, die relativ früh gesagt haben, die Nordwestbahn sei die verträglichste, weil sie die wenigsten Eingriffe in die Natur und eine geringere Betroffenheit von Menschen brächte, sondern das ist ein Verfahren eines Antragstellers, der ein Recht hat, nach einer rechtsstaatlichen Abwicklung des Verfahrens einen Bescheid zu bekommen.

Ich muss Sie wiederholt fragen: Wir haben nicht nur die Anteilseigner Land und Stadt Frankfurt, wir haben auch den Anteilseigner Bund. In großer Übereinstimmung mit dem Luftverkehrswegeplan des Bundes, der von der Verabschiedung her immerhin Kabinettsrang hat, hat der Anteilseigner Bund – zumindest nach meinem Wissen, Aufsichtsratssitzungen sind nicht öffentlich – nicht gegen diesen Antrag gestimmt, nicht gegen die Variantenauswahl gestimmt. Das heißt, ich muss unterstellen, der Bund steht dahinter.

Heute ist von Frau Staatssekretärin Wolf, die aus Hessen kommt, zu lesen, dass offensichtlich der Vorschlag Nordostbahn die richtige Lösung sei.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zitieren Sie doch nicht schon wieder falsch! – Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Alles ist schlecht!)

Ich kann Ihnen hier nicht sagen, was besser oder schlechter ist.

Herr Kollege Denzin, bitte seien Sie so lieb.

Herr Präsident, ich weiß, dass es einen Antrag zu bescheiden gibt. Sollte der Antrag abgelehnt werden, muss man neu nachdenken. Ich befürchte aber, dass wir nicht mehr sehr lange nachdenken können, sondern dass dann die Ausbaufrage erledigt ist.

Meine Damen und Herren, es macht doch überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns hier gegenseitig jedes Mal aufs Neue etwas vormachen wollen. Gucken wir uns die Tatsachen an, warten wir ab. Dann sehen wir, was dabei herauskommt. Nach allen Argumenten, mit denen ich mich befasst habe, bin ich mir relativ sicher, dass dieser Ausbau gelingen wird.Ich sage für meine Fraktion:Wir halten diesen Ausbau für das Land, aber auch für Deutschland für absolut notwendig.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Denzin. – Das Wort hat der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie können mich doch nicht in die Überschrift Ihres Antrages schreiben und sich dann wundern, dass ich dazu rede.

(Heiterkeit – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir freuen uns!)

Insofern muss sich die Überraschung in Grenzen halten. Ich würde gerne dort anknüpfen,wo Herr Kollege Denzin geendet hat. Die Abwägung wird am Ende vom Bundesverwaltungsgericht überprüft. Wir wissen, dass zuvor alle möglichen Leute ihre Beteiligungsrechte und ihre Entscheidungsverpflichtungen ausüben werden. Zum Schluss wird das in Deutschland höchste für Verwaltungsrechtsfragen zuständige Gericht entscheiden. Was wird das Wichtigste sein, worüber das Bundesverwaltungsgericht am Ende zu entscheiden hat? Das Gleiche, was wir am Anfang zu entscheiden hatten: Ob es Argumente des öffentlichen Wohls gibt, die es rechtfertigen, einen Flughafenausbau durchzuführen, der einen solchen Eingriff in Natur und Landschaft und in die Ruhe der Menschen darstellt. Dies wird dann dagegen abgewogen, welche Schäden entstehen, wenn man nicht ausbaut.

Wenn man wie Sie, die GRÜNEN – was legitim ist –, zu der Auffassung kommt, dass das öffentliche Wohl den Ausbau des Flughafens nicht gebietet, dann ist Ihre weitere Beteiligung an allen Abwägungen ziemlich unsinnig.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Mit jemandem, der mir erklärt, er wolle keine Variante, darüber zu diskutieren, ob ich die richtige Variante präferiere, ist Unsinn, ist akademische Zeitverschwendung. Das muss man auch im Parlament nicht in jeder Woche wieder hören.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist überhaupt kein Unsinn!)

Zweitens. Wenn bei drei Fraktionen in diesem Hause die Überzeugung herrscht, dass es gute Gründe des öffentlichen Wohls gibt,die für den Ausbau des Flughafens sprechen – sodass man nicht Hunderttausende sich positiv entwickelnder Arbeitsplätze riskiert –, dann muss die Abwägung getroffen werden, was die mildeste Lösung ist. Das ist ziemlich unstreitig. Ich habe mich bereits an den von Ihnen zitierten Tagen über die Frage der Varianten geäußert. An meiner politischen Einschätzung in dieser Frage hat sich bis zu dieser Minute überhaupt nichts geändert.

(Martin Häusling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unbelehrbar!)

Aus Ihrer Sicht bin ich unbelehrbar. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass man als Ministerpräsident nicht Hunderttausende von Arbeitsplätzen riskieren darf. Da bin ich in der Tat unbelehrbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lebhafter Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Von denen, die diese Grundeinschätzung teilen, gibt es bisher niemanden, den ich kenne, der sagt, die Priorisierung einer bestimmten Variante unter dem Gesichtspunkt „Umwelt – Menschen – Realisierbarkeit“ sei falsch. Ich muss damit leben, dass eine Opposition, die die Entscheidung nicht mittragen muss, sagt: Junge, du musst immer wissen, wenn es falsch ist, warst du schuld. – Das gehört zu der Aufgabenverteilung. Ich habe mich nicht als Oppositionsführer beworben, sondern als Regierungschef.

In dieser Diskussion ist abzuwägen, was die einzelnen Elemente sind. Das müssen die Genehmigungsbehörde, die Antragstellerin und am Schluss das Gericht machen. Wenn aber das öffentliche Wohl für den Ausbau und all

gemeine Gründe für eine bestimmte Variante sprechen, dann sind ein Chemiewerk und ein Wald, der nicht verkauft werden soll, Bestandteile des Verfahrens, mit denen man umgehen muss.

Herr Kollege Riege, ich nehme sehr dankbar zur Kenntnis, dass Sie sagen: Da muss man bei Ticona einmal gucken. – Bei dem Verhältnis von Regierung und Opposition ist das schon eine ganze Menge. Ich habe zu diesem „einmal gucken“ den Hinweis aus Sicht des Staates beigetragen, dass dies ein öffentlich rechtliches Abwägungsverfahren ist, in dem am Ende ein Eigentümer ein Recht auf angemessene Beteiligung, aber nicht ein Recht auf öffentliche Versteigerung hat, und dass, wenn Beteiligte sprechen, sie diese Rahmenbedingungen kennen sollten. Ich bin auch nicht bereit, diese Rahmenbedingungen zu ändern. Denn es gibt einen Rechtsanspruch der Bürger, dass der Minister am Ende seiner Entscheidung abwägt, was notwendig ist, um Gefahren zu beseitigen. Es gibt aber auch einen Anspruch der Fraport – darüber haben wir schon einmal geredet: es gibt private Eigentümer, die dort ihr Geld hereingeben –, dass keine Forderungen gestellt werden, die in der Sache nicht gerechtfertigt sind. Beide Elemente haben eine Rolle zu spielen.

Ich habe in der Debatte letzte Woche Wert darauf gelegt – deshalb hat sich durch die gestrige Entscheidung überhaupt nichts verändert –, dass die Störfallkommission einen wichtigen Hinweis gibt. Wir Politiker sollten nicht so tun, als gebe es die Störfallkommission nicht, und sollten nicht sagen, wir seien schlauer als sie. Das macht uns für die daraus folgende Diskussion aber nicht unmündig. Wenn sich nach einer Prüfung ergibt, dass die Störfallkommission Recht hat, dann muss ihr Votum beachtet werden und in dem Genehmigungsbescheid gegen die Nordwestbahn angemessen behandelt werden. Das gehört zum Handwerk.

Am Ende muss die Genehmigungsbehörde abwägen, wie bedeutsam das Argument ist, dass 20 Leute zusammengesessen und etwas in einer Weise beschlossen haben, wie dies bisher kein Gutachter getan hat. Der einzige Gutachter, der in diese Richtung begutachtet hat, hat seine Meinung in der öffentlichen Disputation seines Gutachtens zurückgenommen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Das ist alles falsch,was Sie sagen! Großer Quatsch! Lesen Sie einmal die Unterlagen!)

Im Zweifel gibt es in der Frage der Sicherheit keinen Rabatt. Diese Diskussion ist zu führen. Diese Diskussion wird wieder mit der Begleitmusik der GRÜNEN geführt werden, die sagen werden, dass das Gutachten auf jeden Fall bedeutsam sei, weil sie nicht abwägen wollen.

Sie haben aber ein Problem. Nach dem, was Sie mit Hoechst gemacht haben, würde ich gerne Ihre Position dazu sehen, wenn es keinen Flughafen gäbe und ich Ihnen einen Ausbauplan der Ticona im Rhein-Main-Gebiet vorlegen würde.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und Beifall bei Ab- geordneten der FDP – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Billige Polemik! Das ist kläglich! – Gegenruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

Nicht einmal Ihre eigenen Wähler würden es Ihnen abnehmen, dass Sie, nur um aus ideologischen Gründen einen Flughafen zu verhindern, am Ende Ihre Liebe zu ei

nem Erdöl verarbeitenden Chemiewerk entdecken. Dann merkt auch der Letzte: Ihnen geht es nicht um die Sache.

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Unfug!)

Aus ideologischen Gründen wollen Sie die einzige valide Entwicklungschance des internationalen Zentrums Frankfurt – das liegt an unserer internationalen Verbindung – verhindern. Das halte ich für verantwortungslos. Aber Sie sind gewählt. Es ist legitim, dass Sie es sagen. Sie dürfen aber nicht glauben, dass Ihre grundsätzliche Kritik am Ende der Maßstab unserer Abwägung ist. Denn wir sind schon in der Grundfrage unterschiedlicher Meinung. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und lebhafter Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Ministerpräsident,vielen Dank.– Meine Damen und Herren, damit gibt es zur ersten Aktuellen Stunde keine weiteren Wortmeldungen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht, aber ich darf ja nicht! Wenn ich mich melde, nehmen Sie mich dran? – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): 1 : 0!)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Herr Kollege Al-Wazir, ich nehme nicht an, dass Sie das Präsidium kritisieren wollen.

(Heiterkeit – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Tofftä!)

Dann rufe ich jetzt die nächste Aktuelle Stunde, Tagesordnungspunkt 46, auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessische Wirtschaft fragt: Wo bleiben die Ganz- tagsschulen?) – Drucks. 16/1919 –

Das Wort hat Frau Kollegin Habermann.