Protokoll der Sitzung vom 19.03.2004

Das Wort hat Frau Kollegin Habermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Bundesprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ könnte eine gute Chance für Hessen sein, durch ein an der Verbesserung der Bildungsqualität orientiertes Konzept einen Anstoß für den Ausbau von Ganztagsschulen in unserem Bundesland zu geben.

Leider ist diese Landesregierung gerade dabei, diese Chance durch mangelnde Motivation und Konzeptlosigkeit zu verspielen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hessen war eines der letzten Bundesländer: Es hat erst im November 2003 seine Richtlinie zur Vergabe der Bundesmittel in Kraft gesetzt. Damit wurde den Schulträgern die Antragstellung ermöglicht. Bis heute ist die hessische Richtlinie zur Einrichtung von Ganztagsschulen durch Bereitstellung von Landesmitteln und Stellen nur im Entwurf vorhanden. Diese Richtlinie könnte den Schulen darüber Klarheit verschaffen, auf welcher Basis sie ihre pädagogischen Konzepte entwickeln können.

Im Juni 2003 hat die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion abgelehnt, der allen Schulformen die

Möglichkeit eröffnen sollte, sich neben pädagogischer Mittagsbetreuung auch für die Formen der offenen oder gebundenen Ganztagsschule zu entscheiden. Frau Ministerin, wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Landesregierung diese Forderung der SPD in ihren Gesetzentwurf zur Novellierung des Hessischen Schulgesetzes aufgenommen hat. Wir werden hier im Landtag etwa ein Jahr, nachdem wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt hatten,darüber beraten.Das bedeutet,dass ein Jahr lang Zeit für die Schulträger und Schulen und vor allem auch für die Kinder und Jugendlichen verschwendet wurden, die durch ein Ganztagsschulkonzept besser hätten gefördert werden können.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Priska Hinz und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Frau Kultusministerin, es bleibt weiterhin unklar, wie Sie aus dem Schmalspurprogramm „Ganztagsschule nach Maß“ zukünftig auch gebundene Ganztagsschulen mit der entsprechenden Zuweisung an Ressourcen fördern wollen. Dieses Programm reicht gerade für die Einrichtung weiterer pädagogischer Mittagsbetreuungen an den Schulen aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist, sozialpolitisch gesehen, ebenfalls ein wichtiger Ansatz. Aber Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung unter dem Oberbegriff „ganztägig arbeitende Schulen“ zu verkaufen ist schlicht und einfach Etikettenschwindel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Damit werden auch die Ziele nicht erreicht, neue Bildungskonzepte in den Schulen zu verwirklichen, fächerübergreifende Förderung zu organisieren, eine stärkere Vernetzung des Unterrichts mit Erziehung und individueller Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung zu erreichen. Mit der von Ihnen vorgenommenen Einschränkung marschieren Sie an diesen Zielen weit vorbei.

Was geschieht gerade jetzt? Im Moment warten die Schulträger auf die Bewilligungsbescheide für die Zuteilung der Bundesmittel. Sie müssen weitere Verzögerungen auch bei den Investitionsmaßnahmen in Kauf nehmen. Bis zum Ende des Jahres 2003 gab es lediglich Bewilligungen in Höhe von 2,78 Millionen c. Dabei standen 20,8 Millionen c zur Verfügung, die Hessen aus dem Bundesprogramm für das Jahr 2003 erhalten hat. Ganze 27 Schulen können sich auf den Weg machen, neue Förderkonzepte mit der entsprechenden räumlichen Ausstattung zu verwirklichen.

Es gab Verschleppen, Verzögern, unklare Bestimmungen und ein Verwirrspiel über die Gültigkeit der Richtlinien. Jetzt gibt es für die Bewilligung von Mitteln aus dem Bundesprogramm offensichtlich eine verkomplizierte Bearbeitung der Anträge der Schulträger. Angesichts der Art und Weise, wie diese Landesregierung an den Ausbau der Ganztagsschulen herangegangen ist, drängt sich der Verdacht auf, dass sie gar kein allzu großes Interesse bei den Schulträgern wecken will.Sie will lieber ein Klima erzeugen, das die Schulen davon abhält, überhaupt Anträge zu stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nebenbei bemerkt, dafür spricht auch, dass es die Kultusministerin abgelehnt hat, im Kulturpolitischen Ausschuss

die detaillierten Fragen eines Dringlichen Berichtsantrags der SPD-Fraktion zu diesem Thema auch nur ansatzweise zu beantworten. Sie haben kein Konzept für die Ganztagsschule; und Sie wollen auch gar keines entwickeln.

Es ist gut, dass nicht nur die SPD-Fraktion und die betroffenen Schulträger diese Erkenntnis gewonnen haben, sondern auch die hessische Wirtschaft diese Erkenntnis gewonnen hat.Wenn Sie uns nicht zuhören wollen, so will ich Sie auffordern, sich mit den Äußerungen der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände auseinander zu setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In einer Presseerklärung kritisiert der für das Ressort Bildung verantwortliche Geschäftsführer der VhU, Jörg Feuchthofen, massiv die Tatenlosigkeit des Hessischen Kultusministeriums. Ich zitiere:

Die 278 Millionen c des Bundes für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen in Hessen sind ein solider Kapitalstock für eine gezielte Investition. Jetzt geht es darum, diese Gelder zügig beim Bund abzurufen und vor allem für Ganztagsschulen mit neuen pädagogischen Konzepten bereitzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er führt weiter aus, dass die VhU keine Bemühungen des Landes sieht, „zügig ein pädagogisch modernes Ganztagsschulkonzept zu entwickeln und umzusetzen“.

(Zuruf von der SPD: Das ist ein Armutszeugnis!)

Frau Kollegin Habermann, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss meiner Rede. – Ich denke, Herr Feuchthofen hat Recht. Diese Initiative der VhU zeigt nachdrücklich: Der Ausbau der Ganztagsschulen mit einem neuen pädagogischen Ansatz käme nicht nur den Eltern, Kindern und Jugendlichen zugute. Dadurch würde auch Hessen als Wirtschaftsstandort gestärkt. Das würde dazu beitragen, dass die Qualifikation unserer Schulabgänger steigen würde. Sie könnten dann mit einer befriedigenden beruflichen Perspektive ihren Anteil an der Entwicklung Hessens leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kultusministerin, ich fordere Sie auf, aus den Ergebnissen der PISA-Studie zu lernen und endlich dafür zu sorgen, dass solche Konzepte auch in Hessen greifen können.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Kölsch für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Habermann, da Sie Mitglied des Kulturpolitischen

Ausschusses sind, müssten Sie eigentlich wissen, dass die Förderrichtlinie seit Beginn des letzten Schuljahrs in Kraft getreten ist.

Die SPD-Fraktion fragt: Wo bleiben die Ganztagsschulen?

Wir fragen:Wo waren die Ganztagsschulen unter rot-grüner Regierung?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Plottnitz ist schuld!)

Seit 1992 wurde während Ihrer Regierungszeit kein einziges Mal die Einrichtung einer Ganztagsschule genehmigt. Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.Aber wenn man Forderungen stellt, muss man es sich auch gefallen lassen, an die Vergangenheit erinnert zu werden.

Wir mussten, damals gemeinsam mit der FDP, erst einmal ein Konzept erarbeiten. Wir mussten damit erst einmal beginnen. Im Jahre 2002 haben wir unser Ganztagsschulprogramm gestartet. Inzwischen haben wir die Zahl der Ganztagsangebote um fast 100 % gesteigert. Inzwischen gibt es 226 ganztägig arbeitende Schulen mit unterschiedlichen Programmen.Dabei handelt es sich um Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung sowie um kooperative Ganztagsschulen mit offener und gebundener Konzeption. Mit dem In-Kraft-Treten des neuen Schulgesetzes wird es das dann auch für die Grundschulen geben.

Von Anfang an war es uns wichtig, zu betonen, dass es sich hierbei um eine Gemeinschaftsaufgabe handelt. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsaufgabe des Landes, der Schulträger, der Jugendhilfeträger und – das betone ich immer wieder – auch der Eltern. Es geht um ergänzende Förderung und um ein verlässliches Bildungs- und Betreuungsangebot. Neben der Hausaufgabenbetreuung sind Förderunterricht und Wahlangebote zentrale Bedingungen für die Anerkennung als Ganztagsschule.

Das alles haben wir auf den Weg gebracht, bevor sich die Bundesregierung in Berlin entschlossen hat,Investitionen für Ganztagsschulen finanziell zu unterstützen. Man muss wissen – das scheint einigen immer noch nicht klar zu sein –, dass das Geld des Bundes natürlich an die Schulträger weitergereicht werden muss. Denn die Schulträger sind für die Investitionen zuständig. Das müsste vielleicht auch einmal jemand der grünen Schuldezernentin in Frankfurt erklären. Offensichtlich hat auch sie es nicht verstanden. Das Land prüft und reicht das Geld weiter. Aber die Schulträger müssen die Voraussetzungen schaffen, damit sie in den Genuss der Bundeszuwendungen kommen können. Denn es handelt sich nur um eine zusätzliche Finanzierung zu den notwendigen Eigenaufwendungen.

Es scheint Ihnen auch entfallen zu sein, dass die Kultusministerin im Kulturpolitischen Ausschuss hierüber ausführlich berichtet hat. Sie haben die Zahlen genannt. Bis Mitte Dezember 2003 wurden 128 Schulen gemeldet. Natürlich müssen die Anträge erst im Ministerium geprüft werden. Bei 27 Schulen konnte das Projekt genehmigt werden. Sie wurden mit 2,8 Millionen c gefördert. Da die Schulträger ihre Projekte meistens erst im Jahr 2004 begonnen haben, konnte im Jahr 2003 eben noch kein Geld fließen.

Ich weiß, dass es möglich ist, hierfür Unterstützung zu erhalten. Im Hochtaunuskreis sind wir da schon ein ganzes Stück weiter.

Die Kultusministerin hat immer wieder auf die besonderen Schwierigkeiten und die besondere Situation hingewiesen. Es ist eben so, wenn der Bund in Aufgabengebiete der Länder eingreift, dann aber nicht in Personal investiert, sondern sich an den Investitionen beteiligt.

(Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Daher haben sich die Verhandlungen anfangs auch so problematisch gestaltet. Wir wollen das Angebot der ganztägig arbeitenden Schulen Schritt für Schritt weiter ausbauen in Zusammenarbeit mit den Schul- und Jugendhilfeträgern und den freien Trägern. Die Praxis zeigt, wie vielfältig und engagiert dies von den Schulgemeinden vorbereitet wird.

Unser Ziel muss es sein – das steht auch in unserem Regierungsprogramm bis 2008 –, dass jede Schülerin und jeder Schüler die Möglichkeit haben soll, ein wohnortnahes ganztägiges Schulangebot in Anspruch zu nehmen, und zwar auf freiwilliger Basis.Denn es zeigt sich nach wie vor, dass viele Eltern zwar die Notwendigkeit eines solchen Angebots erkennen, es aber für ihre Kinder selbst nicht in Anspruch nehmen wollen. Es gibt eben auch noch genügend Eltern, die, wenn sie dazu in der Lage sind, eine Berufspause einlegen, um sich ganz der Erziehung ihrer Kinder zu widmen. Auch darauf müssen wir Rücksicht nehmen.

Daher ist es so wichtig, hier schrittweise voranzugehen, das Angebot attraktiv zu gestalten. Dazu gehört auch der Auf- und Ausbau von Schulbibliotheken. Die IGLU-Studie hat es gerade wieder eindrucksvoll bestätigt. Eltern sollen, wenn sie dies wollen, eine echte Wahlfreiheit haben, wie sie ihren privaten Weg mit Kindern gestalten.

Frau Kollegin Kölsch, Sie müssten zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Es steht nach wie vor fest, dass die Ganztagsschule kein Allheilmittel ist. Die letzten Gutachten belegen dies wieder. Sie ist nicht dazu geeignet, Defizite zu heilen. Die Kritik der VhU sehe ich dabei als vordergründig an; denn hier geht es natürlich um eigene Interessen.

Daher wiederhole ich: Wir bleiben bei unserem Ziel des schrittweisen Ausbaus. Im Gegensatz zu der Opposition hatten wir immer einen klaren Weg. Diesen werden wir unbeirrt und zielorientiert im gesellschaftlichen Konsens fortsetzen.

(Beifall bei der CDU)