Protokoll der Sitzung vom 19.03.2004

(Volker Hoff (CDU): Jetzt kommt der Lordsiegelbewahrer der chemischen Industrie mit einer Kleinen Anfrage!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung muss sicherlich vorhanden sein, zumal im Verhältnis zu den Oppositionsfraktionen. Denn schließlich ist die parlamentarische Kontrolle den Regierenden nicht immer überaus angenehm. Herr Kollege Hoff, insoweit kann man für eine gewisse Reserviertheit der Regierung gegenüber parlamentarischen Initiativen ein gewisses Verständnis haben.

Herr Staatsminister Grüttner, was wir allerdings in dieser Legislaturperiode erleben, ist eine deutliche Steigerung der Unverschämtheit der Landesregierung im Umgang mit dem Landtag im Vergleich zur letzten Wahlperiode. Bereits seit Amtsantritt der ersten Regierung Koch mussten wir uns daran gewöhnen, dass es nach dem Motto ging: Der Landtag fragt, die Regierung hüllt sich in Schweigen.

Zunächst konnten wir vermuten, dass es daran lag, dass man sich schwer tat, die richtigen Formulierungen zu finden. Denn die Wahrheit wollte man nicht einfach mitteilen, und gute Legenden brauchen Muße, um richtig komponiert zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren,wir erinnern uns noch sehr gut daran, wie in der vergangenen Wahlperiode der Kollege Grüttner entsprechender Kritik im Ältestenrat seinerzeit ausdrücklich zustimmte und uns mehr als einmal versprach, für Abhilfe zu sorgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Indes waren die Bemühungen, Herr Grüttner, so sie überhaupt stattgefunden haben, vergebens. Nichts wurde besser. Im Gegenteil, Jochen Riebel stellte seinen Schreibtisch in der Staatskanzlei auf. Da wurde es erst richtig schlimm.

(Beifall der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Buchstäblich alles, was die Ministerien auf parlamentarische Initiativen hin erarbeitet hatten, verschwand für Monate. Manchmal tauchte es aus dem Bermudadreieck überhaupt nicht mehr auf.

Meine Damen und Herren, wir wissen doch, selbst dem Ministerpräsidenten – obwohl er seine Interessen immer weniger in Hessen verfolgt – war dies am Ende zu viel.Mit der neuen Regierungsbildung wurde Jochen Riebel aus der Karibik vertrieben. Stefan Grüttner, derjenige, der uns so oft Abhilfe versprochen hatte, sollte nun das Bermudadreieck unschädlich machen.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Gute Wahl!)

Meine Damen und Herren, wie wir bereits in der Debatte über die Zuständigkeitsverteilung am 6. Mai vergangenen Jahres kommen sahen: Das Gegenteil ist eingetreten. Ob Stefan Riebel oder Jochen Grüttner, alles ist verwirrt und insgesamt in den karibischen Strudel geraten. Die Regierungszentrale wurde zwar reichlich mit neuem, jungem, logischerweise stramm konservativem Personal geradezu voll gestopft, doch auch dies war, wie wir eben von Staatsminister Grüttner gehört haben, völlig kontraproduktiv. Er hat uns doch gerade erklärt, dass er überhaupt nicht mehr weiß, wie man Anfragen beantwortet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine schlichte Frage, die ich so nie stellen würde, weil ich Regierungen kenne, und die mit Ja und Nein zu beantworten wäre: „Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor...?“, wird natürlich nicht mit Nein beantwortet. Da schämt man sich, weil man seine Ahnungslosigkeit bekannt geben müsste.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Man weiß es aber tatsächlich nicht. Insofern sagt man auch nicht Ja.Dann müsste man eine Antwort geben.Deswegen nimmt man die dritte Variante:Wir bitten um Verlängerung der Beantwortung – und es dauert Monate.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, dann kommt noch die neue Kompetenz, die der Staatskanzlei zugeordnet wurde, nämlich für ein einheitliches Erscheinungsbild der Landesregierung zu sorgen. Sie führt jetzt offensichtlich zur finalen Blockade. Die Abstimmung zwischen dem multilozilen Jochen Riebel und dem neuen Majordomus Stefan Grüttner ist anscheinend so schwierig, dass es Monate dauert, bis eine simple Kleine Anfrage beantwortet ist. Vielleicht dauert es auch nur Monate, bis sie sich zufällig einmal treffen, um darüber zu reden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Meine Damen und Herren, das ist nun gar nicht lustig; denn wir haben schon gehört, welche Pflichten die Regierung hat, die auch in der Verfassung festgelegt sind. Herr Hoff, deswegen ist es auch Ihr Problem

(Volker Hoff (CDU): Ich habe kein Problem! Sie haben Probleme!)

und hauptsächlich Ihr Problem als Regierungsfraktion, wenn Sie nicht immer wieder Ihren Ruf bestätigen wollen, dass Sie nichts als eine Claqueurrolle in Anspruch nehmen, dass Sie nicht dafür sorgen, dass das Parlament seine Rechte durchsetzen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Demonstrativer Beifall des Abg. Clemens Reif (CDU))

Meine Damen und Herren, ich spreche den Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Herrn Kollegen Dr. Jung, ganz persönlich an. Herr Kollege Dr. Jung, Sie sind doch lange genug Parlamentarier, um selbst zu erkennen, welch miserables Bild diese von Ihnen getragene Regierung und damit gemeinsam auch die Regierungsfraktion hier abgeben. Das müsste Ihnen doch peinlich sein. Sie können sich doch sicher an die Zeiten erinnern, in denen Sie parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Opposition waren. Auch wenn Sie jetzt gerne das Gegenteil behaupten wollen und Herr Grüttner hier komische Statistikspielchen mitgebracht hat – die Wahrheit ist immerhin, dass damals der Respekt der Regierung vor dem Landtag wesentlich größer war als heute.

(Zuruf des Abg.Volker Hoff (CDU))

Man könnte aus heutiger Sicht sagen, dass das vielleicht ein Fehler von uns war. Das mag sein. Aber eindeutig ist: So unverschämt unser Informationsrecht negierend ist bisher keine Regierung umgegangen wie die Regierungen Koch.

(Zurufe der Abg. Volker Hoff und Clemens Reif (CDU))

Herr Kollege, die Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss, aber nicht ohne den Kollegen Dr. Jung noch einmal persönlich zu bitten: Sagen Sie doch der Staatskanzlei unmissverständlich, dass wir als Parlamentarier alle miteinander eine andere Beantwortung erwarten und fordern als das, was wir bisher erleben mussten. Wenigstens dies müssten Sie bei Ihrem langjährigen politischen Intimus, dem Ministerpräsidenten, durchsetzen können. Wirklich, unser aller Wünsche begleiten Sie.Tun Sie es für uns alle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Beer für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kaufmann, zunächst einmal weise ich natürlich mit Abscheu und Empörung zurück, dass in der letzten Legislaturperiode die verspätete Beantwortung von Anfragen oder Berichtsanträgen die Regel gewesen sei. Es mag hin und wieder vorgekommen sein.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Von Montag bis Freitag, wöchentlich!)

Aber ich glaube, wir haben doch noch eine deutliche Verschlechterung im letzten Jahr beobachten können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Staatsminister Grüttner, Sie mögen mit der einen oder anderen Massenanfrage der SPD Recht haben. Das ist uns auch aufgefallen. Der FDP-Fraktion können Sie allerdings solche Massenanfragen wahrlich nicht vorwerfen. Das ist uns zu kleinkariert. Doch wenn ich sehen muss, dass bei uns alleine 55 % der Kleinen Anfragen zu spät beantwortet wurden, dann ist das einfach ärgerlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ärgerlich ist auf jeden Fall auch, wie diese Antworten dann aussehen,wenn sie kommen,denn sie sind in der Regel völlig inhaltsleer.

(Beifall des Abg. Jürgen Walter (SPD) – Volker Hoff (CDU): Na, na, na! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So wie die Landesregierung!)

Die Art und Weise, wie mittlerweile beantwortet wird, ist schon sprichwörtlich geworden, wie bei den Berichtsanträgen der FDP-Fraktion zu den Behördenstandorten. Dort wurde absolut gemauert und behauptet, Daten und Fakten lägen nicht vor und seien schwierig zu beschaffen. In dem einen oder anderen Fall konnte nachher sogar bewiesen werden,dass die Information der Landesregierung vorgelegen haben muss.

Die Krönung ist der Vorgang im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst gewesen.Während der kursorischen Le

sung im Wissenschaftsministerium wurden mir bestimmte Informationen – Teile aus dem Berichtsantrag – vom zuständigen Abteilungsleiter zugesagt. Er hat gesagt, Informationen lägen vor, man könne sofort Fotokopien davon anfertigen. Vier Wochen später im Ausschuss waren sie nicht zu beschaffen. Nachher wurden die Berichtsanträge in den einzelnen Ausschüssen für erledigt erklärt, obwohl die Fragen noch nicht beantwortet waren. Diese Art und Weise des Umgangs mit dem Parlament ist doch sehr sprichwörtlich für die neue Legislaturperiode.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auffallend ist dabei auch, dass man auf eine übertriebene Art und Weise im Ausschuss von Monat zu Monat vertröstet wird. Damit wird auch immer die Bereinigung der Tagesordnung der Ausschüsse erreicht. Ich kann mich sehr gut an Anfragen meiner Fraktion zum Museumsstandort Kassel erinnern, an Anfragen oder Berichtsanträge zur Professorenbesoldung, bei denen wir von Monat zu Monat gesagt bekommen haben: Frau Beer, das verstehe ich überhaupt nicht,bei mir ist das schon längst raus,das habe ich schon vor Wochen unterschrieben.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bermuda! – Michael Siebel (SPD):Aha!)

Die Nachfrage in der Staatskanzlei hat Ähnliches ergeben,aber das Ding kommt nie in irgendeinem Briefkasten an. Wenn man dann noch sieht, dass nachher außer „Wir wissen es nicht“ in den Anträgen nichts steht, dann fragt man sich wirklich, meine Damen und Herren von der CDU-Landesregierung: Sind Sie so ahnungslos, oder sind Sie so schlecht organisiert? – Ich vermute leider: häufig beides.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abg. Gotthardt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die sind alle beim Riebel schubladisiert! – FrankPeter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was passiert eigentlich beim Umzug? – Weitere Zurufe von der SPD)

Das Wort hat der Abg. Frank Gotthardt.