Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Etikettenschwindel Ganztagsschulen) – Drucks. 16/2250 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist eigentlich fast schade, dass wir jetzt ein anderes Thema haben; denn es wäre es wert gewesen, hier Herrn Weimar zu antworten.
Aber ich will mich auf die Ganztagsschule beschränken. Es gibt nicht viel Neues beim Thema Ganztagsschule, und
Das Thema Ganztagsschule ist ein Dauerbrenner christdemokratischen Etikettenschwindels in der hessischen Bildungspolitik.
Nachdem bereits vor der Landtagswahl in der öffentlichen Diskussion deutlich wurde, dass Schulen, Eltern und Schulträger in der Einrichtung von Ganztagsschulen nicht nur ein Angebot für familiengerechte Schulöffnungszeiten, sondern auch eine Chance zur Umsetzung neuer Bildungskonzepte sehen,entwickelte das Kultusministerium eine ungewohnte Geschäftigkeit, um zumindest auf dem Papier seinen Willen zur Förderung der Ganztagsschulentwicklung zu bekunden. Hessische Richtlinien für ganztägig arbeitende Schulen wurden in einem schier endlosen Prozess erarbeitet, entsprechend der neuen Transparenz auch ins Internet gestellt, weiterdiskutiert, leicht verändert, wieder veröffentlicht und nicht verabschiedet. Schulträger wurden verunsichert, demotiviert, ihre Schulen überhaupt zur Entwicklung einer Konzeption zu ermuntern.
Viele wissen bis heute nicht,ob die Richtlinien inzwischen gültig sind oder nicht.Aber das ist auch völlig gleichgültig; denn angewendet wird der Erlass ohnehin sehr fragmentarisch.Wer in diesem Jahr einen Antrag nach dem so genannten Ganztagsprogramm nach Maß stellte, konnte lediglich auf eine Bewilligung nach Abschnitt 3.1 hoffen, der sich auf die Schulen mit pädagogischer Mittagsbetreuung an drei Tagen in der Woche bis 14.30 Uhr bezieht.
Meine Damen und Herren, um eventuellen Unterstellungen, wir wollten die Arbeit dieser Schulen mies machen, vorzugreifen: Alle diese Schulen leisten wertvolle Arbeit – mit geringer Unterstützung seitens der Landesregierung.
Die Betreuungszeiten klappen nur, weil die Lehrerinnen und Lehrer sowieso zusätzliches Engagement einbringen.
Aber die Betonung liegt auf Betreuung und nicht auf einem pädagogischen Konzept, das Pflichtunterricht, Freizeit und Projektangebote miteinander verzahnt.
Trotzdem scheut sich die Kultusministerin nicht, bei ihrer diesjährigen Erfolgsmeldung über die dritte Ausbaustufe ihres Möchtegernprogramms 61 neue Ganztagsschulen zu erwähnen, obwohl alle 61 Schulen lediglich Mittel und Stellen für die pädagogische Mittagsbetreuung erhalten und obwohl die Kultusministerin selbst immer mit mahnendem Finger die Trennschärfe bei den verwendeten Begriffen angemahnt hat. Dies erfüllt den Tatbestand des Etikettenschwindels bei weitem;
denn hier wird etwas verkauft, wo Ganztagsschule draufsteht, aber keine drin ist.Wohlweislich verschwiegen wird
auch, dass insgesamt 274 Schulen Anträge nach dem Landesprogramm gestellt haben. Mit den 61 Schulen wurden gerade einmal 22,3 % dieser Anträge bewilligt.
Verschwiegen wird auch, dass 40,5 % der Schulen, insgesamt 111, ihr Angebot ausweiten und Ganztagsschulen mit offener oder gebundener Konzeption werden wollen. Ihre Anträge wurden ausnahmslos abgelehnt.
Frau Kultusministerin, damit haben Sie in der Tat ein Zeichen gesetzt, wie Sie es in der Presseerklärung formuliert haben:ein Zeichen dafür,dass Sie nicht bereit sind,die pädagogische Notwendigkeit des Ausbaus von Ganztagsschulen anzuerkennen, ein Zeichen, dass Sie einen unerträglichen Antragsstau tatenlos hinnehmen und dafür sogar noch gelobt werden wollen. Aber den Gefallen werden wir Ihnen nicht tun.
Noch offenkundiger wird der mangelnde Wille, etwas zu tun, wenn man die Mittelabflüsse aus dem Bundesprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ anschaut. 26 Schulen erhielten 2003 eine Bewilligung für Investitionsmaßnahmen. Nach Veröffentlichungen des Bundesministeriums sind für 2004 insgesamt 254 Projekte mit einer Gesamtfördersumme von 69 Millionen c vorangemeldet. Nimmt man die 26 Projekte von 2003 dazu, dann sollen mit Ablauf dieses Jahres von den real existierenden Ganztagsangeboten in Hessen – an der Zahl 290 – 280 eine Investitionsförderung vom Bund erhalten. Da Sie neue Schulen aber nur in geringer Anzahl und eine Ausweitung der Ganztagskonzeption überhaupt nicht genehmigen, stellt sich die Frage,
wofür die jeweils knapp 70 Millionen c Bundesmittel in den Jahren 2005 und 2006 aus Berlin überhaupt noch abgerufen werden.
Ich komme sofort zum Schluss. – Die Antwort ist wahrscheinlich so einfach wie inakzeptabel. Denn ab dem nächsten Schuljahr erhalten bereits die ersten Gymnasien zusätzliche Lehrerstellen, mit denen Sie die Verkürzung der Schulzeit schon im Vorgriff auf das Schulgesetz ausprobieren wollen. Was liegt näher, als die Bundesmittel zukünftig dort zu verwenden, wo Schüler und Schülerinnen ohnehin 35 bis 36 Wochenstunden haben müssen? Das entspricht allerdings nicht unserem Gedanken einer Ganztagsschulförderung.
Leider lassen es die Bundesrichtlinien zu – Herr Präsident,das ist mein letzter Satz –,dass die Kultusministerien der Länder in eigener Regie entscheiden, was eine Ganztagsschule ist.Aber wir werden Sie weiter daran erinnern, meine Damen und Herren, was wir darunter verstehen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Habermann, Sie haben beklagt, dass Sie keine Antwort auf die Rede des Finanzministers geben konnten. Ihre Rede war eine sehr klare Antwort auf die Rede des Finanzministers, sie war eine einzige Forderung nach mehr Geld.
Vorher werfen Sie dem Finanzminister vor, dass er zu viele Ausgaben macht, und beschimpfen ihn. Wo sind Sie gerade mit der richtigen Antwort geblieben?
Als ich den Titel „Aktuelle Stunde“ gelesen habe – Aktuelle Stunden sollen aktuelle, neue Themen behandeln –, war ich sehr verwundert und überrascht. Ich habe gedacht, jetzt kommt von der SPD etwas ganz Neues zu dem Thema Ganztagsschule oder Ganztagsangebote.Aber ich kann nur sagen:Von den Linken kam in diesem Fall überhaupt nichts Neues.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie immer! – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): So aktuell ist die SPD!)
Sie haben dieses Thema im letzten Wahlkampf hochgezogen. Damals war es aktuell. Sie haben diesen Wahlkampf sehr grandios verloren, insbesondere mit diesem Thema, und Sie haben aus dem verlorenen Wahlkampf überhaupt nichts gelernt.
Sie haben auch heute bei diesem Thema überhaupt keine konkreten Formulierungen und überhaupt keine konkreten Themen und keine Benennungen. Ich will Ihnen sagen, was Ihre Frau Bulmahn zu diesem Thema sagt:
Bulmahn betonte, dass die Akzeptanz von Ganztagsschulen in der Bevölkerung sehr hoch sei. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag des Bundespresseamtes habe gezeigt, dass 70 % der befragten Eltern es begrüßten, wenn es mehr dieser Ganztagsangebote gäbe.
Frau Bulmahn fordert eine Ganztagsschule, die Eltern aber sagen, sie hätten gerne Ganztagsangebote. Frau Bulmahn versteht das auch nicht.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Andrea Ypsilanti (SPD): Sie auch nicht, Frau Henzler!)