Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

Am Ende ist die Lösung doch ganz einfach. Sie lautet: solidarische Bürgerversicherung. Von allen den gleichen Anteil zu erheben ist technisch einfach umzusetzen. Es ist volkswirtschaftlich vernünftig, verfassungsgemäß und resistent gegen demographische Veränderungen. Es ließe sich ohne Zustimmung des Bundesrats umsetzen. Es würde den Arbeitsmarkt fördern und ist zukunftsfähig und gerecht. In einem Satz: Das ist der richtige Weg. – Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Dringlichen Entschließungsantrag.

(Beifall bei der SPD – Florian Rentsch (FDP): Die wird nicht kommen!)

Herr Dr.Spies,Sie hatten zugesagt,am Schluss Ihrer Rede noch eine Zwischenfrage des Herrn Rentsch zu beantworten. – Herr Rentsch, Sie haben das Wort.

Sie haben von einem T-Shirt gesprochen, auf dem „Ich“ stehen soll.Wo haben Sie das gesehen? Vielleicht könnten Sie mir das noch mitteilen. Denn mir ist nicht bekannt, dass es dieses T-Shirt gibt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das gibt es. Das habe ich bei uns in Marburg gesehen. Ich schicke Ihnen davon ein Foto.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Florian Rentsch (FDP): Das wäre sehr nett!)

Herr Dr. Spies, vielen Dank. – Ich darf Frau Staatsministerin Lautenschläger das Wort erteilen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ohne Herrn Kollegen Gotthardt zu nahe treten zu wollen, muss ich sagen, dass man eigentlich zuerst die Frage stellen müsste: Ist Marburg eine Insel?

(Zurufe: Nein!)

Nach dem, was Sie hier dargelegt haben, versuche ich noch einmal darzustellen, warum wir überhaupt über das Gesundheitssystem sprechen und woran das heute existierende Gesundheitssystem krankt. Dass das Gesundheitssystem krank ist, darüber sind sich sogar alle im Bundestag vertretenen Parteien einig. Sie haben hier gesagt, das Umlagesystem sei das einzige System, das dem demographischen Wandel standhalten könnte. Ich glaube, wir brauchen das hier nicht weiter zu diskutieren. Denn inzwischen hat wahrscheinlich jeder außer Ihnen festgestellt, dass das auf das Umlagesystem eben nicht zutrifft, sehr geehrter Herr Dr. Spies, denn dort stehen sich die Generationen nicht gleichberechtigt gegenüber.

Woran krankt unser Gesundheitssystem? Warum diskutieren wir überhaupt über einen Weg, wie man das Ge

sundheitssystem ändern kann? Man kann das relativ einfach damit begründen, dass unser Gesundheitssystem zunehmend an Leistungsfähigkeit verliert. Denn das umlagefinanzierte System basiert auf dem Arbeitseinkommen. Es ist deshalb gerade in heutiger Zeit wegen der hohen Arbeitslosigkeit sehr anfällig. Darüber hinaus hat es über die Lohnnebenkosten auch direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Sie haben heute immer von der Bürgerversicherung gesprochen. Man sollte sich zunächst einmal überlegen, wer heute Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Das sind immerhin fast neun von zehn Bundesbürgern – neun von zehn Bundesbürgern. Es handelt sich also um die große Mehrheit. Trotzdem funktioniert das System nicht.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Es funktioniert wunderbar!)

Dort besteht enormer Reformbedarf.Denn das System ist an den Faktor Arbeit gekoppelt. Dadurch ergibt sich eine starke Abhängigkeit von der Konjunktur.

Es besteht auch eine Abhängigkeit von den Löhnen. Das führt zu einer Belastung der Wettbewerbsfähigkeit.Damit ist das System auch ein Hemmnis für reguläre Beschäftigungen.

Natürlich muss man auch die demographische Entwicklung beachten. Sehr geehrter Herr Dr. Spies, man kann nicht außer Acht lassen – man kann es auch nicht wegdiskutieren –, dass es in dieser Gesellschaft immer weniger junge Menschen und immer mehr ältere Menschen geben wird.Es ist so:Die demographische Entwicklung spielt für unser Gesundheitssystem eine entscheidende Rolle. Der medizinisch-technische Fortschritt tut das aber natürlich auch.

Wenn wir über das Gesundheitssystem diskutieren, dann muss man sagen, dass es einer der ganz wichtigen Punkte ist, in diesem System zu verankern, dass der medizinischtechnische Fortschritt auch tatsächlich weiterhin für jeden zugänglich gehalten wird. Das heißt, es muss für alle eine angemessene medizinische Versorgung und Zugang zu Therapien und medizinischen Leistungen geben. Dabei müssen immer auch die neuesten medizinischen Möglichkeiten Berücksichtigung finden. Die neuen medizinischen Möglichkeiten müssen in unser Gesundheitssystem einfließen können.

Ich möchte Ihnen sehr deutlich sagen:Es gibt ein Problem im heutigen System. – Obwohl sehr viele Bürger Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, sind es nur wenige, die Beiträge zahlen. Gleichzeitig wird die medizinische Versorgung gedeckelt. Das gilt für Leistungen im Krankenhaus genauso wie für alle möglichen anderen Leistungen. Gerade aufgrund dieser verschiedenen finanziellen Einflüsse stellt das Gesundheitswesen keinen Wachstumsmarkt mehr dar. Es handelt sich also nicht mehr um einen Markt, bei dem Wettbewerb um die bestmögliche medizinische Leistung besteht. Außerdem besteht nicht mehr die Möglichkeit, dass der gesetzlich Versicherte überhaupt noch Zugang zu all den modernen Behandlungsmethoden hat.

Das ist das große Problem, das heute besteht. Wir haben bereits die Zwei-Klassen-Medizin. Das heutige System gewährleistet nicht mehr allen den entsprechenden Zugang immer und überall. Das werden mit Sicherheit auch Sie zur Kenntnis nehmen müssen.

(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU), Florian Rentsch und Roland von Hunnius (FDP))

Ich glaube, wir müssen uns sicherlich nicht darüber streiten, dass das System aufgrund der Vielzahl der Vorschriften extrem undurchschaubar geworden ist.

Wir müssen aber auch dazu kommen, dass die Budgetierung nicht zu einer echten Rationierung führt. Deswegen sehen wir Reformbedarf innerhalb des Systems. Denn wir wollen gerade,dass es nicht zu einer Rationierung kommt. Wir wollen, dass der medizinische Fortschritt in das System einfließen kann. Deshalb muss das System geändert werden.

Ich spreche jetzt die Vertreterinnen und Vertreter beider Parteien, der SPD und der GRÜNEN, an. Sie arbeiten beide mit dem Stichwort „Bürgerversicherung“. Wir könnten theoretisch auch sagen, dass wir mit über 90 % der Bevölkerung in den gesetzlichen Krankenkassen heute eigentlich eine Bürgerversicherung haben. Aber das, was Sie hier als Bürgerversicherung bezeichnen, ist natürlich nichts anderes als ein Etikettenschwindel. Das ist ein schönes Wort, das Ihrer Partei aber auch nicht weiterhelfen wird. In Wirklichkeit ist es aber Einkommensteuer II und nichts anderes. Nichts anderes ist es.

(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU), Florian Rentsch und Roland von Hunnius (FDP) – Florian Rentsch (FDP): Das ist eine Steuererhöhung!)

Wenn wir ein verändertes System haben wollen, in dem es noch medizinischen Fortschritt gibt, dann muss man sagen, dass die Gesundheitsprämie der richtige Einstieg dafür ist. Denn damit könnte man das jetzt bestehende System Stück für Stück so verändern, dass es, erstens, von Entwicklungen des Arbeitsmarkts abgekoppelt wird und, zweitens, der Gesundheitssektor endlich wieder ein Wachstumsmarkt werden könnte. Der Streit um den medizinischen Fortschritt wäre dann wieder einer des Wettbewerbs. Es gäbe also keinen Streit mehr wegen Rationierung, also um die Frage, ob ich als Versicherter bestimmte Leistungen überhaupt bekomme. Wir könnten dann in diesem System auch wieder Zuwächse bei den Arbeitsplätzen haben.

Die Prämie hat natürlich auch den großen Vorteil, dass man relativ schnell umstellen kann. Dies könnte stückchenweise mit sozialem Ausgleich geschehen.Gleichzeitig könnte der Wettbewerb ermöglicht werden.

Wir haben das hier schon mehrfach diskutiert: Die Übertragung der Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung stellt sicher ein Problem dar.Es gibt aber momentan ganz gute Ansätze und damit auch die Möglichkeit, das Problem zu lösen. Dass das System der privaten Krankenversicherung funktioniert, kann man allein schon daran erkennen, dass man, wenn man über die gesetzliche Krankenversicherung redet,mit Neid auf die privaten Krankenversicherungen schaut. Ich muss schon sehr deutlich sagen: Es wundert mich, dass Sie über die Zeitpläne sprechen, die die Fraktion der Union im Deutschen Bundestag hat. Wir befinden uns nach wie vor hier in Hessen. Hätten Sie ein umsetzbares Konzept, das den Bürgerinnen und Bürgern keine zusätzlichen Belastungen aufbürden würde – das wird mit dem Stichwort „Bürgerversicherung“ nur kaschiert –, dann hätten Sie die Möglichkeit, das auf Bundesebene umzusetzen.

(Beifall der Abg. Florian Rentsch und Roland von Hunnius (FDP))

Aber Sie haben im Gegensatz zu anderen Parteien noch nicht einmal ein fertiges Konzept. Das ist der eigentliche Punkt, über den wir uns hier weiter auseinander setzen müssen.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Im August gibt es fertige Zahlen! Sie kriegen sie als Erste!)

Frau Ministerin, Frau Schulz-Asche möchte eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie sie?

Ich schlage vor, dass ich ausnahmsweise keine Zwischenfragen zulasse, da die Geschäftsführer gebeten haben, dass wir uns beeilen, um noch einen Punkt aufrufen zu können.

Meine Damen und Herren, die Prämien bieten genau wie das System der FDP die Möglichkeit für mehr Wettbewerb. Sie bieten jedem die Möglichkeit des Zugangs zu medizinischen Leistungen innerhalb der Krankenversicherung. Die Prämie bietet die Möglichkeit, nach wie vor den solidarischen Ausgleich zwischen Gesund und Krank dauerhaft sicherzustellen.

Bei einigen Fragen, die heute auch schon angesprochen worden sind, muss natürlich nachgebessert werden, auch bei Ihrem Konzept, Herr Rentsch.Wie kann eine Umstellung gemacht werden, in welchem Zeithorizont usw.?

Aber ich glaube, wir können uns an diesem Punkt zumindest darauf verständigen, dass es der richtige Einstieg für eine Umstellung ist, die jeden beteiligt, die Wettbewerb um Arbeitsplätze wieder möglich macht, bei der wir nicht über Lohnnebenkosten und nicht darüber, wie man mehr in das System hineinbringt, sondern wieder über die medizinische Versorgung innerhalb eines Systems streiten.

Herr Dr. Spies, ich denke, Sie müssen in diesem Landtag nicht unbedingt philosophische Ausführungen machen. Legen Sie ein gangbares Konzept vor, beschließen Sie es als Bundesregierung. Wir werden dann im Bundesrat unsere Meinung dazu sagen. Bisher gibt es kein vernünftiges Konzept. Sie wollen die private Krankenversicherung kaputtmachen. Sie wollen die Versicherungspflichtgrenze anheben und damit natürlich die privaten Krankenversicherungen austrocknen.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Das stimmt doch nicht!)

Das hat nichts mit Wettbewerb zu tun. Das wird an keiner Stelle zu besserer medizinischer Versorgung führen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke sehr,Frau Ministerin.– Meine Damen und Herren, wir sind am Ende einer verbundenen Debatte von drei Tagesordnungspunkten. Es handelt sich bei allen um Entschließungsanträge, über die nach der Geschäftsordnung abzustimmen ist.

(Zurufe der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und Florian Rentsch (FDP))

Es wird die Ausschussüberweisung beantragt. Für die Anträge der SPD und den GRÜNEN auch? – Also eine gemeinsame Überweisung aller drei Punkte an den Sozialpolitischen Ausschuss. Einverstanden? – Konsens.

Verabredungsgemäß darf ich dann Tagesordnungspunkt 70 aufrufen:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zu dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland – Drucks. 16/2375 zu Drucks. 16/2051 –

Berichterstatterin ist Frau Kollegin Hartmann. Darf ich Sie um Ihren Bericht bitten, Frau Hartmann?

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Innenausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.

Der Gesetzentwurf war dem Innenausschuss in der 32. Plenarsitzung am 23. März 2004 nach der ersten Lesung zur Vorbereitung der zweiten Lesung überwiesen worden. Der Innenausschuss hat zu dem Gesetzentwurf eine schriftliche Anhörung durchgeführt. In seiner Sitzung am 9. Juni 2004 hat der Innenausschuss den Gesetzentwurf beraten und mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der SPD und der FDP die eben wiedergegebene Beschlussempfehlung gefasst. – Damit ist der Ausschussbericht gegeben.

Vielen Dank, Frau Hartmann. – Ich möchte gerne die Aussprache eröffnen. Es sind fünf Minuten Redezeit vorgesehen. Im Moment liegen keine Wortmeldungen vor. – Doch, jetzt geht es los. Herr Al-Wazir, ich darf Ihnen das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteilen.

Noch einmal: Die Redezeit beträgt fünf Minuten. Wenn sich die Redner etwas kürzer fassen könnten, wäre es nicht gegen das Wollen und Wünschen des Plenums. Dessen bin ich mir sicher.