Protokoll der Sitzung vom 16.06.2004

Kann man den nicht einmal abstellen? Es stört mich ein bisschen beim Reden.

Zwischenrufe sind im parlamentarischen Raum nicht unüblich.Ich glaube,das Maß der Zurufe bewegt sich zurzeit noch im Rahmen der politischen Kultur.

Es wäre nur ganz schön, wenn ich die Zwischenrufe ab und zu verstehen würde. Aber wenn ich unter Dauerbeschuss bin, dann kann ich sie nicht mehr verstehen. Deshalb habe ich um mehr Ruhe gebeten.

(Florian Rentsch (FDP): Dann sollten Sie nicht so schnell reden!)

Die finanziellen Belastungen, die seit Januar dieses Jahres viele Versicherte treffen, bringen weder eine strukturelle Reform, noch werden sie die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Kassen lösen. Die Bürgerversicherung ist eine sinnvolle Weiterentwicklung des grundsätzlich notwendigen Reformprozesses. Das Prinzip muss sein, dass sich in unserem Sozialstaat alle gemäß ihren Möglichkeiten beteiligen. Dieser Prozess kann nicht gelingen, wenn der Eindruck entsteht, dass nur diejenigen belastet werden,die wenig haben,und dass die sich der Solidarität entziehen können, denen es in dieser Gesellschaft gut geht.

Grundsätzliche Reformen brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion, an deren Ende die Entscheidung über die Frage stehen muss: Wie wollen wir als Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande zusammenleben?

Langfristig halten auch wir es für notwendig, die Rentenund Pflegeversicherung in den Gedanken der Bürgerversicherung mit einzubeziehen.

(Florian Rentsch (FDP): Oh Gott!)

In diesem Zusammenhang wird sicherlich auch die Frage der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze neu gestellt werden müssen. Deswegen werden wir uns bei der Abstimmung über den SPD-Antrag heute enthalten.

Die für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entscheidende gesellschaftliche Frage ist jedoch, dass sämtliche Bürgerinnen und Bürger in diese Versicherung einbezogen werden. Hierfür werden wir werben und argumentieren.

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein soziales Bindegewebe, das unser Land zukunftsfest macht. Unsere bisherigen Sozialsysteme haben dieses Bindegewebe aufgebaut.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Es ist die Aufgabe unserer Generation, dafür zu sorgen, dass dieses Bindegewebe auch in der Zukunft erhalten bleibt.

(Beifall bei den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Rentsch (FDP): Man kann hier schon von Bindegewebsschwäche sprechen!)

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass dies nur mit der Bürgerversicherung gelingen wird. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Frau Oppermann, Sie haben das Wort für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schulz-Asche, ich fange einmal bei Ihnen an: Ministerpräsident Koch distanziert sich nicht von der Gesundheitsprämie, und somit lässt er auch die Sozialministerin nicht im Stich. Damit Sie das gleich einmal vorweg wissen.

(Nicola Beer (FDP): „Gesundheitsprämie“ nennt man das?)

Genau, das nennt man „Gesundheitsprämie“.

Wenn Sie vom „sozialen Bindegewebe“ sprechen, dann hoffe ich, dass das einmal straff sein wird und nicht so schwammig wie die beiden Anträge von SPD und GRÜNEN, über die wir heute diskutieren.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Knochenhart, Frau Oppermann, knochenhart!)

Knochenhart? Danke schön. – Meine Damen und Herren, aller guten Dinge sind drei. Drei Anträge sind es, die uns heute vorliegen. Aber von „gut“ kann dabei wirklich keine Rede sein.

(Florian Rentsch (FDP): Sondern von „sehr gut“!)

Die Bürgerversicherung wurde vor einigen Wochen von der SPD zum Gewinnerthema auserkoren. Na ja, die Wählerinnen und Wähler haben das am vergangenen Sonntag irgendwie anders beurteilt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sollten Sie besser vorsichtig sein, Frau Kollegin! – Zuruf der Abg. Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die GRÜNEN hier in Hessen haben sich bisher noch nicht so eindeutig hinter die Bürgerversicherung gestellt, wie Sie das

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

lasst mich doch einmal ausreden –

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wenn Sie so viel Unsinn reden, hat das keinen Sinn!)

jetzt mit Ihrem Antrag getan haben. Meine Damen und Herren, auch wenn Sie sich jetzt auf diesen Weg begeben, so macht dies ein falsches Konzept einfach nicht richtiger. Aber im Unterschied zur SPD haben Sie in Ihrem Antrag ein klares Votum für die Beibehaltung der Beitragsbemessungsgrenze für Einkommen aus abhängiger Beschäftigung abgegeben. Bei den anderen Einkommensarten wollen Sie die höhere Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung einführen. Ich finde die Tatsache bezeichnend, dass Sie – also SPD und GRÜNE – keinen gemeinsamen Antrag gestellt haben.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind auch zwei unterschiedliche Parteien, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte!)

Da frage ich mich natürlich, ob auch das Auswirkungen des vergangenen Sonntags sind.

(Lachen des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, für mich ist auch das Zurückrudern der hessischen SPD beim Thema Beitragsbemessungsgrenze interessant. Herr Spies, Sie waren doch der Verfechter vor dem Herrn für die Abschaffung –

(Dr.Thomas Spies (SPD):Aber ja!)

bis Ihre eigenen Leute aus Berlin Sie zurückgepfiffen haben.

(Dr.Thomas Spies (SPD):Ach, Frau Oppermann!)

Das war doch die Tatsache.

Herr Spies, in Punkt 4 Ihres Antrags schreiben Sie von einem deutlichen Beitragsrückgang. Prof. Lauterbach, dem man nun wahrlich nicht vorwerfen kann, er verstünde von dieser Materie nichts,sagt,die Beiträge könnten durch die Bürgerversicherung auf ca. 12,5 % kommen. Nun sind 12,5 % weniger als 14,4 % – das ist richtig. Aber von einem „deutlichen Rückgang“ zu sprechen, halte ich denn doch für arg übertrieben.

Auf die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze will ich später noch eingehen. Im Übrigen stimme ich Prof. Rürup voll zu, der in einem Interview im „Tagesspiegel“ sagte, die Bürgerversicherung täuscht Solidarität nur vor.

Nun zu Ihnen, Herr Rentsch,

(Florian Rentsch (FDP):Vielen Dank, ja!)

zu Ihrem FDP-Antrag. Dort schreiben Sie: Wir brauchen „starke Elemente von Wettbewerb, Wahlfreiheit und Eigenverantwortung, um das Gesundheitswesen zukunftsfest zu machen.“

(Florian Rentsch (FDP): So ist es!)

Hier stimme ich Ihnen voll zu.

(Florian Rentsch (FDP):Wunderbar!)

Wenn Sie aber von der Umlagefinanzierung zu einer kapitalgedeckten Finanzierung kommen wollen, bleiben in Ihrem Antrag viele Fragen offen. Zwei Kernfragen haben mich bei Ihrem Antrag sehr beschäftigt.

Das eine: Wie definieren Sie Regelleistungen? – Das ist nicht nur die spannende Frage, was in diesen Leistungskatalog hineinkommt, sondern auch die nicht minder spannende Frage:Wer definiert diesen Leistungskatalog?

Die zweite Frage, die sich stellt, ist: Wo kommen die Altersrückstellungen für die ehemals GKV-Versicherten her, wenn Sie von der Umlage- auf die kapitalgedeckte Finanzierung gehen?

(Florian Rentsch (FDP): Das ist einfach: durch staatliche Transfers!)