Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

(Petra Fuhrmann (SPD): Schon gar nicht, wenn wir ein Mikro haben!)

Landesmittel für aktive Arbeitsförderung. In NordrheinWestfalen mit 17,8 Millionen Einwohnern werden für aktive Arbeitsmarktpolitik 495 Millionen c eingesetzt. In Hessen sind es bei 6 Millionen Einwohnern 15,76 Millionen c, laut den entsprechenden Tabellen der Landesarbeitsämter. Das entspricht in etwa 3,2 % des Anteils, der in NRW ausgegeben wird, bei einem Bevölkerungsanteil von 1 : 3.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Frau Lautenschläger, selbst wenn ich Ihre Zahlen zugrunde lege,komme ich auf ungefähr 7,5 bis 7,6 % dessen,

was in Hessen gegenüber NRW für aktive Arbeitsmarktförderung ausgegeben wird. Von daher kann ich nicht wirklich sehen, dass Sie hier alles unternehmen, was Sie unternehmen könnten.

Ich komme drittens zu der Ebene der Gespräche.Wir begrüßen es, wenn Herr Koch Gespräche führt. Es ist nur auffällig – ich habe die Presseerklärung von Herrn Koch über den runden Tisch im November letzten Jahres dabei –, dass sich Herr Koch bei diesen Fragen immer nur dann bewegt, wenn das Thema öffentlich gespielt wird und es entsprechende Vorschläge anderer Seiten gibt.

(Volker Hoff (CDU):Aber er führt wenigstens Gespräche! Herr Schröder bleibt allein am Tisch sitzen!)

Wenn Sie wenigstens auf dem Aufklärungsniveau einer Tageszeitung stünden, hätten Sie festgestellt, dass letzte Woche eine Ausbildungskampagne und Ausbildungsgespräche auf Bundesebene stattgefunden haben und Ihre Ministerin vor einigen Tagen erklärt hat, dass sie diese Gespräche abwartet. Vieles von dem, was dort besprochen wurde, findet sich als Abklatsch in dem wieder, was hier eben diskutiert wird.

(Ministerpräsident Roland Koch: Ist das ein Lob oder Kritik?)

Insofern ist es nichts mit neuen Impulsen, nichts mit eigenen Programmen. Sie bauen auf dem auf, was unter RotGrün in Hessen aufgebaut wurde.

(Lachen bei der CDU und der FDP)

Insofern betreiben Sie hier ausschließlich Ankündigungspolitik. Ich bleibe dabei. Auch die Lautstärke Ihrer Zurufe wird die Wahrheit nicht ersetzen.An Ihrer Ankündigungspolitik wird sich nichts ändern. Frau Lautenschläger ernennen wir deshalb hier und heute offiziell zur hessischen Kampagnenministerin,

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

weil außer Kampagnen zu den Themen Altenhilfe, Integration, Familie, Tagesmüttern und jetzt auch zu dem Thema Ausbildung hier nichts kommt.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Nun kommen wir zu dem peinlichsten Aspekt dessen, was Herr Brückmann gesagt hat. Ich brauche Ihnen nichts über beschäftigungswirksames Wachstum und die Quoten zu erzählen. Sie alle wissen, dass das bundesdeutsche Wachstum – wie das in vielen anderen europäischen Ländern – die beschäftigungswirksame Grenze nicht erreicht.

(Zurufe von der CDU)

Herr Brückmann, jetzt müssen Sie mir zuhören. Ich habe es auch ertragen, dass Sie hier vorne standen.

Wenn Sie jetzt davon sprechen, dass ein Sofortprogramm eingesetzt werden soll, um die Lohnnebenkosten zu senken, wollen wir Ihnen einmal die Dimensionen klarmachen.

(Volker Hoff (CDU): Und die Erde ist eine Scheibe!)

Zu dem Punkt komme ich gleich. Sie werden sich noch wundern.

(Heiterkeit)

Insgesamt hatten wir im Jahre 2002 in diesem Lande ein Volumen von 400 Milliarden c an Lohnnebenkosten.

Wenn ich jetzt anfangen würde, den Anteil dieses Programms pro Jahr, nämlich 250 Millionen c, für die Senkung der Lohnnebenkosten zu verwenden, dann würde das in etwa 0,1 % der Gesamtsumme der Lohnnebenkosten ausmachen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das irgendeinen beschäftigungswirksamen Effekt hat. Deswegen organisieren Sie nichts anderes als Mitnahmeeffekte. Es wird den Jugendlichen in diesem Land – wie in vielen anderen Ländern auch – nichts nutzen. Deshalb schließe ich mit Galileo Galilei – damit bin ich wieder bei dem Thema „Scheibe“ –: Und sie bewegt sich doch. – Herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat der Abg. Denzin für die FDPFraktion das Wort.

Meine verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Schäfer-Gimpel – –

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD)

Entschuldigen Sie. Wenn ich falsch liege, dann korrigieren Sie mich bitte.

(Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Okay, das werde ich nicht mehr vergessen und verwechseln.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU)

„Und sie bewegt sich doch.“ – Bei Galileo Galilei hat das gestimmt. Diese Erkenntnis war sehr richtig, wie wir alle wissen. Sie war außerdem überfällig, wie wir alle wissen. Aber genauso überfällig wäre für Sie die Erkenntnis, dass es gerade in dem Zusammenhang, auf den Sie die galileische Erkenntnis projiziert haben, nicht stimmt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Nicht alles, was an wirtschaftlicher Entwicklung nicht stattfindet, kann der Staat ersetzen. Der Staat könnte in seiner originären Zuständigkeit etwas tun, indem er mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Darüber können und müssen wir auf allen öffentlichen Ebenen nachdenken. Der Staat kann außerdem in benachbarten Bereichen Einfluss nehmen. Darüber hinaus kann er aber nur noch Anreize geben.Anreize gibt er über Programme, die sich irgendwelche Menschen überlegen und die dann über die Bürokratie umgesetzt werden. Dabei kommt es schon zu Effizienzverlusten von bis zu 50 %,ehe die Programme an der Front sind und in Anspruch genommen werden können.

Schauen Sie sich einmal beim Programm Jump an, wohin das geführt hat. Da wurde das ökonomische Prinzip auf den Kopf gestellt. Mit einem wahnsinnigen Aufwand wurde dort nämlich ein möglichst geringes Ergebnis erzielt. Das ist deshalb passiert, weil das Verfahren eben so läuft, wie es läuft.

Das Ausbildungsplatzangebot ist konjunkturabhängig. Es hat auch eine demographische Komponente. Wir haben jetzt noch einmal eine große Menge Jugendlicher, die in

die Ausbildung strömen. Wir wissen, dass wir ab dem Jahre 2008 wahrscheinlich einen Mangel an Auszubildenden haben werden.

Es gibt aber auch eine Eigenverantwortung.Die Frau Präsidentin hat vorhin als Debattenrednerin darauf hingewiesen. Es gibt natürlich keine Garantie, dass jeder seinen Lieblingsberuf erlernen kann. Man kann aber vielleicht in benachbarte Berufsbilder ausweichen.

Gerade als FDP-Mann betone ich, dass es eine Verantwortung der Wirtschaft gibt, und zwar unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen gibt es sie unter einem eigennützigen Gesichtspunkt. Jeder, der heute überlegt, ob er ausbilden soll, muss wissen, dass er in fünf Jahren kaum noch Chancen haben wird, ausgebildeten Nachwuchs zu bekommen, wenn er jetzt nicht ausbildet. Das ist ein ganz egoistischer Gesichtspunkt.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Punkt betrifft gerade die kleinen und mittleren Betriebe. Als Liberaler betone ich, dass es auch eine soziale Verantwortung der Unternehmen gibt. Ich erinnere die Unternehmen an diese soziale Verantwortung und bin froh,wenn der Herr Ministerpräsident entsprechende Gespräche führt und sie ebenfalls daran erinnert. Das ist zwar nicht mehr als ein Appell, aber es ist auf jeden Fall der richtigere Weg, als über Programme, zusätzliche Vorgaben, zusätzliche Regulierungen oder gar zusätzliche Abgaben das Problem angehen zu wollen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Nein. Wissen Sie, wohin zusätzliche Abgaben führen? Das ist wie zu Zeiten Martin Luthers: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“ Genau das ist es: das Freikaufen von Verantwortung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir müssen einen Diskurs in der Gesellschaft führen.Wir müssen das in der Gesellschaft aufarbeiten und dürfen nicht über Mittel fördern, die der Staat einzieht und dann umleitet – allenfalls mit einem Effekt von 50 %.

Bezüglich der Ausbildungsanforderungen muss der Staat beim Setzen von Rahmenbedingungen anders agieren oder sein Handeln verfeinern. Das gilt vor allem mit Blick auf die Tarifpartner. Warum haben wir denn nicht schon viel mehr modulare Ausbildungssysteme? Wir waren uns im Wirtschaftsausschuss über alle Parteiengrenzen hinweg einig: Wir haben zum Teil sehr praktisch begabte Menschen, die aber eine komplette Ausbildung zum Gesellen nicht schaffen. Wenn wir die modulare Ausbildung weiter ausfeilen würden, gäbe es für Benachteiligte nicht nur bessere Zugangsmöglichkeiten, sondern die Ausbildung könnte insgesamt wesentlich flexibler gestaltet und aufgebaut werden. Das ist ein Beispiel.

Wir haben richtigerweise Ausbildungsverbünde. Ich glaube aber, auch hier könnte man bei einer besseren Logistik noch wesentlich mehr erreichen. Wir müssen die Wirtschaft auffordern, insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe, sich mehr Gedanken über die Möglichkeiten einer gemeinsamen Ausbildung durch mehrere Betriebe zu machen. Das sind Aufgaben, wo der Staat durchaus noch weiter gehen kann, als er bisher gegangen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Da wird es auch nicht an Geld fehlen. Der Vergleich der Höhe der Mittel, die Nordrhein-Westfalen und Hessen

einsetzen, sagt da überhaupt nichts aus. Wenn man nämlich 300 Millionen c unnütz in den Wind bläst,dann bringt das im Endeffekt gar nichts. Dann ist es besser, 15 oder 20 Millionen c richtig und effizient einsetzen. Das ist doch unser Thema.