Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Wir stehen für den Abbau bürokratischer Rahmenbedingungen. Das ist der Unterschied zu Ihnen. Wenn es um Bürokratie und den Abbau bürokratischer Rahmenbedingungen geht, knicken Sie schon bei dem ersten Gegenwind – siehe das Beispiel Handwerksbrief – ein. Das ist die Realität in diesem Land.

(Beifall bei der SPD – Volker Hoff (CDU): Bei den Arbeitslosenzahlen haben Sie eine Wachstumschance!)

Herr Kollege Frankenberger, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

(Volker Hoff (CDU): Ja, bitte!)

Ich komme zum Schluss. – Das ist eben der Unterschied zu Hessen. In Hessen wird uns für das Jahr 2015 das Paradies versprochen.Wie wir dorthin kommen, bleibt unkonkret.Dagegen sagen wir in Berlin,was wir machen wollen, und stellen uns der Diskussion und der Herausforderung. Welche Verantwortung Sie aber den Menschen im Lande Hessen übertragen wollen,bleibt im Nebulösen.So ist das. Berlin handelt, aber in Hessen wird die Verwandlung in ein Paradies auf das Jahr 2015 verschoben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Volker Hoff (CDU): So sprach der Kollege Frankensteiner!)

Vielen Dank. – Herr Kollege Hoff, Sie haben vorhin einen Zwischenruf gemacht, den wir im Präsidium nicht ganz verstanden haben. Wenn wir ihn verstanden hätten – so, wie wir ihn teilweise verstanden haben –, hätten wir ihn gerügt.

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schönhut-Keil von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was wir heute Morgen sowohl bei der CDU als auch bei der FDP erleben dürfen. Nachdem wir gestern die Agenda 2010 quasi vor leeren Bänken diskutiert haben – bei einer fast völligen Abwesenheit der FDP –, kann ich nur sagen: Jetzt stehen Sie hier. Sie waren gestern nicht drin, und heute heulen Sie hier wie die Hütehunde. Das ist der Lage in keiner Weise angemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Hoff (CDU): Bei Ihnen sind die Bänke leer!)

Der Kollege Dr. Jung will heute Morgen quasi noch einen draufsetzen. Ich habe den Eindruck, Sie haben ein schweres ideologisches Brett vor dem Kopf. Das Schlimmste ist, dass Sie sich damit gleichzeitig selbst hauen. All das darf doch nicht wahr sein.

(Zuruf der Abg. Birgit Zeimetz-Lorz (CDU))

Man muss sich das einmal angucken. Sie haben sich immer noch nicht entschieden, welchen Weg Sie in dieser Frage überhaupt gehen wollen. Einerseits wollen Sie den Abbau von Steuervergünstigungen vorantreiben, andererseits blockieren Sie gleichzeitig das Steuervergünstigungsabbaugesetz im Bundesrat und verkaufen im Wahlkampf das Ganze als Steuererhöhung. Ergebnis: Nicht mehr Geld für die Länder und die Kommunen ist gleich Stillstand.

Zum anderen wollen Sie die Bürokratie abbauen. Wenn es aber konkret wird, ist wieder alles falsch, was vorgelegt worden ist, wie z. B. die Eigenheimförderung oder auch die Reform der Handwerksordnung. Wenn Sie bei jedem Vorschlag, der auf den Tisch kommt, gleich den Untergang des Abendlandes beschwören, müssen Sie sich selbst die Frage nach Handeln oder Reden stellen.

Sie führen den internationalen Wettbewerb im Munde und sind gleichzeitig gegen die Internetapotheke. Der Kollege Gerald Weiß setzte letztens sogar noch einen drauf und warf uns vor, wir wollten die Apotheker abschaffen. Meine Damen und Herren, diese Art von Katastrophismus bringt uns in diesem Land doch keinen Schritt weiter.

Die CDU hat in den letzten Monaten ein Sammelsurium von Hü und Hott vorgelegt, aber eines bestimmt nicht: eine klare Linie.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Birgit Zeimetz-Lorz (CDU): Aber ihr!)

Wir wissen ja auch, warum Sie sich nicht entscheiden wollen: weil Sie genau wie die andere große Volkspartei auch Probleme haben, sich mit ihrer eigenen Wahlklientel und ihren Lobbyverbänden anzulegen. Insofern zeigt der Fin

ger, mit dem Sie dahin deuten, ganz genau wieder auf Sie zurück, Frau Kollegin.

Erst waren Sie sich doch zu fein, überhaupt Vorschläge zu machen. Sie verwiesen großmütig darauf, dass ja schließlich andere in diesem Land regierten, weil Sie sich eben die Finger nicht schmutzig machen wollten. Dann wollen Sie auch noch großmütig der Anwalt der kleinen Leute sein. Meine Damen und Herren, das ist ein sehr vordergründiger politischer Akt, den wir Ihnen an dieser Stelle bestimmt nicht durchgehen lassen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn man alles zusammen nimmt, haben gerade Sie von der CDU – die FDP schon ganz und gar nicht – überhaupt keinen Grund, Rot-Grün in Berlin Untätigkeit vorzuwerfen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Also, liebe Frau Kollegin!)

Sie mussten doch erst von Herrn Stoiber, von der schwesterlichen CSU, mit seinem Akutprogramm für den Sanierungsfall Deutschland dazu getrieben werden, überhaupt einmal Position zu beziehen. Wie mühevoll dieser Weg war, konnte man ja im Fernsehen sehen, als Ihr Ministerpräsident am Sonntag müde durch die Flure schlich.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Noch viel besser: Das, was dann herauskam, ist doch nicht das Gegenprogramm zur Agenda 2010. Was erzählen Sie uns denn? Es ist bestenfalls ein Kanzlerplusprogramm, worauf Sie sich jetzt geeinigt haben. Das will ich an dieser Stelle auch einmal festhalten. Deswegen sind das Geschrei und die Gegensätze, die Sie hier aufbauen, völliger Quatsch.

(Zuruf des Abg. Boris Rhein (CDU))

In Wahrheit ist es doch eher so, dass sich eine Reihe von Berührungspunkten und Übereinstimmungen abzeichnet. Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe: ja. Leistungen werden zukünftig nur noch in der Höhe der alten Sozialhilfe gewährt. Die Betroffenen bekommen höhere Zuverdienstmöglichkeiten. Arbeitsunwillige müssen mit Leistungskürzungen rechnen. – Da sind Sie radikaler als die Bundesregierung mit einer Kürzung um 30 %.

Einig sind sich Regierung und Union darüber, das Arbeitslosengeld auf zwölf Monate zu begrenzen und nur in bestimmten Fällen auf 18 Monate zu verlängern. Ob man die Zahlungen an Beitragsjahren oder am Lebensalter festmacht, scheint jetzt kein unüberwindbares ideologisches Hindernis mehr zu sein.

Hinsichtlich der Behandlung von Existenzgründern besteht ebenfalls Übereinstimmung. Alle wollen Einstellungshemmnisse abbauen. Einigkeit besteht bei der Sozialauswahl, den Beschäftigten das Recht zu geben, zugunsten einer gesetzlichen Abfindung auf eine Klage vor den Arbeitsgerichten zu verzichten. Die Union will dieses Wahlrecht bei Vertragsabschluss, die Regierung will es allen nach einer betriebsbedingten Kündigung zubilligen.

Meine Damen und Herren, logisch ist: Weniger Einigkeit besteht in Fragen des Kündigungsschutzes. Da sind Sie natürlich radikaler und gegen die Arbeitnehmer eingestellt,aber da erwarten wir auch nichts anderes von Ihnen.

Also, meine Damen und Herren, nachdem Sie von der Union in den letzten Monaten einen vielstimmigen Chor des Durcheinanders abgegeben haben

(Zurufe von der CDU)

und endlich seit dem Wochenende ein wenig sprachfähiger sind, stellen Sie sich hierhin und blasen die Backen auf.

Die „FAZ“ spricht zu Recht davon, dass Sie öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken. Auch Ihre vordergründigen Klamaukdebatten werden uns allen und erst recht den Menschen in Hessen nicht helfen, aus den Problemen, die wir haben, wieder herauszukommen.

Herr Kollege Dr. Jung, was Sie hier machen, ist nichts anderes als ein unglaublicher Vorgang.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Wortmeldung, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Kollege Hahn.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin noch am Überlegen, wie ich am besten mit dem Abschlusssatz der Kollegin Evelin Schönhut-Keil zurechtkomme, wenn sie von Klamaukveranstaltungen spricht.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dann streng dich doch mal an!)

Ich will es vielleicht einmal versuchen, objektiv zu machen. Die „FAZ“ schreibt am heutigen Tage, sie macht damit auf: „Knapp 4,5 Millionen Arbeitslose“, Unterüberschrift: „Müntefering: Mitgliederbegehren absolute Sauerei“. – Herr Präsident, ich zitiere, ich bitte, nicht gerügt zu werden.

Es geht dann weiter in dem Artikel, sinngemäß: Müntefering bezeichnete unter lautem Beifall das Verhalten der Unterzeichner als „absolute Sauerei“.Weiter schreibt die „FAZ“: „In der Sitzung am Dienstagnachmittag trat dann auch eine Fülle von Abgeordneten gegen die Minderheit an. Deren eigene Reden wurden mit lauten Buhrufen bedacht.“

Frau Kollegin Schönhut-Keil, ich glaube, hier ist kein Klamauk im Hessischen Landtag von der CDU-Fraktion – oder auch mitgetragen von der FDP-Fraktion – verursacht worden. Es ist ein Riesenklamauk in den Regierungsreihen in Berlin, und das ist verheerend für unser Land.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dann kommt erschwerend dazu, dass wesentliche Mitspieler dieses Klamauks in Berlin Hessen sind. Wer ist denn einer derjenigen, die als Allererste das Mitgliederbegehren initiiert haben? – Das ist der ehemalige Gießener Landrat und Hessen-Süd-Genosse Rüdiger Veit.Welche Genossen waren denn von Anfang an dabei gewesen, auf den Mitgliederversammlungen Unterschriften zu sammeln? – Es war Hessen-Süd.

Wer ist denn derjenige oder diejenige, der bzw. die meint, diesen Klamauk gegen die Agenda 2010 – das ist ja wirk

lich nur ein Minimalschrittchen, aber, Gott sei Dank, in die richtige Richtung – zu organisieren? – Es ist die Landesvorsitzende der hessischen Sozialdemokraten, Frau Ypsilanti.

Frau Kollegin Schönhut-Keil, der Klamauk zum Schaden unseres Landes geschieht zurzeit bei Ihnen und bei Ihren Regierungspartnern in Berlin und nicht bei der CDU und schon gar nicht bei der FDP.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Was wollen Sie denn eigentlich? Ich habe gestern bereits in der umfassenden Debatte darauf hingewiesen, am 14. März – das ist jetzt immerhin knapp zwei Monate her – hat der Kanzler gesagt: Jetzt ist Schluss mit Reden, jetzt muss etwas getan werden. – Zwei Monate später reden die Sozialdemokraten und die GRÜNEN im Hessischen Landtag darüber, dass das falsch ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo ist denn hier überhaupt der politische Wille der Sozialdemokraten und der GRÜNEN, unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, aus der wirtschaftlichen Talsohle herauszuführen? Sie quatschen, Sie diskutieren, Sie brüllen sich offensichtlich gegenseitig in Fraktionssitzungen der SPDBundestagsfraktion an, Sie handeln aber nicht für unser Land. Das ist verheerend für unser Land.