Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo ist denn hier überhaupt der politische Wille der Sozialdemokraten und der GRÜNEN, unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, aus der wirtschaftlichen Talsohle herauszuführen? Sie quatschen, Sie diskutieren, Sie brüllen sich offensichtlich gegenseitig in Fraktionssitzungen der SPDBundestagsfraktion an, Sie handeln aber nicht für unser Land. Das ist verheerend für unser Land.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Was wollen Sie denn eigentlich? Ich frage es noch einmal: Wo sind denn die konkreten Vorschläge von Ihnen? – Ich kenne keinen einzigen Gesetzentwurf, der eine Drucksachennummer des Bundestages und des Bundesrates trägt.

Sie haben wiederum zwei Monate, entgegen der Vorstellung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesvorsitzenden der SPD, verstreichen lassen. Herr Walter, was ist denn konkret los bei den Sozialdemokraten? Was wollt ihr denn? Schwätzen, schwätzen, schwätzen? – Das haben wir jetzt fünf Jahre lang ohne Erfolg gemacht,oder mit dem negativen Erfolg,dass wir jetzt wirtschaftlich die rote Laterne der EU übernehmen mussten. So kann es nicht weiter gehen.

Ein letzter Satz zum Thema Blockade: Das ärgert mich nun wirklich. Das ist eine Geschichtsklitterung par excellence. Ich wiederhole es jetzt in jeder Debatte.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das glaubt Ihnen keiner!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier Menschen sitzen, die Mitglieder des Kabinetts von Herrn Eichel und von Herrn von Plottnitz waren. Die haben in den Jahren 1997 und 1998 das Land Hessen in die Blockade gegen die damals amtierende Bundesregierung gebracht.

(Boris Rhein (CDU): So ist es!)

Das geschah alles unter der Führung des SPD-Vorsitzenden und damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine. Es war z. B. Lothar Klemm Kabinettsmitglied,es war Hartmut Holzapfel Kabinettsmitglied.Ihr habt doch hier die Blockade gegen vernünftige Beschlüsse organisiert. Es ist doch schlicht verlogen, jetzt so zu tun, als ob dies im Bundesrat geschehen würde.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Frankenberger, deshalb könnte man hier auf die Idee kommen, dass am Montagmorgen hier noch kurz

eine Idee gesucht worden ist. Wir haben gestern die Debatte schon einmal ausführlich geführt. Die Art und Weise, wie Sozialdemokraten und die GRÜNEN mit dem zurzeit wichtigsten Thema, das zu diskutieren und zu bearbeiten ist,umgehen,macht deutlich,dass Sie endlich aus Ihrem Tiefschlaf und Ihrer Diskutierwütigkeit aufwachen und für unser Land etwas tun sollten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Evelin Schön- hut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben wir gestern bei Ihnen gesehen!)

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Das Wort hat der Wirtschaftsminister, Herr Staatsminister Dr.Alois Rhiel.

Herr Präsident, sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass dieses Thema, wie kaum ein anderes, das Thema ist, das nicht nur in der Aktuellen Stunde, sondern in diesen Monaten auch hier in den Landtag gehört.Wenn eine neue Hessische Landesregierung ihre Arbeit aufnimmt, sich Ziele setzt, dann ist sie sich der Tatsache bewusst, dass sie vieles aus eigener Kraft, aus eigener Zuständigkeit bewirken kann. Wir sind fest entschlossen, diese Ziele zu verfolgen.

Dennoch gehört es aber auch zu der Grunderkenntnis, dass wir natürlich in den nationalen wie auch in den internationalen Handlungsrahmen eingebunden sind. Wenn wir uns diese Felder anschauen, wird deutlich, dass der erste, der größte, der wichtigste, der sofortige Handlungsbedarf – wie es Herr Dr. Jung gesagt hat – hier und heute bei der Bundesregierung in Berlin liegt. Hier vermissen wir Taten und Handeln, und zwar sofort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik, insbesondere die nationale Wirtschaftspolitik, leidet zunehmend darunter, dass sie kurzatmig, aktionistisch angelegt ist und dass sie selbst das, was sie kurzatmig und aktionistisch propagiert, nicht einmal umsetzen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es ist auch nicht zu erkennen, dass diese Politik einem langfristigen Ziel folgt, das zu vermitteln notwendig ist. Denn die Menschen in unserem Land sind bereit, den einzelnen Schritten zu folgen, wenn sie erkennen können, dass es sich lohnt, sich für das langfristige Ziel einzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses langfristige Ziel ist nichts anderes als vor 55 Jahren, als 1948 Ludwig Erhard mit der Einführung der D-Mark begonnen hat, die neue Ordnung der Bundesrepublik zu verankern. Dieses Ziel lautete damals: Wohlstand für alle Bevölkerungsschichten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns heute die Situation anschauen, dann stellen wir fest, es ist gerade in den letzten Jahren durch die Politik an keinem Punkt so sehr gesündigt worden, und deswegen ist dieser Wohlstand gerade für die Mittelschicht und für die Schichten kleinerer Einkommen nicht mehr vorhanden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist die Wirtschaftspolitik, die wir derzeit erleben, insbesondere ein Schlag gegen die Bezieher kleiner Einkommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Denn in einer freiheitlichen Gesellschaft ist nichts sozialer als die Möglichkeit, dass jeder Einzelne, auf einer guten Ausbildung fußend, selbst in der Lage ist, sein Einkommen zu erzielen. Arbeitslosigkeit ist der größte Schlag gegen das Selbstbewusstsein, gegen die Kraft der Menschen, ein sinnvolles Leben zu führen. Denn Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit ist auch ein großes Stück Sinnerfüllung des menschlichen Lebens in einer Gemeinschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stimmt!)

Wenn wir zurückschauen, dann ist es völlig klar, dass wir nicht nur immer die parteipolitischen Schubladen ziehen wollen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Stimmt!)

Denn hier hat sich eine Entwicklung angebahnt und vollzogen, die über mehrere Politikergenerationen zurückreicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat einen wichtigen Grund. In Zeiten, als wir wirtschaftliche Prosperität hatten, war es möglich und sinnvoll, beispielsweise bei den Verteilungszielen mehr zu tun – auch der Umverteilung, ganz in dem eben dargelegten Sinne des Wohlstands für alle.

Was aber versäumt wurde, ist, dass wir es in den Jahren des zunehmenden internationalen Wettbewerbs nicht geschafft haben,

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

auf unsere individuelle Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu schauen und an genau dem Punkt immer wieder draufzusatteln, der uns die internationale Wettbewerbsfähigkeit inzwischen immer schwerer macht – das ist insbesondere der Faktor Arbeit.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier wird deutlich – und das müssen wir uns alle auf die Fahnen schreiben, aber heute müssen wir daraus die richtigen Konsequenzen ziehen –, dass die wesentlich miteinander konkurrierenden Ziele in der Ökonomie, nämlich die Verteilungsziele einerseits und das Wachstumsziel andererseits, leider nicht im Gleichgewicht geblieben sind. Vielmehr hat es auch gerade für die Politik – weil es leichter zu vermitteln ist und weil es leichter war, die Ziele zu beschreiben und die Zielerfüllung zu verfolgen – immer mehr Verteilungsziele gegeben, die umgesetzt wurden, statt Wachstumsziele.

In der Tat hat es das Wachstumsziel schwer, vermittelt zu werden. Denn ein Beschluss heute sorgt nicht für Wachstum morgen. In einer Nationalökonomie sind Wachstumsverläufe Pfade, die man nicht unmittelbar verfolgen kann.

Deswegen ist es für uns in der Politik eine Grundfrage, ob wir uns zu dieser Ordnung, zu dieser sozialen Marktwirtschaft bekennen, von der wir erwarten können, dass

Wachstum auch in der Zukunft eintritt, wenn heute die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu aber braucht es Vertrauen in diese Ordnung – nicht nur verbale Zustimmung zu dieser Ordnung, sondern auch Mut, heute und hier die richtigen Schritte zu unternehmen.

Herr Staatsminister, die Redezeit der Fraktionen ist jetzt zu Ende; ich möchte darauf nur freundschaftlich hinweisen.

Herr Präsident, ich würde gerne etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Befund der ökonomischen Lage war gestern und ist heute klar. Ich denke, wenn man in die Geschichte schaut, darf unter der Verantwortung einer jeden Regierung schon einmal dargestellt werden, dass es unter der Regierung Helmut Kohl – also der Koalition von CDU/CSU und FDP – erste wichtige Weichenstellungen gegeben hat.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Erstens. Herr Dr. Jung hat darauf hingewiesen: Die Steuerreform – Stichwort: Petersberger Beschlüsse –

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist nicht zur Lage!)

ist von der damaligen Bundesratsmehrheit, also von Ihnen, boykottiert und damit verhindert worden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Gott sei Dank! – Zuruf des Abg. Marco Pighetti (SPD))

Zweitens.Was die damalige Bundesregierung tun konnte, hat sie mit zwei wesentlichen Punkten getan, zum einen die Einführung eines demographischen Faktors in die Rentenversicherung. Er war relativ bescheiden im Vergleich zu dem, was Sie jetzt vorschlagen müssen. Aber er hätte rechtzeitig Wirkung gezeitigt, und wir wären nicht in die heutige Situation gekommen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)