Protokoll der Sitzung vom 24.11.2004

In diesem Zusammenhang sage ich jetzt zwei Sätze zu Erbach. Denn so unterschiedlich ist das nicht. Es geht nicht um 200 Millionen c wie am Ende in Kassel, sondern es geht um 13 Millionen c. Das ist richtig.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Komma?)

Es geht auch nicht um eine ganze nordhessische Region, sondern es geht um einen engeren Raum des Landkreises Odenwald, aber es geht um die gleiche Frage. Denn wenn man ein bisschen genauer hinschaut und sieht, was in den letzten Jahren dort passiert ist und welche Entwicklungsperspektive diese Region hat, so muss man fragen: Was sollen wir eigentlich machen? Sollen wir dort große Industrieunternehmen ansiedeln, wo wir doch gemeinschaftlich nicht einmal in der Lage sind, einigermaßen angemessene Straßenverbindungen zu schaffen? Wir werden dort Autobahnverbindungen zu bestimmten Stellen nie haben können. Das heißt: Dort wird es für bestimmte Unternehmungen nicht besonders attraktiv sein. Kleinräumiges mittelständisches Gewerbe, ja. Aber wovon sollen die Leute leben, die dieses kleinräumige mittelständische Gewerbe ernähren soll?

(Zurufe von der SPD)

Eine der wirklich wichtigen Antworten – das weiß der Landrat dort, das wissen andere – ist der Tourismus. Dieser Tourismus ist aber in Schwierigkeiten. Zwischen 1994 und 2003 war im Odenwaldkreis bei den Einkünften ein Minus von 10,4 % zu verzeichnen. Die Entwicklung der Übernachtungen im Odenwaldkreis zwischen 1994 und 2003: minus 39 %. Die Entwicklung des Bettenangebotes, also damit die Chance, in Zukunft noch etwas zu machen: minus 18 % bzw. minus 20 %.

Alle sind sich darüber einig, dass wir in dieser Region einen nahräumlichen Tourismus haben, der von den entfernteren Ballungsräumen Mannheims und Heidelbergs bis hin zu Frankfurt und weiter profitieren kann. Wir ziehen die Menschen aber – genauso wie wir es für Kassel sagen – auf Dauer nur dann dorthin, wenn wir dauerhaft Attraktivität sicherstellen. Im Augenblick ist diese gefährdet.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Schloss steht! Es fällt nicht um!)

Es fällt nicht um, aber es geht weg. Das Schloss ist nur etwas wert mit seinem Inhalt,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erbgraf Erbach!)

denn das Wesentliche an diesem Schloss sind die Sammlungen, die über Jahrhunderte hinweg entstanden sind. Ich sage Ihnen:So wie wir etwas in der Sozialpolitik,in der Bildungspolitik, in der Sicherheitspolitik machen, so wie wir Nordhessen verpflichtet sind, sind wir auch verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Chancen, die in dieser Region entstehen, nicht mutwillig für Jahrzehnte kaputtgemacht werden, weil wir uns aktuell in einer Krise befinden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Deshalb habe ich mich entschieden, den Vorschlag zu machen, eine solche Regelung zu treffen. Man kann nicht über Regionalentwicklung reden, und Herr Walter macht dann noch die große Industriepolitik daraus, und wir kaufen in Zukunft sozusagen Industriekonglomerate. Hier geht es um eine kleine Stelle, wo die Gefahr besteht, dass etwas Vorhandenes kaputtgeht, wo übrigens etwas entwickelt werden muss. Denn was mit der gegenwärtigen Anzahl der Besucher dort gemacht werden kann, funktioniert so nicht. Deshalb haben wir auch mit dem Odenwaldkreis und mit der Stadt geredet.Wenn wir etwas machen,so muss dies in einer anderen Dimension geschehen. Das muss dort in der Region gemeinsam mit dem Elfenbeinmuseum tatsächlich ein Magnet werden. Das, was ein Landkreis alleine nicht leisten kann – dies zu retten kann er beim besten Willen nicht leisten – und was die Stadt Erbach schon gar nicht leisten kann, ist die Pflicht des Landes: Unterstützung zu geben und dafür zu sorgen, dass hier am Ende ein Tourismusschwerpunkt entstehen kann.

Das ist Wirtschaftsförderung. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren: Im Vergleich zu dem, was wir in dieser Gegend machen müssen, wenn es kaputt ist, ist das billig. Im Vergleich zu dem, was wir in anderen Regionen investieren müssen, um diese Effekte zu haben, ist das eher preiswert. Es ist eine insgesamt verantwortliche Investition,wenn man die Zukunft des Odenwaldes im Auge hat. Ich bin dankbar, dass die Region das auch so sieht.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, Sie haben in den letzten Wochen das Geld so oft ausgegeben. In den abschließenden Beratungen des Nachtrags haben Sie es das erste Mal gestrichen, obwohl dieser ja nur eine Verpflichtungsermächtigung erhält. Die GRÜNEN haben das Geld für den Klimaschutz benutzt.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

Sicher. – Die SPD hat es das erste Mal für die Ganztagsschulfinanzierung benutzt. Am 18. November hat es die SPD dann das zweite Mal, und zwar für Wissenschaft und Forschung, benutzt.

(Heiterkeit bei der CDU)

Die FDP hat es – was ja nicht unschlüssig ist – zur Schuldendeckung benutzt. Aber dann ist sie mit Frau Beer in Konflikt geraten. Frau Beer hat es anschließend noch für die Finanzierung der Hochschulen eingesetzt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir so viel Geld aus Erbach machen könnten, würde ich darüber nachdenken, alle Ihre Wünsche mit diesem einen Projekt zu finanzieren.

(Heiterkeit bei der CDU)

Aber in Wahrheit ist es nichts anderes als eine intellektuelle Flucht.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach du lieber Gott!)

Sie wollen nicht, dass die Diskussion genauso geführt wird, wie wir sie in Nordhessen für Kassel führen. Sie sagen, das sei nicht so wichtig, obwohl man fairerweise sagen muss: Die Idee zum Kauf von Erbach ist zu einer Zeit geboren worden, in der es keine CDU-Alleinregierung gab,

(Zurufe von der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aha!)

sondern in der die Beteiligten gemeinsam darüber gesprochen haben.Was die SPD angeht, so war die Meinung am Anfang auch eine andere. Am Ende haben Sie gesehen: Das ist ein emotionaler Spielball. Wo ist schon Schlösserkaufen populär? Damit kann ich Zeitungsartikel füllen und jede beliebige andere Ausgabe jeweils damit rechtfertigen, in der Hoffnung, dass die Leute sagen: Recht haben sie.

Ich sage Ihnen: Eine Landesregierung – jedenfalls eine, wie ich sie mir vorstelle und wie ich sie führe – hat eine Verantwortung dafür, dass die Dinge mittelfristig zusammenpassen. „Mittelfristig zusammenpassen“ heißt, keine Region allein zu lassen, wenn sie in Schwierigkeiten ist.Das bedeutet im Augenblick,im Odenwald diese Maßnahme zu treffen, es bedeutet, Forschungs- und Investitionszentren zu schaffen, es bedeutet, Unikliniken in der Mitte Hessens zusammenzuführen. Das bedeutet, in Nordhessen die Kultur für eine Kulturhauptstadt zu fördern. Das sind alles Elemente eines Mosaiks. Ohne selbst Unternehmer spielen zu wollen, soll dafür gesorgt werden, eine Landschaft zu prägen, die auch die wirtschaftlichen Chancen der Zukunft wahrnehmen kann, mit Straßen, mit Verkehrserschließung, mit Universitäten, aber auch mit einer kulturellen Identität, sodass die Menschen stolz sind, hier zu leben, und dass sie gerne in dieses Land kommen und auch eine Menge Geld hier lassen, das wir bei der Gelegenheit gebrauchen können.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind – wer wollte das bestreiten? – in einem schwierigen Jahr, und jedermann muss klar sein:Wir befinden uns in einer Kette von schwierigen Jahren, die angesichts der Erwartungen, die wir an die Bundesentwicklung richten müssen, mit dem Jahr 2005 nicht aufhören wird.Wir müssen den Atem haben, über einige Jahre hinweg eine extrem schwierige finanzielle Entwicklung zu überstehen, und wir wollen diesen Atem haben, ohne dabei die Zukunftsvoraussetzungen zu zerstören, die zu einem schnellen Wiederaufstieg führen können.

Die Schwierigkeit unserer heutigen Krisenbewältigung besteht darin, dass wir, wenn wir alles machen, um auf das jetzige Niveau der Einnahmen zu kommen, die wesentlichen Zukunftschancen des Landes in Gefahr bringen. Ihre eigenen Haushaltsanträge beweisen das – ganz gleich, in welcher Höhe, ganz gleich, ob es sich um 300 Millionen c oder um 500 Millionen c handelt –, weil sie an den prinzipiellen Fragestellungen nichts ändern.

Wir haben im Augenblick einen Vermögensverzehr, um eine Chance zu haben, wieder an die zukünftige Entwicklung anzuschließen.Wer sagt, dass wir diesen Vermögensverzehr heute nicht vornehmen sollen, kapituliert nach meiner Überzeugung vor der Entwicklung der Zukunft. Wenn wir in sechs oder sieben Jahren immer noch keine wirtschaftliche Verbesserung haben, dann haben wir extreme Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten sind aber

dann nur noch marginal in einem Landeshaushalt abzubilden, denn dann wird dieses Land Deutschland anders sein.

Mit 1,4 % Wachstum ist das Deutschland, das wir heute haben und auf das wir stolz sind, nicht zu finanzieren. Das weiß inzwischen hoffentlich nahezu jeder. Es ist eine Erkenntnis, die wir leider einige Jahre nicht mehr gehabt haben. Wir haben uns in Deutschland zu lange eine Diskussion geleistet, in der es um die Frage ging, ob es nicht vielleicht ohne Wachstum geht. Der Feldversuch ist beendet. Wir wissen, welche Schäden er angerichtet hat. Wir müssen uns darauf vorbereiten, wieder den Angriff auf mehr ökonomische Entwicklung zu nehmen.

Hessen hat in dieser Frage eine besondere Chance, weil wir günstig liegen, weil wir bei der wirtschaftlichen Entwicklung besser sind und weil wir bei all den Schwierigkeiten, die wir haben, unsere Haushaltsprobleme besser lösen als andere. Wir müssen diese Verpflichtung aber auch wahrnehmen.Wir müssen dafür sorgen,dass wir jetzt durch besonnenes Handeln diese Chancen für die Zukunft nicht zerstören, dass wir unser Vermögen dort einsetzen, wo es zum Überwintern in dieser schwierigen Zeit notwendig ist, dass wir die Investitionen erhöhen und nicht senken.

Wir investieren in den nächsten Jahren in die Universitäten mehr als in den letzten Jahren. Wir ignorieren auch keine Universität in der Bauentwicklung, wie es bei der Universität Gießen zu früheren Zeiten geschehen ist.Wir bauen modernste Schulen quer über das Land.Wir investieren in die Fachhochschulen. Wir investieren in Forschung, Entwicklung, Transfer und Zusammenarbeit. Wir investieren mehr in Wirtschaftswerbung, Wirtschaftsförderung und Vernetzung. Wir sorgen dafür, dass die Infrastruktur in Ordnung kommt, die dafür notwendig ist.

Wir geben den Menschen eine Chance für Bildung und Ausbildung in der Universität, die wir in ihrer Entwicklung frei lassen. In der Schule schaffen wir eine Organisationsform, in der jeder nach seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Spitze seiner Gruppe gehören kann, um damit auch in der beruflichen Zukunft eine Chance zu haben und dem Land etwas zu geben, was zu dem Wachstum führt, das wir am Ende brauchen.

Das ist der Rahmen,in dem wir in diesem Land Politik gestalten. Dafür haben wir einen Auftrag. Ich glaube, der wird am Ende länger sein als bis 2008. Eines können wir der Opposition aber nicht abnehmen: das Recht, auf andere Zeiten zu hoffen.

Wir hoffen, dass wir Erfolg haben werden.Wir sind davon überzeugt, dass wir einen Weg haben, der Anlass zu dieser Hoffnung gibt. Wir haben sehr viel Unterstützung im Land. Ich kann mich nun wahrlich nicht über die Anzahl der Menschen und Gruppen beklagen, die uns auf diesem Weg unterstützen. Deshalb bin ich auch – ohne zu ignorieren, wie schwer diese Zeit ist – davon überzeugt, dass wir die Ersten sind, die aus den Schwierigkeiten herauskommen. Es ist kein Tag für Jubelreden, denn wir sind in einer komplizierten Lage. Aber wir haben die Lage nicht nur im Griff, sondern wir haben auch eine Zukunft. Wir wissen, dass wir erfolgreich sein werden. – Vielen herzlichen Dank.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Je schlechter der Haushalt, umso länger der Applaus! – Frank Gotthardt (CDU): Kein Neid,Tarek!)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Das Wort hat der Kollege Hahn, Fraktionsvorsitzender der FDP.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Haushaltspolitik hat Hessen keine Zeit mehr zu verlieren. Mit Recht kommentierte Bernd Loskant in der „Fuldaer Zeitung“ am 20. Oktober 2004, „dass die Ausgabenpolitik rigide geändert werden muss, um den heute Jungen nicht noch größere Lasten aufzubürden, als ohnehin schon durch die Schuldenpolitik entstanden sind“. Herr Ministerpräsident, Herr Finanzminister, werden Sie diesen öffentlich geäußerten Anforderungen gerecht?

(Beifall bei der FDP)

Herr Ministerpräsident, wenn Sie dem Inhalt der Rede, die Sie eben gehalten haben, gerecht werden wollen, dann ziehen Sie diesen Haushaltsentwurf für 2005 heute hier zurück.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Gernot Grum- bach (SPD) und Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Ministerpräsident, legen Sie einen neuen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vor. Dieser Haushaltsentwurf muss die finanziellen Belastungen der künftigen Generationen im Auge haben und darf keine strukturelle Neuverschuldung von über 1 Milliarde c zum Inhalt haben. Herr Ministerpräsident, wenn das ernst war, was Sie eben gesagt haben – wir Liberale haben sehr gut zugehört –, dann kann es nicht sein, dass diese von Ihnen geführte Regierung weiter so brüllt, sondern dann heißt es: Stopp, neu aufstellen und einen seriösen Haushaltsplan vorlegen. Dann wird die FDP diesem auch gern ihre Zustimmung geben.

(Beifall bei der FDP)

Das alles, was der Ministerpräsident hier eben gesagt hat, ist nicht neu. Auf Seite 27 Ihres Antrages zur Finanzplanung des Landes Hessen steht Folgendes:

Angesichts der anhaltenden Krisensituation der Staatsfinanzen und dem unter den gegebenen Bedingungen derzeit nicht erkennbaren Weg aus dem Steuertal bleibt die Haushaltskonsolidierung auch weiterhin die zentrale Aufgabe der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ziel muss es – wenn auch aufgrund der Einnahmeerosion mit erweitertem Zeithorizont – bleiben, durch den stetigen Abbau des Finanzierungsdefizits ausgeglichene Haushalte zu erreichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Recht hat der Finanzminister, wenn er dies in die Vorlage hineinschreibt.Warum hält er sich dann aber nicht daran?

(Beifall bei der FDP)

Warum legen Sie einen Haushaltsentwurf vor, der den vernünftigen Kriterien, nachhaltige Finanzpolitik in unserem Bundesland zu machen, nicht gerecht wird? Warum halten Sie hier eine Rede, Herr Ministerpräsident, die zu 98 % von uns Liberalen unterstützt wird, warum legen Sie dann aber einen Haushaltsentwurf vor, der Murks ist, weil er genau das Gegenteil von dem ist, wovon Sie hier inhaltlich sprechen?