Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Meine Damen und Herren, die medizinische Wahrheit ist eine andere.

(Volker Hoff (CDU): Das ist eine Unverschämtheit!)

Nein, das ist keine Unverschämtheit. Lesen Sie den Text genau durch. Da wird gesagt, dass homosexuelle Männer – –

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Hören Sie mir doch einmal zu.

(Volker Hoff (CDU): Nein, der Satz ist eine Unverschämtheit, Frau Wagner! Auch ein KommissarKandidat muss eine persönliche Meinung haben dürfen! Das haben Sie ihm gerade abgesprochen!)

Eine persönliche Meinung darf er selbstverständlich haben.Aber er muss wissenschaftliche Wahrheiten akzeptieren, und Herr Irmer ist auch dem Pressekodex verpflichtet.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in diesem Artikel steht, im homosexuellen Milieu sei die Promiskuität weit verbreitet. Das ist eine Diffamierung einer bestimmten Lebensweise. Das steht auf derselben Ebene wie das, womit man in den letzten Tagen Frau Schavan zu desavouieren versucht.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum dritten Punkt kommen. Verehrter Herr Irmer, in der Bewertung der Arbeit der Bundesjustizministerin bin ich völlig Ihrer Meinung, aber hinsichtlich des Stils und Ihrer Haltung ist das, was Sie geschrieben haben, völlig unakzeptabel. Ich zitiere:

Schwachsinn hat in Deutschland jetzt einen Namen. Er ist weiblich und heißt Brigitte Zypries. Es handelt sich dabei um Deutschlands Bundesjustizministerin.

Meine Damen und Herren, vor 100 Jahren ist eine Schrift erschienen, verfasst von einem Arzt namens Möbius, der über den „angeborenen Schwachsinn des Weibes“ geschrieben und damit die Ungleichheit von Frauen und Männern gerechtfertigt hat. Wer meint, Schwachsinn sei weiblich, der hat immer noch nicht kapiert, dass es in diesem Land viele schlaue Weiber gibt. Das ist unglaublich.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Wenn Sie EU-Kommissar Verheugen des Hochverrats anklagen wollen – das gehört zu dem dritten Punkt –, dann tun Sie es doch.Wenn Sie gute Gründe haben, zu glauben, der Beitritt eines bestimmten Landes sei ein Grund für eine Verurteilung wegen Hochverrats,dann klagen Sie ihn doch an. Unterlassen Sie aber die Veröffentlichung von Vermutungen und Beschuldigungen. Das ist für mich die schlimmste Entgleisung, denn Sie schaden damit der politischen Klasse. Das steht jenseits aller positiven Streitkultur in einem Parlament oder in einer Zeitung.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der „Wetzlar-Kurier“, der sich im Grunde als eine Parteizeitung geriert,aber eine öffentliche Zeitung ist,hat sich an den Kodex des Deutschen Presserats zu halten.Ich zitiere aus diesem Kodex zwei Passagen:

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse... Es widerspricht journalistischem Anstand, unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen.

Ich finde, dass Sie diese Grenzen überschritten haben, Herr Irmer.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich mit einem Zitat aus einem für mich sehr wichtigen Buch von Karl-Hermann Flach über Macht und Elend der Presse schließen, in dem es um den Pressekodex geht, der in unserem Partnerstaat Wisconsin im Jahre 1925 formuliert wurde:

Wir glauben, dass Journalismus ein ehrenvoller Beruf ist, der im Dienste der menschlichen Gesellschaft eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen hat.Wir glauben, dass alle Einzelpersonen und Verbände ein Anrecht darauf haben, in den Spalten der Zei

tung fair behandelt zu werden. Wir glauben, dass der Autor des Leitartikels bemüht sein muss, die Wahrheit darzustellen,wie er sie sieht,doch frei von Vorurteilen, Voreingenommenheit und Parteilichkeit.

Diese Grundsätze gelten nach meiner Überzeugung auch heute noch für alle Zeitungen.

(Dr.Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Wenn das die Praxis wäre!)

Herr Irmer, das gilt aber ganz besonders für einen Politiker, der Verantwortung trägt, und es gilt umso mehr für eine Partei, die sich zu Recht von den Republikanern und der NPD abgrenzt und mit denen nicht verwechselt werden will.

Sie haben die Pflicht, zu sagen, ob Sie die drei Punkte des Antrags,die alle zustimmungsfähig sind – deshalb wird die FDP dem Antrag zustimmen –, mittragen oder nicht. Sie stehen vor der großen Schwierigkeit – ich weiß, wovon ich rede –, zu entscheiden, ob Sie das teilen, was Herr Irmer und durch Zwischenruf Herr Reif und leider auch Herr Hoff hier vertreten haben, und ob Sie mit derartigen Vorurteilen weiterhin arbeiten möchten oder nicht.

Ich warne Sie wegen des Klimas in unserem Land: Wir müssen uns klar gegen Menschen abgrenzen, die in Wahrheit eine andere Republik in Deutschland haben wollen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Wagner. – Herr Walter, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in dieser Debatte viele unverantwortliche Äußerungen des Kollegen Gotthardt gehört. Eine dieser unverantwortlichen Äußerungen, die Frau Wagner schon angesprochen hat, kann hier nicht so stehen bleiben.

Wenn ein Abgeordneter des Hessischen Landtags vorträgt, dass er Drohbriefe bekomme – auch ich bekomme gelegentlich derartige freundliche Briefe –, und der parlamentarische Geschäftsführer der Union daraufhin damit beginnt, zu rechtfertigen, warum dieser Abgeordnete Drohbriefe bekommt – –

(Frank Gotthardt (CDU): Das ist Unfug!)

Herr Gotthardt, Sie haben gesagt, er bekomme diese Briefe wegen Berlin und wegen dem, was er hier macht. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies kann der Hessische Landtag nicht akzeptieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich bin der Auffassung, dass jetzt der Landesvorsitzende dieser Partei und Hessische Ministerpräsident gefordert ist,sich zu diesen Aussagen zu äußern und sich vor die Abgeordneten des Hessischen Landtags zu stellen. Es wäre nicht die erste Aussage des Ministerpräsidenten zu dieser Angelegenheit. Ich habe die freundlichen Worte des Herrn Ministerpräsidenten zum Jubiläum des „WetzlarKuriers“ vor mir liegen, wo er schreibt, das Blatt habe sich vom Meinungsträger zum Meinungsbildner entwickelt,

um dessen Zukunft ihm nicht bange sei. Die Macher der Zeitung könnten mit Recht stolz auf das Erreichte sein, Tatkraft und Engagement Einzelner führten zu ganz neuen Ergebnissen. – Herr Ministerpräsident, das hat in der Tat zu ganz neuen Ergebnissen geführt.

Ich fordere Sie auf, sich vor das Parlament und seine Abgeordneten zu stellen. Es kann nicht wahr sein, dass Abgeordnete, die Drohbriefe bekommen, an diesem Pult vom parlamentarischen Geschäftsführer Ihrer Partei gerechtfertigt bekommen, warum sie diese Drohbriefe erhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie diese Kraft und Größe nicht haben, dann beantrage ich für die SPD-Fraktion bereits jetzt die Einberufung des Ältestenrats.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Gotthardt hat Gelegenheit, darauf zu antworten. Sie haben zwei Minuten Redezeit.

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Walter, Sie haben Herrn Gotthardt und die CDUFraktion angesprochen. Daher lasse ich die Wortmeldung zu.

Lieber Herr Fraktionsvorsitzender! Bei aller Emotionalität, die auch ich in diese Debatte mit einbringe – aber dass ich diese Drohbriefe gerechtfertigt hätte, das ist nicht der Fall.

(Jürgen Walter (SPD): Was denn sonst? – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Walter, gehen Sie doch bitte einmal davon aus, dass nicht nur Ihre Fraktion, Ihre Partei und Sie solche Briefe bekommen, sondern dass auch wir ausreichend Briefe in dieser Richtung erhalten und dass die uns genauso beunruhigen wie Sie.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Walter, ich habe nur eines gesagt: Ich glaube, dass es in unserer Gesellschaft Probleme gibt, die wir lösen müssen, und dass wir uns an diese Arbeit heranmachen müssen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Denn dann endet es so wie in Holland – was ich ausdrücklich nicht will.