Protokoll der Sitzung vom 26.11.2004

weil die hessische CDU zwar über Macht, aber nicht über das Wissen und die Weisheit verfügt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Aber Hauptsache, Sie!)

Damit jeder im Wahlkreis weiß, was jeder Einzelne von Ihnen mit seiner Macht macht und dass Sie das verantworten müssen, beantragen wir heute namentliche Abstimmung.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab- geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Vielen Dank, Frau Ypsilanti. – Frau Henzler hat das Wort für die FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war jetzt Klatschen im Landtag wie Pfeifen im Wald. So macht man sich Mut für die Zukunft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Frau Ypsilanti hat einen richtigen Satz gesagt, und der war: Bildung ist die Grundlage für persönliche Freiheit. – Das unterschreiben wir Liberalen natürlich sofort. Dann haben Sie aber gesagt,es werde Zeit,dass die Gesellschaft in die Schule komme, dass sich die Schule nach gesellschaftlichen Aspekten ausrichte.

Meine Damen und Herren, das hatten wir schon einmal. Das hatten wir Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielleicht haben Sie den Vortrag beim fünften Geburtstag von BRAIN gehört. Dort wurde empirisch nachgewiesen, dass es ab Ende der Sechzigerjahre mit der Schule, mit dem schulischen Wissen und dem Können der Schüler drastisch bergab gegangen ist.

(Rudi Haselbach (CDU): Das ist die Wahrheit!)

Gesellschaft und Schule ist also ein nicht ganz unumstrittenes Thema.

Wir werden heute das so genannte Qualitätssicherungsgesetz verabschieden. Die Hoffnung von Frau Hinz, dass es noch verändert wird, teile ich nicht. Ich finde nur ganz interessant, wie mit dem Begriff „Qualität“ umgegangen wird. Es gibt eine Qualitätsgarantie, es gibt ein Qualitätssicherungsgesetz. Jetzt gibt es eine Qualitätsganztagsschule. Es ist hochinteressant, was sich jedes Mal dahinter verbirgt.

Wir vonseiten der FDP werden jetzt in aller Sachlichkeit schauen,wie es dem Patienten Schule in Hessen nach Verabschiedung dieses Gesetzes gehen wird. Welche Auswirkungen hat das Gesetz auf positive Heilungsansätze? Welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es? Wo ist die bessere Rezeptur? Die wird die FDP auch vorstellen.

Positive Auswirkungen hat das Gesetz eindeutig im Lehrerbildungsteil.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Mark Weinmeis- ter (CDU))

Das Orientierungspraktikum kommt, von uns gefordert. Mehr Praxisbezug kommt, von uns auch gefordert. Die Modularisierung der Studiengänge – d. h., Fachwissenschaft und Didaktik müssen gemeinsam studiert werden, es muss eine gemeinsame Prüfung abgelegt werden – ist hervorragend. Die Grundschullehrerausbildung folgt dem vor etlichen Jahren vorgelegten FDP-Modell. Der Grundschullehrer unterrichtet nur noch bis Klasse 6. Er muss Deutsch und Mathematik unterrichten, und er muss in der Breite musische und Bewegungsteile studiert haben.

Die Fehler beim zweiten Staatsexamen, dass die Ausbildungsschule nicht dabei war, sind behoben worden. Es ist ein sehr richtiger Schritt. Es ist nicht der ganz große Schritt. Wir hätten uns die Umstellung des ersten Staatsexamens gewünscht. In der Anhörung war sehr deutlich zu hören, dass sich die modularisierten Prüfungen dann nicht mehr mit dem Staatsexamen vertragen. Aber das kann vielleicht noch in einem nächsten Schritt kommen.

Jetzt komme ich zu den Risiken dieses Gesetzes. Der flexible Schuleingang ist so lange ein Risiko, solange er nicht genügend mit Personal und Geld ausgestattet ist.

(Beifall bei der FDP)

Die Schulzeitverkürzung – im Grunde genommen ein wirklich positiver Effekt – wird aber auf alle kooperativen Gesamtschulen, damit auf alle gymnasialen Bildungsgänge und auf alle zukünftigen Gymnasiasten ausgedehnt. Das halten wir für einen schlechten Weg. Wir hätten es für besser gehalten, es erst nur den Gymnasien vorzuschreiben. Die Möglichkeiten von Schülern, die eben etwas langsamer sind oder die in ländlichen Regionen wohnen, werden dadurch eingeschränkt.

Zusätzlich kommt die Querversetzung gleich obendrauf. Sie erzeugt Stress,sie erzeugt Unruhe,und sie schafft nicht unbedingt ein positives Klima in den Klassen 5 bis 7.

Auf unsere Anregung, eine Bildungsempfehlung für alle Kinder am Abschluss der Grundschule zu erteilen,ist man nicht eingegangen. Ich hielte gerade das für sehr wichtig, dass alle Eltern wissen, wo das Kind am Ende der 4. Klasse steht.

(Beifall bei der FDP)

Dabei geht es mir auch um die Eltern, die sich nicht so genau dafür interessieren, wo das Kind steht, weil sie es hinterher in eine integrierte Gesamtschule oder Förderstufe schicken wollen.Auch für diese Eltern hätte ich eine Beratung mit einer Beurteilung ihres Kindes für sehr richtig gehalten.

(Beifall bei der FDP)

Die gesetzlich festgeschriebene Aufgabe der regionalen Elternfortbildung ist in dem Gesetz nicht mehr enthalten. Wir hätten uns gewünscht, dass sie mit HeLP in die Staatlichen Schulämter integriert wird.

Die effektiven Schulgrößen werden zu Problemen führen, weil sie nicht unbedingt über die Qualität definiert, sondern mehr an finanziellen Gründen ausgerichtet sind.

Die Schülerbeförderungskosten werden auf die Eltern abgewälzt. Letztendlich wird das so kommen, zumindest in ländlichen Regionen.

In diesem Gesetz ist kein großer Schritt in Richtung selbstständige Schule zu finden, und es gibt auch kein Budget für die Schulen zur Einstellung von Hilfspersonal an den Schulen, für Schulassistenten, was uns die Siegerländer aus der PISA-Studie vormachen.

(Beifall bei der FDP)

Die Nebenwirkungen dieses Gesetzes. Das Problem, das PISA uns aufgibt, heißt: Die Schulbildung unserer Kinder wird nicht im Grundsatz angegangen. Die Schülerkosten der Grundschulen sind weiterhin die niedrigsten. Die Schülerkosten der Sekundarstufe I liegen deutlich höher, und in der Oberstufe liegen sie noch höher. Das ist falsch. Die Schüler müssten unten am meisten gefördert werden. Wir müssen die Bildung vom Kopf auf die Füße stellen. Das fehlt in diesem Gesetz.

(Beifall bei der FDP)

Die Schulzeitverkürzung und auch die Ganztagsangebote erfordern noch mehr Geld für die Sekundarstufe I. Das ist wiederum falsch; denn es wird letztlich bei den Grundschulen irgendwann fehlen.

Der Druck auf die Schüler durch die Schulzeitverkürzung wird während der Pubertät größer. Das heißt, die Kinder, die ins Gymnasium gehen wollen und schneller zum Abitur kommen wollen, brauchen deutlich mehr Elternunterstützung. Diese findet in den bildungsnahen Elternhäusern statt. In den bildungsfernen Elternhäusern findet sie nicht statt. Diese Kinder haben also weniger Chancen.

Die Teilnahme an Bildungsangeboten am Nachmittag wird durch Erheben von Beförderungskosten auch vom Elternportemonnaie abhängig. Dorthin schicken gerade diejenigen Eltern ihre Kinder, die ein Interesse daran haben, dass die Kinder an Bildungsangeboten teilnehmen, und nicht die Eltern, die kein Interesse daran haben. Die Kinder niedriger sozialer Herkunft werden es damit zukünftig schwerer haben.

Wir sollten nicht am Gebäude der Schule herumdoktern, sondern an dem Fundament ansetzen. Die Kultusministerin hat gesagt: Nur wer Deutsch kann, kommt in die erste Klasse. Sie hat auch etwas diesbezüglich getan.Wir haben Deutschkurse im Kindergarten eingeführt. Die sind freiwillig. Aber es gehen nicht alle Kinder in den Kindergarten. Wir haben Vorlaufkurse eingeführt. Diese sind auch freiwillig, aber dort gehen immerhin relativ viele Kinder hin. Sie beginnen aber auch erst mit der Schulpflicht.

Sie beginnen in dem Moment, wenn die Kinder sich anmelden müssen, das heißt wenn die Schulpflicht winkt. Sie sind relativ teuer, denn sie binden Lehrerstellen. Diese Kurse sind mit wenigen Kindern besetzt, werden von Grundschullehrerinnen gehalten und bestehen überwiegend aus spielerischen Teilen, weil man schlecht eine Stunde lang mit kleinen Kindern Vokabeln lernen kann. Da stellt sich die Frage, ob dies nicht mit anderem Personal gemacht werden kann und ob man das wirklich Lehrer machen lassen muss.

Der flexible Eingang ist freiwillig, beginnt erst bei der Einschulung und kann die späte Einschulung, wenn Eltern kein Interesse an einer frühen Einschulung haben, nicht verhindern.Auch die Eingangsstufe ist freiwillig und bindet Lehrerstellen, die Vorklasse, die immer mehr gebraucht wird, ebenso.

Alle Angebote sind für bildungsnahe Elternhäuser wichtig, und diese sind auch daran interessiert. Das reicht aber nicht. Die FDP schlägt etwas anderes vor. Anstelle eines

bunten Straußes an Angeboten,die freiwillig und zum Teil teuer sind und für die Eltern Gebühren bedeuten, sagen wir: Es reicht nicht, unverbindliche Pläne für die Kindertagesstätten zu machen,für die Kinder von 0 bis 10 Jahren. Wir brauchen auch ein Budget für die Kindertagesstätten. Dieses Budget muss aus dem Kultusministerium kommen und den Kindergärten ermöglichen, Honorarkräfte anzustellen, die Sprachförderung machen. Das kann z. B. eine türkisch-deutsche Mutter sein, die beide Sprachen beherrscht und die Kinder so spielerisch beide Sprachen lernen. Das können auch Grundschullehrer sein, die Teilzeitverträge nach dem BAT haben und im Kindergarten die Vorschularbeit leisten. Das muss kostenlos für die Eltern und für die Kommunen sein. Es muss ein gezieltes Bildungsangebot des Kultusministeriums in den Kindertagesstätten sein.Wenn es für die Eltern kostenlos ist, dann wird es auch für die bildungsfernen Elternhäuser interessant.

Je länger wir über PISA diskutieren und je länger wir hören, dass es besser ist, Kinder früh zu bilden, ist die Kinderschule der FDP, die wir vor vier Jahren entwickelt haben, das beste Rezept für einen guten Schuleinstieg.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir die Kinderschule einführen würden,würden wir pflichtgemäß alle Fünfjährigen erfassen. Dann gibt es kein Zurück mehr, dann müssen alle Kinder mit fünf Jahren ein Jahr lang in eine gezielte Förderung. Man könnte das Sprachvermögen, das Sozialverhalten und kognitive Fähigkeiten verbessern. Dann wäre wirklich die Chance gegeben, wenn sie mit der Grundschule beginnen, dass sie alle auf einem relativ hohen Stand sind und an der Schule teilnehmen können. Man sollte den großen Schulen ermöglichen, Schulassistenten einzustellen, denn die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes ist am wichtigsten. Wenn sie in die Sekundarstufe I gehen, müssen die Grundlagen schon gelegt sein. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Deshalb ist es in der Grundschule am besten angelegt.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))

Wir fordern die Landesregierung auf: Beobachten Sie die Auswirkungen ihres Gesetzes, und seien sie bereit, wenn nicht jetzt im Vorfeld, so doch bei vorhergesagten negativen Auswirkungen Änderungen vorzunehmen. Es wird zu negativen Auswirkungen in Hessen kommen.

Frau Henzler, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich weiß.– Das Gesetz,wie Sie es jetzt vorgelegt haben,ist für die FDP-Fraktion nicht zustimmungsfähig.

(Lebhafter Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Henzler. – Frau Staatsministerin Wolff, ich darf Ihnen das Wort erteilen.