Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

An dieser Stelle übernehmen wir aber nicht die Verantwortung der Eltern, sondern wir sind dafür verantwortlich, dass Eltern und Erziehern Hilfestellung gegeben wird,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

damit sie in ihrer Verantwortung nicht allein gelassen werden. Deshalb erarbeiten wir auch den Bildungs- und Erziehungsplan.

Wir sehen es auch als wichtige Aufgabe an, bei der Ausund Fortbildung der Erzieherinnen Hilfestellung zu geben. Deshalb sind wir für eine Modernisierung der Ausbildung, für die Vernetzung aller an der frühkindlichen Bildung Beteiligten und für die Fort- und Weiterbildung des Personals und die Weiterentwicklung desgleichen.

Wir haben in Hessen aber eine hervorragende Fachschulstruktur, die den neuen Anforderungen über Jahrzehnte immer wieder gerecht geworden ist und die sich auch ohne Hochschulausbildung überregional durch ihre besondere Praxisnähe mit anderen Einrichtungen messen konnte. Wesentlich sind die erfolgreiche Vermittlung von Inhalten und der Erwerb von Kompetenzen, aber nicht der Lernort.

Bildung von Anfang an stellt aber neue Anforderungen an die Kindertagesstätten. Der frühkindlichen Bildung muss unsere besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu müssen die Stundenpläne modernisiert werden. Die Stundenpläne für die erste Ausbildungsstufe der Berufsfachschule für Sozialassistenten werden gegenwärtig überarbeitet. Hessen ist vorn. Das gilt auch an dieser Stelle; denn das Kultusministerium hat bereits im Hinblick auf die Umsetzung des in der Erarbeitungsphase befindlichen Bildungs- und Erziehungsplans einen wegweisenden neuen Lehrplan für die Ausbildung der Erzieherinnen an den Fachschulen für Sozialpädagogik erstellt. Der Lernplan für die zweite Stufe der Ausbildung unserer Fachkräfte in den Kindertagesstätten gilt bereits ab diesem Schuljahr.

Mehr Praxisbezug, mehr Vernetzung zwischen Fachschulen und Praxis und die Einbeziehung der Bildungsziele als Kompetenzfelder zeichnen den neuen Stundenplan als wegweisend in der Erzieher- und Erzieherinnenausbildung aus. Schwerpunkte sind dabei die Einbeziehung der frühkindlichen Sprachförderung als Kompetenzfeld und – das haben Sie gerade gefordert, Frau Hinz – ein stärkeres Gewicht der Naturwissenschaften bereits in der frühkindlichen Ausbildung. Leitprinzip ist die Handlungsorientie

rung. Berücksichtigt werden die veränderten Bedingungen und Aufgaben der sozialpädagogischen Praxis, vor allem eine viel stärkere Praxisorientierung, auch im Hinblick auf den Umgang mit der leistungs-, alltags- und herkunftsbezogenen Heterogenität der Kindergartenkinder.

Neben der Ausbildung wollen wir aber stärkeres Gewicht auf die Fort- und Weiterbildung legen. Genau an dieser Stelle zeigt uns die Antwort auf die Große Anfrage ein besonderes Plus in Hessen auf. Denn wir haben eine breite Trägerstruktur: Neben den Kreisen und Städten gibt es auch freie und kirchliche Organisationen als Träger der Fachschulen. Diese Vielfalt führt zu einem Wettstreit der Ideen und zu einer Bereitschaft zur stetigen Weiterentwicklung.

Diese Strukturen wollen wir auch für die frühkindliche Bildung nutzen. Daran arbeiten wir. Aber wir wollen die Mitarbeiter dort auch nicht alleine lassen. Die stärkere Vernetzung der Erzieherinnen mit den Grundschullehrern, der Kindertagesstätte mit der Grundschule sollte durch gemeinsame Fortbildungsangebote gefördert werden. Gegenseitiges Verständnis ist auch ohne eine gemeinsame Ausbildung möglich. Das Verständnis kann aber durch gemeinsame Veranstaltungen, durch wechselseitige Besuche und regelmäßige Gespräche auf Ortsebene weiter gefördert werden.

Die Fortbildung des Personals in den Kindertagesstätten ist eine Aufgabe der Träger. Die Antwort auf die Große Anfrage gibt uns eine gute Übersicht über die unterschiedlichen Angebote der Träger. Aber sie zeigt auch, dass zur Qualitätssicherung eine gemeinsame Vereinbarung der Träger im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsplanes förderlich wäre.

Aber auch das Land leistet einen wichtigen Beitrag zur Fortbildung und bekennt sich zu seiner Verantwortung. Dazu gehört in unseren Augen das vor dem Hintergrund aktueller Umfragen besonders wichtige Programm zur Förderung der Deutschkenntnisse im Kindergarten. Bisher konnten bereits 3.500 Erzieherinnen im Landesprogramm als Sprachvermittler ausgebildet werden. Der hohe Anteil an Migrantenkindern, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, aber auch der besorgniserregend hohe Anteil von Kindern ohne Migrationshintergrund, die Sprachauffälligkeiten oder gar Sprachdefizite haben, zeigt uns die unbedingte Notwendigkeit dieser Fortbildung.

Vorteilhaft ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich immer mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund für den Beruf der Erzieherin entscheiden. Aber wir sind natürlich nicht für eine Verstaatlichung der Kindergärten. Frau Hinz, Sie sprechen den Trägern, sogar den Kirchen, ab, ihrer Verantwortung bei der Einstellung des Personals gerecht zu werden. Nach wie vor sind unsere Kindergärten und Kindertagesstätten fest in Frauenhand. Der Anteil der Männer in den Kindertagesstätten – wir haben nur zwei Leiter – ist auch unserer Meinung nach deutlich zu gering. Hier kann man nur an die Männer appellieren,

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ach du liebe Zeit!)

die beruflichen Chancen, die ihnen die Kindertagesstätten bieten,zu nutzen,sowie an die Verantwortung der Träger, Männer einzustellen.

Meine Damen und Herren, natürlich muss auch die Ausund Weiterbildung den neuen Anforderungen an die Erzieher und Erzieherinnen gerecht werden. Diese Diskus

sion ist noch keineswegs abgeschlossen. Es gibt Überlegungen, die Fachschulen weiterzuentwickeln. Die Modularisierung der Ausbildungsteile und die Vergabe von Leistungspunkten, beispielsweise als Credit-Points, die dann in einem weiterführenden Studium angerechnet werden könnten, verdient unsere Beachtung.

Im Übrigen zeigt aber auch die Antwort auf die Große Anfrage sehr deutlich, dass die Fachschulausbildung unserer Erzieherinnen und Erzieher durchaus dem UNESCO-Standard im Tertiärbereich der Hochschulausbildung gleichgesetzt ist. Beides befindet sich in der gleichen Stufe.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber die Abschlüsse werden nicht anerkannt! Das nutzt doch überhaupt nichts!)

Deshalb können unsere deutschen Erzieherinnen mit ihrer Qualifikation eben auch in europäischen Nachbarländern ihren Beruf im Kindergarten ausüben.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! Die brauchen eine zusätzliche Anerkennung!)

Eine Verlagerung der gesamten Ausbildung von den Fachschulen auf die Fachhochschulen führt also zu keiner Höherstufung. Das bedeutet nicht, dass wir nicht über die Weiterqualifikation jenseits der Fachschulen nachdenken und sie für sinnvoll halten.

Die Möglichkeit des Erwerbs von Leitungskompetenzen an hessischen Fachhochschulen, wie sie z. B. die Evangelische Fachhochschule in Darmstadt bereits anbietet, wird von uns mit Interesse begleitet.Wir befinden uns in einer Phase der Erprobung.

Ziel einer fundierten Ausbildung muss es sein, bereits in der frühkindlichen Bildung eine weitere Qualitätssteigerung zu erreichen – nicht aber, in der europäischen Statistik die Anzahl der deutschen Hochschulabsolventen zu erhöhen. Uns geht es um Inhalte, nicht um Statistik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir sind nicht für eine Verwissenschaftlichung der Ausbildung, sondern die Ausbildung muss praxisnah sein und Kompetenzen vermitteln.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie ist doch praxisnah, aber das reicht nicht!)

Sie muss die Erzieherin in die Lage versetzen, den Anforderungen der modernen vorschulischen Bildung und Erziehung gerecht zu werden und darüber hinaus Leitungskompetenzen zu erwerben. Wir wollen auf Bewährtem aufbauen, ohne jedoch die veränderten Anforderungen außer Acht zu lassen. Wir setzen uns für eine effiziente und praktikable Aus- und Weiterbildung auf hohem Niveau ein. – Danke sehr.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Kollegin Hartmann für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Hinz hat bereits die große Enttäu

schung über die zwar seitenmäßig recht umfangreiche, inhaltlich aber sehr dünne Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage deutlich gemacht. Ich will das deshalb nicht mehr näher ausführen.

In dieser Antwort des Kultusministeriums auf die Große Anfrage findet sich zwar eine interessante Ansammlung von Daten.Was aber die Analyse in Bezug auf notwendige Reformen anbelangt, widerspricht sie großenteils dem mittlerweile vorgelegten OECD-Kindergartenreport.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))

Während das Kultusministerium die Auffassung vertritt, dass eine Reform nicht notwendig ist – ich zitiere aus der Antwort –: „Eine Verlagerung der Ausbildung von der Fachschule zur Fachhochschule wird nicht angestrebt...“, kommt die aktuelle OECD-Studie zu dem Ergebnis, dass die Erzieherinnenausbildung im europäischen Vergleich in Deutschland auf zu niedrigem Niveau stattfindet und dass Erzieherinnen hierzulande im internationalen Vergleich zu schlecht bezahlt sind und keine Aufstiegschancen haben.

Weiterhin wird kritisiert, dass keine Kräfte mit Hochschulausbildung in Kindertagesstätten zu finden sind, was im internationalen Vergleich ebenfalls ein Novum ist. Ich zitiere aus dieser OECD-Studie: „Über die Unangemessenheit der derzeitigen Ausbildung besteht allgemeine Einigkeit.“ Dann frage ich mich: Hat man diese Entwicklung im Kultusministerium einfach an sich vorbeigehen lassen?

Weiterhin wird in dieser Studie kritisiert, dass gegenwärtig Auszubildende und Beschäftigte in Kindergärten und in Kindertagesstätten aus einer Gruppe junger Frauen mit niedrigen Schulabschlüssen stammen. Das heißt, dies ist eine Gruppe, deren Zahl zusehends kleiner wird, da immer mehr Frauen höhere Bildungsabschlüsse anstreben. Reden Sie einmal mit Fachkräften an Schulen, die Erzieherinnen ausbilden. Die werden Ihnen bestätigen, dass das Niveau abgenommen hat und zunehmend mehr Bewerberinnen mit negativen Bildungserfahrungen, mit einer relativ schlechten Bildung, sich für diesen Beruf bewerben – während sich Abiturientinnen, die sich in der Vergangenheit öfter für diesen Beruf interessiert haben, kaum noch unter den Bewerberinnen für die Erzieherinnenausbildung zu finden sind.

Frau Ravensburg, ich denke, Ihre Einstellung ist sehr naiv. Es reicht nicht, an die Männer zu appellieren, sie sollten sich für den Beruf des Erziehers entscheiden. Es ist notwendig, hier Veränderungen vorzunehmen, d. h. das Ansehen, die Bezahlung, die Qualifikation, die Aufstiegschancen müssen verbessert werden. Dann werden sich automatisch auch Männer für diesen Beruf entscheiden. Einfach nur an Männer zu appellieren ist reichlich naiv.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, alle internationalen Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass in den ersten fünf bis sechs Lebensjahren ein besonderes Gewicht auf die breite Ausprägung einer Vielfalt an Wissen gelegt werden muss. Diese Zeit ist die entscheidendste Phase der Weichenstellungen für die Entwicklung des Gehirns.

Das bedeutet, dass gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien Erzieherinnen eine Schlüsselfunktion in der Bildungsbiografie einnehmen. Aber statt hier mit Qualitätsverbesserung anzusetzen, wurden unter dieser Landesregierung die Rahmenbedingungen für eine qualitative Arbeit in Kindertagesstätten erheblich verschlechtert. Ich

erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Mindeststandards, die in fast allen Kommunen zu einer Verschlechterung des Personalschlüssels geführt haben. Gerade in der aktuellen Debatte müssen wir aufpassen, dass wir Erzieherinnen nicht zu den Sündenböcken für das schlechte Abschneiden unserer Kinder bei internationalen Bildungsvergleichen machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Politiker und gerade wir als Landespolitiker sind es, die die Rahmenbedingungen zu setzen haben. Wir haben die Vorgaben für Ausbildung, Fortbildung und Fachberatung zu machen, und wir bestimmen die Budgets. Deshalb müssen die notwendigen Initiativen für Qualitätsverbesserungen auch von der Politik ausgehen. Wir dürfen uns für die Zukunft unserer Kinder nicht aus der Verantwortung stehlen.

Meine Damen und Herren, in einer Gesellschaft, die sich in einem rasenden Tempo verändert,in einer Gesellschaft, die auf die Chancen von Wissen und Wissenstechnologie setzt, nimmt der Bildungsaspekt zwangsläufig einen anderen Stellenwert ein. Wir erleben gegenwärtig einen ökonomisch-technischen Strukturwandel, der neue Kompetenzen erfordert, der lebenslange Lern- und Bildungsprozesse voraussetzt. Es ist für mich absolut nicht nachvollziehbar, dass das Kultusministerium – auch hier zitiere ich – „keinen zusätzlichen Fort- und Weiterbildungsbedarf seitens des Landes“ für Erzieherinnen sieht, wie Sie der vorliegenden Antwort entnehmen können.

Ich will die Erzieherinnenausbildung, wie sie hier stattfindet, nicht schlechtreden. Ich bin auch der Auffassung, dass hier eine sehr gute Verknüpfung von Theorie und Praxis gegeben ist. Aber wir müssen uns die Frage stellen, ob diese Ausbildung den zukünftigen Erfordernissen gerecht wird. Qualität ist kein statisches, sondern ein dynamisches Konzept. Die Vorstellungen von Qualität sind heute anders, als sie vor 20 Jahren waren, und sie werden in 20 Jahren wiederum anders sein.

Ich frage mich: Wie sollen Fachkräfte, die vor 20 oder gar 30 Jahren für diesen Beruf ausgebildet wurden und ihren Schwerpunkt in einer Tätigkeit hatten, die Betreuung und Erziehung in den Mittelpunkt gerückt hat, ihre Zukunftschancen sehen? Wie sollen sie ohne eine qualifizierte Fachberatung und Weiterbildung in die Lage versetzt werden, den hoffentlich irgendwann einmal vorgelegten Bildungs- und Erziehungsplan in die Praxis umzusetzen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Antwort der Landesregierung lässt befürchten, dass sich die Fortbildungsqualität, die jetzt nur noch den örtlichen Anbietern überlassen ist, regionalspezifisch sehr unterschiedlich entwickeln wird. In der Antwort auf die Große Anfrage steht, dass die Landkreise keine Angaben zu den ihnen vom Land übertragenen Fort- und Weiterbildungsveranstaltung machten und dass die Anzahl der Veranstaltungen nicht zu ermitteln sei. Ich bin der Auffassung,bei der Wichtigkeit dieses Themas darf man die Fortbildung und Fachberatung für Erzieherinnen nicht dem Goodwill von Kommunen überlassen, sondern man muss durch entsprechende Angebote für landesweit vergleichbare Qualitätsverbesserungen sorgen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die öffentliche Debatte um mehr Bildungsqualität in Kindertagesstätten wird in einem Kontext geführt, der teilweise von dramatischen Verschlechterungen gekennzeichnet ist. Um nur einige zu erwähnen: Mindeststandards, die reduziert wurden, die Budgets, die oft mehr als mangelhaft sind, und die Einschnitte bei der Fortbildung und Fachberatung. Leider gibt es immer noch viele Kommunalpolitiker, die der Auffassung sind, dass eine Kindertagesstätte umso besser ist, je kostengünstiger sie arbeitet.