Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Meine Damen und Herren, die öffentliche Debatte um mehr Bildungsqualität in Kindertagesstätten wird in einem Kontext geführt, der teilweise von dramatischen Verschlechterungen gekennzeichnet ist. Um nur einige zu erwähnen: Mindeststandards, die reduziert wurden, die Budgets, die oft mehr als mangelhaft sind, und die Einschnitte bei der Fortbildung und Fachberatung. Leider gibt es immer noch viele Kommunalpolitiker, die der Auffassung sind, dass eine Kindertagesstätte umso besser ist, je kostengünstiger sie arbeitet.

Ich will noch einen Punkt ansprechen.Angesichts der real erfahrenen Verschlechterungen halten viele Fachkräfte die Rede von aus meiner Sicht notwendigen Bildungsund Erziehungsplänen und von Qualitätssteigerung für bloßes Gefasel oder gar blanken Zynismus. Wenn wir die Stärkung der frühkindlichen Bildung ernst nehmen, dann müssen wir uns auch der wichtigen Rolle der Fachkräfte für die Qualitätsentwicklung bewusst werden. Die zentrale Frage muss deshalb lauten: Was brauchen wir, was brauchen Erzieherinnen, um den Bildungsaspekt zu steigern?

Hier genügt es nicht, Sonntagsreden zu halten und Pläne anzukündigen, wie es hier ständig der Fall ist, sondern wir müssen in einen Dialog über folgende drei Fragen einsteigen: Was brauchen Kinder, um heute und in Zukunft in der Welt zurechtzukommen? Was brauchen Eltern, um den widersprüchlichen Anforderungen von Arbeitswelt und familiärer Verantwortung gerecht zu werden? Und nicht zuletzt:Was braucht die Gesellschaft, um den gesellschaftlichen Wandel aktiv zu gestalten und international konkurrenzfähig zu bleiben? – Um diesen Herausforderungen offensiv zu begegnen, brauchen wir eine bildungspolitische Wende, die der frühkindlichen Bildung in der Realität den Stellenwert zukommen lässt, der theoretisch immer propagiert wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden uns auch damit auseinander setzen müssen, dass höhere Qualitätsanforderungen an Kindertagesstätten nicht zum Nulltarif zu haben sind. Ich habe es vorhin schon angesprochen:Wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie mehr Männer für die Arbeit mit Kindern rekrutiert werden können und wie wir Schlüsselfunktionen in der Fachberatung und Fortbildung künftig Rechnung tragen können. Es ist fraglich, ob die in der Antwort beschriebene sozialpädagogische Breitbandausbildung in unserer Erzieherinnenausbildung den Anforderungen an Kindertagesstätten als elementare und wichtigste Stufe im Bildungssystem noch genügt.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Machen wir uns doch nichts vor. Der Erzieherinnenberuf bietet interessierten jungen Menschen – damit meine ich auch Männer – kaum eine Perspektive. Ich würde dafür plädieren, dass wir uns an den PISA-Siegerländern orientieren, die das Motto vertreten: die Besten in die Vorschule und in die Kindergärten. – Wir müssen sehen, dass wir uns auf die Seite der Vorreiter schlagen und nicht, wie in der Antwort auf die Große Anfrage, jeglichen Reformbedarf in diesem Bereich leugnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Rentsch, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frühkindliche Erziehung, der Bildungsauftrag von Kindergärten ist ein Thema. Wenn wir das vor zehn Jahren diskutiert hätten, hätten uns wahrscheinlich viele für verrückt erklärt.Ich glaube,dass Politik hier schon ein ganzes Stück weiter ist, jedenfalls in der politischen Diskussion zu diesem Thema.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Da warst du noch davon betroffen!)

Genau,da war ich noch davon betroffen.Damit hat Herr Kollege Frömmrich Recht. – Nichtsdestotrotz gibt es einen großen Unterschied zwischen dem politischen Wollen und der Beantwortung der Frage durch die Landesregierung, weil man hier sieht, dass die Landesregierung öffentlich zwar will, aber irgendwie nicht kann, wenn man sich die Fragen und Antworten anschaut.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU): Das ist ein alter Witz!)

Man kann sagen – Herr Kollege Milde, auch wenn es ein alter Witz ist –, das Thema Bildungsauftrag ist durch die Landesregierung verschlafen worden, wenn man es so drastisch formulieren will.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns darüber klar werden, was wir eigentlich wollen. Wenn wir immer wieder auf das Beispiel Rheinland-Pfalz rekurrieren, müssen wir uns auch ehrlich fragen, welche Regelung dort besteht. Dort haben wir einen Leitfaden für Kindergärten und Kindereinrichtungen, wo die Kindergärten sehen können, wie weit sich ein Kind entwickelt haben soll und was passiert sein soll.Wenn die Landesregierung – die Kollegin Ravensburg hat es hier gesagt – von einem Bildungs- und Erziehungsplan redet, möchte ich gerne wissen, wie Sie sich die verbindliche Umsetzung dieses Projektes vorstellen.Was wollen Sie erreichen?

(Beifall bei der FDP)

Sie sagen einerseits, Sie wollten Kinder, Erzieherinnen und Erzieher und Eltern einbeziehen. Wie wollen Sie die Eltern einbeziehen? Wollen Sie verbindliche Regelungen für Eltern treffen? Wollen Sie quasi nach der Kinderschule, die eine hervorragende Idee der Kollegin Henzler war, auch noch die Elternschule einführen? Sicherlich gibt es Defizite. Das beklagen wir alle, weil wir merken, dass die Familie im Rahmen der Erziehung immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Nichtsdestotrotz werden wir doch keine verbindlichen Elemente für Eltern beschließen können, auch wenn wir es wollten, denn die Erziehung wird immer als Elternhoheit bei den Eltern bleiben. Deshalb würde ich gerne von der CDU wissen, was sie sich in diesem Rahmen vorstellt.

Meine Damen und Herren, wenn wir über Bildungs- und Erziehungsplan reden, dann stellt sich die Frage:Wie wol

len wir verbindliche Regelungen für die freien Träger treffen?

Die FDP steht für die Vielfalt der Träger dieses Bereichs. Das haben wir immer gesagt. Wir sind der Meinung, dass gerade die Vielfalt der einzelnen Institutionen das Bildungssystem für Kinder unter fünf Jahren besonders interessant macht. Wenn wir verbindlichen Besuch einführen wollten, dann müssten wir dafür sorgen, dass wir staatliche Kindergärten haben. Das werden Sie aber auf keinen Fall mit der FDP beschließen können.

(Beifall der Abg. Jörg-Uwe Hahn und Dorothea Henzler (FDP))

Wenn wir eine verbindliche Regelung für die kommunalen Träger haben wollen, dann müssen wir auch sagen, dass wir das bezahlen. Damit sind wir an der alles entscheidenden Stelle angelangt. Wenn das Land Anreize schaffen will, dass auch im Rahmen der Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher mehr über Bildung und Erziehung vermittelt wird, dann muss es das auch mitfinanzieren.

Ich will in diesem Zusammenhang kurz auf die Frage 21 und die Antwort darauf eingehen.Da wird folgende Frage gestellt:

Hält die Landesregierung inhaltlich-konzeptionelle Änderungen im Fort- und Weiterbildungsangebot für Erzieherinnen und Erzieher für notwendig?

Die Antwort ist eine Schlüsselantwort. Denn sie zeigt auf, was Sie letztendlich für eine Politik in diesem Bereich machen. Die Antwort lautet:

Es ist Sache der örtlichen öffentlichen und der freien Träger der Jugendhilfe, bei Bedarf entsprechende Konzepte zu entwickeln und... umzusetzen.

Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass wir erkannt haben, dass ein Bedarf besteht. Frau Kollegin Ravensburg hat das hier auch ausgeführt.Wir erkennen also einen Bedarf an Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Aber dann müssen wir auch das Geld dafür zur Verfügung stellen. Man könnte beispielsweise dafür einen Etat beim Kultusministerium einrichten, der den Kindergärten zur freien Verfügung steht und mit dem Anreize geschaffen würden. Nur wenn wir einen solchen Anreiz schaffen, werden wir da ein Stück nach vorne kommen. Deshalb ist die Antwort, die auf diese Frage gegeben wurde, wirklich abenteuerlich. Sie stehlen sich vollständig aus der Verantwortung.

(Beifall der Abg. Jörg-Uwe Hahn und Dorothea Henzler (FDP), bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie stehlen sich vollständig aus der Verantwortung.Das ist ärgerlich. Denn das ist wieder einmal so ein Thema. Es verhält sich hier ähnlich wie bei Ihrer Ankündigung auf dem CDU-Parteitag hinsichtlich der Versorgung der Kinder. Da haben Sie große Bilder nach dem Motto gestellt: Wir werden das alles richten. – Wenn es dann aber um die Umsetzung geht, wenn es konkret um die Finanzierung geht, die Sie im Haushalt bewerkstelligen müssen, geschieht nichts.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Hier ist es ganz genauso. Es wird groß versprochen, den Bildungsauftrag wahrzunehmen. Frau Ministerin, von Ihnen wurde angekündigt, dass es einen Bildungs- und Er

ziehungsplan geben wird. Gekommen ist aber nichts. Das werden wir so nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Priska Hinz und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Wir wollen in diesem Parlament nicht jede Plenarsitzungswoche wieder die Diskussion über die Fort- und Weiterbildung führen und uns dabei gegenseitig versichern, für wie wichtig wir es halten, dass wir Erziehung und Bildung im Kindergarten haben wollen, wie wichtig es ist, dass es wirklich eine Bildungsstätte und keine reine Erziehungs- und Verwahrstätte ist, wenn wir auf der anderen Seite dabei immer nur Ankündigungen und hohle Worte hören. Wir wollen auch Taten sehen. Taten bedeuten in diesem Zusammenhang, dass auch Gelder dafür bereitgestellt werden müssen. Wenn Sie die Mittel dafür nicht zur Verfügung stellen können, ist das wirklich nur hohles Geplänkel gewesen. Es sind dann leere Versprechungen. Das wird dieses Parlament nicht mittragen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat Frau Kultusministerin Wolff.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die überwiegende Zahl derer, die eine Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher beginnen, schließen sie auch ab. Das spricht im Grunde genommen für den Beruf der Erzieherin und des Erziehers.Denn bei dieser Berufsausbildung gibt es nicht, wie es bei vielen anderen Berufsbildern der Fall ist, eine hohe Abbrecherquote, die veranlasst,zu fragen,was in der Beratung und der Ausbildung schief läuft. Diese jungen Leute schließen fast zu 100 % ihre Ausbildung ab.

In Verbindung damit will ich aber auch eine durchaus ketzerische Frage stellen. Es ist zu fragen, ob die Botschaft, dass wir bis auf knapp 5 % fast alle Bewerberinnen und Bewerber in die Ausbildung aufnehmen, dem entspricht, was in der Debatte in der Folge der PISA-Studie oftmals erwähnt wird. Es geht dabei um den Vergleich mit Finnland. In Finnland werden diejenigen, die Lehrerinnen und Lehrer werden, ausgesucht. Dort können nur ein Siebtel bis 10 % – die Zahlen sind da unterschiedlich – auch tatsächlich Lehrerin und Lehrer werden. Diese Frage ist durchaus berechtigt. Deshalb ist es auch richtig, dass wir uns die Frage stellen, wie wir noch stärker für das Berufsbild werben können.

Den Kolleginnen und Kollegen, die sich die Antwort auf die Fragen so leicht machen, warum überwiegend ein Geschlecht diesen Beruf ergreift, möchte ich etwas sagen. Da wird immer argumentiert, dass, wenn Aufgaben und Arbeiten schlecht bzw. vergleichsweise niedrig bezahlt werden, das notwendigerweise dazu führt, dass Frauen diese Aufgaben wahrnehmen. Ob das so wirklich richtig ist, frage ich mich immer anhand eines anderen Beispiels. Man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal die Ausbildung und das Einstiegsgehalt der Polizisten anschauen. Deren Einstiegsgehalt ist nicht höher.Trotzdem gibt es für diesen durchaus auch anspruchsvollen Beruf eine große Zahl Bewerberinnen und Bewerber.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich will nicht negieren, dass die Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher nicht gerade glorreich ist. Es scheint mir aber nicht schlüssig zu sein, dass dies als Begründung dafür reichen soll, dass wir in der Relation zu viele Frauen bzw. – besser gesagt – zu wenige Männer in diesem Beruf haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine andere Feststellung treffen.Frau Hinz,Sie haben festgestellt,dass wir möglicherweise noch nicht in ausreichendem Maße junge Kräfte mit Migrationshintergrund in diesem Beruf haben. Die Antwort auf die Große Anfrage sagt eindeutig, dass da zum Teil auch keine Daten vorliegen. Denn diejenigen,die eingebürgert sind,werden dann nicht mehr in der Weise statistisch erfasst, wie es notwendig wäre, um eine solche Frage zu beantworten.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber das muss Sie doch interessieren! Sie müssen doch etwas tun, um das in Erfahrung zu bringen!)

Entschuldigung, es gibt bei der statistischen Erfassung einige Schwierigkeiten. Ich glaube aber auch nicht, dass es legitim wäre,auf Dauer zu fragen,wer früher einmal einen anderen Pass hatte, als er ihn heute besitzt.

(Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Darum geht es doch auch überhaupt nicht!)

Insofern sollten wir an der Feststellung festhalten, dass innerhalb von zehn Jahren die Zahl derer, die aus ausländischen Familien stammen, verdoppelt werden konnte. Daran sollten wir weiter arbeiten und das als Auftrag verstehen, der weiterhin gilt. Damit bin ich sehr einverstanden.

Es wurde jetzt vielfach die Frage nach der Fortbildung gestellt. Zur Ausbildung werde ich später etwas sagen. Denn die Ausbildung bildet den Kern der Großen Anfrage.

Bei der Fortbildung wurde kritisiert, dass sich das Land angeblich aus dieser zurückziehe. Jawohl, natürlich gibt es ein Kinder- und Jugendhilferecht, das auch in Hessen angewandt wird. Das bedeutet in der Tat, dass sich die Träger, die kommunale Ebene, aber auch die anderen Träger, vorrangig um die Fortbildung zu kümmern haben. Das gibt das Gesetz so vor. Nur frage ich mich, ob das, was da steht, die Realität vollständig abbildet. Wir sind, was die Fortbildung angeht, viel weiter.

Erstens. Auf der Ebene der Träger geschieht etwas. Sowohl bei dem Fachberatungssystem der kommunalen Ebene als auch bei der Fortbildung bei den kirchlichen Trägern geschieht sehr Überzeugendes. Das erfolgt auch in Kooperationen, die wir uns nur wünschen können. So gibt es z. B. Kooperationen zwischen den Fachschulen und den Fachhochschulen, etwa der Evangelischen Fachhochschule. Dort passiert etliches hinsichtlich der Fortbildung, was hinsichtlich des Bildungsauftrags des Kindergartens außerordentlich produktiv und zukunftsweisend ist.

Zweitens. Ich will noch etwas erwähnen. Frau Kollegin Ravensburg hat das schon gesagt. Mittlerweile wurden 3.500 Erzieherinnen und Erzieher für die Spracherziehung der Kinder, die aus Migrationsfamilien stammen, fortgebildet. 3.500 Erzieherinnen und Erzieher erhielten diese Fortbildung. Dies erfolgte aufgrund einer Maßnahme des Landes. In diesem Fall war es eine des Sozialministeriums, für die im Jahre 2003 Mittel in Höhe von 300.000 c eingesetzt wurden. Das wurde dann auch noch weiterentwickelt. Das ist nicht nichts. Vielmehr sind das