Es schlägt wirklich dem Fass den Boden aus, zu sagen, diese Volksverfassung würde eine Politikerverfassung.
Was ist das eigentlich für ein Begriff, eine „Politikerverfassung“? – Haben Sie ein so geringes Selbstwertgefühl, dass Sie in diesem Zusammenhang einen so negativ besetzten Begriff verwenden?
Man kann über die Frage, die dahinter steht, diskutieren, nämlich ob und inwieweit wir plebiszitäre Elemente in der Verfassung verankern oder nicht. Ich sage ganz offen: Derjenige, der für mehr repräsentative Demokratie ist als z. B. ich, ist für mich deswegen kein schlechterer Demokrat.
Wenn ich die Möglichkeit schaffe, eine Verfassungsänderung durch entsprechende Mehrheit des Hessischen Landtags zu beschließen, dann ist das für mich kein Demokratiedefizit, insbesondere dann nicht, wenn gleichzeitig dem Volk die Möglichkeit eingeräumt wird, dies zu korrigieren. Meine Damen und Herren, wie kommen Sie denn dabei auf die Idee, behaupten zu können, es handele sich um ein Demokratiedefizit?
Wir haben in den Diskussionen in der Enquetekommission häufig über die Frage diskutiert, welchen Stellenwert diese historische Substanz in unserer Verfassung hat. Zu dieser Frage haben wir eine Anhörung durchgeführt. Ich bin immer mehr zu der Überzeugung gekommen:Die Tatsache, dass wir nicht leichtere Möglichkeiten hatten, die Hessische Verfassung zu verändern, hat dazu geführt, dass alles Mögliche unter dem Begriff „historische Substanz“ subsumiert wurde und wir dann die Schwierigkeiten hatten, das zu verändern.
Zu Beginn der Arbeit der Enquetekommission hatten wir ganz unterschiedliche Ausgangspositionen. Wir haben in diesem Zusammenhang bei der Frage,ob wir dies tun wollen, natürlich im Auge gehabt, dass es eine Vielzahl von Änderungswünschen gab. Ich komme noch einmal darauf zurück, es waren über 100 Änderungen, die sich im Laufe der Diskussion ergeben haben – fast 200, wenn Sie an die Änderungen der Einzelvorschriften denken.
Damals gab es die Diskussion darüber, wie wir damit umgehen. Ich persönlich war der Auffassung, der Einsetzungsbeschluss hätte auch eine weiter gehendere Reform – Stichwort:Totalrevision – erlaubt. Die anderen Fraktionen waren anderer Auffassung. Wir haben uns dann darauf geeinigt, uns auf ein Minimum zu verständigen. Ich bin Herrn Kollegen Wintermeyer dafür dankbar, dass er damals zehn Punkte genannt hat, anhand derer wir dann in Obleutegesprächen diskutiert haben.
Frau Kollegin,ich will das nicht alles wieder aufgreifen.Es gab aber ein Papier, das Sie kennen, „Kompromissvorschlag, möglicher Konsens in der Sache“, das zehn Punkte beinhaltete. In diesen zehn Punkten waren natürlich auch die Art. 29 und Art. 38 enthalten. Damals haben Sie Ihre Kompromissbereitschaft signalisiert. Wenn Sie die Position, die Sie heute einnehmen, damals schon redlicherweise eingenommen hätten, hätten wir uns den Rest beim besten Willen sparen können.
Ich sage das nicht, um einzelne Mitglieder zu diskreditieren. Ich sage das deswegen, weil wir uns dieses halbe Jahr der öffentlichen Debatten hätten sparen können. Wir ha
ben dabei kein gutes Bild abgeliefert.Wir waren aber immer in dem Glauben, die Sozialdemokraten seien kompromissbereit. Wir sind den Sozialdemokraten jedes Mal entgegengekommen und haben die Bereitschaft gezeigt, an bestimmten Stellen Änderungen vorzunehmen.
Abschließend will ich sagen, dass dieser Kompromiss für uns nicht der Idealkompromiss war. Das haben wir auch vorher gesagt. Beispielsweise Art. 141 zur Verschuldungsgrenze ist für uns ein wichtiges Thema. Ich bin in unsere Fraktion gekommen, und jedes Mal fragte mich Roland von Hunnius, ob auch Art. 141 geregelt worden sei. Wir haben die einzige Landesverfassung, die zur Frage der Verschuldungsgrenze keine dezidierte Aussage hat, andere Verfassungen sind dort wesentlich weiter.
(Norbert Schmitt (SPD): Dafür war Hessen das erste Land, das die Verschuldungsgrenze unter Ihrer Beteiligung überschritten hat!)
Ich habe dazu einen Vorschlag unterbreitet, der nicht mehrheitsfähig war.Also haben wir darauf verzichtet.Wir haben auch in anderen Bereichen keine Mehrheit finden können.Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, im Interesse dieses Konsenses stellen wir die vielen anderen Dinge zurück. Wir haben in wichtigen Dingen Wesentliches geändert. Ich möchte auch dem widersprechen, was Herr Walter gesagt hat. Das, was wir vorgestellt haben, ist nicht ein beliebiger Teppich, irgendwie zusammengestrickt,sondern es passt aufeinander,ist aufeinander abgestimmt und deswegen wert, dem hessischen Volk zur Verabschiedung vorgelegt zu werden.
Ich bedauere außerordentlich,dass Sie,Herr Kollege Walter, die Tür zur ersten umfassenden Reform der Hessischen Verfassung auf diese Art und Weise zuschlagen, und die Argumente,die Sie vortragen,sind beileibe nicht stichhaltig. Das, was die Mehrheit vorgetragen hat, wäre es durchaus wert,dem hessischen Volk zur Abstimmung vorgelegt zu werden. – Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren! Die Debatte dreht sich immer nur um ganz wenige Sätze und die Reihenfolge dieser Sätze. Der spannende Punkt ist doch relativ schlicht: Wenn Gesetzgebung der Politik einen Rahmen setzt, ist dieser Satz der Hauptsatz und der zweite Satz der Nebensatz.
Herr Posch, Sie haben an dieser Stelle genau deutlich gemacht, wo der Punkt ist. Wenn in der Hessischen Verfassung steht, die Wirtschaft habe die Aufgabe, dem Wohle des gesamten Volkes zu dienen, dann ist das ein Hauptsatz. Alles andere hat sich dem unterzuordnen. Wenn Sie einen anderen Satz an diese Stelle stellen – Herr Dr. Jürgens hat das sehr deutlich gemacht, indem er die dienende Funktion der Wirtschaft mit den Freiheitsrechten der Menschen verglichen hat –, dann ist das nicht das Gleiche.
Wir haben in der Politik einen Rahmen, in dem sich Wirtschaft betätigen kann. Dieser Rahmen zwingt sie in die gesellschaftliche Verantwortung. Diesen Rahmen möch
ten Sie weg haben. Ihrem Argument, Sie bewahren die Prinzipien, kann ich nur entgegnen, dass das doch etwas ändert. Sonst würden Sie es nicht tun. Sie wollen eben keine sozial gebundene Wirtschaft, sondern eine, die sich relativ frei entfalten kann und in der das Soziale nur noch Korrektiv ist. Das ist uns zu wenig, und das darf so nicht bleiben.
Der zweite Punkt ist die Frage, wie Sie mit dem Volksentscheid und der Zweidrittelmehrheit umgehen. Man kann das an einem sehr konkreten Fall darlegen. Reden Sie doch einmal darüber, dass Sie als Mehrheitsfraktion in diesem Parlament ein Problem haben, nämlich die Studiengebühren deswegen nicht einführen können, weil Sie nicht nur eine parlamentarische Hürde haben, sondern weil Ihnen in dieser Frage das Volk im Wege steht. Wir entgegnen Ihnen: An dieser Stelle ist die Hürde des Volkes höher als die des Parlaments.Wir glauben, dass in solchen grundlegenden sozialen Fragen das Parlament nicht den Vorrang haben soll, sondern dass das Volk in jedem Fall das letzte Wort haben soll.Wir können über alle Parlamentsverfahren zur Änderung reden.
Wenn das Volk die letzte Abstimmung hat – es hat diese Verfassung auch auszubaden –, soll es auch das letzte Wort behalten.
Herr Kollege Grumbach, ich weise mit allem Nachdruck den Inhalt Ihres Satzes zurück, dass uns das Volk im Wege steht. Wir beteiligen das Volk, indem wir diese Verfassungsänderung zur Abstimmung stellen.
Es ist wirklich eine Unverfrorenheit,wie Sie nach den Debattenbeiträgen des heutigen Tages behaupten können, das Volk stehe uns im Wege. Ich glaube, Sie haben die Situation und die Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben, bis zum heutigen Tag noch nicht begriffen.
Herr Kollege Grumbach, zweitens haben Sie nicht zugehört. Es geht nicht um Haupt- und Nebensatz. Ich habe versucht darzustellen,dass im ersten Satz festgestellt wird, dass wirtschaftliche Freiheit und wirtschaftliche Tätigkeit nicht ohne Schranken sein dürfen.
Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, tut es mir Leid.Aber daran kann ich nichts ändern.Wenn wir etwas ändern,will ich Ihnen das Folgende auch noch klar sagen. Herr Kollege Dr. Jürgens hat eben Art. 38 Abs. 1 Satz 2 zitiert und darauf hingewiesen, dass zu dem genannten Zweck „das Gesetz die Maßnahmen anzuordnen (hat) , die erforderlich sind, um die Erzeugung, Herstellung und Verteilung sinnvoll zu lenken und jedermann einen gerechten Anteil an dem wirtschaftlichen Ergebnis aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung zu schützen“. In Abs. 2 heißt es weiter: „Im Rahmen der hierdurch gezogenen Grenzen ist die wirtschaftliche Betätigung frei.“ Das ist in der Tat Planwirtschaft, und die wollen wir nicht. – Herzlichen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Abschluss der Arbeit der Verfassungsenquete des Hessischen Landtags im Konsens, Drucks. 16/3519, unter Tagesordnungspunkt 14 wurde von den Antragstellern zurückgezogen. Das nehmen wir hiermit zur Kenntnis.
Tagesordnungspunkt 11, der Bericht der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung, Drucks. 16/3700, ist besprochen.
Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen – Drucks. 16/3904 zu Drucks. 16/3234 –
Der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Änderungsantrags Drucks. 16/3891 in zweiter Lesung anzunehmen.
Der Gesetzentwurf war dem Ausschuss für Wissenschaft und Kunst in der 61. Plenarsitzung am 22. Februar 2005 nach der ersten Lesung zur Vorbereitung der zweiten Lesung überwiesen worden. Die Änderungsanträge waren dem Ausschuss am 19.April 2005 vom Präsidenten direkt überwiesen worden.