Protokoll der Sitzung vom 27.04.2005

(Axel Wintermeyer (CDU):Woher wissen Sie das?)

Weil ich im Gegensatz zu Ihnen zahlreiche Gespräche in den einzelnen Behörden führe.

(Beifall bei der SPD)

Diese Überstunden, die in die Modernisierung gesteckt werden, führen jetzt schon dazu, dass die Grenzen der Belastbarkeit der einzelnen Bediensteten in der Justiz sozusagen erreicht sind.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Hierzu kommt noch die Einführung von SAP R/3, die, wie Sie wissen, allein bis zum Jahr 2007 in der gesamten Landesverwaltung 500 Millionen c verschlingen wird. Erst kürzlich hat Ihnen ja der Landesrechnungshof ins Stammbuch geschrieben, dass Kosten und Nutzen der Einführung von SAP R/3 nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis stehen.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Wenn man jetzt auf die Justiz blickt, muss man feststellen, dass erst NRV und insbesondere ver.di Sie gezwungen haben, einen für die Justiz auch geeigneten Produktbegriff einzuführen, der außerdem die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Richters berücksichtigt.

(Günter Rudolph (SPD): SAP klappt doch sowieso nicht!)

Insgesamt muss man sagen – das wissen Sie auch aus den Gesprächen, aber Sie führen ja selten Gespräche mit den

Praktikern –, dass SAP R/3 insbesondere für die Justiz hinlänglich ungeeignet ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir wissen ja, dass insbesondere wegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, dem Justizgewährungsanspruch, aber auch wegen der Prozessordnungen und der richterlichen Unabhängigkeit SAP R/3 in der Justiz nur sehr eingeschränkt Anwendung finden kann.

Im Übrigen haben die Landesregierung und der Justizminister auch keinerlei Anlass, sich sozusagen auf Erworbenem oder Erreichtem auszuruhen, und auch keinerlei Anlass, sich abfeiern zu lassen, wenn sie einmal wirklich in die Behörden hineingehen und sich die Stimmung und die Situation in der Justiz genau anschauen.

(Beifall bei der SPD)

Das Phänomenale ist, dass er anscheinend zweimal in der Woche Behörden des Landes besucht, aber daraus nichts lernt.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf von der CDU: Ui!)

Mit Ihrem personellen Kahlschlag, mit dem Sie weit über 800 Stellen bis zum Jahr 2007 in der Justiz abbauen wollen, davon 160 Stellen bei den Richtern und Staatsanwälten, bringen Sie die Justiz in Hessen an den Rand der Handlungsfähigkeit.

(Beifall bei der SPD – Clemens Reif (CDU): Schlimmer ist, dass Sie das noch glauben!)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel vom Landgericht Frankfurt am Main nennen, wo 10 % des Personals im letzten Jahr abgebaut worden sind. Diese Situation spiegelt sich dann auch in Belastungszahlen wider z. B. bei den Rechtspflegern liegt diese bei 150 % und mehr, bei der Staatsanwaltschaft bei 140 bis 150 %, bei der Amtsanwaltschaft bei 155 bis 162 %.

Diesem personellen Kahlschlag, den Sie vollziehen, steht auf der anderen Seite natürlich auch ein Anstieg an Eingangszahlen gegenüber, der zum einen durch die konjunkturelle Lage bedingt ist, zum anderen durch den Kriminalitätsanstieg in unserem Land.Erhöhte Eingangszahlen im Zivil- und Strafbereich, Beispiel Frankfurt am Main: ein Anstieg der Eingangszahlen im Vergleich zum letzten Jahr um plus 16 %, im Zivilbereich und im Strafbereich um 37 %.

Wenn Sie sich also heute hierhin stellen und sich für Ihre vermeintlichen Errungenschaften abfeiern lassen wollen, dann ignorieren Sie ganz bewusst und verschweigen auch die tatsächliche Situation der Rechtspflege in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Ihrer Ignoranz längst überdrüssig sind auch die Bediensteten. Das zeigt ein entsprechender Brief, den wir in der vorletzten Plenardebatte diskutiert haben,nämlich der offene Brief an die Presse von Richterbund und ver.di, die deutlich gemacht haben, wie dramatisch die Situation der Staatsanwaltschaft Frankfurt – exemplarisch – ist. Herr Holler, das möchte ich jetzt einmal an Sie richten: Sie verkennen, dass allein eine modernisierte Justiz noch lange keine effektive Justiz ist.

(Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Wegen der personellen Aushöhlung der Justiz steigen die Fallzahlen in Hessen in den verschiedensten Bereichen dramatisch an. Das kann ich Ihnen nachweisen. Bürgerin

nen und Bürger müssen länger auf ihr Recht und auf einen vollstreckbaren Titel warten.Darunter leidet auch die Wirtschaft in Hessen.Auch die Qualität der Rechtspflege in Hessen leidet darunter. Zugegebenermaßen kann man sie schlecht quantifizieren.Insgesamt gibt es hier einen erheblichen Qualitätsmangel zu befürchten.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Axel Winter- meyer (CDU))

Darüber hinaus gaukeln Sie der Öffentlichkeit vor, eine moderne Justiz und eine moderne Polizei brächten mehr Sicherheit. Die Faktenlage ist doch eine ganz andere.

(Helmut Peuser (CDU): Das ist nicht wahr!)

In den letzten beiden Jahren ist die Kriminalität in Hessen um 11 % angestiegen. Herr Rudolph wird dies für die SPD-Fraktion noch näher ausführen. Das sieht man auch in den Eingangszahlen der Staatsanwaltschaften. Im Erwachsenendezernat haben wir im Monat 55 Akten als Neueingänge, in den Jugenddezernaten liegt diese Zahl noch viel höher.

(Axel Wintermeyer (CDU):Weil wir besser aufklären!)

Durch Ihre Einschnitte im personellen Bereich ist eine effektive Strafverfolgung in Hessen nicht mehr garantiert. Darauf weisen mannigfaltige Vertreter der Staatsanwaltschaften heute schon hin.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Abschluss auch noch Beispiele dafür benennen, dass Hessen unsicherer geworden ist.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

In den letzten Wochen haben wir spektakuläre Vorfälle in den Haftanstalten Hessens gehabt – leider Gottes. Allein in der JVA Kassel sind zwei Schwerstkriminelle ausgebrochen, die bis zum heutigen Tag nicht gefasst worden sind. In der JVA Wiesbaden gab es kürzlich einen Angriff eines Gefangenen gegen einen Bediensteten, der lebensgefährlich verletzt worden ist. Nur Mitgefangene, nicht etwa die Strafvollzugsbediensteten, konnten diesen Gefangenen von seinem Vorhaben abbringen. Das zeigt, wie die Sicherheitslage in unserem Land tatsächlich ist.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Frömm- rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich frage mich in der Tat: Was muss noch alles passieren, damit Sie umsteuern und aufhören, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass Hessen sicher sei?

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner spricht Herr Abg. Frömmrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unruhe, die hier aufseiten der CDU-Fraktion entsteht, hat anscheinend damit zu tun, dass der Antrag, den sie gestellt hat, offensichtlich nicht die richtige Zielrichtung hatte. Lassen Sie mich doch einmal vor der Klammer erklären, dass natürlich zu einer modernen Justiz und einer modernen Polizei moderne Kommunikationsmittel und eine moderne Verwaltung gehören.

(Norbert Schmitt (SPD): Einschließlich E-MailVerteiler!)

Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Warum haben Sie denn diesen Antrag überhaupt eingebracht? Was wollten Sie denn mit diesem Antrag erreichen? – Dass wir hier sozusagen den Ministern der Justiz und des Inneren dafür huldigen, dass sie Dinge gemacht haben, die ganz normales Verwaltungshandeln sind, oder was wollten Sie hier?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Sie erwarten wohl, dass wir vor der Fleisch gewordenen inneren Sicherheit hier als Salzsäule erstarren. Oder was haben Sie sich hier vorgestellt, als Sie diesen Antrag vorgelegt haben? – Wir haben hier schon vom Ministerpräsidenten Regierungserklärungen gehört, in denen es um EMail-Verteiler ging. Die Steigerung der E-Mail-Verteiler ist jetzt anscheinend die Modernisierungskampagne der Justiz und der Polizei. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Die beiden Minister des Innern und der Justiz waren so schlau, dass Sie die Regierungserklärung nicht selber gemacht haben, sondern die CDU-Fraktion vorgeschickt haben, um hier die Arbeit zu leisten, damit sie sich hier nicht in der ersten Runde blamieren.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist alles schon wieder versenkt!)

Wo sind wir denn eigentlich, dass Sie meinen, Modernisierungsmaßnahmen sozusagen als neue Errungenschaften in diesem Hause verkaufen zu wollen? – Meine Damen und Herren, wir leben nicht zu Zeiten Georg August Zinns. Sie sind seit sechs Jahren in der Regierung. Das müssen Sie sich hier sagen lassen, und da sind Sie verantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie es erst jetzt geschafft haben, eine moderne Verwaltung und moderne Kommunikationsmittel in diesen Bereichen vorzuweisen,dann ist das doch nicht die Schuld der Vorgängerregierung. Sie sind hier seit sechs Jahren im Amt, also haben Sie versäumt, dies durchzusetzen.

(Clemens Reif (CDU): Sie müssen sich mindestens noch drei Jahre mit uns abfinden!)