Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

(Beifall bei der FDP)

Wenn nichts Drastisches geschieht, haben die Steuermindereinnahmen im Jahr 2005 im Wesentlichen keine andere Auswirkung als noch weiter steigende Schulden. Die Nettoneuverschuldung würde von 1,1 Milliarden auf mindestens 1,3 Milliarden c steigen und sich damit noch weiter von der Verfassungsgrenze entfernen.

Machen wir uns nichts vor, eine neue Bundesregierung mit neuer Wirtschafts- und Finanzpolitik – dazu muss ich den Kolleginnen und Kollegen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: ich habe mir gestern Abend im Fernsehen ein Gespräch mit Herrn Dr. Meister angesehen;

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach, bei Ihnen ist er!)

wenn das die Finanzpolitik der CDU wird, dann sind wir uns in Steuerfragen an der Stelle einig, das kann ich Ihnen wirklich versprechen, da liegen wir weitgehend auf ähnlicher Linie –

(Beifall bei der FDP)

wird einen neuen Kurs in der Steuerpolitik bringen. Das alles leistet einen wesentlichen Beitrag dafür, dass Konsumenten und Investoren wieder Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Landes haben.Aber sie allein wird das hessische Finanzproblem nicht lösen können. Das ist auch unbestritten. Deshalb fordert die FDP-Fraktion in ihrem Antrag vom 31. Mai – der ist dankenswerterweise schon von den Kollegen zitiert worden – erstens einen Kassensturz, zweitens eine sofortige, umfassende und lückenlose Haushaltssperre, um Zeit für die Planung weiterer Maßnahmen zu gewinnen

(Zuruf des Ministers Karlheinz Weimar)

Herr Minister, mit Ausnahme gesetzlicher Tatbestände, das ist klar,sonst wäre es ein Haushaltssicherungsgesetz –,

drittens die Einbringung eines Nachtragshaushaltes noch vor der Sommerpause 2005,

(Beifall bei der FDP und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

und zwar eines Nachtragshaushalts mit Einsparmaßnahmen in allen Bereichen. Lediglich zwei Schwerpunktbereiche – Schule und Hochschule – sind nach unserer Überzeugung von Kürzungen völlig auszunehmen.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zu einem Thema, das morgen noch ausführlicher Diskussionsgegenstand sein wird. Aber ich will es, weil das bei den sechs Anträgen, über die wir heute sprechen,in einem Antrag mit vermerkt worden ist,zumindest erwähnen. Dieser Vorgang ist mit der schönen Stadt Erbach im Odenwald verbunden,die den meisten Hessinnen und Hessen erst durch den Hessentag bekannt und lieb geworden ist.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Da gibt es Geweihe!)

Wer keinen Kassensturz macht, wer mit einer Verschuldung oberhalb der Verfassungsgrenze lebt und eine weitere Erhöhung der Verschuldung um mehrere hundert Millionen Euro zu erwarten hat, wer für Zinsen mehr Geld ausgeben muss, als er mit neuen Schulden im gleichen Jahr hereinbekommt, der kann nach fester Überzeugung der FDP-Fraktion in diesem Hause gar nicht ernsthaft erwägen, den Erbach-Deal – nehmen wir das Wort vom letzten Jahr – mit einer unmittelbaren Belastung von 13,3 Millionen c und weiteren Belastungen von mindestens 120.000 c pro Jahr ohne jegliche zeitliche Begrenzung abschließen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Auf das Begehren der Landesregierung gibt es aus unserer Sicht nur drei Antworten: das nicht, so nicht und jetzt nicht.

(Beifall bei der FDP)

Ich will auf die Fragen der Steuerpolitik nicht mehr ausgiebig eingehen. Der Kollege Hahn hat heute Morgen aus einem anderen Anlass das Steuerkonzept der FDP kurz dargelegt. Für alle, die bei diesem Punkt vielleicht nicht ganz zugehört haben: Die FDP ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die ein eigenes Konzept als Gesetzentwurf eingebracht hat,

(Beifall bei der FDP)

ein einfaches Konzept der Einkommensbesteuerung mit hohen Freibeträgen,7.700 c pro Person,Kind,Kegel oder Erwachsener, mit drei Grenzsteuersätzen, 15 %, 25 %, 35 %,mit weitestgehender Abschaffung von Sondertatbeständen. Dieses haben wir inzwischen um ein Unternehmenssteuerkonzept ergänzt, das mit 25 % in der Spitze endet, das rechtsformenneutral ist, also Unternehmensgewinne einheitlich besteuert, egal, ob sie von einer GmbH oder einem Einzelunternehmen kommen, und dies alles bei Fortfall der Gewerbesteuer und der Einräumung eines Hebesatzes auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Das ist mit kurzen Worten unser Konzept.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir dieses Konzept umsetzen,dann wird es auch bedeuten, dass vieles gestrichen wird, was im Augenblick für die Menschen bequem ist. Wir bekennen uns dazu, dass das gestrichen werden muss, aber nicht, um temporär hier

zu streichen und dort etwas gegenzufinanzieren, sondern um das ganze Konzept in sich schlüssig zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir dieses Konzept realisieren, dann gibt es überhaupt keinen Anlass,die Mehrwertsteuer zu erhöhen.Wer die Mehrwertsteuer erhöht, nimmt bewusst in Kauf, dass die Inflationsrate in diesem Lande steigt,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da waren Sie auch dabei!)

nimmt in Kauf, dass Kaufkraft entzogen wird, und – Herr Kollege Kaufmann – er nimmt in Kauf, dass dem Einzelhandel, der ohnehin um seine Existenz kämpft, das Leben noch viel schwerer gemacht wird.

(Beifall bei der FDP)

Schon die Diskussion darüber ist weiteres Gift für die Konjunktur. Ich habe wenig Verständnis, dass darüber gesprochen wird, ob wir 16 %, 18 %, 20 % machen. Das ist alles schädlich, weil es den Glauben der Menschen in die Zukunft einfach beseitigt und an der falschen Stelle einsetzt.

Für den Haushalt wie für die Steuerpolitik gilt: Erfolg hat auf Dauer nur, wer über die Situation ehrlich informiert, wirkliche Lösungen statt leerer Parolen anbietet und konsequent handelt. – Mehr Ehrlichkeit, bessere Lösungen und mehr Konsequenz – das haben die Bürgerinnen und Bürger hier in Hessen,aber auch in ganz Deutschland verdient. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat der Finanzminister Weimar.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, in welcher Art Rot-Grün hier auftritt, wenn man einmal sieht, was sieben Jahre Rot-Grün in Deutschland angerichtet haben.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Immer sachbezogen!)

Wir haben in Deutschland vollständig den internationalen Anschluss verloren. Wir hatten voriges Jahr in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 1,6 %. Wir hatten vier Arbeitstage mehr, was das Wirtschaftswachstum natürlich entscheidend mitgeprägt hat. Damit liegen wir beim Wirtschaftswachstum, nachdem wir in diesem Jahr in der Weltwirtschaft das stärkste Wirtschaftswachstum nach 30 Jahren hatten, mit Moldawien ganz am Ende. Ich wollte eigentlich nicht, dass sich Deutschland irgendwann einmal im Wirtschaftswachstum mit Moldawien vergleichen lässt, aber Rot-Grün hat es geschafft. Es ist nicht das erste Jahr, in dem das passiert ist.

Der zweite Punkt ist, in der OECD-Liste des Einkommens pro Kopf der Bevölkerung sind wir mittlerweile von einem ganz vorderen Platz auf irgendwo um Platz 30 herum abgesunken. Das heißt also, in Europa haben uns praktisch alle Länder beim Pro-Kopf-Einkommen überholt. Das bedeutet unmittelbar, dass dieses Land ärmer wird und die Menschen in diesem Lande ärmer werden.

Meine Damen und Herren, wer jetzt sagt, wenn die These aufgestellt wird, in Deutschland müssen sich verschiedene Dinge ändern, das sei alles nicht so, dem muss ich sagen: Erstens sieht es die Bevölkerung nicht so. Herr Kaufmann, es kommt nicht von ungefähr, dass die GRÜNEN in Deutschland in keiner Landesregierung mehr sind und möglicherweise nach dem 18. September auch nicht mehr in der Bundesregierung.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Relativ wahrscheinlich! – Dr.Walter Lübcke (CDU): Große Hoffnung!)

Es zeigt sich doch, dass die Menschen begreifen, was hier passiert, und die entsprechenden Quittungen ausstellen. Dann ein Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, man mache alles richtig, ist nur noch merkwürdig.

(Beifall bei der CDU)

Das alles hat doch mit der Realität nichts mehr zu tun. Ich meine, deswegen muss man darüber reden, wie sich diese Dinge insgesamt verbessern. Damit das auch klar wird: Wir haben jetzt die neunte Steuerschätzung hintereinander, wo jeweils gegenüber den vorigen Steuerschätzungen Steuerrückgänge geschätzt werden.Wir sind im Jahr 2004 in Hessen unter den Steuereinnahmen des Jahres 1998 gewesen, und zwar nicht ein paar Euro, sondern 240, 250 Millionen c.

Meine Damen und Herren, das zeigt in einem Maße, dass dieses Land im Niedergehen begriffen ist, dass es dringend notwendig ist, dass strukturelle Dinge geändert werden. 65 Milliarden c geringere Steuereinnahmen sind im Mai von dem Arbeitskreis Steuerschätzungen geschätzt worden. Das bedeutet heruntergebrochen auf uns 330 Millionen in diesem Jahr – das ist schon angesprochen worden – und 720 Millionen c im nächsten Jahr. Herr Walter,an dieser Stelle hat man gespürt,dass Sie durchaus manches wüssten, was notwendig und dringlich ist. Ich weiß,es gibt auch intern in der Frage Probleme,aber eines will ich dennoch einmal festhalten: Das Land kann nicht alleine solche Größenordnungen lösen.

(Jürgen Walter (SPD): Das ist richtig!)

Das kann doch schon die Basis für eine sehr ruhige und vernünftige Diskussion sein, wenn nicht diese Null-EinsDiskussion an der Stelle stattfindet. Das sind Größenordnungen, die wirklich dramatisch sind. Alle diejenigen, die sich intensiv mit dem Landeshaushalt befassen, wissen es. Herr von Hunnius hat gesagt, wir hätten 17 Milliarden c frei verfügbare Masse. Sie haben die Basis der Haushaltssperre auf die 17 Milliarden c hochgerechnet. Das stimmt bei weitem nicht. Das, was übrig bleibt und verfügbar ist, ist ein kleiner Milliardenbetrag; und nach der „Operation sichere Zukunft“, auch wenn ich nicht die Diktion der Opposition aufnehme, sondern objektivere Daten zugrunde lege, ist dieser Korridor noch sehr viel kleiner geworden.

Das Ärgerliche an der Sache ist:Wenn das Defizit im Gesamtstaat 3,6 % beträgt – wahrscheinlich zum Jahresende noch deutlich höher wird –, dann muss man einmal sehen, wie sich das zusammensetzt.

Beim Bund war es so: Im Jahr 2001 wies er noch 2,1 % gesamtstaatliches Defizit auf. Das ist über 4,4 % und 4,8 % auf 5,2 % im Jahr 2004 gestiegen. Bei den Ländern ist es umgekehrt.Dort ist es von 2,9 % auf 2,3 % gesunken.Das heißt also, die Überschreitung der Kriterien des Maastricht-Vertrages ist in dramatischem – –

(Norbert Schmitt (SPD): Das stimmt aber nicht!)

Die Zahlen entstammen einer Vorlage, die das Statistische Bundesamt gefertigt hat. – Die Überschreitung der Kriterien des Maastricht-Vertrages wird also in dramatischer Weise vom Bund verantwortet, und das zieht uns in besonderer Weise mit herunter.

Ich werde gleich auch noch einmal inhaltlich etwas dazu sagen. Meine Damen und Herren, tun Sie aber bitte doch nicht so, als ob die Sache völlig losgelöst von dieser Erde wäre. Herr Eichel hat noch vor wenigen Tagen gesagt, er werde in diesem Jahr 10 bis 12 Milliarden c Steuern weniger einnehmen. Er sprach von 10 bis 12 Milliarden c, wohl wissend, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Denn da kommt noch aufgrund von Hartz IV und anderen Dingen etwas auf den Haushalt zu. Er legt keinen Entwurf für einen Nachtragshaushalt vor. Er erlässt keine Haushaltssperre. Er macht überhaupt nichts. Er lässt es laufen. Er hat aufgegeben.