Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

Man kann zweierlei machen.Man kann,wie wir das seit 20 Jahren tun – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Dänemark –, sagen: Das ist Schicksal, die müssen Sozialhilfe bekommen. – Man kann aber auch sagen: Kümmern wir uns gründlich um diese Menschen, und führen wir ein Modell ein, wonach es nicht mehr Lohnersatz als Sozialhilfe gibt. Der Betroffene soll dort arbeiten, er soll nur den marktgerechten Lohn bekommen, den es auch in anderen Ländern Europas gibt; aber wir sind in der Lage, etwas draufzulegen. Dann zahlen wir weniger Sozialhilfe, und der Betroffene hat einen Erwerbsarbeitsplatz, kann sich qualifizieren und zusätzliche Einkünfte erzielen. Es gibt keine Schwarzarbeit und keine frustrierten Menschen mehr. – Das alles könnte man seit Jahren machen. Von Hessen aus ist das mit dem Entwurf für ein Existenzgrundlagengesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht worden.

Meine Damen und Herren Sozialdemokraten, wenn Sie heute mit Menschen sprechen, die keine Jobs haben, müssen Sie wissen, dass Sie diejenigen sind, die verhindert haben – Herr Clement in Person war das –, dass es heute in Deutschland ein solches Gesetz gibt. Wir werden dafür kämpfen, dass in Zukunft ein solches Gesetz in Kraft treten kann.

(Beifall bei der CDU)

Es wird viele durchaus ideologisch geprägte Auseinandersetzungen geben.Im Wahlkampf ist das in Ordnung.Wenn der Wahlkampf kürzer ist als sonst, spitzt sich das alles

noch etwas zu. Dann herrscht das Klima, das wir im Hessischen Landtag haben, vielleicht in der ganzen Republik. Wenn ich Herrn Al-Wazir mit seinem Engagement sehe, kommt es mir so vor, als ob wir das in Hessen manchmal etwas verbissener betrieben als andere. Ich glaube, dass man Oppositionspolitik auch mit einem etwas freieren Gefühl machen kann.

(Petra Fuhrmann (SPD):Das müssen gerade Sie sagen!)

Ja, Frau Fuhrmann, das sage ich.Als wir Oppositionspolitik gemacht haben, hat sich in unseren Gesichtern mehr Freude widergespiegelt als in Ihren. Mit solch schmerzverzerrten Gesichtern und so verkrampft haben wir nie Oppositionspolitik betrieben. Das kann ich Ihnen sagen; ich war lange genug Oppositionsführer in diesem Haus.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD)

Aber wir werden bei all diesen Diskussionen – das als Schlussbemerkung – nicht um die Frage nach einer staatlichen Finanzierung herumkommen. Das ist eine sehr komplizierte Frage. Um das zu erkennen, muss man sich das ansehen, was alle Parteien – ich mache keine Unterschiede – im Jahre 2001 für das Jahr 2002 formuliert haben, und es damit vergleichen, wie die Realität heute aussieht. Die Nichterfüllung der damals von der Bundesregierung selbst geschürten Erwartungen bereitet uns heute all diese Probleme.

Nehmen wir die Steuerschätzung vom November 2001 als Grundlage.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich sage Ihnen, woran das liegt. Kommen Sie doch nicht immer mit solch einem Quatsch.

Wir haben bei den Steuerschätzungen an dieser Stelle immer eine Vorgabe für das Wachstum. Diese Vorgabe entscheidet alles.

(Norbert Schmitt (SPD): Seit Mitte der Neunzigerjahre ging das immer nach unten!)

Diese Steuerschätzung ging davon aus, dass Sie in den ersten Jahren Ihrer Regierung ganz moderate Wachstumsraten haben wollten: erst 1,5 %, dann 2 % und im Jahr 2005 2,5 %. Das ist wahrlich nichts, wofür man sich loben müsste. Das ist an der unteren Grenze des normalen Standards, wenn man dafür sorgen will, dass unser Land einigermaßen erfolgreich ist.

Mit diesen Zahlen haben wir alle gerechnet. Darin unterscheiden wir uns nicht.Wäre diese Entwicklung so eingetreten, hätten wir also ein ganz normales wirtschaftliches Wachstum, wie in Großbritannien, Dänemark, Österreich und Spanien – also nichts, was einen vom Himmel stürzen muss –, dann hätten wir heute in der Bundesrepublik Deutschland, d. h. Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam, 50 Milliarden c mehr Steuereinnahmen. Das bezieht die Steuerreformen, die durchgeführt worden sind, ein – ohne irgendwelche Steuererhöhungen. Wenn wir nur diese 50 Milliarden c zusätzlich zur Verfügung hätten, wäre das Einhalten der Maastricht-Kriterien kein Problem mehr, auch nicht für den Bund. Für ein Land wie Hessen gilt das sowieso.Wir liegen weit darunter; das wissen Sie. Das liegt an unserer Wirtschaftskraft.

Frau Ypsilanti, die Frage, was man in der Politik gestalten kann, hängt eng mit Folgendem zusammen: Was ist die Konsequenz? Was lernen wir daraus? Lernen wir daraus, dass wir das Steueraufkommen in diesem Land erhöhen,

weil wir so wenig Geld haben und mehr brauchen, oder lernen wir daraus, dass wir die Wirtschaftskraft dieses Landes stärken müssen, sodass der Staat ohne Steuererhöhungen mehr Einnahmen zur Verfügung hat, um damit seine Aufgaben zu erfüllen?

Das ist eine wichtige Frage. Sie rufen nach der Erbschaftsteuer und nach der Vermögensteuer. In Klammern darf ich sagen: Die Sozialdemokraten waren doch einmal für eine Erbschaftsteuer und für eine Vermögensteuer. Herr Gabriel, der jetzt nach Berlin will, hat Plakate drucken lassen – 3,45 m mal 2,48 m –,auf denen stand:Ich führe die Vermögensteuer ein. – Als die Plakate von der Druckerei an die Firmen geliefert wurden, die sie kleben sollten, hat der Bundeskanzler erklärt: Mit mir gibt es keine Vermögensteuer.

Führen Sie doch bitte nicht dauernd Streit mit uns.Wir haben das immer für Blödsinn gehalten. Im Bundesrat wird es in den nächsten Jahren keine Mehrheit dafür geben.Ihr Bundeskanzler hat der Öffentlichkeit, wie ich finde, zu Recht erklärt, dass man nicht wettbewerbsfähig wird, wenn man diesen Unsinn einführt. Hören Sie auf damit, das jetzt wieder daherzuplappern. Glauben Sie nicht, Sie könnten mit Klassenkampfparolen einen Wahlkampf führen.

(Beifall bei der CDU)

Die Kernfrage hat nichts mit der Mehrwertsteuer, den Sozialabgaben und damit, wie man das miteinander verrechnet, zu tun. Bei der Steuerreform ist vieles möglich. Die Steuerreform hat übrigens viel mit dem Subventionsabbau zu tun. Dort haben wir den gleichen Unterschied.

Ich glaube, ich bin an diesem Punkt ziemlich unverdächtig. Herr Steinbrück und ich sind die Einzigen – übrigens wurde das in sechs Wochen durch Bundestag und Bundesrat gebracht, sodass es leider viele nicht bemerkt haben –, die eine Subventionskürzung realisiert haben: in drei Jahren 15 Milliarden c und ab dem Jahr 2006 jährlich 10 Milliarden c weniger als ohne diese Regelung. Ich bin sofort in der Lage, Ihnen zu sagen, wie wir mithilfe des Werkzeugkastens, den wir gebaut haben, weitere 20 Milliarden c pro Jahr herausnehmen. Auf meinen Vorschlag hin ist die Eigenheimzulage gekürzt worden.Auch bei der Pendlerpauschale und bei vielem anderen hat es Kürzungen gegeben. Gehen wir also vorsichtig mit der Ideologie um.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wenn man bei den Subventionen weitere 20 Milliarden c spart, geschieht das im Wesentlichen, indem man Steuererleichterungen herausnimmt. Der überwiegende Teil des Subventionsgeldes wird dadurch finanziert. Das geht aber nur, wenn man die Steuern senkt.

(Beifall bei der CDU)

Dafür steht der Subventionsabbau zur Verfügung. Deshalb geht es hier wieder um die Grundsatzfrage: Sie wollen bei den Subventionen kürzen, um den Staatsanteil zu erhöhen. Wir dagegen wollen die Wirtschaft fördern, um mit dem gleichen Staatsanteil mehr in den Staatshaushalten bewegen zu können. Das ist eine sehr entscheidende Frage, die am 18. September beantwortet wird.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben kein Problem damit, diese Diskussion zu führen. Wir sind fest davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist, wenn wir versuchen, den Menschen die Freiheit zu geben, mit ihrem Geld das zu machen, was sie für rich

tig halten,und ihnen gleichzeitig die Perspektive eröffnen, dass sie mehr Geld verdienen können als in der Vergangenheit. Das gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit allen möglichen Formen von Qualifikationen und für alle Unternehmen, ob deutsche oder internationale, wenn sie ihre Arbeitsplätze in diesem Land haben. Das ist unser Angebot.

Herr Al-Wazir, das ist ein schönes 21. Jahrhundert. Es hat in der Tat eine andere Agenda. Frau Bruns, eine der bedeutenden Berliner Kommentatorinnen, schreibt: „Die gesellschaftlichen Projekte von Rot-Grün waren Staatsbürgerschaft, gleichgeschlechtliche Ehe und Atomausstieg.“

Es mag sein, dass Sie daran Spaß hatten. Das sind Projekte,über die man in einer Gesellschaft diskutieren muss. Aber es sind nicht die Leitprojekte,mit denen man das 21. Jahrhundert gestaltet, wenn die Menschen zunehmend unter Armut und Perspektivlosigkeit leiden und den Eindruck gewinnen, die guten Jahre seien vorbei. Nein, Ihre Jahre sind vorbei; aber die guten kommen noch. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Wort zu einer Kurzintervention hat Frau Kollegin Ruth Wagner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil – ich sage in diesem Fall – der Kollege Koch, nicht nur der Ministerpräsident, sondern auch der Parteivorsitzende der hessischen Union,das nach ihm und Herrn Steinbrück benannte Modell einer steuerlichen Veränderung genannt hat.

Meine Damen und Herren, das ist ein gewisser Werkzeugkasten, der Abhilfe schaffen kann, wie Sie das hier vorgetragen haben.Aber das reicht nicht aus.

Möglicherweise mag das das Modell einer absoluten Unionsmehrheit sein oder einer Mehrheit von SPD und CDU in einer Koalition – um das klar für die FDP und für Hessen zu sagen.

In einer Koalition mit der FDP geht es bei der Einkommensteuer darum, dass wir einen klaren, niedrigen, transparenten Steuersatz haben, der darauf hinausläuft, dass der Bürger selbst entscheiden kann, was er mit dem ihm verbliebenen Geld macht. Unser Ziel ist es, von einer Abgabenquote von 53 % für Steuer- und Versicherungsleistungen, die wir heute haben, herunterzukommen. Wir müssen ein System der Einkommensteuer mit Sätzen von 15, 25 und 35 % haben, zumindest näherungsweise. Wir brauchen eine andere Körperschaftssteuer.Wir brauchen eine Entlastung der Gemeinden bei der Gewerbesteuer. Wir brauchen aber keine Diskussion über die Mehrwertsteuer.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Liebe Freunde, deshalb sage ich als Koalitionspartner ganz klar: Es muss auch vor der Wahl den Bürgerinnen und Bürgern klar sein –

Frau Kollegin, die Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, ich bin sofort zu Ende –, welche Steuerpolitik sie erwarten können, wenn sie sich bei dieser Wahl für eine Koalition entscheiden. Es wird ein System der Einkommensteuer geben müssen, das auf eine solche Reduktion hinausgeht, bei der der Bürger mehr Freiheit hat, mehr Transparenz.

Frau Kollegin, bitte.

Am Ende müssen die Steuerberater die Verlierer sein, nicht die Bürger.

Meine Damen und Herren, in der Aussprache hat Herr Abg.Al-Wazir das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nochmals auf zwei Aspekte eingehen, die der Ministerpräsident hier angesprochen hat.

Das Erste ist eine Prophezeiung zu den Windrädern. Herr Ministerpräsident, wissen Sie, ich bin schon ein paar Tage lang Mitglied der GRÜNEN, und manchmal macht man eben Fehler. Ich weiß noch, als Daniel Cohn-Bendit 1989 in Frankfurt einmal erklärt hat, er finde Hochhäuser gar nicht so schlimm, da wollten ihn die Leute rausschmeißen – heute sind die Hochhäuser Teil des Logos der Frankfurter GRÜNEN.

Wenn Sie das, was Sie als „Verschandelung durch die Windkraft“ bezeichnet haben, ernst meinen, dann müssen Sie den armen Dr. Lübcke aus der CDU-Fraktion ausschließen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Insofern: Sie werden auch hier noch merken, dass Sie auf dem falschen Dampfer sind, und irgendwann werden Sie sich für die Rede, die Sie hier heute gehalten haben, schämen und diese Dinge auch nicht mehr so schlimm finden.

Wichtiger ist aber das Zweite. Herr Ministerpräsident, ich finde es sehr spannend, auf welche Punkte Sie nicht eingegangen sind. Es ist noch nicht einmal einen Monat her – da konnten weder Sie noch ich wissen,dass wir heute über eine vorgezogene Bundestagswahl reden –, es war der 9. Mai, da stand im „Focus“: Hessens Ministerpräsident Roland Koch will die Union auf das Regieren vorbereiten. Dann wörtlich: „Es gibt nicht zu viele, sondern bislang zu wenige festgeschriebene Konzepte, um eine reibungslose Regierungsübernahme zu gewährleisten.“