Wichtiger ist aber das Zweite. Herr Ministerpräsident, ich finde es sehr spannend, auf welche Punkte Sie nicht eingegangen sind. Es ist noch nicht einmal einen Monat her – da konnten weder Sie noch ich wissen,dass wir heute über eine vorgezogene Bundestagswahl reden –, es war der 9. Mai, da stand im „Focus“: Hessens Ministerpräsident Roland Koch will die Union auf das Regieren vorbereiten. Dann wörtlich: „Es gibt nicht zu viele, sondern bislang zu wenige festgeschriebene Konzepte, um eine reibungslose Regierungsübernahme zu gewährleisten.“
Dazu hätten wir gerne ein Wort gehört. Sind Sie jetzt für oder gegen eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes? Dazu hätten wir gerne ein Wort gehört.
Sind Sie jetzt endlich bereit, den Widerstand gegen die Streichung der Eigenheimzulage aufzugeben – ja oder nein, Herr Ministerpräsident?
Sind Sie jetzt auch für die Halbierung der Pendlerpauschale – ja oder nein, Herr Ministerpräsident? Wenn die FDP die gesetzliche Krankenversicherung komplett abschaffen will, sind Sie dann dafür – ja oder nein, Herr Ministerpräsident?
„Im Schlafwagen an die Macht“ ist ein Zitat von einem berühmten Sozialdemokraten. Herr Ministerpräsident, aber völlig ohne Programm an die Regierung – das wird nicht funktionieren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP):Warum wollt ihr eigentlich Neuwahlen?)
Sie sagen, man soll den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit sagen. Wir gehen in diese Auseinandersetzung und werden sie über die Frage führen, ob eine Koalition, die – unter allen Schmerzen, die das bedeutet – weiterhin den Umbau des Sozialstaates betreibt,um ihn zu erhalten, an die Regierung kommen soll, oder ob diejenigen die Mehrheit gewinnen sollen, die den Sozialstaat abschaffen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Auseinandersetzung, um die es geht.
Je näher der Wahltag rückt, desto weniger wird es Ihnen gelingen, zu diesen Fragen – z. B. Mehrwertsteuer, Krankenversicherung – einfach zu schweigen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Warum wollt ihr Neuwahlen? – Zurufe von der CDU)
(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein! „Herr Präsident!“ – Frank Gotthardt (CDU): „Herr Präsident, meine Damen und Herren!“)
Eine Diskussion innerhalb der eigenen Partei ist nichts Ehrenrühriges. Sie sind genau der Falsche, um diese Diskussion anzuprangern, die wir manchmal in der SPD führen. Von Ihrer CDU hätte ich mir einmal gewünscht, in der Schwarzgeldaffäre einen Widerspruch zu hören.
Da haben alle den Mund gehalten. Da gab es keinen Widerstand, nicht einmal auf Ihrem Parteitag. Da hätte ich mir von Ihnen und auch von der FDP einmal gewünscht, dass Sie damals etwas dazu gesagt hätten.
Herr Ministerpräsident, im Unterschied zu Ihnen sagt die hessische SPD – auch wenn es manchmal Unfrieden stiftet – immer, was sie will,
Eine Bemerkung. Sie haben gesagt, man kann auch im 21. Jahrhundert gut leben. Das kann man. Aber im Unterschied zu Ihnen wollen wir, dass im 21. Jahrhundert alle gut leben können – nicht nur einige wenige, andere aber weniger gut.
(Beifall bei der SPD – Zurufe des Ministerpräsi- denten Roland Koch und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))
Sie wissen genau, dass die Managergehälter explodieren, dass wir aber auch einen explodierenden Niedriglohnsektor haben. Das hat etwas mit der Frage der Gerechtigkeit zu tun.
Woran lag das? Auch dazu können wir ein paar Worte sagen.Wie hoch war denn 1999 die Abgabenquote? 40,8 %. – Wie hoch ist sie heute? 37 %.
Woran lag das? Doch daran, dass die deutsche Einheit aus den Sozialkassen finanziert wurde. Meine Damen und Herren, das war das Problem.
Die Wirtschaftswissenschaftler sagen, die Einheit und die durch die Aufwertung der D-Mark ausgelöste Wachstumsschwäche haben zu steigender Arbeitslosigkeit und zu hohen Sozialabgaben geführt.Jetzt wird der Sozialstaat zum Schuldigen dieser Entwicklung erklärt. Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht zulassen. Die Beitragszahler haben die deutsche Einheit finanziert – und jetzt sollen sie nochmals bluten. Das darf nicht passieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): „Frenetischer Beifall“ vermerkt das Protokoll!)
Herr Tarek Al-Wazir hat es gesagt: Auch diesmal haben Sie sich wieder um konkrete Aussagen herumgemogelt.
Was ist denn Ihr Steuerkonzept? Was machen Sie mit der Mehrwertsteuer? Was machen Sie mit der Eigenheimzulage? Herr Koch, wir reden mit Ihnen dann wieder, wenn Sie Ihre Ideologie mit Konzepten unterlegt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt keine Wortmeldung mehr vor. Damit ist diese Aussprache beendet.
Ich rufe zur Abstimmung über die ersten vier Absätze dieses Entschließungsantrags auf. Wer ihnen zustimmen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit sind die ersten vier Absätze mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.