Wenn die CDU einmal zwei Leute nach Berlin verliert, muss sie nicht gleich kopflos sein. Sie finden schon wieder jemand anderen, der Sie anleitet.
Wir alle wissen,dass die Schaffung von Arbeitsplätzen das vorrangige Problem in unserem Lande ist. Sie schreiben, Sie wollten Vorfahrt für Arbeit. Schauen wir uns das einmal näher an: Was heißt Arbeit? Was heißt Flächentarifvertrag? Was heißt Mindestlohn? Was heißt Kündigungsschutz? – Dann sehen wir sehr schnell, was bei Ihnen Vorfahrt für Arbeit heißt, nämlich: Arbeit billiger, rechtloser und ungeschützter. Das heißt bei Ihnen Vorfahrt für Arbeit, meine Damen und Herren.
Ich möchte jetzt auf den Flächentarifvertrag zu sprechen kommen. Sie wollen ohne Not ein gut funktionierendes System sturmreif schießen. Sie behaupten, dieses System sei unflexibel und schwerfällig. Das, was Sie dazu gebetsmühlenartig wiederholen, kennen wir.
Sie sagen: Es ist nicht sinnvoll, dass die Gewerkschaften Flächentarifverträge aushandeln, denn das ist fern jeder Realität, entsprechende Verhandlungen kann man in den Betrieben eigentlich viel besser führen, die Geschäftsleitungen und die Betriebsräte sind nämlich bei den betrieblichen Bündnissen für Arbeit sehr viel flexibler. – Herr
Ministerpräsident, dabei wissen Sie ganz genau – das wurde in vielen Betrieben bereits unter Beweis gestellt –, dass die Flächentarifverträge genügend Öffnungsklauseln enthalten, um flexibel agieren zu können, wenn vor Ort Not herrscht.
Sie wollen mit der Dezentralisierung und der Flexibilisierung zweierlei erreichen: Sie wollen die Arbeitszeit erhöhen und eine Lohnsenkung erreichen. – Herr Ministerpräsident, das haben Sie in Hessen vorgemacht. Da haben Sie den Herrn Ackermann des öffentlichen Dienstes gegeben. Genau da wollen Sie hin.
Herr Ministerpräsident, dabei wissen Sie genau, dass Sie mit diesen betrieblichen Bündnissen die Konflikte in die Betriebe und die Arbeitnehmerschaft hineintragen. Das wollen wir nicht. Wir bekennen uns zu starken Gewerkschaften, weil wir uns zum sozialen Frieden in diesem Land bekennen.
Sie ignorieren auch andere Fakten. Wir sollten einmal nach Ostdeutschland schauen. In Ostdeutschland sind nur noch 43 % aller Mitarbeiter durch Flächentarifverträge abgesichert. In Westdeutschland sind es noch 63 %. In Ostdeutschland sind betriebliche Vereinbarungen durchaus schon üblich.Wollen Sie behaupten, der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland sehe besser aus als der in Westdeutschland?
Herr Ministerpräsident, wir waren doch zusammen bei der IG BCE. Da haben Sie ganz deutlich gesagt, dass Sie die Axt an den Flächentarifvertrag anlegen wollen.Sie haben nicht einmal von dem Vorsitzenden des Arbeitgeberverbands für die chemische Industrie Zustimmung erhalten. Denn die Arbeitgeber wissen genau, wie wichtig ihnen der soziale Frieden in ihren Betrieben ist.
Da haben Sie schmollend in der Ecke gesessen. Herr Ministerpräsident, ich kann mich sehr gut daran erinnern.
Da werden Sie ziemlich nervös. Denn Sie wissen genau, dass das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Wahlkampf ein ganz großes Thema sein wird.Wir werden das immer wieder sagen.
Die Debatte um die Mindestlöhne wird eine große Rolle spielen.Wer keinen Flächentarif haben will, der will dann auch für die Ungeschützten keine Mindestlöhne.Das können Sie ganz konsequent sagen.
Aber Sie ignorieren auch da die Fakten. 2,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Vollzeit beschäftigt sind, erhalten nur bis zu 50 % des Durchschnittlohns. Das sind Armutslöhne. 60 % dieser 2,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind Menschen mit einer guten Ausbildung.
Wenn man das bis auf das Komma ausrechnet, erkennt man, dass das 1.442 c sind.Wohlgemerkt, das ist brutto.
Genau diese Entwicklung wollen Sie weiter vorantreiben. Sie wollen Arbeitsplätze ohne Schutz für Arbeitnehmer. Sie wollen billige Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, für Sie sind der Schutz und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur Kostenfaktoren.
Wir sollten einmal ins Ausland schauen, und zwar in die Länder, in denen es Mindestlöhne gibt. In 18 der 25 Staaten der Europäischen Union gibt es Mindestlöhne. Als Tony Blair den Mindestlohn in Großbritannien einführen wollte, haben auch dort die Konservativen geschrieen: Das wird uns mindestens 2 Millionen Arbeitsplätze kosten.– Er hat den Mindestlohn eingeführt.Es hat keine Arbeitsplatzverluste gegeben. Das können Sie als Beispiel dafür nehmen,dass die von Ihnen aufgemachte Rechnung überhaupt nicht stimmt.
Ich sage Ihnen: Ein starkes und reiches Land wie Deutschland darf kein Billiglohnland sein. Wir können nicht mit Bangladesch und Burkina Faso konkurrieren. Bei uns müssen die Löhne wieder stimmen. Bei uns müssen die Menschen sich und ihre Familie von den Löhnen ernähren können, die sie mit ihrer Arbeit erzielen. Deshalb brauchen wir den Mindestlohn.
Meine Damen und Herren, auch Ihnen wird gleich Redezeit zur Verfügung stehen. Sie werden 20 Minuten lang sagen können, was Sie wollen. Sie können dann versuchen, das von mir Gesagte zu widerlegen.Wir führen hier eine Debatte. Eine Debatte zu führen bedeutet, dass man sich auch streiten darf.
Frau Kollegin, ich habe festgestellt, dass auf beiden Seiten des Hauses Störfaktoren vorhanden sind.
Sie wollen die billigen Nebenjobs subventionieren. Meine Damen und Herren, Experten sagen, die Subventionierung der Billigjobs, in die Sie immer stärker einsteigen wollen, wird 25 Milliarden c kosten. Auch das gehört zur neuen Ehrlichkeit. In Ihrem Programm haben Sie überhaupt nichts dazu gesagt, wie Sie das finanzieren wollen. Sie haben gar nichts dazu gesagt.
Sehr ehrlich sind Sie allerdings beim Thema Kündigungsschutz. Sie sagen: Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeiter brauchen keinen Kündigungsschutz mehr. – Auch da sind Sie wieder der Meinung, das stelle eine Überregulierung dar und mache die Betriebe zu unflexibel. Das haben wir alles schon oft genug gehört.
Wir sollten da vielleicht einmal Wissenschaftler zu Rate ziehen, die nicht gewerkschaftsnah sind. Meine Damen und Herren der CDU, die OECD kommt in ihrem Employment Outlook 2004 zu dem Ergebnis, dass eine Regulierung des Arbeitsmarkts, insbesondere durch den Kündigungsschutz, kaum fassbare Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit habe. Das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit hat die gesamten Gesetzesänderungen, die es seit 1996 auf dem Arbeitsmarkt gegeben hat, in seiner bisher größten Studie untersucht. Sie haben dabei festgestellt: Dass der Kündigungsschutz für kleinere Betriebe unter der Regierung Kohl gelockert wurde, hatte keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Meine Damen und Herren,Sie wollen zu jeder Zeit billige Arbeitskräfte haben, die rund um die Uhr, also immer, verfügbar sein sollen. Das ist Ihre Vorstellung hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik. Die teilen wir nicht.
Eines möchte ich Ihnen noch ganz ehrlich sagen: Sie haben bei dieser Gelegenheit Ihre christliche Soziallehre auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.
Ich möchte jetzt auf Ihre Steuervorschläge zu sprechen kommen. Auch das sollte immer mit Blick darauf geschehen, dass Sie dadurch Arbeitsplätze schaffen wollen. Immerhin können wir hier einen Lernprozess der Mitglieder der CDU/CSU ausmachen.