Protokoll der Sitzung vom 13.07.2005

Ich möchte jetzt auf Ihre Steuervorschläge zu sprechen kommen. Auch das sollte immer mit Blick darauf geschehen, dass Sie dadurch Arbeitsplätze schaffen wollen. Immerhin können wir hier einen Lernprozess der Mitglieder der CDU/CSU ausmachen.

(Zuruf von der SPD:Was?)

Eine weitere Nettoentlastung sei angesichts der bekannten Lage der öffentlichen Haushalte nicht mehr machbar, heißt es jetzt offiziell. Das ist immerhin ein Fortschritt. Denn in der Vergangenheit haben Sie uns immer wieder gesagt, die Steuern müssten massiv gesenkt werden, und zwar noch mehr,als es die rot-grüne Regierung bereits gemacht habe. Gleichzeitig haben Sie im Bundesrat aber den Abbau der Subventionen blockiert. Das soll jemand verstehen.

Jetzt liegt Ihr Rezept aber auf dem Tisch. Sie wollen die Mehrwertsteuer von 16 % auf 18 % erhöhen. Meine Damen und Herren, damit belasten Sie zusätzlich die Bezieherinnen und Bezieher geringer Einkommen, die Kleinverdiener, die sozial Bedürftigen und die Familien. Rentner, Arbeitslose und Studenten haben von einer solchen Maßnahme überhaupt nichts.Denn sie sind nicht Mitglied der Arbeitslosenversicherung.

Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer verringern Sie die Binnennachfrage. Das wissen Sie. Wie Sie dadurch Arbeitsplätze schaffen wollen, wird Ihr Geheimnis bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich frage mich schon, welche volkswirtschaftliche Weisheit hinter Ihren Vorschlägen stecken soll. Auch Ihr Generalsekretär Kauder und viele andere aus Ihrer Partei haben noch vor Wochen gesagt, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sei Gift für die Konjunktur. Herr Kauder hat Recht. Niemand bezweifelt, dass wir in unserem Land ein Problem bei der Binnennachfrage haben. Meine Damen und Herren, Sie wollen in dieser Situation die Mehrwertsteuer erhöhen. Dafür bekommen Sie noch nicht einmal Beifall von der FDP. Dafür bekommen Sie keinen Beifall von den Unternehmern. Sie erhalten dafür nicht einmal Beifall von Ihren Freunden von der neuen Marktwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Ministerpräsident sagt dann: Na ja, es liegt ja nicht an der letzten Nuance eines Preises. – Herr Ministerpräsident, bei der Kommentierung Ihres Wahlprogramms haben Sie gesagt, es käme auf den Optimismus an. Herr Ministerpräsident, ich frage mich allerdings, wo der Optimismus herkommen soll. In der Volkswirtschaft geht man allgemein davon aus, dass eine Umsetzung dieser Vorschläge das Wachstum dämpfen würde. Die Verbraucher würden dann weniger kaufen. Die Binnenkonjunktur wird dann leiden. Meine Damen und Herren von der Union, Sie wollen die Leute in schlecht bezahlte und nicht geschützte Jobs bringen. Wo soll da der Optimismus herkommen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

An einer Stelle sind Sie sich treu geblieben.Weiterhin haben Sie die Absicht, den Spitzensteuersatz zu senken.Wer soll dafür bezahlen? Die Zuschläge für Nacht-, Sonntagsund Feiertagsarbeit sollen gestrichen werden. Die Schichtarbeiter, die Polizeibeamten und die Krankenschwestern werden darunter leiden.

Was das bedeutet, kann man ausrechnen. Ein Zeitungsdrucker wird durch den Wegfall der Steuerfreiheit der Schichtzulage rund 400 c verlieren.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ein Briefsortierer wird dadurch etwa 135 c verlieren.

Sie besitzen dann auch noch die Chuzpe, zu sagen, diesen Verlust könnten die Tarifparteien durch Verhandlungen auffangen. Herr Jung, ich frage Sie: Wird das die Arbeit billiger oder teurer machen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wollen Sie ernsthaft die Gewerkschaften schwächen und dabei auch noch sagen, deren Vertreter sollten dann in Betriebsvereinbarungen das mit einer Verteuerung der Arbeit wieder herausholen? Das, was Sie uns hier erzählen, ist doch eine Farce.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unter das Thema Subventionsabbau fällt auch die Pendlerpauschale. Damit wollen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern noch einmal in die Tasche greifen.

Man sollte das einmal zusammenzählen. Sie wollen die Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Verringerung der Pauschale für Pendler. Nacht- und Feiertagszuschläge sol

len versteuert werden. Sie wollen auch den Wegfall der Abschreibungsmöglichkeiten für bewegliche Wirtschaftsgüter haben. Das kann man zusammenzählen.

Das haben wir zusammengezählt. Sie entziehen dem Binnenmarkt für den privaten Konsum Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe, meine Damen und Herren. Wie Sie damit Arbeit schaffen wollen, das müssen Sie uns erklären.

(Beifall bei der SPD)

Was uns auch beeindruckt hat, war Ihr Verhältnis zur Ökosteuer.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): „Verhältnis“ ist gut!)

Ich fand das wunderbar. Ich kann mich noch erinnern – Herr Koch und Herr Teufel allen voran –:Teufelszeug. Sie wollten es im Bundesrat kippen. Und jetzt? Sie wissen genau, dass die Ökosteuer die Rentenbeiträge stabilisiert hat, und Sie wissen, dass Sie auf die Ökosteuer überhaupt nicht mehr verzichten können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Punkt, wo ich mich auch sehr gewundert habe, ist die vornehme Zurückhaltung bei der Gesundheitsreform. Da war die Kopfpauschale immer ziemlich hoch angesiedelt. Dazu sagen Sie in Ihrem Programm recht wenig. Unser Konzept liegt auf dem Tisch. Ich kann es nicht oft genug sagen: solidarische Bürgerversicherung. Alle zahlen entsprechend ihren Leistungen ein, und alle profitieren davon. Wir stärken damit die Einnahmeseite. Wir ermöglichen auch niedrigere Beiträge, sorgen für geringere Lohnnebenkosten. Meine Damen und Herren, wir stärken das Krankenversicherungssystem, und wir haben ein zukunftsfähiges, solidarisches und durchgerechnetes Konzept.

(Beifall bei der SPD)

Herr Boddenberg, wir werden es tun. Deshalb steht es in unserem Wahlprogramm.Was will die CDU? Die will die Kopfpauschale. Das heißt: gleicher Beitrag für alle, egal wie hoch das Einkommen ist; ob jemand ein mittleres oder ein kleineres Einkommen bezieht, ist egal. Die Familie mit zwei Kindern, die vielleicht in der Großstadt gerade mal so über die Runden kommt, wird gleichgestellt mit einer gut situierten Familie mit der Villa im Grünen. Meine Damen und Herren, damit es für einige nicht zu hart ist, wollen Sie dann einen steuerfinanzierten Ausgleich. Nur haben Sie nicht gesagt, wer es finanziert und wie es finanziert wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Neue Ehrlichkeit!)

Meine Damen und Herren, Ihre Kopfpauschale ist ungerecht. Sie ist nicht gerechnet und wird nie funktionieren. Wenn sie funktioniert, dann nur auf Kosten der Kranken, weil Sie im Leistungsbereich etwas ausgliedern müssen, und zwar ziemlich viel. Bei Ihnen wird Krankenversicherung zur Kannleistung werden, und zwar nach Kassenlage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die größten Verlierer – das enttäuscht mich maßlos – sind bei Ihnen die Familien. Das hat sogar die „FAZ am Sonn

tag“ gesagt, von der man nicht immer sagen kann, dass sie auf unserer Seite steht. Dann kommen Sie und sagen:Wir entlasten die Familien mit 8.000 c pro Familienmitglied. – Meine Damen und Herren,das hat für eine Familie im unteren Einkommensbereich überhaupt keine große Relevanz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was die Familien brauchen, sind Betreuungsplätze für Kinder von 0 bis 16 Jahren, das sind gerechte Bildungschancen für ihre Kinder,

(Beifall bei der SPD)

Ausbildungsplätze für ihre Kinder, Sicherung in Krankheit und Alter und Einkommen, von denen sie leben können. Das brauchen Familien. Denen ist mit Ihren 8.000 c überhaupt nicht geholfen, wenn sie all das, was sie brauchen, überhaupt nicht bekommen, weil Sie in die Infrastruktur nicht investieren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wissen Sie, Steuern und Abgaben sind nicht die einzige Qualität eines Standorts. Einrichtungen wie Kinderbetreuungsplätze, gute Schulen, Universitäten und Forschung, das sind auch Standortvorteile, zu denen Sie sehr, sehr wenig sagen. Wir in der SPD haben uns ganz ausdrücklich für ein Programm für Familien entschieden.

(Beifall bei der SPD)

Wir machen da einen großen Wurf, und wir haben uns da viel vorgenommen.

(Lachen bei der CDU)

Wir haben gesagt, wir wollen bis 2010 einen Rechtsanspruch ab dem zweiten Lebensjahr der Kinder.Wir sagen, wir wollen langfristig auch von den Kita-Gebühren freistellen, weil wir denken, dass alle Kinder in den Kindergarten wollen. Das hat etwas mit frühkindlicher Bildung zu tun. Und wir sagen, wir führen ein Elterngeld ein, damit auch Männer keine Ausrede mehr haben, wenn sie ihre Erziehungsjahre nehmen. Das muss man an dieser Stelle schon einmal betonen. 60 % des letzten Einkommens wird ein Mann oder eine Frau bekommen, wenn er oder sie sein bzw. ihr Kind ein Jahr erzieht. 60 %.

Wir wissen auch, dass das teuer wird. Das sagen wir auch. Aber dazu bekennen wir uns.Wir haben diese Priorität in unserem Wahlprogramm gesetzt und stehen auch zur Finanzierung. Dann sagen wir: Okay, dann müssen breite Schultern mehr tragen als schwache Schultern. Wir machen einen Steuerzuschlag von 3 % auf allerhöchste Einkommen, Einkommen ab 250.000 c. Wissen Sie, meine Damen und Herren,an dieser Stelle von Neidsteuer zu reden, finde ich total albern.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass Menschen mit einem so hohen Einkommen sehr wohl bereit sind, ihren Beitrag zu einer solidarischen und gerechten Gesellschaft zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube schon, dass wir in diesem Wahlkampf vor einer Richtungsentscheidung stehen: soziale Marktwirtschaft oder neoliberale Machtwirtschaft, Arbeitnehmerrechte oder hire and fire. Schützen wir die Familien, und bringen wir sie weiter.Haben wir ein Gesundheitssystem,wo jeder das Recht auf optimale Gesundheitsversorgung hat, oder sind Kassenleistungen und Kannleistungen angesagt? Meine Damen und Herren, wir alle hier – das sollten wir uns doch einmal ganz deutlich machen – haben die Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft.