Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

gegenüber dem Werra-Meißner-Kreis mit einer Bevölkerungsabnahme von 48 %. Daran sieht man, dass wir bei der Bevölkerungsbetrachtung in die Zukunft völlig unterschiedliche Wege zu gehen haben und unterschiedliche Antworten werden geben müssen. Wir haben deswegen festgestellt, dass wir zum einen jedenfalls die Gesellschaft anpassen müssen. Ich denke, das wird auch deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man die Zahlen nicht unmittelbar und sehr schnell wird verändern können. Man muss also unsere Gesellschaft an die Gegebenheiten entsprechend anpassen.

Das Thema Bildung ist nicht allein deshalb, weil der Staatssekretär dort sitzt und die Ergebnisse der PISAStudie heute veröffentlicht wurden, ein Kernpunkt in der Frage, wie wir Demographie bewältigen. Es gibt Rückschlüsse. Jetzt sind wir nicht nur im Bereich der Bildung, sondern auch im Bereich der Ökonomie, wo wir uns wieder einig sind: Das hat auf die Frage der Produktivität einer Gesellschaft enorme Auswirkungen.

Die Frage der Infrastruktur ist bereits angedeutet worden. Aber auch hier werden wir von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Antworten geben müssen, weil wir genauso in Hessen von Kreis zu Kreis, von Stadt zu Stadt und von Gemeinde zu Gemeinde ganz unterschiedliche Fragestellungen haben werden und damit umgehen müssen.

Herr Kollege, langsam sollten Sie zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. Der dritte Punkt, den ich jetzt im letzten Satz ansprechen möchte, ist der der Gestaltungsmöglichkeiten.Auch das ist bei den Kollegen deutlich geworden. Es gibt Gestaltungsmöglichkeiten des demographischen Wandels. Wir müssen nicht einfach hinnehmen, was uns geschieht. Wir können damit umgehen. Die Geburtenrate ist ein Teil, die Wanderungsbewegung – die Migration – ein anderer Teil. Damit werden wir uns in den weiteren Berichten zu beschäftigen haben. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Für die Landesregierung spricht Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Enquetekommission zur demographischen Entwicklung hat sich der Landtag die Aufgabe gestellt, Bewusstsein bezüglich der regional unterschiedlichen demographischen Entwicklungen zu schaffen und Lösungsstrategien zu entwickeln.Nach Auffassung der Hessischen Landesregierung trägt der vorgelegte Zwischenbericht

ausdrücklich dazu bei, den demographischen Diskurs in Hessen zu vertiefen. Er leistet in der Diskussion über die Zukunft unseres Landes einen wichtigen Beitrag, aber er erweckt natürlich zugleich auch Erwartungen an den Endbericht, der vorgelegt werden wird. Ich fand die Formulierung von Frau Kollegin Wagner sehr treffend, dass man nicht versuchen muss, darüber alt zu werden, bis ein entsprechender Endbericht vorgelegt wird.

(Michael Siebel (SPD): Beim „vom Schaukelpferd bis zum Schaukelstuhl“ kann es nicht bleiben!)

Voraussetzungen für politische Handlungsoptionen ist, dass zunächst der vor uns liegende demographische Wandel in all seinen Facetten erfasst und analysiert und damit ein umfassender Überblick auf die demographische Situation in unserem Land gegeben wird. Ich denke, dass der Zwischenbericht – an dieser Stelle auch der Dank der Landesregierung an alle Mitglieder, die sehr intensiv daran gearbeitet haben – sehr anschaulich beschreibt, wie die Konsequenzen aus dem Spagat der Schrumpfung unserer Gesellschaft auf der einen Seite, und Alterung unserer Gesellschaft auf der anderen Seite zu bewältigen sind. Diese Fragen werden eben noch zu beantworten sein.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Rückgang der Bevölkerung in Hessen insgesamt weniger dramatisch als in anderen Teilen Deutschlands verläuft. Aber wir haben sehr unterschiedliche Voraussetzungen in den einzelnen Landkreisen und Städten in Hessen. Herr Kollege Beuth hat darauf hingewiesen, man kann sich nicht darauf zurückziehen und sagen:An der einen Stelle ist es ein hochprozentiger Bevölkerungszuwachs, weswegen man sich beruhigt zurücklehnen kann, und auf der anderen Seite gibt es dramatische Schrumpfungs- oder Abwanderungsprozesse, und hier müssen wir ansetzen. – Die Fragestellungen sind sowohl für die schrumpfenden Bereiche prognostisch zu sehen, wie auch für diejenigen, die wachsen, gegeben.

Mich hat in der Lektüre des Zwischenberichts die intensive Darstellung der makroökonomischen Zusammenhänge zwischen demographischer Entwicklung einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung andererseits beeindruckt. Es wurden die Bereiche Konsum und Sparverhalten sowie die fiskalischen Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte untersucht. Ebenso wurden die Ursachen der niedrigen Geburtenrate und die Gründe von jungen Menschen,sich gegen Kinder zu entscheiden,in einer öffentlichen Anhörung analysiert – eine, so meine ich, sehr verdienstvolle Tätigkeit.

Nach dieser Analyse wird die weitere Arbeit der Enquetekommission verdeutlichen müssen, welche Entscheidungen für Hessen zu treffen sind, welche Maßnahmen dafür notwendigerweise infrage kommen und wie diese finanziert werden sollen. Natürlich bin auch ich an dieser Stelle gespannt, welche Handlungsoptionen seitens der Enquetekommission erarbeitet und am Ende in einem Schlussbericht dargestellt werden.

Die Landesregierung rückt zwei zentrale Strategien in den Vordergrund. Zum einen müssen langfristige und somit auch nachhaltige Anpassungsstrategien im Bereich der infrastrukturellen Versorgung der Bevölkerung entwickelt werden. Zum anderen will die Landesregierung neue Rahmenbedingungen setzen, um der vorhergesagten demographischen Entwicklung entgegenzuwirken.

Eines müssten wir hier noch einmal verdeutlichen. Die vorhergesagten Trends sind eben Trends. Sie sind keine Tatsachen. Der demographische Wandel ist ein Ergebnis

menschlichen Handelns bzw. Nichthandelns, deswegen auch nicht schicksalhaft und darum nicht unbeeinflussbar. Wir müssen versuchen, an den Stellen, wo wir die Chance zur Beeinflussung haben, diese Chance auch zu nutzen.

(Beifall der Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU) und Michael Denzin (FDP))

Wir können Trends abbilden, aber wir haben noch keine Tatsachen.Ansonsten wissen wir,dass unsere Gesellschaft altert und wir damit Probleme haben. Aber wir machen uns auch die Arbeit – sowohl bei der Landesregierung als auch bei der Enquetekommission –, deutlich zu machen, dass wir diesen Trends nicht hilflos gegenüberstehen, sondern den Versuch machen wollen, genau diese zu beeinflussen.

Deswegen gilt es nach wie vor, das Bewusstsein der hessischen Bevölkerung für den demographischen Wandel weiter zu schärfen und rechtzeitig Weichen für die Sicherung der Zukunft Hessens zu stellen.Insofern versteht die Hessische Landesregierung diese Fragestellung auch als eine Querschnittsaufgabe mit der Ansiedlung in der Hessischen Staatskanzlei durch die Bildung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die sich dort konstituiert hat und die der strategischen Vernetzung der verschiedenen Fachpolitiken dient. Durch eine solche Bündelung stellen wir als Landesregierung sicher, dass die Ressorts gemeinsam über Strategien nachdenken.

Ich bin hier nicht skeptisch, denn die Mitglieder der Enquetekommission wissen es allemal und andere auch, dass ich seit einigen Monaten in allen Regionen Hessens Veranstaltungen durchführe, um gemeinsam mit Landräten und Oberbürgermeistern auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Die Erfahrungen, die ich dabei gesammelt habe, zeigen, dass es bereits einen Bewusstwerdungsprozess in den Landkreisen und Regionen gibt. Dazu hat die Arbeit der Enquetekommission beigetragen. Dazu hat auch die öffentliche Diskussion über diese Fragestellungen beigetragen.

Es gilt natürlich, nun Strategien zu entwickeln, wie vor Ort in den Landkreisen, in den kommunalen Gebietskörperschaften, unter dem Gesichtspunkt der demographischen Entwicklung unseres Landes an Umsetzungsstrategien gearbeitet wird, aber auch an Strategien, um genau dem Trend entgegenzuwirken, damit er sich nicht so einstellt, wie wir es prognostizieren.

Ich will heute schon auf zwei politische Kernbereiche eingehen, auf die die Landesregierung setzt. Das eine sind der Erhalt und der Ausbau der wirtschaftlichen Aktivitäten in Hessen, um Menschen auch in Zukunft einen Arbeitsplatz finden zu lassen und damit einen maßgeblichen Teil der Sicherheit zu schaffen, die Menschen zur Familiengründung brauchen. Zumindest den Mitgliedern der Enquetekommission sind die Umfrage, die das Land Baden-Württemberg veranlasst hat, und die Ergebnisse, die Allensbach vorgelegt hat, präsent. Bei allen Veranstaltungen – Sie werden die gleichen Rückmeldungen haben – ist es immer wieder erstaunlich, dass die Frage gestellt wird: Was ist denn für einen Kinderwunsch der ausschlaggebende Punkt? Nach der selbstverständlichen Antwort, dass man erst einmal den richtigen Partner dazu finden müsse, kommt als nächster Punkt und harter Fakt in der Rangliste ein sicherer Arbeitsplatz.

Natürlich ist es – das ist der zweite Punkt, an dem die Landesregierung arbeitet – im Nachgang dazu notwendig, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet ist. Deswegen ist der zweite Schwerpunkt der Hessi

schen Landesregierung die Förderung von mehr Kinderfreundlichkeit durch eine Familienpolitik, die es erlaubt, Ja zu Kindern und Beruf zu sagen. Insofern streben wir die demographische Trendwende in Hessen an und wollen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Geburtenrate in Hessen deutlich erhöht.

Wir bleiben aber konsequent bei unserer Modernisierungspolitik für das Land, denn die Modernisierung unseres Landes geht mit einem deutlichen Plus für die Familien einher. Ich will nicht die Aktuelle Stunde von heute Vormittag wiederholen. Aber es ist bundesweit einmalig und erstmalig, dass die Wirkung von staatlichen familienfördernden Maßnahmen auf das generative Verhalten durch die Stiftung „Familie hat Zukunft“ untersucht werden soll. In der nächsten Woche wollen wir zwei Modellkommunen auswählen. Es haben sich 33 Städte bereit erklärt, mit der Landesregierung eine Allianz für eine demographische Trendwende einzugehen.

In vielen Fällen – das ist von den Vorrednern dargelegt worden – hat die Bevölkerungsentwicklung Einfluss auf das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstandes unseres Landes. Insofern müssen wir an dieser Stelle überlegen, wer später bei veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei den nicht umkehrbaren Trends Gewinner oder Verlierer ist oder wie sich die Strukturen verändern. Eines ist klar: Wenn wir den Alterungsprozess unserer Gesellschaft nicht aufhalten können, wird unmissverständlich klar, dass damit auch das Konsum- und Sparverhalten verändert wird, und Dienstleistungen von einer Generation, die älter ist, nachgefragt werden, die andere sind als die der Jüngeren. Insofern wird es dort Veränderungen geben.

Ohne auf die verschiedenen bemerkenswerten Aussagen des Zwischenberichts einzugehen, will ich abschließend noch einen Punkt ansprechen, der meines Erachtens in den Diskussionen, die bisher stattgefunden haben, viel zu wenig beachtet wurde.

Herr Staatsminister,darf ich Sie etwas fragen? – Ich müsste jetzt für einen bestimmten Vorgang unterbrechen. Wären Sie bereit,das zu akzeptieren? Denn Sie werden bis 13 Uhr nicht fertig.

(Minister Stefan Grüttner: Ich akzeptiere das! Das ist gemäß der Absprache!)

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratungen und darf Sie bitten,sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Union hat Europa aufgerufen, heute um 13 Uhr eine Gedenkminute abzuhalten.

In diesen Minuten gedenken viele Tausend Menschen in London, im Vereinigten Königreich von Großbritannien, in ganz Europa und weltweit der Opfer des hinterhältigen Terroranschlags, der am vergangenen Donnerstag stattgefunden hat.

Mit großem Entsetzen haben wir alle von dem schrecklichen Ereignis erfahren, dem so viele unschuldige Menschen zum Opfer gefallen sind.

Der Hessische Landtag spricht der britischen Bevölkerung sein Mitgefühl und seine Solidarität aus. Gemeinsam

mit unseren britischen Freunden werden wir auch in Zukunft für Freiheit und Menschenrechte und gegen Gewalt eintreten. Wir werden uns davon nicht von blindwütigem Hass und Terror abbringen lassen.

Wir trauern gemeinsam mit der Bevölkerung Großbritanniens. Wir gedenken der Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit mitten aus dem Leben gerissen wurden. Unser Mitgefühl gilt den zahlreichen Verletzten und den Angehörigen der Opfer.

Die Mitglieder des Hessischen Landtags und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hessischen Landtags haben sich zu dieser Gedenkminute erhoben. Ich darf Sie bitten, eine kurze Zeit in Stille zu verharren.

(Die Anwesenden gedenken schweigend der Opfer des Terroranschlags.)

Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Herr Staatsminister, bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Ich werde nur noch ganz kurz auf einen Punkt eingehen, der meines Erachtens in der Diskussion zu wenig beachtet worden ist. Es geht dabei um eine zentrale Abhängigkeit. Das ist sowohl für das Ziel, Hessen als zentralen Wirtschaftsstandort zu erhalten und auszubauen,wie auch für die Entwicklung der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Es geht dabei um das Dreiecksverhältnis zwischen Verkehrsinfrastruktur, Wirtschaftskraft und Bevölkerungsentwicklung.

Sie sollten sich einmal die Entwicklung der Wirtschaftskraft in Hessen, bezogen auf das Jahr 2003, anschauen. Dann werden Sie erkennen, dass an den großen Fernstraßen, den Bundesautobahnen und den Bundesstraßen in Hessen ein überdurchschnittlich hohes Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner zu verzeichnen ist. Gleichzeitig hat sich dort in den Jahren von 1995 bis 2003 die Bevölkerung aus demographischer Sicht deutlich positiver als in allen anderen Gebieten entwickelt.

Diesen Trend kann man im gesamten Land Hessen erkennen. Dies macht eindeutig klar, dass die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur nicht nur mit der Sicherung der Arbeitsplätze und der Sicherung der Wirtschaftskraft unseres Landes zu tun haben, sondern dass diese Investitionen auch unmittelbaren Einfluss auf die demographische Entwicklung unseres Landes haben.

Aus diesem Grund werden wir bei den zentralen Verkehrsinfrastrukturvorhaben, die wir im Lande Hessen vorhaben, dies mit bedenken. Denn das ist unter demographischen Gesichtspunkten für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes von entscheidender Bedeutung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren – –

(Wortmeldung der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Doch, wir haben noch eine Wortmeldung. Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie haben das Wort.