Protokoll der Sitzung vom 20.12.2005

(Allgemeiner Beifall)

Ich glaube, eine Gesellschaft braucht den Konsens in den Grundfragen – sicherlich nicht nur in der heute aufgeworfenen Grundfrage, da gibt es noch einige andere. Aber diese Grundfrage ist schon eine ganz wichtige. Sie ist auch in ihren Differenzierungen noch gemeinsam – wenn ich das Thema aktive Sterbehilfe anspreche. Man muss sich natürlich davor hüten: Dort gibt es nirgends eine klare Antwort.

Der Justizsenator von Hamburg hat mit einer gewissen Berechtigung gesagt:Jede Hilfe ist irgendwie aktiv.– Auch darüber müssen wir nachdenken. Das Drücken auf den Knopf, um die Geräte auszuschalten, ist auch ein Tun. Es gibt keine einfachen Antworten.Wir müssen dort an jeder

Stelle, an jedem Detail unsere Überlegungen und Entscheidungsprozesse immer wieder neu überprüfen.

Wir Menschen haben uns dieses Problem selbst geschaffen. Der Fortschritt von Forschung und Technik, der Fortschritt der Medizin hat uns dieses Problem als ein sehr viel zentraleres und drängenderes Problem offenbart, als das vor 50 oder 100 Jahren der Fall war – obwohl es sicherlich immer eine Thematik war.

Die Konkurrenz der Rechtsgüter Leben, Selbstbestimmung, letzten Endes aber auch die Würde des Menschen, ist immer wieder die Fragestellung, vor der wir stehen. Ich denke, es ist nahe liegend und klug, zunächst einmal zu versuchen, den Moment, in dem die Konkurrenz unter diesen Rechtsgütern auftritt und schmerzlich wird, möglichst weit nach oben zu schieben. Deswegen ist das Thema Palliativmedizin, Hospizbewegung in dieser Diskussion von solch zentraler Bedeutung – nicht als eine Ausweichfragestellung, sondern als die erste Verpflichtung für uns, an dieser Stelle Schwerpunkte zu setzen und dafür zu sorgen, dass viele Probleme gar nicht auftreten.

(Allgemeiner Beifall)

Die 100 Hospizgruppen mit 1.200 ehrenamtlichen Helfern, die es in Hessen gibt, sind Initiativen, die unser aller Unterstützung brauchen und die diese auch täglich erfahren müssen, denn dieses Dauerengagement ist eine Leistung, die man gar nicht hoch genug bewerten kann.

(Allgemeiner Beifall)

Im Übrigen glaube ich auch, das ist ein Bereich, in dem ehrenamtliches Engagement sehr viel wirksamer,notwendiger und hilfreicher ist, als wenn wir versuchen, dies alles staatlich zu organisieren.Da gibt es irgendwo Grenzen,an denen es für uns schwierig wird, mitzuhelfen – auch wenn ich das bedauere und an manchen Stellen selbst erlebt habe, wie schwierig es ist, die Grundfinanzierung, um die es dann letztendlich auch geht, solcher Hospizeinrichtungen sicherzustellen und dafür von den Kostenträgern die erforderliche finanzielle Unterstützung zu bekommen. Da gibt es ganz harte kaufmännische Kämpfe,die das Problem vergrößern.

Wenn ich richtig informiert bin, haben wir sechs stationäre Hospizeinrichtungen. Dies ist sicherlich zu wenig zur Bewältigung dieses Problems. Ich bin froh, dass das Sozialministerium in diesem Bereich engagiert dabei ist, einen weiteren Ausbau zu betreiben und weitere Unterstützung sicherzustellen.

Letztlich muss jedes Krankenhaus zum Thema der Palliativmedizin Antworten finden und Antworten vorhalten. Wenn man das unter diesem Aspekt sieht, haben wir insgesamt noch eine große Aufgabe vor uns. Dies würde uns aber helfen, die Konkurrenz der Rechtsgüter erst dann infrage zu stellen und als Problem zu behandeln, wenn es unbedingt erforderlich und unvermeidlich ist. Dann ist es immer noch schwierig genug.

Rechtsgüter können natürlich nach verschiedenen Kriterien abgewogen werden. Als Katholik sage ich: Ich bin nicht Herr über Leben und Tod, auch nicht über mein Leben. Das ist von Gott gegeben, und von Gott ist darüber zu entscheiden. Ich kann meine Position aber nicht 1 : 1 zur Grundlage einer Gesetzgebung des Deutschen Bundestages machen. Natürlich ist der Deutsche Bundestag an die Wertentscheidungen unseres christlich-abendländischen Gesellschafts-, Kultur- und Rechtsverständnisses gebunden, und er orientiert sich daran. Er kann es aber nicht 1 : 1 übersetzen.

Ich glaube,dass es auf jeden Fall richtig ist,kein Rechtsgut absolut zu setzen.Wenn man eines der in Konkurrenz stehenden Rechtsgüter absolut setzt, kann man keine freiheitliche Gesellschaft mehr organisieren.

(Allgemeiner Beifall)

Also muss man versuchen, die Rechtsgüter in einer Gesamtdiskussion in ein akzeptables Verhältnis zueinander zu bringen. Ich glaube, dass es falsch wäre, zu sagen: An dieser Stelle höre ich als Staat auf. Das ist so komplex und so schwierig. Das kann ich nicht lösen. Bürger, findet eure eigene Lösung. Es gibt Regelungen im Strafgesetzbuch. Also orientiert euch daran. – Ich denke, das geht nicht. Wir sind als Politik und Sie sind als Legislative dazu aufgerufen, Grundentscheidungen, Grundorientierung sowie Hilfestellung für Menschen in der schwierigsten Situation ihres Lebens anzubieten. Das gilt übrigens nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die, die in besonderer Herzlichkeit oder mit besonderem beruflichen Engagement diesen Menschen zugetan sind. Dabei müssen wir Hilfestellung geben.

Ich fürchte, dass die Justiz als Justiz allein nicht helfen kann. Dabei ist das Thema der Patientenverfügung sicherlich hilfreich. Die Patientenverfügung wird aber nicht die absolute und einzige Antwort sein. Was machen Sie denn in der konkreten Situation, in der keine Patientenverfügung vorliegt und in der man sich mit quälenden Fragestellungen befassen muss? Diese Situation haben viele von uns ganz persönlich erlebt.Wollen wir wirklich sagen, dass es keine Patientenverfügung gibt und damit Schluss ist? Ist die Patientenverfügung ein Allheilmittel? Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass die theoretische Überlegung, was man als Mensch bereit ist an Krankheit und Leid zu ertragen,ganz entscheidend davon abweicht, was man ertragen wird, wenn man sich in der konkreten Situation des Leids und der Krankheit befindet.

(Allgemeiner Beifall)

Diese beiden Bereiche zeigen die Begrenztheit der Patientenverfügung, ohne dass ich damit sagen will, dass sie keine wichtige und notwendige Hilfestellung bei Entscheidungsprozessen ist, die im letzten Moment zu treffen sind.

Ich glaube, die Vorstellung ist sehr problematisch, dass am Schluss Richter berufen seien, inhaltlich zu entscheiden, ob Sterbehilfe geleistet werden kann. Ich glaube, dass Richter – wer soll es denn sonst in unserer Gesellschaft tun? – hierzu durchaus in der Lage sind und berechtigt und aufgerufen sind, zu überprüfen, ob die Entscheidungsgrundlage für eine konkrete Sterbehilfe so zustande gekommen ist, dass der vermutliche Wille des Menschen umgesetzt wird. Das Nachprüfen der Bewertung der Entscheidung ist Juristensache. Aber wir können uns nicht vorstellen, dass Gerichte anstelle der Betroffenen die Entscheidung treffen. Dabei muss man genau abwägen.

(Allgemeiner Beifall)

Dabei hilft auch nicht die Frage – ich will das gar nicht in Abrede stellen, es ist aber nicht die letzte Lösung –, welche Schriftform gewählt werden muss, inwieweit die Belehrung erfolgt sein muss, ob es notariell geschehen muss und wie oft es wiederholt werden muss. Die konkrete Situation ist dennoch nicht zu ersetzen. Der mutmaßliche konkretisierte Wille ist entscheidend, wenn wir dem Menschen seine Würde und sein Selbstbestimmungsrecht las

sen wollen und wenn wir das Leben als eines der wichtigsten Güter unserer Gesellschaft aufrechterhalten wollen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich bin nicht so weit,dass ich sagen kann,dass ich dazu bereits abschließende Antworten habe. Ich glaube, dass die Gesellschaft eine Diskussion über diese schwierigen und wichtigen Fragen benötigt. Darüber hinaus ist es erforderlich, dem anderen zuzuhören und die Erfahrung des anderen zu kennen. Deshalb denke ich, dass die Idee, in diesem Landtag ein Symposium hierzu zu veranstalten, uns allen weiterhelfen wird. Es wäre gut, wenn es dabei gelingt, dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft mehr denn je begreift, dass Sterben und Tod Teile des Lebens sind und deshalb weder tabuisiert werden können noch tabuisiert werden dürfen.

Die Humanität einer Gesellschaft lässt sich insbesondere daran messen, wie sie mit den letzten Tagen eines Menschen umgeht. Ist es human, wenn beispielsweise in einem Altenheim bereits einen Tag nach dem Tod eines Menschen die Kostenerstattung für den Heimplatz beendet wird? Besteht die Notwendigkeit, die Verstorbenen schnell in ein anderes Zimmer zu verlagern, wodurch die Angehörigen nicht mehr Abschied nehmen können? Wir müssen begreifen, dass es neben Effizienz und Wirtschaftlichkeit um ganz andere Werte geht, dass die letzten Tage des Lebens für unsere Gesellschaft entscheidend sind. Wenn wir das begreifen, sind wir ein großes Stück weitergekommen.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Banzer. – Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Dann lasse ich über die Beschlussempfehlung abstimmen. Wer der Beschlussempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenstimmen und Enthaltungen stelle ich nicht fest. Ich stelle fest, dass die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden ist. Ich werde zu Beginn des nächsten Jahres mit den Geschäftsführern das weitere Prozedere beraten.

Jetzt können wir leider nicht aufhören.

(Heiterkeit)

Insofern rufe ich nun den nächsten Tagesordnungspunkt auf. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2005 (Nachtragshaushaltsgesetz 2005) – Drucks. 16/4994 zu Drucks. 16/4933 zu Drucks. 16/4576 –

Für diese Lesung haben wir uns auf eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion verständigt.Zunächst erteile ich dem Berichterstatter das Wort. Das Wort hat der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Herr Kollege May.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Haushaltsausschuss empfiehlt dem Plenum,den Gesetzentwurf in der Fassung der zweiten Lesung mit folgender Änderung in dritter Lesung anzunehmen:

In Art.1 § 1 wird die Angabe „20.763.932.900 Euro“ durch die Angabe „20.829.932.900 Euro“ ersetzt.

Der Haushaltsausschuss empfiehlt dem Plenum, zu den Einzelplänen folgende weitere Beschlüsse zu fassen. Die Einzelheiten, die ausschließlich den Einzelplan 17 betreffen, sind der Drucksache zu entnehmen.

Der Gesetzentwurf war dem Haushaltsausschuss in der 86. Plenarsitzung am 13. Dezember 2005 nach der zweiten Lesung zur Vorbereitung der dritten Lesung überwiesen worden.

Der Haushaltsausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 15. Dezember 2005 behandelt und mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP die zuvor wiedergegebene Beschlussempfehlung gefasst.

Vielen Dank, Herr Kollege May. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Williges für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es sind keine leichten Zeiten für oppositionelle Berufshaushaltskritiker

(Heiterkeit des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

bei der Beratung des zweiten Nachtrags in dritter Lesung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Da ist zum einen das Urteil des Staatsgerichtshofs vom vergangenen Montag zu nennen, das sicherlich nicht mit der Zielsetzung der Antragsteller übereinstimmte und das man – das habe ich in der vergangenen Woche auch getan – durchaus als eine Niederlage der Sozialdemokraten bezeichnen kann.

(Reinhard Kahl (SPD): Eine Niederlage Hessens!)

Da sind zum anderen die Steuermehreinnahmen,die nach der zweiten Lesung des Nachtragshaushalts 2005 noch zu Buche schlagen und ebenfalls dazu beitragen, die Arbeit der Opposition nicht gerade einfacher zu machen.

Lassen Sie mich kurz zurückblenden. Bei der zweiten Lesung des Nachtrags am vergangenen Dienstag mussten wir noch von einem Rückgang der Steuereinnahmen gegenüber dem Urhaushalt 2005 von 642 Millionen c ausgehen,

(Reinhard Kahl (SPD): Das sind doch Ihre Zahlen gewesen!)

nach dem Länderfinanzausgleich immerhin noch eine Mindereinnahme von 322 Millionen c und mithin ein Einnahmerückgang von 1,7 %. Dem stand erfreulicherweise mit dem Nachtrag eine Ausgabenverminderung von 1,8 % gegenüber. Nichtsdestotrotz sind 322 Millionen c minus in einem laufenden Haushalt im Vollzug schwer zu verkraften. Ich will noch einmal darauf hinweisen – das habe ich bereits am vergangenen Dienstag getan –,welche Maßnahmen ergriffen wurden und welche positiven Aspekte im laufenden Haushaltsjahr eingetreten sind.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wiederholungen machen den Haushalt auch nicht besser!)