Protokoll der Sitzung vom 24.01.2006

zenbleiben zu beschämen und in unserem Bildungssystem zurückzulassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns weiter die Ergebnisse von sieben Jahren Kultusministerin Wolff an – auch wieder PISA-Studie: verzögerte Schullaufbahn bei den über 15-Jährigen –, wie viele der 15-Jährigen nicht in der normalen Zeit ihre Schullaufbahn durchlaufen.Es sind 34 %.Ein Drittel aller 15-Jährigen sind entweder später eingeschult worden oder haben sogar schon einmal eine Klasse wiederholt. Frau Wolff, da kann man nun wirklich nicht sagen, dass dieses Bildungssystem, wie Sie es organisieren, eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler gewährleistet, dass Schülerinnen und Schüler ihre Potenziale entdecken können. Nein, dieses Bildungssystem ist so, wie nach Aussage der Finnen ein Bildungssystem nicht sein soll. Es beschämt nämlich Kinder und lässt Kinder zurück. Mit „Bildungsland Nummer eins“ hat das überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kultusministerin, ja, es muss sich dringend etwas an unseren Schulen tun. Ja, wir brauchen dringlich moderne Strukturen in der Schulverwaltung. Da werden Sie uns an Ihrer Seite haben, keine Frage.Wo Sie uns niemals an Ihrer Seite haben werden, ist, wenn Sie Modernisierung der Schulen mit einem Mehr an Auslese, mit einer Perfektionierung des dreigliedrigen Schulsystems verbinden. Da wird es immer erbitterten Widerstand von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN geben, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Modernisierung ist – wie gesagt – notwendig. Frau Kultusministerin,aber man sollte sie schneller machen,als Sie es tun. Man müsste sie besser machen, als Sie es tun, und vor allem müsste man den Schulen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie diese Modernisierung tatsächlich auf den Weg bringen können. Ich möchte das an den Beispielen, die Sie erwähnt haben, im Einzelnen durchgehen.

Sie haben gesagt: externe Schulevaluation als wichtiger Schritt, damit die Schulen wissen, wo sie stehen. – Wir GRÜNEN haben nichts dagegen. Das IQ macht eine gute Arbeit und ist eine richtige Einrichtung. Die externe Schulevaluation unterstützen wir auch. Nur, Frau Kultusministerin, die richtige Reihenfolge wäre es gewesen, den Schulen erst Autonomie zu geben und sie dann zu evaluieren, weil die Eigenverantwortung der Schulen die Voraussetzung dafür ist, dass die Schulen überhaupt Verantwortung für ihre Ergebnisse übernehmen und aus dem, was ihnen die Schulevaluatoren zeigen,tatsächlich Konsequenzen ziehen können. Hier gehen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten. Frau Kultusministerin, das ist der falsche Ansatz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre auch schön, wenn die Schulen, wenn sie dieses Testat von den Schulinspektoren bekommen, daraus die Konsequenzen ziehen könnten.

Herr Wagner,gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Weinmeister?

Bitte sehr, Herr Kollege Weinmeister.

Herr Kollege Wagner, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, die Schulen könnten keine Verantwortung für ihre Ergebnisse übernehmen, weil sie bisher noch nicht autonom sind? Das bedeutet, die Schulen, die noch nicht autonom sind, können keine Verantwortung für ihre Ergebnisse, die sie bisher erzielt haben, übernehmen. Habe ich Sie richtig verstanden?

Sie haben nicht die Möglichkeiten, auf das zu reagieren, was ihnen die Schulevaluatoren sagen. Das würde nämlich voraussetzen, dass man aus den Ergebnissen der Schulevaluation Konsequenzen ziehen kann, dass man an der Schule damit arbeiten kann,dass man im Sinne der Eigenverantwortung von Schule sagen kann: Wir wollen es so und so machen, wir haben folgende Schülerinnen und Schüler, mit denen wir so und so arbeiten wollen. – Diese Möglichkeiten haben unsere Schulen nicht. Deshalb wird mit der Schulevaluation der zweite Schritt vor dem ersten Schritt gegangen. Herr Kollege Weinmeister, wenn Sie mich so verstanden haben, haben Sie mich richtig verstanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine wichtige Voraussetzung, wenn die Schulen dieses Testat bekommen, wäre, dass sie Mittel bekommen, um aus diesem Testat Konsequenzen zu ziehen. Wenn Sie es mit der Evaluation ernst meinen, dann wäre das ein richtiger Schritt gewesen, Frau Kultusministerin. Wir haben das zum Haushalt 2006 beantragt, und Ihre Landtagsfraktion hat es abgelehnt. Das zeigt, wie konsequent Sie bei der Modernisierung der Schulverwaltung wirklich sind.

Sie haben die Jahresstundentafel angesprochen. Ich kann dazu nur sagen: ja, endlich. Frau Kultusministerin, ein großer Schritt für Sie. Aber SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Ihnen schon lange gesagt, dass wir damit an unseren Schulen bessere Ergebnisse erzielen können. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis nach sieben Jahren, wie wir das vor zehn Jahren schon im alten Schulgesetz unter Rot-Grün hatten.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Da wurde es als Kuschelpädagogik denunziert. Jetzt haben Sie diese Erkenntnis auch. Dazu herzlichen Glückwunsch, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt kommen wir zu einem Punkt, der Unterrichtsgarantie plus. Ich finde, hieran kann man exakt Ihr Missverständnis von Eigenverantwortung deutlich machen. Eigenverantwortung muss bedeuten, dass die Schule in die Lage versetzt wird, sich zu entwickeln.Aber Eigenverantwortung, wie Sie sie betreiben, ist Mangelverwaltung. Sie gehen aus der Verantwortung für die Rahmenbedingungen,die Sie geschaffen haben,und sagen den Schulen jetzt unter dem Deckmäntelchen vermeintlicher Eigenverantwortung:Ihr müsst das ausbaden.– Frau Kultusministerin, so geht es nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen, die Unterrichtsgarantie plus sei ein Paukenschlag, der weit über Hessen gehört wird. Paukenschlag vielleicht, aber den Schulen platzen dabei die Trommelfelle. Eines passt nämlich nicht zusammen. Sie sagen seit sieben Jahren: Es gibt eine Unterrichtsgarantie. – Jetzt erst teilen Sie den erstaunten Eltern mit, eine Garantie sei erst eine Garantie, wenn ein Plus daran ist. Davor war es keine Garantie. Sie streichen im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ 1.000 Lehrerstellen. In dem Zuweisungserlass Ihres eigenen Hauses werden 2.200 Lehrerstellen als fehlend ausgewiesen. Und jetzt sagen Sie: Ich habe damit nichts mehr zu tun. Für das, was meine Maßnahmen an Unterrichtsausfall an den Schulen verursachen, müssen jetzt die Schulen geradestehen. Das müssen die Schulleiter zusätzlich zu ihren übrigen Aufgaben auch noch schultern. – Das kann es nicht sein, Frau Kollegin Wolff. Sie müssen schon zu Ihrer Verantwortung stehen und optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit die Schulen in der Eigenverantwortung konsequent arbeiten können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum so zögerlich bei der Personalauswahl, Frau Wolff? Warum dürfen die Schulen zum Schuljahr 2006/07 erst 50 % ihres Personals ausweisen? Warum geben Sie den Schulen, die das wollen, nicht die Möglichkeit, noch mehr zu machen? Wenn es die Rangliste weiter gibt – das haben Sie dargestellt –, dann wäre es überhaupt kein Problem. Die Schulen, die es nicht wollen, greifen auf das bewährte Verfahren zurück. Und die Schulen, die einen Schritt weiter gehen wollen und weiter in ihrer Entwicklung sind, können sich ihr Personal weitgehend selbstständig aussuchen. Hier sind Sie viel zu zögerlich.

Das Ganze sollen an den Schulen die Schulleiter machen, die Schulleiter als Manager, wie Sie es gerne beschreiben. Ich frage mich langsam:Was sollen die Schulleiter eigentlich noch alles machen? – Es hilft gar nichts,dass Sie ihnen jetzt ganze zweieinhalb Stunden Entlastung geben wollen. Die Schulleiterinnen und Schulleiter sind jetzt schon mit dem überlastet, was Sie alles an Verantwortung an die Schulen übertragen haben. Wenn wir die eigenverantwortliche Schule haben wollen, dann braucht diese Schule auch Unterstützung in der Verwaltungsleistung, dann brauchen die Schulleiter Entlastung. Das müssen nicht immer Stunden sein.Aber das muss eine Verwaltung sein, das müssen beispielsweise zusätzliche Sekretärinnen sein, das müssen Verwaltungsangestellte sein, die sie bei ihrem schwierigen Job an der Schule unterstützen können. All das stellen Sie den Schulen nicht zur Verfügung. Deshalb ist Eigenverantwortung bei Ihnen Mangelverwaltung und nicht eine wirkliche Weiterentwicklung der Qualität unserer Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ein bisschen ein anderes Verständnis als Sie, Frau Ministerin, was die Schulentwicklung angeht und wer die Träger dieser Schulentwicklung sind. Im schriftlichen Text Ihrer Regierungserklärung heißt es:

Dies alles wurde und wird nicht am grünen Tisch im Kultusministerium erledigt, sondern in einer breitestmöglichen Einbindung aller Schulleiterinnen und Schulleiter. Besonders unsere regionalen Bildungsforen in allen Regionen Hessens im vergangenen Jahr haben die Entwicklung weiter vorangetrieben. Es ist also ein gemeinsames Projekt aller, die Schule gestalten.

Wenn also das Kultusministerium mit den Schulleitern redet, ist das ein gemeinsames Projekt aller, die Schule gestalten. Frau Kultusministerin, unsere Vorstellung von Schulentwicklung ist eine andere. Die Schulleiter haben eine herausgehobene Verantwortung.Aber es geht natürlich auch darum, die einzelne Schule im demokratischen Zusammenspiel der Schulgemeinde aus Lehrerinnen und Lehrern, aus Schülerinnen und Schülern und aus Eltern weiterzuentwickeln – bei einer herausgehobenen Funktion der Schulleiter. Frau Kultusministerin, aber die Schulleitung ist eben nicht alles.

Viele Schulleiter wollen ihre Schule nicht so führen, wie die hessische CDU geführt wird. Sie wollen einen kollegialen Führungsstil. Sie wollen nicht, dass es einen gibt und alle folgen, sondern sie wollen eine demokratische Kultur an ihrer Schule. Das ist in Ihrer Denkstruktur leider nicht vorhanden, Frau Kultusministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz offensichtlich wird der Widerspruch zwischen Sein und Schein beim Thema Fortbildung. Wir begrüßen, dass die Schulen mehr Autonomie bei der Verwendung der Fortbildungsmittel bekommen. Nur machen Sie da einen Etikettenschwindel. Sie haben im Haushalt 2006 die Mittel für Fortbildung ganz leicht erhöht. Jetzt hat die CDU-Fraktion in den Haushaltsberatungen Mittel umgeschichtet. Das wollen Sie als große neue Mittel für Fortbildung ausgeben.

Ich habe mir das angeschaut. Sie haben vier Anträge gestellt,wo Sie in der Tat die Mittel für Fortbildung erhöhen. Nur muss man sich die Begründung Ihrer Anträge anschauen. In der Begründung steht, dass diese Mittel nicht allein den Schulen zur Verfügung stehen, sondern – Zitat aus der Begründung Ihrer Anträge – „aus den insgesamt zur Verfügung stehenden Mitteln werden neben dem Fortbildungsbudget für Schulen anteilig Maßnahmen regionaler und zentraler Fortbildung der Staatlichen Schulämter und des Amtes für Lehrerbildung finanziert“, also mitnichten ein Budget, das den einzelnen Schulen zur Verfügung steht.

Es geht noch weiter. Sie haben nicht nur die vier Anträge gestellt, wo Sie diese Mittel erhöhen. Sie haben zwei weitere Anträge gestellt, wo Sie exakt das Geld, das Sie für Fortbildung mehr ausgeben, an anderer Stelle für Fortbildung wieder streichen. Das heißt, der Kuchen für Fortbildung ist nicht wirklich größer geworden.

(Ministerin Karin Wolff:Aber natürlich!)

Es ist wirklich mehr Schein als Sein. Ich habe die Haushaltsanträge hier vorliegen: 1,7 Millionen c auf der einen Seite mehr, und mit anderen Haushaltsanträgen nehmen Sie exakt diese 1,7 Millionen c wieder weg. – Wenn Sie es so hätten machen wollen, wie Sie es hier versuchen darzustellen, dann hätten Sie dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen sollen. Der hatte vorgesehen, den Schulen tatsächlich 1,5 Millionen c mehr für Fortbildung bereitzustellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kultusministerin, sehr vage sind Sie in Ihrer Regierungserklärung hinsichtlich des Themas regionale Schulhaushalte geblieben.Warum haben wir das nicht? Es wäre doch hochgradig sinnvoll, an den einzelnen Schulen das zusammenzufassen, was das Land und die Schulträger in die Schulen investieren. Warum machen Sie das nicht? Warum beschränken Sie das auf die Modellprojekte „Schule gemeinsam verbessern“ und „Selbstverantwor

tung plus“? In dem Modellprojekt „Selbstverantwortung plus“ befinden sich 17 Schulen. In Hessen gibt es 2.200 Schulen. Warum geben wir ihnen nicht endlich die Freiheit, mit den Mitteln, die den Schulen ohnehin zufließen, eigenverantwortlich umzugehen? Wir brauchen hierzu keine Modellprojektchen. Wir brauchen da keine Spielchen.Frau Kultusministerin,vielmehr muss da endlich der große Schritt getan werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Bemühungen zur Modernisierung des hessischen Schulwesens möchte ich mit folgenden Worten zusammenfassen: Frau Kultusministerin, Sie haben vieles angefangen. Sie haben wenig zu Ende gebracht.

(Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Er hat keine Ahnung!)

Vor allen Dingen haben Sie für all das die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt. Das ist unser zentraler Vorwurf, den wir hinsichtlich Ihrer Modernisierung der Schulverwaltung erheben.

Sie geben die Verantwortung an die Schulen. Die sollen es irgendwie richten. Sie führen eine Reform nach der anderen durch, ohne die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. De facto wurde damit eine heillose Überforderung der Lehrerinnen und der Lehrer an den Schulen erreicht. Sie haben ein heilloses Chaos an den Schulen verursacht. So sieht in Wahrheit Ihre Modernisierung aus. Sie wurde nicht konsequent betrieben.

Ich möchte Ihnen das mit einem Zitat aus einem Schriftstück des Hessischen Philologenverbands verdeutlichen. Der Philologenverband hat auf seiner Verbandsversammlung, die Ende des Jahre 2005 stattgefunden hat, eine Resolution verfasst. Darin heißt es unter anderem – ich zitiere wörtlich –:

Die Verbesserung der Unterrichtsqualität wird sich darin zeigen, ob die eigentlichen Probleme der Schulen gelöst werden: immer noch unzureichende Versorgung der Schulen mit Lehrkräften, zu späte Lehrerzuweisung, zu große Klassen und Kurse, unzureichende Arbeitsbedingungen, nicht ausreichende Erteilung von Förderunterricht, „Unterstützungssysteme“, die ihren Namen nicht verdienen und ständig mit ihrer eigenen Aufgabenfindung beschäftigt sind,Abbau von Hausmeister-, Sekretärinnen-, Bibliothekarinnen-, Schulassistenten sowie der Medienwartstellen,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Herr Kollege Irmer, ich lese nur vor, was Ihre Kollegen aus dem Philologenverband beschlossen haben –

Überlastung vieler Lehrkräfte, unter anderem durch zu lange Arbeitszeiten der Lehrkräfte, praxisferne Novellierung des Hessischen Schulgesetzes (G 8, Lehrerbildung), eine zu kostenintensive neue Verwaltungsreform, bürokratische, kleinkarierte und zeitaufwendige Datenerhebungen, unzureichende Schulverwaltungssoftware.

Der Philologenverband zieht dann das Fazit: