Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Wir müssen darauf achten, dass sinnvolle Maßnahmen umgesetzt werden,dass eine bessere Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird. Ich akzeptiere an dieser Stelle eben nicht – Herr Minister Dietzel ist für die Feinstaub-Aktionspläne zuständig –, wenn Sie sagen, dass Sie abwarten wollen, wie die Entwicklung, gerade für den Raum Frankfurt, aussehen wird. Meine Damen und Herren, wenn man sieht, dass das, was bis jetzt getan wurde, nur ein kleiner Beitrag zur Reduzierung der Feinstäube war, dann muss man sich jetzt schon darum kümmern und Gedanken darüber machen, welche weiteren Maßnahmen notwendig sind, um die Feinstaubmengen zu reduzieren. Das ist unser Anspruch an die Umweltpolitik. Da kann sich Umweltminister Dietzel nicht zurücklehnen und sagen: Warten wir erst einmal ab. – Dafür ist dieses Thema einfach viel zu brisant und viel zu problematisch. Hier besteht ganz dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Kollege Williges für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gegenwärtige Debatte über den Feinstaub – damit meine ich ausdrücklich nicht die Debatte hier im Hause, zumindest nicht die bisherige, sondern die außerhalb des Hauses geführte – konzentriert sich im Wesentlichen auf die Auswirkungen der ergriffenen Gegenmaßnahmen.

Bedauerlicherweise wird die eigentliche Ursache – ich meine weniger die Ursache der Entstehung von Feinstäuben, sondern die Ursache der Gegenmaßnahmen –, nämlich die gesundheitlichen Belastungen für die Menschen,

in dieser Diskussion in den Hintergrund gedrängt. Ich möchte das noch einmal aufnehmen, was Sie gesagt haben, Frau Hammann, weil ich Ihre Auffassung ausdrücklich teile und ein wenig bedauere, dass der Kollege Heidel auf die Beantwortung der dritten Frage der Großen Anfrage der FDP-Fraktion nicht eingegangen ist.

Die Europäische Kommission hat festgestellt, dass im Jahre 2000 ca. 370.000 Menschen im EU-Raum an den Folgen von durch Feinstäube und Ozon verursachten Krankheiten starben. Das ehrgeizige Ziel ist, durch die eingeleiteten Gegenmaßnahmen diese Zahl bis zum Jahr 2020 um 40 % zu vermindern. Wenn wir einen Blick auf die Reduktion der Lebenserwartung werfen, stellen wir fest: Durchschnittlich 8,6 Monate leben die Menschen in den EU-Ländern durch die Feinstaubbeeinträchtigung kürzer, als sie ohne die Feinstaubbeeinträchtigung leben würden. Bei uns in Deutschland – das sollte uns aufhorchen lassen – sind es 10,2 Monate.

Wer sich schon einmal wie ich, zugegebenermaßen medizinischer Laie, mit den Krankheitsbildern von durch Staub verursachten Krankheiten beschäftigt hat – bei mir war das der Kontakt mit der Berufsgenossenschaft –, der erkennt, welch ungeheures Problem hinter diesen Krankheiten steckt und welche Schicksale dahinter stehen.

Die volkswirtschaftliche Betrachtung – lassen Sie mich das an dieser Stelle noch anfügen – in der EU-Untersuchung weist aus, dass die Aufwendungen für die bisher auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Reduktion der Feinstäube mit ca. 7 Milliarden c zu veranschlagen sind, während sich die durch Feinstäube verursachten Krankheitskosten auf 42 Milliarden c summieren.

Aus diesem Grunde habe ich diese gesundheitlichen Aspekte vorangestellt, bevor ich ganz kurz etwas zu Standards und Grenzwerten sagen will. Wir wissen, dass sich die Grenzwerte – da macht die festgestellte 35-malige Überschreitung des Grenzwertes bei der Partikelgröße PM10 von 50 µg/m3 Luft keine Ausnahme – nicht immer objektiv an der tatsächlichen Gefahrensituation, an der Gefährdung orientieren können, sondern zum Teil gegriffene Werte sind.

Aber man muss Werte greifen, um eine Vergleichbarkeit herzustellen und eine Grenze zu haben, ab der Maßnahmen eingeleitet werden. Diese Grenzwerte, die ebenfalls im Mittelpunkt der Kritik stehen, halte ich für akzeptabel, soweit ich das mit meinem begrenzten fachlichen Sachverstand beurteilen kann. Diese Grenzwerte – das muss auch gesagt werden, Frau Hammann, und da setzt meine Kritik an dem an, was Sie vorgetragen haben – sind nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern sie waren seit vielen Jahren bekannt. Sie waren auch der bisherigen rotgrünen Bundesregierung bekannt.

(Zuruf der Abg. Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich darf darauf hinweisen,dass bereits am 11.Juni des Jahres 2004 der Bundesrat die Bundesregierung in einer Initiative aufgefordert hat, geeignete Maßnahmen zur Einführung von Minderungstechnologien zu ergreifen und – da bin ich wieder beim Kollegen Heidel, der angemahnt hat, dass keine Belastungen für die Länder entstehen – weiterhin gefordert hat, dass eine aufkommensneutrale Veränderung der Kfz-Steuer vorzunehmen ist, die geeignete Maßnahmen, in diesem Fall den Einbau von Dieselrußpartikelfiltern, begünstigt. Das war am 11. Juni 2004. Herr Heidel, diese Forderung aus der Bundesratsinitiative ist auch in den gemeinsamen Antrag von CDU und

FDP eingeflossen, den wir bereits am 22. Februar 2005 hier gestellt haben. Das heißt also, dass CDU und FDP sich recht früh in diesem Hause mit der Problematik beschäftigt haben.

Ganz anders sah natürlich die Position der damaligen Bundesregierung aus, Frau Hammann. So sagte der damalige Bundesfinanzminister Eichel noch am 2. August 2004, dass er keinen Sinn in einer solchen Förderung sehe. Er sagte weiter, wer einen Diesel-PKW mit Rußfilter kaufen wolle, tue das auch ohne eine Förderung, und er schloss damit,dass durch solche Anreize lediglich der Verkauf französischer Automobile gefördert würde – so Eichel wörtlich.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil die Deutschen es nicht hingekriegt haben!)

Das zur Position der damaligen Bundesregierung. Man muss den Hintergrund kennen. Da hat Herr Al-Wazir ganz Recht. Denn führende deutsche Autohersteller, die der Bundesregierung auch nahe standen, haben auf ein anderes Pferd gesetzt.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Die standen vielleicht Gasprom nahe, aber nicht uns!)

Sie haben gedacht,durch Optimierung des Verbrennungsverfahrens einerseits und durch Lobbyarbeit andererseits könne man dauerhaft auf einen Dieselpartikelfilter verzichten. Das hat sich als Trugschluss erwiesen und könnte noch ein Bumerang für die deutsche Automobilindustrie werden.

Ich komme jetzt zur Feinstaubentwicklung in Deutschland. Ich möchte nicht alles wiederholen. Herr Kollege Heidel hat das schon vorgetragen.Es gab einen Rückgang bis 2000 und einen Anstieg bis 2003, wobei ich natürlich davor warne, das mit der Regierungsbeteiligung der FDP in Hessen in Verbindung zu bringen. Denn ab Mitte 2004 gab es wieder einen Rückgang auf das Niveau des Jahres 2000.Das alles kann aber nicht beruhigen,weil wir wissen, dass im Jahr 2005 beispielsweise in Leipzig die Überschreitung über 100-mal stattfand. Auch an den hessischen Messstationen in Kassel, in Frankfurt am Main, in Darmstadt oder im rheinland-pfälzischen Mainz wurden die Werte zwischen 40- und 50-mal überschritten. Damit lagen sie weit über dem Grenzwert.

Daraus erwächst zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unbedingt die Gefahr eines Vertragverletzungsverfahrens. Da können wir uns auf den EU-Umweltkommissar Stavros Dimas verlassen, der noch am 22. November des vergangenen Jahres erklärt hat, eine Lockerung der Feinstaubrichtlinie sei aus seiner Sicht denkbar, insbesondere dort, wo ein Eintrag aus Nachbarregionen den größten Teil der Belastung ausmacht – das gilt für den Großraum Stuttgart – oder wo Seesalzanteile die Ergebnisse verfälschen. Ich denke, das sollte man auch einmal in der Diskussion sagen: Interessanterweise ist im Jahr 2003 auf der Nordseeinsel Norderney der Grenzwert für Feinstaub 48mal überschritten worden.

Die unterschiedlichen Quellen der Feinstaubbelastung machen deutlich, dass sehr unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Erneuerungszyklen technischer Anlagen umfassen unterschiedliche Zeiträume. So ist z. B. der Löwenanteil der Kfz-Flotte in wenigen Jahren ausgetauscht bzw.kann durch Nachrüstung optimiert werden. Gestatten Sie an dieser Stelle eine Bemerkung zur Nachrüstung. Einer der führenden Hersteller von Diesel

partikelfiltern sitzt im hessischen Neu-Anspach. Damit gibt es auch wieder Wertschöpfung im eigenen Land,Herr Al-Wazir.

Ich sagte, der Löwenanteil der Kraftfahrzeugflotte ist relativ kurzfristig ausgetauscht. Bei Heizungsanlagen und Industrieeinrichtungen sieht das schon etwas anders aus. Ich komme aber noch einmal zu dem zugegebenermaßen für mich hohen Anteil des Kraftfahrzeugverkehrs von 45 % an den gesamten Feinstaubemissionen, wobei schon korrekterweise gesagt wurde, dass sich das aufteilt: 50 % davon kommen aus dem Auspuff, und 50 % kommen aus anderen Quellen wie Bremsbelägen oder sonstigen Stäuben, die durch Abrieb zum Feinstaubaufkommen beitragen.

An dieser Stelle muss eines deutlich gesagt werden. Da komme ich auch noch einmal auf die Frage zurück, die in Darmstadt derzeit diskutiert wird. Eines ist klar:Wäre der Straßenbau in den vergangenen Jahren in unserem Land besser durchgeführt worden und hätten wir dadurch homogenere Verkehrsflüsse – das gilt insbesondere für die Situation in Darmstadt –, und wäre beispielsweise ein Kreis wie der Odenwaldkreis an das Bundesfernstraßennetz angeschlossen, dann gäbe es viele Probleme, die momentan lokal in Darmstadt diskutiert werden, nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Auch diesen Vorwurf muss sich eine GRÜNEN-Fraktion in diesem Haus machen lassen, Frau Hammann.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jeder Vorwurf an uns ist per definitionem unberechtigt!)

Aber ich will noch auf einige wenige andere Aspekte eingehen, und zwar andere Einflussgrößen, die zur Gesundheitsbeeinträchtigung beitragen und die eben nicht an diesen Messstellen in den engen beidseitig bebauten Straßenschluchten festgestellt werden. Die Innenraumbelastung, die durch Raucher oder technische Geräte wie Kopierer oder Faxgeräte entsteht, ist bei der Gesamtbelastung nicht zu vernachlässigen, auch wenn sie bedauerlicherweise in keine Statistik einfließt. Zum Jahreswechsel haben wir erfahren: Auch Silvesterfeuerwerk kann dazu beitragen, dass die Feinstaubwerte nach oben gehen, wenn auch nur kurzfristig, weil das erfreulicherweise nur einmal im Jahr stattfindet.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war eine typische Aussage eines Nordhessen! Der Südhesse würde auch zweimal im Jahr Silvester feiern!)

Jetzt zu den angeblich nicht eingeleiteten Maßnahmen in Hessen.Frau Hammann,Sie haben den Fünf-Punkte-Plan von Ministerpräsident Koch hier angesprochen. Das war eine sehr frühe und eine sehr gute und wirkungsvolle Maßnahme, weil sie nämlich zur gemeinsamen Länderinitiative der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen führte,

(Beifall bei der CDU)

die dann ganz konkrete Festlegungen traf,die Sie hier einfordern,

(Zuruf von der SPD:Abgeschrieben!)

nämlich eine Plakette für die Euroeinstufung 1 und 2,eine weitere für die Euroeinstufung 3 – eine grüne Plakette,die dann zum Einfahren in solche Gebiete berechtigt –, eine Plakette für die in Euro 4 und höher eingestuften Fahr

zeuge und eine Plakette für nicht schadstoffarme Fahrzeuge mit Ottomotor ohne geregelten Katalysator.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die ist schwarz! – Heiterkeit des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Die könnte dann vielleicht auch schwarz sein, Herr Kaufmann. Das wäre denkbar.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wegen des vielen Rußes!)

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Ich möchte noch erwähnen, dass die Luftreinhaltepläne und Aktionspläne sowohl in Darmstadt als auch in Frankfurt, wie auch in Kassel auf den Weg gebracht wurden. Ich habe eingangs gesagt, dass es Kritik gegenüber diesen Plänen gab. Sie müssen begleitet werden. Sie müssen ständig überarbeitet und evaluiert werden. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass die Hessische Landesregierung, insbesondere Umweltminister Dietzel, auf dem richtigen Weg ist. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nächste Wortmeldung,Herr Abg.Grumbach für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Debatte ist eigentlich spannend, weil sie ein Lehrstück darüber ist, wie in Deutschland mit einem politischen Problem umgegangen wird. Denn schauen Sie sich die Sachlage an. Wir sind uns einig in der Frage, dass das schädlich ist.Wir stellen nur fest, dass das Interesse auf diesem Gebiet erst erwacht ist,als die letzte Minute vor In-Kraft-Treten einer EU-Verordnung angebrochen war. Bei vielen erwachte das Interesse erst, als diese letzte Minute angebrochen war. Wenn ich schaue, was davor passiert ist, finde ich schon, dass das ein Lehrstück über Politik in Deutschland ist.

Die Feinstaubdiskussion gibt es in Deutschland seit mehreren Jahren. Sie wurde klar geführt und wissenschaftlich untermauert. Daraufhin haben diejenigen, die industrielle Interessen daran haben, nicht so teure Autos zu produzieren, gesagt:Wir kriegen das auf die Reihe. – Sie haben die meisten deutschen Politiker dazu gebracht, zu sagen: Wir räumen euch Zeit ein; ihr werdet das auf die Reihe kriegen.– Das waren die meisten,aber die GRÜNEN nie.Das sage ich so locker. Damit kann man leben.

Dann stellte man fest, dass genau dieses Versprechen nicht eingehalten wurde und auch technisch nicht einhaltbar ist. Dann haben wir die Situation, dass in mehreren Städten feststeht, dass Bürger gegen den Staat klagen können. Siehe da: Die Aktivitäten brechen aus. Aber sie brechen nur bezogen auf diesen einen Punkt aus. Wir re

den hier nur über ein Viertel der Belastungen, denen die Menschen ausgesetzt sind. Das Restliche wird zwar auch vom Verkehr verursacht, ist aber eher über die Straßenbauverwaltung, die Herstellung von Bremsen, Reifen und andere Dingen zu regeln. Über die anderen Dinge reden wir nicht.Aber wenn wir über andere Dinge reden, reden wir nicht über Feinstaub.

Ich nehme einmal eine Debatte des Hessischen Landtags. Wir haben hier darüber geredet, wie wir eine andere Energieversorgung verwirklichen können. Da gab es zwei schöne Vorschläge. Den einen finde ich toll, den anderen nur in Grenzen. Der eine schöne Vorschlag war: Wir verbrennen mehr Holz. Der zweite Vorschlag war: Wir verbrennen Getreide. – Wer sich die Feinstaubkurve von Holz- und Getreideverbrennung anschaut, wird erkennen, dass wir, wenn wir das mit den alten Öfen getan hätten, die Feinstaubbelastung in Hessen um mehrere Prozent nach oben getrieben hätten. Denn ohne die nötigen Filter, die heute nicht eingebaut sind, hätte das bei den 600.000 Holzöfen und vielen Kleinanlagen bei den Bauern eine solche Feinstaubbelastung erzeugt, dass die Verkehrsbelastung dagegen ein Waisenknabe wäre.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich sage das nur, weil ich glaube, dass wir bei dem, was wir tun, ein Stück weit gucken müssen, dass wir nicht nur ein Thema ansprechen, wenn es gerade Mode ist, und dann, wenn wir über andere Themen reden, so tun, als gebe es das Thema nicht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))