Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

(Beifall bei der SPD)

Frau Henzler hat nun die Gelegenheit zur Antwort.

Ich antworte auf den Teil der Kurzintervention, der sich auf meine Rede bezogen hat. Frau Osterburg hat nämlich vor mir gesprochen, und eigentlich war ich dann dazwischen.

Zum Thema integrierte Gesamtschule. Ich will Ihnen einmal eines sagen. Das ist eine Schulform, die ich sehr begrüße. Ich bin wahrscheinlich die Einzige hier, die zwei

Kinder auf einer integrierten Gesamtschule hatte. Deshalb finde ich, dass das eine Schulform ist, die in unsere Schullandschaft gehört und die dort auch ganz wichtig ist.

(Beifall der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) – Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Aber Frau Ypsilanti, auch eine integrierte Gesamtschule hat nur dann Sinn, wenn die Schülerklientel ungefähr gedrittelt ist: ein Drittel Gymnasiasten, ein Drittel Realschüler und ein Drittel Hauptschüler.Wenn der Gymnasialzweig weg bricht, macht auch eine Integrierte Gesamtschule keinen Sinn mehr.

(Andrea Ypsilanti (SPD):Was ein Quatsch! Es gab 19 Anmeldungen!)

Dann kommt Frankfurt. Frankfurt betreibt diese Schule jetzt selbst – auf Kosten der Lehrerfeuerwehr, die Frankfurt sonst für andere Schulen hätte. Also werden andere Schulen in Frankfurt benachteiligt, weil die Lehrerstellen jetzt voll an die Heinrich-Kraft-Schule gehen.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Was halten Sie denn den Frankfurtern vor?)

Jetzt sage ich Ihnen noch eines: Es ist immer so, dass die Eltern ihre Kinder nicht auf eine bestimmte Schule schicken und die Frauen nicht ins Katharinen-Krankenhaus zur Entbindung gehen, aber sie gehen auf die Straße und protestieren, wenn es geschlossen wird, obwohl sie es vorher gar nicht genutzt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dann können Sie nach Adorf gehen zu unserem lieben Kollegen Herrn Otto Wilke. Er hat dort den Eltern auch klipp und klar gesagt:„Wenn ihr die Kinder auf die Schule schicken würdet, dann könnte man die Schule auch erhalten.“ Wenn man vorher die Kinder nicht hingeschickt hat, kann man nicht hinterher sagen, dass trotzdem alles so bleiben muss. So kann es nicht bleiben. Wir müssen Veränderungen herbeiführen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

In einer Stadt wie Frankfurt sehe ich das von den Verkehrsverbindungen her nicht als kritisch an.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Andrea Ypsil- anti (SPD): Es ist die Sozialstruktur!)

Vielen Dank, Frau Henzler. – Nun hat für die Landesregierung Frau Kultusministerin Wolff das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wahlkampfaktion der hessischen SPD-Fraktion wird bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht verfangen. Da bin ich mir sehr sicher.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Denn die Frage der Glaubwürdigkeit wird an dieser Stelle gestellt. Krokodilstränen werden an dieser Stelle von den Menschen nicht akzeptiert, wenn man dabei sieht, dass im Grunde der Antrag der SPD-Fraktion zur Gesetzesänderung dazu führen wird, dass sich die durchschnittlichen

Klassengrößen im Land Hessen den Mindestgrößen, die in der Verordnung vorgeschrieben sind, zuwenden wird.

Es hat sich keine Klassengrößenverordnung verändert. Die durchschnittliche Klassengröße hat sich in Hessen in den letzten Jahren so gut wie nicht verändert.Aber in dem Augenblick, in dem Ihr Gesetz in Kraft tritt und das alte, bestehende Gesetz mit den Richtwerten außer Kraft gesetzt wird, können wir in der Tat damit rechnen, dass die 3.500 zusätzlichen Stellen,die wir in den letzten Jahren geschaffen haben, zerbröseln. Sie würden nicht der Förderung, der Qualitätssteigerung und nicht der Gerechtigkeit in hessischen Schulen dienen. Sie würde nur dazu gebraucht, immer kleiner werdende Zweige in der Fläche und in den Ballungszentren zu versorgen. Das hat mit Bildungsgerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich können vor Ort die Schulträger entscheiden. Deswegen hatten wir ein sehr transparentes Verfahren, das sogar im Gesetz niedergelegt war. Wir haben in unendlichen Runden mit Schulträgern und mit Dezernenten im Einzelgespräch und in ganzen Gruppen sowie zur Erinnerung per Brief noch einmal darauf hingewiesen, dass das Gesetz Richtwerte und ganz klare Daten der ablaufenden Planung vorsieht.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sehr richtig!)

Jetzt haben wir erst darauf reagiert, und zwar sehr unterschiedlich – je nach dem, wie die Schulträger reagiert haben. Es gibt Schulträger, und zwar verschiedener Couleur, die sich auf die Frage eingestellt und gesagt haben: Natürlich muss man als verantwortlicher Schulträger mit der demographischen Situation umgehen. Aber man kann doch nicht ignorieren, dass in der Breite des Schulangebots, das man hat, bei geringer werdender Schülerzahl nicht alles so beibehalten werden kann, wie es ist. Natürlich nehme ich als Schulträger das selbst in die Hand, weil ich selber planen will und weil ich nicht will, dass woanders über mich beschieden wird, sondern ich will die Planung in meinem Schulträgerbereich selbst machen.

(Heike Hofmann (SPD): Es ist aber keine Entscheidungsfreiheit mehr da von den Schulträgern!)

Die Schulträger haben Planungen vorgelegt. Die Zahlen sind vorhin noch einmal vorgetragen worden. Es waren über 200, die auf der ersten Liste gestanden haben, und es waren bis zu 107 auf der zweiten Liste. Wenn Sie das mit den 32 Zweigen bzw. 28 Schulen vergleichen, die tatsächlich auslaufen, dann sehen Sie doch, dass Schulträger und Schulen zu einem beachtlichen Teil reagiert haben. Da kann man auch nur sagen: Respekt vor dieser Planungsleistung.Aber auf der anderen Seite sage ich auch: keinen Respekt vor Schulträgern, die sich ihrerseits dieser Planungsleistung verweigert haben und die die Verantwortung abgelehnt und gesagt haben: „Demographie interessiert mich nicht, lasst das einfach weiterlaufen.“ – Diese Schulträger haben billigend in Kauf genommen,dass noch viel mehr ausläuft und nicht weitergeführt werden kann als das, was wir derzeit gemacht haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Da gibt es z. B. die Stadt Darmstadt, die bis zum heutigen Tag keinen Schulentwicklungsplan vorgelegt hat. Sie ist nicht die Einzige. Da gibt es die Stadt Frankfurt, die zwar ein großes Buhai um angeblichen Ideologieverdacht macht, die aber ihrerseits noch nicht einmal in der Lage ist, für ihre elf Planungsbezirke, die sie hat, einen ge

schlossenen Entwicklungsplan vorzulegen, sondern nur für zwei.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das liegt doch alles vor!)

Was soll ich denn damit anfangen, wenn ich einen Schulentwicklungsplan für zwei Planungsbezirke habe, aber nicht für die übrigen? Da sollte man in der Auseinandersetzung schon ein bisschen aufrichtiger sein.

Dabei sollte man auch Folgendes sehen. Da wird immer wieder von Ideologieverdacht gesprochen. Das finde ich herrlich. Bestätigt es der Ideologieverdacht, wenn die Hessische Landesregierung in Gestalt der Kultusministerin bei den Schulentwicklungsplänen, die vorgelegt worden sind, neun Umwandlungen in eine integrierte Gesamtschule in diesem laufenden Verfahren zugestimmt hat? Da sind einige aus verschiedenen Kreisen dabei, wo ich nicht den Vorwurf eines Ideologieverdachts brauche. Aber dann, wenn mir noch nicht einmal ein umfassender Schulentwicklungsplan vorliegt, werde ich doch nicht einer Umwandlung in eine integrierte Gesamtschule oder anderen Umwandlungen zustimmen können,ohne zu wissen, wie sich das auf das Schulnetz regional auswirkt.

Wenn wir beim Ideologieverdacht sind und wenn ich dann den Antrag und auch die Pressemeldungen der SPD analysiere,dann sehe ich dort,dass die SPD-Fraktion den Antrag stellt, Richtwerte wieder abzuschaffen, dass sie aber in derselben Pressemeldung die Schließung von Hauptschulen nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern im Grunde gutheißt.Wenn das keine Ideologie ist, dann weiß ich es allerdings auch nicht mehr, was in unserem Lande noch Ideologie ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Natürlich hat die Stadt Frankfurt am Main das Recht, von der gesetzlichen Bestimmung Gebrauch zu machen und die entsprechenden Stellen der Heinrich-Kraft-Schule zur Verfügung zu stellen.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fragen Sie Frau Osterburg!)

Das weiß Frau Osterburg auch, und das hat sie ausdrücklich gesagt.– Aber wenn in einem Bereich,in dem es 15 bis 16 Gymnasialschüler gibt,eine Schule zusätzlich mit 4,2 Stellen versorgt wird – das ist, wenn Sie das aufsummieren, der Bedarf, den die Stadt Frankfurt ausgleichen muss –,dann werden diese an den anderen der 18 Schulen, an denen im Moment städtische Lehrer eingesetzt sind, abgezogen werden müssen. Wenn die Stadt Frankfurt am Main das macht, ist das in Ordnung.Aber es ist das Recht einer Abgeordneten, dies auch öffentlich zu sagen, dass sie an anderer Stelle abzuziehen sind.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in der Frage des Auslaufens von Schulzweigen mit den Richtwerten ein sensibles Instrumentarium gefunden,was Schulen, Schulträgern und dem Land insgesamt eine Planungsmöglichkeit gibt.

(Heike Hofmann (SPD):Was ist daran sensibel?)

Es legt auf dieser Basis aber auch Wert darauf,dass wir sowohl in dem Bereich sehr kleiner Klassen als auch in dem Bereich außerordentlich großer Klassen zu einer gerechteren Verteilung und zu einer Verwendung von Lehrkräften kommen – deren Zahl haben wir um über 3.500 ge

steigert –, die dazu führen, dass wir noch in der Lage sind, nicht nur gerade den Stundenplan vollständig abdecken zu können,was wir nachweislich bis jetzt in jedem Jahr geschafft haben, sondern dass wir darüber hinaus Differenzierungsangebote und Wahlangebote machen können, die für die Qualität einer Schule notwendig sind. Es ist notwendig, zwischen einer Fremdsprache und einer Naturwissenschaft im Bereich der Wahlpflicht auswählen zu können. Es ist notwendig, dass wir ein Förderangebot machen können, das schwächere Schüler unterstützt. Es ist notwendig, dass wir uns so etwas leisten können wie bei der Aktion „Schule und PC“, wo wir in der ersten Klasse in den Hauptfächern differenzieren und deswegen natürlich auch mehr Stunden hineinstecken. Wer jetzt sagt, wir sollen die Richtwerte abschaffen, und damit die durchschnittliche Klassengröße im Land Hessen absenkt, der riskiert, dass es solche Angebote nicht mehr gibt.

Meine Damen und Herren, ich bin schon sehr dafür, dass wir in dieser Angelegenheit ehrlich sind. Ehrlichkeit bedeutet, dass wir ein Instrumentarium haben, das in einer sich verändernden demographischen Situation sensibel reagiert, und nicht abwarten, bis wir in wenigen Jahren in die Lage geraten, sehr schnell sehr viele Schulen auf einen Schlag schließen zu müssen, wir also nicht ein solches Instrumentarium wählen, als dessen Folge – wie es in anderen Ländern notwendig ist – wir auf einen Schlag ein Drittel, sogar der Grundschulen, schließen müssen.

Ich glaube, wer sich nicht blind und taub gegen die demographische Entwicklung stellt, sondern sie aufgreift und antizipiert, bevor die großen Schnitte notwendig sind, der geht ehrlich den mit Schulen um. Das verstehen die Schulen auch in einem beginnenden Kommunalwahlkampf sehr viel besser

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Als die Opposition!)

als die vorgespielte Bereitschaft, dies wieder rückgängig zu machen.

Meine Damen und Herren, eine SPD-Landesregierung, die es vielleicht irgendwann wieder einmal gibt

(Jürgen Walter (SPD): Bald!)

hoffentlich nicht so bald,aber irgendwann einmal –,wird § 144a Hessisches Schulgesetz nach meiner Prognose nicht wieder rückgängig machen. Denn das ist ein sensibles Instrument, um Gerechtigkeit und Bildungsqualität im Lande Hessen weiterzuentwickeln. – Herzlichen Dank.