Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Eine schwere Geburt, Herr Minister!)

Die Landesregierung hat am 13. Februar 2006 den vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die staatliche Anerkennung von Berufsakademien und des Ingenieurgesetzes gebilligt und die Einbringung ins Parlament beschlossen.

Mit der Novellierung des Gesetzes soll den bisherigen Erfahrungen und der veränderten bildungspolitischen Situation Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang möchte ich aus dem Regierungsprogramm zitieren:

Wir unterstützen den Aufbau von Berufsakademien. Als Alternative zum Hochschulstudium und zur Berufsausbildung im dualen System vermitteln die Berufsakademien eine praxisorientierte, wirtschaftsnahe und zugleich wissenschaftsbezogene Ausbildung im tertiären Sektor. Die Abschlüsse an Berufsakademien werden den Abschlüssen an einer FH gleichgestellt.

Wir werden prüfen, inwieweit in eng begrenztem Rahmen auch eine staatliche Förderung von Berufsakademien möglich ist.

Meine Damen und Herren,bevor ich im Einzelnen auf die Gesetzesnovelle und darauf, was wir verändern werden, eingehe, möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen machen.

Sie wissen sehr genau, dass die Berufsakademie in Hessen bisher keine große Tradition hatte. Vielmehr hat sie eine große Tradition in Baden-Württemberg – dort ist es im Prinzip der Renner geworden. Mit der ersten Regierung Koch/Wagner wurde das im Jahre 2001 als ein möglicher Bildungsgang eingeführt.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist von den Unternehmen sehr positiv aufgenommen worden. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass es notwendig ist, einige Dinge zu verändern.

Im Fachhochschulsektor haben wir einiges geändert. Sie kennen alle das Studium plus in Gießen-Friedberg. Aber das reicht nicht aus.Wir sind der Auffassung, dass wir diesen Weg gehen wollen, um weitere Ausbildungschancen

zu bieten und dem dualen Weg weiteren Wettbewerb zu eröffnen.

Zu diesem Wettbewerb gehören einmal die Universitäten, zum Zweiten aber auch die Fachhochschulen und zum Dritten die Berufsakademien. Bislang sind die Berufsakademien ohne staatliche Beihilfe entstanden. Deswegen sind wir der Auffassung – um in einen Wettbewerb, beispielsweise mit Baden-Württemberg, zu kommen; und da muss man darauf hinweisen, dass viele Ausbildungskapazitäten, die zurzeit in Baden-Württemberg angeboten werden, von hessischen Unternehmen erbracht werden –, dass wir uns daran in irgendeiner Art und Weise beteiligen und eine Initiative dazu anschieben sollten.

In der nächsten Zeit werden wir in den verschiedenen Lesungen über die einzelnen Punkte diskutieren. Deswegen will ich heute einfach die wichtigsten Punkte hervorheben, auf die wir abstellen wollen.

Sie wissen sehr wohl,dass wir einige Berufsakademien haben: in Bad Wildungen, Rodgau, Bad Homburg usw.Aber das wollen wir noch ausbauen. Deswegen möchte ich Ihnen jetzt die wichtigsten Novellierungspunkte vortragen, über die ich mit Ihnen in eine Diskussion eintreten möchte. Folgendes soll neu geregelt werden.

Erstens. Berufsakademien bleiben besondere Bildungseinrichtungen des tertiären Bereichs in nicht staatlicher Trägerschaft. Eine ausdrückliche Abgrenzung gegenüber Hochschulen erfolgt nicht mehr.

Zweitens. Die bisherigen Anforderungen an die Genehmigung von Studiengängen werden zugunsten der Akademien erleichtert.So gilt z.B.die Genehmigung für die Einführung eines Studiengangs und für Studien- und Prüfungsordnungen durch den Nachweis einer Akkreditierung – wie bei den anderen auch – als erteilt. Die Genehmigungspflicht für die Einstellung von Studiengängen entfällt.

Drittens – ein sehr sensibler Punkt, weil schwierig zu finanzieren –: Grundsätzlich sollen 40 % des Lehrbetriebs an den Akademien von hauptberuflichen Lehrkräften durchgeführt werden. Auf dieses Quorum können aber auch solche Professorinnen und Professoren an Fachhochschulen und Universitäten angerechnet werden, die längerfristig in Nebentätigkeit an einer Berufsakademie lehren. Des Weiteren wird für hauptamtliche Lehrkräfte die Möglichkeit zur Verleihung des Professorentitels geschaffen.

(Nicola Beer (FDP): Das ist der beste Gag!)

Das ist nicht ganz unwichtig, um den Bedarf richtig zu decken.

Viertens. Im Gesetz wird sowohl die Regelung für die berufsrechtliche Gleichstellung des Berufsakademiediploms mit dem Fachhochschuldiplom – was lange gefordert wurde und was immer ein Manko war, auch im Wettbewerb mit Baden-Württemberg – als auch die hochschulrechtliche Gleichstellung der Bachelor-Abschlüsse mit Bachelor-Abschlüssen von Hochschulen zur Herstellung der Rechtssicherheit der Studierenden aufgenommen. Durch diese Gleichstellung werden sowohl das Regierungsprogramm wie auch der entsprechende Beschluss der Kultusministerkonferenz umgesetzt.

Fünftens. Im Gesetz wird eine englische Bezeichnung für Berufsakademien festgelegt: „University of Cooperative Education“, wie überall in Deutschland. Hierdurch wird eine einheitliche englischsprachige Bezeichnung erreicht.

Sechstens. Waren die Berufsakademien bisher ausdrücklich von einer staatlichen Finanzierung ausgeschlossen, so wird durch die Novellierung jetzt eine staatliche Förderung der Akademien ermöglicht. Das heißt, die Vorgabe aus dem Regierungsprogramm,die ich vorhin zitiert habe, wird nun erfüllt.

(Nicola Beer (FDP): Das ist wohl das Wichtigste!)

Diese Mittel wollen wir nicht den anderen Hochschulen entziehen – dafür gibt es ja einen Hochschulpakt –, sondern es soll ein eigener, zusätzlicher Mittelbedarf ausgewiesen werden.

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo kommt der her?)

Durch diese Neuregelung wird den Berufsakademien ein mehrfach artikulierter Wunsch, auch staatliche Finanzierung erhalten zu können, erfüllt.

Meine Damen und Herren, mit dieser Novelle schlägt die Landesregierung dem Landtag eine neue Etappe in der Entwicklung der Berufsakademien in Hessen vor. Ohne Preisgabe ihrer spezifischen Struktur, die meines Erachtens den Praxistest bestanden hat, werden die Berufsakademien besser in das tertiäre System integriert. So bilden die Einrichtungen auf gleicher Augenhöhe mit den Hochschulen aus und werden damit gleichermaßen für die Wirtschaft wie für die Studierenden attraktiver.

Die Landesregierung sieht in den Berufsakademien einen wichtigen Akteur im hessischen Bildungswesen. Wir stehen in den nächsten Jahren vor wachsenden Studierendenzahlen. Wir wissen, dass wir mehr und vor allem gut qualifizierte Absolventinnen und Absolventen des tertiären Systems brauchen, auch bei den Berufsakademien. Dazu soll diese Gesetzesnovelle aus unserer Sicht einen Beitrag leisten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Frau Kollegin Beer, und damit wird die Aussprache eröffnet. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Einrichtungen der berufspraktischen Ausbildung mit erhöhter theoretischer Unterweisung leisten die Berufsakademien einen wichtigen und sehr guten Beitrag im Bildungsbereich.

Sie kommen vor allem mit ihren auf spezielle Wirtschaftsbranchen abgestimmten Ausbildungsprogrammen den Unternehmen entgegen, mit denen sie zusammenarbeiten. Diese Unternehmen könnten meist ihre Vorstellungen direkt in die Curricula und damit in die Ausbildungsinhalte umsetzen und schätzen, dass die Absolventen aufgrund ihrer Praxisphasen, die sie in ihren Betrieben machen, nach ihrem Abschluss unmittelbar einsetzbar sind.

Die FDP unterstützt – und hat dies auch in der Vergangenheit stets getan – die Berufsakademien daher als weitere, von den Fachhochschulen und Universitäten zu unterscheidende Angebote mit eigenständigem Profil. Dies bedeutet aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns jeder Gleichmacherei und Nivellierung im Bildungsbereich entgegenstemmen.

(Beifall bei der FDP)

Wir tun dies im Schulbereich, wenn es um den Erhalt der Vielfalt im dreigliedrigen Schulsystem geht,ergänzt durch kooperative und integrierte Gesamtschulen, und wissen hier die CDU häufig an unserer Seite.

Herr Minister,wir tun dies aber auch im tertiären Bereich, wo wir für den Erhalt der Vielfalt, bestehend aus Universitäten und Fachhochschulen sowie Berufsakademien, kämpfen und dieses System daher der Gleichmacherei entgegenstellen werden, die die CDU nunmehr in Hessen plant.

(Beifall bei der FDP)

Diese Gleichmacherei des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Sozialdemokratisierung der CDU in der Hochschulpolitik.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die vorgelegte Novelle geht weit über das Notwendige, vor allem über das Sinnvolle hinaus. Umzusetzen ist nämlich nach der entsprechenden Beschlussfassung der Kultusministerkonferenz lediglich die berufsrechtliche Gleichstellung akkreditierter Bachelor-Abschlüsse von Berufsakademien. Das heißt, es geht allein darum, zu gewährleisten, dass akkreditierte Bachelor-Abschlüsse denselben Zugang zu weiterführenden Studien wie etwa den Master-Programmen oder auch zum öffentlichen Dienst bieten, egal ob dieser Bachelor-Abschluss an einer Berufsakademie, an einer Fachhochschule oder an einer Universität erworben wurde.

(Zustimmung bei der FDP)

Es ist aber falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die CDU mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf nun die Gleichstellung der Berufsakademien als Hochschule, die Gleichstellung der sonstigen nicht akkreditierten Diplome, die Gleichstellung bei den Professorentiteln und den Einstieg in die Gleichstellung bei der Finanzierung betreibt.

(Beifall bei der FDP)

Dreh- und Angelpunkt ist dabei, dass die CDU entgegen der Beschlussfassung der Kultusministerkonferenz die Abgrenzung zwischen Hochschulen auf der einen Seite und Berufsakademien auf der anderen Seite abschaffen will, und zwar einfach dadurch, indem sie den Satz „Sie“ – also die Berufsakademien – „sind keine Hochschulen“ streicht und die Berufsakademien als „Universities“ statt als „Academies“ bezeichnet.

Der Gedankenfehler, den Sie dabei machen, Herr Minister, liegt auf der Hand: Nur weil die Berufsakademie mit dem Bachelor-Abschluss denselben Zugang, z. B. zum Master-Studium, vermittelt, ist sie keine Hochschule. Das wäre, als ob man die Meisterschule, weil der Meistertitel genauso wie das Abitur die Möglichkeit des Zugangs zum Studium eröffnet, nun als Gymnasium bezeichnen wollte.

Nein, wer Hochschule werden will, der muss die entsprechenden Anforderungen erfüllen, und wer diese Anforderungen erfüllt, der bekommt dann auch in Hessen die Genehmigung als Fachhochschule oder Universität.Herr Minister,Sie haben das Beispiel Studium plus selbst genannt. Man könnte hier auch, wenn man die Universitäten ansprechen will, die Hochschule für Bankwirtschaft nennen.

Die weiteren Punkte des Gesetzes, die Sie angesprochen haben, sind dann abgeleitete Fehler dieses soeben dargestellten Kardinalfehlers.

Erster Punkt: Zusammen mit dem akkreditierten Bachelor auch die nicht akkreditierten Diplome mit Hochschulabschlüssen gleichstellen zu wollen entbehrt jeder Logik. Sachgerecht ist es vielmehr so, wie wir es bislang geregelt haben: Das Diplom einer Berufsakademie vermittelt den Anspruch darauf, nach zwei Semestern Studium an einer Fachhochschule auch das Fachhochschuldiplom zu erhalten. Herr Minister, Sie behalten diese Regelung in Ihrem Gesetzentwurf zwar bei, aber sie ist letztendlich nur auf dem Papier beibehalten, denn sie wird zukünftig keinen Anwendungsbereich mehr haben, wenn die Gleichstellung des Berufsakademiediploms mit dem Fachhochschuldiplom bereits vorgenommen worden ist.

Falsch und zudem auch widersprüchlich ist die Verleihung des Professorentitels für hauptberuflich an der Berufsakademie Tätige aufgrund ihrer Beschäftigung.

(Beifall bei der FDP)

Denn, Herr Minister, entweder liegen die Qualifikationen für einen Professorentitel nach dem Hochschulgesetz wirklich vor, dann ist dieser, und zwar gegebenenfalls eben in Form der Privatdozentur, nach § 32 Abs. 2 Hessisches Hochschulgesetz auf dem normalen Weg zu verleihen, dann aber auf Dauer und nicht auf Zeit. Oder – andere Möglichkeit – die Qualifikation für eine Professur ist nicht gegeben, dann brauchen wir auch keinen Berufsakademieprofessor light, zumal der Wegfall eines Professorentitels aufgrund des Wechsels der anstellenden Einrichtung dem deutschen Rechtssystem fremd ist. Ich warte schon auf die ersten Briefe der Professoren, die Sie auf Zeit ernannt haben und die dann nach Ausscheiden aus der Berufsakademie ihren Titel gern behalten möchten. Es sind schließlich Visitenkarten gedruckt.