Protokoll der Sitzung vom 05.04.2008

Der Herr Ministerpräsident hat darum gebeten, das Wort zu einer Erklärung ergreifen zu dürfen. Ich erteile es ihm hiermit. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation ist für uns alle etwas ungewohnt, obwohl wir in unserem hessischen Parlament über einen längeren Zeitraum Erfahrung damit gemacht haben, als es in anderen Parlamenten der Fall ist. Ich habe die Verfahrensweise meines Kollegen Holger Börner in der Zeit, in der es eine geschäftsführende Regierung gab, übernommen.

Ich glaube, dass es richtig ist, einige überschaubare Bemerkungen zu der Arbeitsweise dieser Regierung – nicht zu den inhaltlichen Fragen; über die werden wir an anderer Stelle diskutieren – zu machen. Nach der Feststellung des Herrn Landtagspräsidenten, dass kein Wahlvorschlag für die Wahl des Ministerpräsidenten vorliegt, wird, wie beauftragt, die amtierende Regierung unter meiner Leitung gemäß Art. 113 Abs. 3 der Hessischen Verfassung die Geschäfte weiterführen.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sehr bewusst, dass die Situation, die damit geschaffen ist, schwierig ist – für unser ganzes Land, aber durchaus auch für jeden Einzelnen von uns. Hinter uns liegen Wochen, die mit Enttäuschungen und sehr unterschiedlichen, aber jeweils gescheiterten Hoffnungen angefüllt waren. Wir werden daran gemessen werden, ob wir es schaffen, trotz all dieser Erfahrungen in gegenseitigem Respekt das Wohl der Bürger unseres Landes zu sichern und zu mehren.

Der Ministerpräsident und die Landesregierung – so sieht es die Landesverfassung vor – sind zurückgetreten, und damit wäre heute eigentlich der Weg frei gewesen, mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Hessischen Landtags eine Ministerpräsidentin oder einen Ministerpräsidenten ins Amt zu wählen. Das ist nicht geschehen. Damit steht fest, dass zurzeit keine politische Gruppe die Kraft hat, in geheimer Wahl eine neue Regierung ins Amt zu bringen. Somit gibt es heute einerseits keinen Sieger; andererseits folgt daraus auch eine besondere gemeinsame Verantwortung für das Land, damit es dadurch nicht zum Verlierer wird.

Die Wahl des Ministerpräsidenten gehört zu den wichtigsten und vornehmsten Pflichten des Parlaments, und Hessen braucht eine jederzeit handlungsfähige Regierung. Deshalb haben die Väter und Mütter der Hessischen Verfassung, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Zeit,außerordentlich klug gehandelt,indem sie für die Möglichkeit einer parlamentarischen Pattsituation oder einer Unfähigkeit des Landtags, eine neue Regierung zu bilden, vorgesorgt haben.Art. 113 Abs. 3 der Hessischen Verfassung, der uns in den nächsten Monaten sicherlich öfter beschäftigen wird, besagt, dass die zurückgetretene Landesregierung die laufenden Geschäfte so lange weiterführt,bis es eine neue gewählte Regierung geben wird.

In Hessen hat es – ich habe es erwähnt – zuletzt vor einem Vierteljahrhundert eine geschäftsführende Landesregierung gegeben: nach den Landtagswahlen von 1982 und nach den vorgezogenen Neuwahlen von 1983. Zweimal hintereinander gelang es dem Parlament also nicht, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. So hat Ministerpräsident Holger Börner mit seinen Kabinettsmitgliedern 19 Monate lang, vom Dezember 1982 bis zum Juli 1984, die laufenden Geschäfte ohne eine parlamentarische Mehrheit fortgeführt.

Was die formalen Voraussetzungen anbelangt, befinden wir uns heute in derselben Situation wie zu Zeiten meines

sozialdemokratischen Amtsvorgängers Holger Börner. Damals wie heute gilt: Die schwierigen bzw. nicht vorhandenen Mehrheitsverhältnisse im Landtag führen nicht dazu, dass Hessen unregierbar wird. Unser Land verfügt weiterhin über eine Regierung, die in vollem Umfang handlungsfähig ist.

Die Mitglieder der bisherigen Landesregierung werden ihre verfassungsmäßige Pflicht zur Fortführung der Geschäfte erfüllen und alle ihre Kräfte anspannen, damit nicht das politische Patt im Landtag zu Stillstand oder gar Rückschritt in der Entwicklung des Landes führt.

Das sind nicht meine Worte, sondern sie stammen von Holger Börner. Er hatte damit genauso recht wie mit seiner Aussage darüber, was die Aufgaben und Verpflichtungen einer geschäftsführenden Landesregierung sind – ich zitiere –:

Zu diesen Geschäften gehören alle Aufgaben und Entscheidungen, die notwendig sind, das Land zu verwalten, seine Entwicklung zu fördern und seine Bürger vor Schaden zu bewahren. Die Verfassung hat zugleich dafür Sorge getragen, dass eine solche geschäftsführende Regierung auch über die Haushaltsmittel verfügen kann, die sie zur Erfüllung aller Verpflichtungen des Landes und zur Fortführung begonnener Maßnahmen benötigt.

Meine Damen und Herren, meine Kabinettskolleginnen und -kollegen und ich werden uns der Verantwortung stellen, die die Verfassung einer geschäftsführenden Landesregierung auferlegt. Wir werden die Amtsgeschäfte mit Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit führen, gleichwohl in dem Bewusstsein, dass dies natürlich keine Lösung auf Dauer ist. Die Tatsache, dass wir die Geschäfte mit der gleichen Präzision, Klarheit und Autorität führen, soll eine klare Botschaft an all diejenigen sein, die mit dem Land Hessen in einer Arbeitsbeziehung stehen, aber auch an diejenigen, die mit den Interessen der Bürger unseres Landes möglicherweise nichts Gutes im Sinne haben.

Diese Landesregierung ist nicht nur uneingeschränkt handlungsfähig, sondern sie wird ihre verfassungsmäßigen Aufgaben in jeder Hinsicht, gerade auch in Bezug auf die Finanzen und die Sicherheit des Landes, mit Entschlossenheit und Klarheit wahrnehmen.

Aber es bleibt ungeachtet dieser Erklärung die vorrangige Aufgabe des Landtags, schnellstmöglich eine vertrauenswürdige, stabile Mehrheit herauszubilden, die imstande ist, eine neue Regierung zu bestellen. Solange das nicht gewährleistet ist, sind wir alle, die wir Abgeordnete in diesem Hohen Hause sind bzw. eine Aufgabe in der Landesregierung haben, aufgefordert, uns über die Art und Weise der Zusammenarbeit in der vor uns liegenden Phase klar zu werden.

Eines ist nämlich seit der Zeit von Holger Börner vor einem Vierteljahrhundert noch deutlicher geworden – ich glaube,auch das hat man schon aus den Bemerkungen des Herrn Alterspräsidenten heute Morgen herausgehört –: Wir leben heute in einer Zeit des globalen Wandels, in der sich die Entwicklungen viel schneller und tief greifender vollziehen als jemals zuvor. Wenn wir die aktuelle Krise auf den Finanzmärkten, die Herausforderungen des Klimawandels oder die rasanten Veränderungen sehen, mit denen wir in der Bildung und in der Arbeitswelt konfrontiert sind, muss uns eines klar sein: Ein Bundesland wie Hessen kann sich keinen Stillstand leisten.

Das gilt umso mehr, als von den Entscheidungen in Hessen viel für ganz Deutschland abhängt. Wir sind eben nicht nur irgendein Bundesland.Wir sind besonders wohlhabend, besonders international und besonders innovativ. Wir haben besonders viel zu gewinnen, aber auch besonders viel zu verlieren.

Nur wenn die Landespolitik diese Entwicklungen im Auge behält und im positiven Sinne befördert und sie trotz aller politischen Diskussionen nicht zum Stillstand kommen, sichern wir die Arbeit bei uns und in ganz Deutschland, profitieren wir von der globalisierten Welt und ermöglichen wir Fortschritte, von denen der Wohlstand der nächsten Generation abhängt. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf,dass die von ihnen gewählten Politiker die anstehenden Probleme anpacken und bewältigen.

Wie kann diese Zusammenarbeit zwischen Parlament und geschäftsführender Regierung aussehen? Worin unterscheidet sie sich von der bisherigen Praxis einer Mehrheitsregierung?

Meine Damen und Herren, wir treffen uns heute das erste Mal zu einer regulären Sitzung in dem völlig neu gestalteten Plenarsaal,um genau über diese Frage zu sprechen.Es geht auch um eine neue Form des Regierens und eine neue Form des Kooperierens zwischen erster und zweiter Gewalt im Staat; denn die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause erfordern das. Wir reden über einen Regierungsstil, der nach meiner Vorstellung von offenen Türen geprägt, transparent für die Öffentlichkeit und einladend für alle ist, die mitwirken wollen, so, wie sich das die Architekten und Bauherren des Landtags für diesen Raum vorgestellt haben.

Das wird sich in manchen grundlegenden Punkten von dem unterscheiden, was wir bisher gewohnt waren. Das gilt auch für die inneren und äußeren Tatbestände unseres Arbeitens.

In der Vergangenheit – jedenfalls im letzten Vierteljahrhundert, an das wir uns hier erinnern – hat es immer eine klare Trennlinie zwischen Regierungsfraktionen und Opposition gegeben. Es wäre für uns alle ziemlich irritierend gewesen – gerade angesichts der doch oft lebhaften und heftigen Debatten, die wir haben –, wenn die Abgeordneten der Regierungsfraktionen dabei nicht dem Ministerpräsidenten und den Ministern nähergestanden hätten als die Abgeordneten der Opposition.

Das war so, als die Sozialdemokraten seinerzeit den Ministerpräsidenten stellten, und es hat sich bis in die jüngste Vergangenheit unter umgekehrtem Vorzeichen nicht anders verhalten. Solche klaren Trennlinien sind in parlamentarischen Demokratien die Regel – nicht die Ausnahme.

Diese Trennlinien werden in diesen Tagen, Wochen und Monaten anders verlaufen. Sie verwischen sich ein Stück mehr und sind nicht so geradlinig. Wenn sich das Parlament außerstande sieht, eine neue Regierung zu wählen, können sich seine Abgeordneten nicht einfach in die Oppositionsrolle zurückfallen lassen. Solange es keine tragfähige parlamentarische Mehrheit gibt, geht der Gestaltungsauftrag an alle gleichermaßen – und keiner hat die Option der Obstruktion. Das wäre im Interesse unseres Landes sicher unverantwortlich. Deshalb hat das Parlament genauso eine Loyalitätspflicht gegenüber der geschäftsführenden Landesregierung – dies abzulösen es sich außerstande sieht –, wie die geschäftsführende Regierung eine eindeutige Loyalitätspflicht gegenüber dem

Landtag hat. Beides beruht auf den Vorgaben unserer Verfassung; und natürlich handelt es sich jetzt in besonderer Weise um die Stunde des Parlaments.

Aber ich denke, es sollte auch Konsens bleiben, dass das nicht bedeutet, dass die wesentliche politische Aufgabe ein Wettbewerb darum ist,wie die geschäftsführende Landesregierung gepiesackt oder vor sich hergetrieben werden kann. Es bleibt bei der schwierigen und gefährlichen Formel von Rolf Rüssmann: „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt.“ Das mag im Sport schon schwierig sein – in der parlamentarischen Demokratie wäre es aufgrund der Verantwortung für den Bürger nicht zu rechtfertigen, in keiner Weise.

Deshalb werden wir unsere Streitkultur über das bisher gewohnte Maß hinaus an vielen Stellen prüfen und überprüfen müssen. Wirkliche gesetzgeberische Verantwortung kann unter den gegebenen Umständen nur bedeuten, in Zusammenarbeit mit den demokratischen Fraktionen dieses Hauses konstruktiv nach Mehrheiten zu suchen und Kompromisse zu finden,damit es in Hessen weiter vorangeht.

Die geschäftsführende Regierung, der ich vorstehe, sieht sich in dieser Stunde als Partner des Parlaments. Wir bekennen uns in vollem Umfang zu unseren Loyalitätspflichten gegenüber diesem Hause. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht mehr eine Exekutive verkörpern, die sich einer bestimmten politischen Mehrheit im Parlament sicher sein kann. Das heißt, dass sich die Arbeit dieser Regierung und der ihr unterstellten Verwaltungsapparate dieser neuen Begebenheit anzupassen hat.

Wir werden einen neuen Regierungsstil praktizieren, der – ich habe es bereits angedeutet –, dieser verfassungsrechtlichen Lage geschuldet, offen, transparent und für alle einladend sein wird. Gerade weil das Parlament als Ganzes in dieser Stunde stärker denn je gefordert ist, werden wir ihm als Regierung intensiv, umfassend und mit dem ganzen Sachverstand der Landesverwaltung zur Seite stehen. Wir werden Vorschläge unterbreiten, den Sachverstand anbieten, beraten; und wir werden, wo es möglich und erforderlich erscheint, Alternativen aufzeigen.

Ihnen allen zusammen, den Abgeordneten des Hessischen Landtags, bleibt es überlassen, inwiefern Sie auf diese Angebote eingehen möchten.Dabei werden alle Beteiligten schon aus Rücksicht auf den jeweils anderen darauf zu achten haben, dass eine angemessene und gemeinsame Form gewahrt bleibt.

Die Hessische Landesregierung wird wie bisher alle im Landtag vertretenen Fraktionen von sich aus fortlaufend über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichten. Ich betone ausdrücklich, dass wir bei dieser Unterrichtung keinerlei Unterscheidungen zwischen den Fraktionen vornehmen werden. Was dies anbelangt, behandeln wir alle im Landtag vertretenen Fraktionen gleich.

Wenn es darüber hinaus um eine aktive Mehrheitsbildung geht, etwa weil wichtige Gesetzesprojekte anstehen, wichtige bundespolitische Entscheidungen zu treffen sind oder die Landesregierung wichtige Initiativen anstoßen will, werde ich in diesen Fällen die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu persönlichen Gesprächen einladen, um mit ihnen mögliche Kompromisse zu erörtern und mehrheitsfähige Lösungen herbeizuführen. Dort, wo die Aufgabenbereiche der Minister der Fachressorts betroffen sind, werden

gleichermaßen die fachpolitischen Sprecher dieser Fraktionen zu Gesprächen eingeladen.

Auf diese Weise wird die Hessische Landesregierung auch als geschäftsführende Regierung von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen. Sie wird Gesetzesvorschläge ausarbeiten und den Fraktionen vorlegen. Das wird zuallererst in Bereichen geschehen,in denen wir einen besonders dringlichen Handlungsbedarf sehen – und zugleich eine realistische Möglichkeit für eine Übereinkunft. Hierzu wird in der nächsten Woche mit der Regierungserklärung sowie der Debatte Gelegenheit sein, ausführlich Stellung zu nehmen.

Doch alle diese Gesetzesvorschläge werden dann tatsächlich – das ist eben die Veränderung – im wahrsten Sinne des Wortes Vorschläge sein.Wir sind für Anregungen und Diskussionen seitens der Fraktionen offen. Damit folgen wir wiederum den veränderten Verhältnissen. Dort, wo die Fraktionen eigene Gesetzesvorschläge unterbreiten – diesbezüglich haben wir im Vorfeld dieser Sitzung gemeinsame Diskussionen, Treffen sowie Verabredungen gehabt –, werden wir diese im Vorfeld gründlich, konstruktiv und seriös auf ihre Machbarkeit überprüfen. Auch hier werden wir unseren Sachverstand anbieten sowie insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung Konsequenzen aufzeigen, und wir werden gegebenenfalls Alternativen vorschlagen.

Als Ministerpräsident obliegt mir die von der Verfassung des Landes Hessen aufgetragene Pflicht, Gesetze vor deren Unterzeichnung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Diese Verpflichtung betrifft die formelle und materielle Prüfung der Verfassungsmäßigkeit, wie das in dem Verfassungskommentar von Zinn/Stein, der unserer Arbeit schon seit vielen Jahren zugrunde liegt, klar beschrieben ist. Ich zitiere:

Der Ministerpräsident hat mit den zuständigen Ministern die „verfassungsmäßig zustande gekommenen“ Gesetze auszufertigen. Verfassungsmäßig zustande gekommen ist aber ein Gesetz nur, wenn es in dem von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahren eingebracht und beschlossen wurde und wenn es auch materiell mit der Verfassung übereinstimmt.

Ich sage das hier, weil ich zugleich klarstellen will, dass es für den Fall einer Ablehnung eigentlich nur um zurzeit nicht erkennbare extreme Ausnahmen gehen kann. Wo auch immer Gesetze nach intensiver parlamentarischer Diskussion die erforderliche Mehrheit gefunden haben und im Einklang mit der Verfassung stehen, werden sie meine Unterschrift erhalten. Natürlich werden sie dann auch von der Exekutive ordnungsgemäß umgesetzt – das steht entgegen so manchem öffentlich geäußerten Zweifel völlig außer Frage.

Meine Damen und Herren,aus Sicht der Landesregierung wird in der kommenden Zeit in Hessen eine solche Politik der offenen Tür stattfinden. Da die Mehrheitsverhältnisse unklar sind, werden wir uns alle stärker als bisher – so hoffe ich – miteinander austauschen. Wir werden uns kompromissbereiter zeigen müssen; und viele von uns werden, wenn es um das Gemeinwohl geht, gezwungen sein, auch über den eigenen Schatten zu springen – nicht nur mehr, als sie dies in der Vergangenheit gewohnt waren, sondern auch mehr, als sie dies in der Vergangenheit wechselseitig erhofft oder befürchtet haben.

Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass das nur eine harmonische und reibungsfrei verlaufende neue Art der

Zusammenarbeit sein wird. Das Zusammenspiel, das vor uns liegt, wird flexibel, vielfältig sein und manchmal auch überraschende Varianten mit sich bringen. Aber ich bin auch sicher: Es wird schneller zu den pragmatischen Tagesfragen eines verantwortlichen Regierens führen, als es das vordergründige Abarbeiten einiger öffentlich besonders wahrgenommener Wahlaussagen gelegentlich vermuten lässt – zumindest, was die Gesamtzahl der Tagesordnungen angeht.

Um solche fraktionsübergreifende Diskussionsprozesse anzustoßen, zu führen und auf eine mögliche Mehrheitsfindung hinzusteuern, halte ich es zudem für angebracht, auch unabhängige Experten und Berater als Moderatoren einzubeziehen. Dies können Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sein, die sich in dem jeweils zu verhandelnden Politikfeld in einer besonderen Weise hervorgetan haben. Dazu wird in den nächsten Wochen mit Vorschlägen zu rechnen sein. Natürlich werden die Fraktionen an diesen Prozessen intensiv beteiligt.Auf diese Weise die parlamentarische Arbeit des Landtags zu unterstützen, scheint mir ein gangbarer und vielversprechender Weg zu sein. Ich gehe davon aus, dass sich diesen Verfahrensweisen im Interesse des Landes keiner verweigern wird.

Herr Landtagspräsident, meine Damen und Herren, hier sind heute 110 Abgeordnete versammelt. Sie stehen für 6.072.700 Menschen – Stand: 31.12.2008 –, mit allen Hoffnungen und Sorgen, die diese haben. Diese Abgeordneten, wir gemeinsam, tragen Verantwortung für das Wohlergehen dieser Menschen. Die Hessische Landesregierung steuert und verantwortet die Arbeit von rund 150.000 ihr unterstehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, zum überwiegenden Teil aus den Bereichen Schule, Hochschule, Polizei und Justiz. Gemeinsam verantworten wir einen Haushalt von rund 21,1 Milliarden c. Jeden Tag entscheiden wir über einen kleinen Teil unserer Zukunft, und jeden Tag kann eine schwere Krise uns fordern.

Heute ist nicht der Tag für die alltäglichen politischen Auseinandersetzungen. Jeder sollte am Ende dieser konstituierenden Sitzung diese neue Umgebung – diese in jeder Hinsicht neue Umgebung – mit dem Bewusstsein verlassen, dass die Stabilität dieses Landes gesichert ist. So gibt es unsere Verfassung vor, und so werden wir es ausführen. Jeder sollte sie aber auch mit dem Bewusstsein verlassen,dass jeder in besonderer Weise gefordert ist,seinen Beitrag zur Loyalität gegenüber Hessen zu leisten. Meine Regierung wird das in ihren Kräften Stehende tun, das im Rahmen ihrer neuen verfassungsgemäßen Rolle zu verwirklichen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, vielen Dank. – Ich stelle fest: Wir haben zehn Minuten pro Fraktion plus den Zuschlag aus der Redezeitregelung vereinbart. Das sind dann 15 Minuten.Das Wort hat die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Frau Kollegin Ypsilanti.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat es auch schon gesagt: Die heutige konstituierende Sitzung ist nicht der richtige Zeitpunkt, um programmatische Reden zu halten. Das können wir in der

nächsten ordentlichen Sitzung tun, also nächste Woche im Plenum. Die konstituierende Sitzung ist aber der richtige Moment, wie das auch Herr Ministerpräsident Koch gemacht hat, über das Selbstverständnis des Parlaments im Verhältnis zur Regierung zu sprechen und angesichts der Umstände auch über das künftige Verhältnis zwischen Parlament und geschäftsführender Landesregierung.

Wahrscheinlich haben wir alle in den Fraktionen in den letzten Wochen – ich weiß das auch von der Regierung – die Protokolle und die Akten der Regierung Börner gewälzt und haben geschaut, was wir daraus lernen können, mit welchen Rechten ein Parlament und mit welchen Rechten eine geschäftsführende Landesregierung ausgestattet ist. Ich glaube, wir haben auch die Gelegenheit genutzt, einmal den einen oder anderen zu befragen, der damals in dem Parlament oder auch in der Regierung gesessen hat. Dadurch haben wir eine ganze Reihe Einblicke gewonnen. Deshalb können wir heute vielleicht etwas unaufgeregter mit der Situation umgehen als im Jahre 1982.

Es ist aber auch interessant, die Parallelen zwischen damals und heute festzustellen.Auch damals schwirrten Begriffe durch das Plenum wie: Unregierbarkeit, Stillstand und Rückschritt. Ich sehe da oben Herrn Giani, der uns schon vieles erzählt hat, auch dass es gleich eine Diskussion darüber gab, wann mit Neuwahlen gerechnet werden könne. Herr Milde, ich habe auch ein Zitat von Ihrem Vater gefunden, der gesagt hat: „Die Regierung Börner ist nicht mehr als eine Geschäftsführerkonferenz.“ Das hat uns eine ganze Menge Einblicke gegeben. Im Mittelpunkt der Debatte stand schon damals: Wie lange hält der Zustand? Wie stabil ist das alles? Welche haushaltsrechtlichen Befugnisse hat eine geschäftsführende Regierung?

Ich glaube, wir sind heute auch deshalb besser dran als in der damaligen konstituierenden Sitzung, weil die Debatte damals sage und schreibe elf Stunden gedauert hat – für Geschäftsordnungs- und Grundsatzdebatten. Ich glaube, das können wir uns heute sparen.