Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Die Achtzigerjahre sind nicht meine musikalische Stilrichtung,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

aber ich halte es – wie immer – mit Elvis und seinem Hit von 1972: „Until it’s time for you to go“. In dieser Sitzung ist jetzt Zeit für mich zu gehen. Ich hoffe, ich habe die zehn Minuten, die mir zugebilligt wurden, eingehalten, und danke Ihnen für Ihre Geduld.

(Anhaltender lebhafter Beifall)

Herzlichen Dank, Herr Prof. Ronellenfitsch. So trocken scheint die Materie nicht zu sein, dass sie nicht doch zur Erheiterung beitragen kann. Wir schließen damit Tagesordnungspunkt 3.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Wahl der Mitglieder des Landesjugendhilfeausschusses

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Zusammenführung und Änderung von Vorschriften der Kinder- und Jugend

hilfe vom 18. Dezember 2006 wählt der Landtag drei in der Jugendhilfe erfahrene Personen auf Vorschlag der obersten Landesjugendbehörde. Nach § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 ist für jedes Mitglied ein stellvertretendes Mitglied vorzusehen. Mit der Ihnen vorliegenden Drucks. 17/460 wurden von der obersten Landesjugendbehörde die dort genannten Personen zur Wahl vorgeschlagen. – Weitere Vorschläge werden nicht gemacht.

Wenn Sie nicht widersprechen, dann stimmen wir per Handzeichen ab. – Es widerspricht keiner.Wer dem Wahlvorschlag 17/460 zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich fest, dass die in dem Wahlvorschlag genannten Personen zu ordentlichen bzw. stellvertretenden Mitgliedern des Landesjugendhilfeausschusses nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes gewählt sind.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Starterpaket für sozial bedürftige Schulanfänger – Drucks. 17/417 –

Vereinbarte Redezeit: zehn Minuten je Fraktion. – Das Wort hat Frau Schott für die antragstellende Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Leider geht es nicht so heiter weiter. Ich bin aber froh, dass die Stimmung in diesem Raum etwas lockerer geworden ist, als es heute Morgen der Fall war. Vielleicht können wir das beibehalten, auch wenn das Thema jetzt ein ernsthaftes ist. – Der Datenschutz ist natürlich auch ein sehr ernsthaftes Thema.

Wir haben folgende Situation. Jeweils zur Einschulung der Kinder sind bestimmte Dinge anzuschaffen.Das brauche ich gar nicht im Einzelnen aufzuzählen, weil wir das alle hinter uns haben – nehme ich wenigsten an –: Man muss einen Schulranzen und eine Schultüte kaufen. Der Schulranzen ist mit Heften, Schreibutensilien, Malblocks und dergleichen zu füllen, die Schultüte in der Regel mit irgendwelchen netten Dingen, denn sie soll den Kindern bekanntlich den Schulanfang versüßen.

Das alles kostet Geld.Wir haben Familien, in denen Geld extrem rar ist, und wir haben Regelsätze, in denen diese Kosten nicht eingerechnet sind.

Wenn ein Kind trotzdem durch das erste Schuljahr gebracht ist, geht es wieder los. Dann beginnt das zweite Schuljahr. Bis dahin sind die Turnschuhe zu klein. Es müssen andere Linien im Heft sein, die Malblöcke sind vollgemalt, und die Stifte sind aufgebraucht. Das heißt, das Einkaufen geht wieder los.

Im zweiten und in allen folgenden Schuljahren haben wir immer wieder dieselbe Situation: In den Regelsätzen der Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen, ist dafür kein Geld vorgesehen. Das heißt, die Möglichkeit, ein Kind adäquat auszustatten, ist de facto nicht gegeben.

Wir haben eine ähnliche Situation bei Geringverdienern, also bei Menschen, die ähnlich wenig Geld haben wie Hartz-IV-Empfänger. Auch sie haben nicht die Möglichkeit, irgendwo einen Zuschuss für die Einschulung ihrer Kinder zu beantragen.

All das war einmal anders. Es gab die sogenannten einmaligen Hilfen zu besonderen Anlässen, auf deren Grundlage die Kommunen solche Anlässe, wie z. B. Einschulungen, Konfirmationen und Klassenfahrten, wirt

schaftlich unterstützen konnten. Das ist mit der Neuregelung weggefallen.

Wir haben in Hessen ungefähr 125.000 Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen – SGB II –, und davon sind etwa 75.000 Schulkinder. Ganz genau lässt sich diese Zahl mit unseren Mitteln nicht erfassen. Möglicherweise kann man das auch noch präzisieren.

Hinzu kämen die Kinder, deren Eltern und Familien ähnlich arm sind: SGB XII,Asylbewerberleistungsgesetz und Geringverdiener. Deswegen ist es ein bisschen schwierig, zu beurteilen, wie hoch die Zahl tatsächlich ist. Aber ich denke, die Zahl von 75.000, die wir ermittelt haben, ist deutlich die Untergrenze.

Nun kann man natürlich sagen, das ist nicht Ländersache. Wenn die Regelsätze zu niedrig sind, ist das eine Angelegenheit des Bundes. Was haben wir damit zu tun? – Man macht es sich sehr einfach,wenn man sich überlegt:Wer ist zuständig? Wir sind es nicht. Wunderbar, wir haben es vom Tisch. – Das hilft aber den Kindern in unserem Land überhaupt nicht.

Wenn wir den Kindern in unserem Land helfen wollen, müssen wir schauen, was wir selbst für Möglichkeiten haben. Was haben wir als Land für Möglichkeiten? Was haben unsere Kommunen für Möglichkeiten? Soweit wir ermitteln konnten, gibt es bundesweit derzeit etwa 27 kreisfreie Städte und Kreise, die bereits handeln und Zuschüsse an die betroffenen Menschen in ihrem Bereich zahlen.

Wir Landespolitiker sollten uns überlegen, dass wir diesem Beispiel folgen sollten und müssten. Wir müssen uns überlegen, in welcher Größenordnung das stattfinden kann, wie man das organisieren kann und wo man Einkommensgrenzen für die Menschen festlegt, die geringverdienend sind. Darüber sollten wir uns im Ausschuss in aller Ruhe unterhalten.

Wir haben einen Ansatz gewählt, bei dem wir sagen: Mit 120 c liegen wir immer noch unter den Forderungen, die andernorts gestellt werden. Der DGB hat deutlich mehr ausgerechnet.Wenn wir durch ganz durchschnittliche Geschäfte gehen und den Einkaufskorb mit den Sachen füllen, die ein Kind für den Schulbeginn braucht, werden wir ganz schnell feststellen, dass mehr als 120 c benötigt werden.

Wir wollten aber zumindest einen Einstieg in das Thema schaffen.Sie werden wie immer fragen:Wie wollen Sie das denn finanzieren? Es ist schön, dass die LINKE wieder die große Wundertüte auspackt und den sozialen Gedanken in diesem Saal hochhält, aber keine Idee hat, wie man das finanziert.

Ich hätte Ihnen an der Stelle einen Finanzierungsvorschlag zu machen. Wenn ich davon ausgehe, dass dieses Paket pro Jahr ungefähr 10 Millionen c kosten wird,kann ich folgendermaßen rechnen. Für die Finanzierung des ersten Jahres würde ich dafür auf eine Umgehungsstraße verzichten, die kein Mensch braucht und will. Die Bürger von Dreieich haben sich deutlich dagegen ausgesprochen. Es gibt Befragungen der Menschen, die dort leben. Das wäre genau die Finanzierung des ersten Jahres.

Für das nächste und das übernächste Jahr muss man das eben in den Haushaltsansatz hineinrechnen. Vielleicht sollten wir uns auch einmal überlegen, ob wir weitere solcher Umgehungsstraßen haben. Das weiß ich nicht genau. Aber ich glaube, mit gutem Willen können wir dieses Paket finanzieren.

Mein Appell an dieses Haus ist, es zu versuchen.Wir sollten uns im Ausschuss zusammensetzen und schauen, wie wir es im Detail erarbeiten können, damit wir diesen Kindern Möglichkeiten geben und beweisen, dass Chancengleichheit und Bildungsgleichheit eben nicht nur Worte sind, sondern dass wir tatsächlich gleiche Chancen für die Kinder haben, dass also alle Kinder die Materialien kaufen können,die sie für das Lernen in der Schule brauchen.

Das sind ganz viele Sachen, von denen die Lehrer sagen: Ich weiß, ich kann euch nicht verpflichten, das zu kaufen. Aber wenn ihr das Arbeitsheft zum Lehrbuch kauft, ist es deutlich besser. – Was soll denn das Kind machen, wenn mit diesem Arbeitsheft in der Schule gearbeitet wird, wenn Hausaufgaben in solchen Arbeitsheften aufgegeben werden? Es kann nicht sein, dass ein Kind das Arbeitsheft nicht kauft, weil die Familie das Geld nicht aufbringen kann.

Deswegen müssen wir schauen, dass wir hier eine Lösung finden. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir müssen auf die Bundespolitik einwirken.Wir müssen schauen, dass die Regelsätze verändert werden. Das Land muss wieder aus der Verantwortung herauskommen. Das ist nicht als Dauerzustand, sondern als Überbrückungslösung gedacht.

Dazu gehört der Ansatz, auf den Bund den entsprechenden Druck auszuüben, damit die Situation geschaffen wird, dass das, was die Familien tatsächlich im Portemonnaie haben, zum Leben ausreicht, statt dass eine permanente Mangelwirtschaft – oder sogar noch weniger – festgeschrieben wird. Lassen Sie uns deshalb jetzt gemeinsam überlegen, wie wir das Problem lösen können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Für die Fraktion der SPD erhält Frau Kollegin Fuhrmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schott, der Antrag, den Sie gestellt haben, greift zutreffenderweise ein Problem auf, aber eben nur einen kleinen Aspekt des großen Problems der wachsenden Kinderarmut in unserem Land. Ich glaube, dass Sie recht haben, wenn Sie sagen, wir müssten uns diesem Problem viel stärker widmen.

Die Kinderarmut ist eines der drängendsten sozialpolitischen Probleme, denen wir uns stellen müssen.Wir haben in Deutschland inzwischen 1,9 Millionen unter 15-jährige Kinder, die auf Grundsicherungsniveau leben. Sie wachsen in relativer Armut auf und leiden an einer Unterversorgung, gerade auch bei der Einschulung. Das haben Sie zutreffend dargestellt.

Wir haben natürlich auch Mangelzustände, was die musische Bildung, die Mitwirkung in Sportvereinen oder die Teilnahme an Veranstaltungen angeht.Von all diesen Aktivitäten sind Kinder aus finanziell schlecht gestellten Familien vielfach ausgeschlossen. Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass wir der frühen Förderung und den Bildungschancen einen besonderen Stellenwert einräumen und die Kinderbetreuung massiv ausbauen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben gegen den Widerstand der Union eine dauerhafte und deutliche Bundesbeteiligung und auch den Rechtsanspruch auf Betreuung für alle Kinder ab einem Jahr durchgesetzt. Hinzukommen müssen natürlich flexiblere und dem Bedarf angepasste Öffnungszeiten, eine bessere pädagogische Frühförderung und eine individuelle Förderung. Da ist die Bundesfamilienministerin genauso wie die Landesfamilienministerin gefordert, entsprechende Gesetzesvorhaben voranzubringen.

Ein weiterer Aspekt ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit der Eltern. Auch hier sind der Abbau der Arbeitslosigkeit und mehr Beschäftigung ein Schlüssel, um die Kinderarmut künftig einzugrenzen oder zu verhindern.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ich bedanke mich, dass der Vertreter der FDP klatscht. – Dazu ist der Mindestlohn, den die SPD fordert und über den wir vielleicht später noch diskutieren werden, ein ganz wesentlicher Beitrag.

(Beifall bei der SPD)

Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von dem, was er verdient, auch leben können. Der von uns im Jahr 2005 eingeführte Kinderzuschlag ist eine wirksame finanzielle Unterstützung der Familien, die von Armut bedroht sind. Diese Hilfe wurde vor der Sommerpause noch weiterentwickelt, sodass jetzt rund eine halbe Million Kinder und ihre Eltern gezielt unterstützt werden.

Gerade um die Bildungschancen der Kinder aus einkommensarmen Familien zu verbessern, prüft die SPDBundestagsfraktion – ich sage dazu, sie prüft mir ein bisschen zu langsam, aber sie prüft –, ob zusätzliche Hilfen, wie etwa das Schulstarterpaket oder kostenloses Schulessen, eingeführt werden sollen. Sie befasst sich dabei auch mit der Höhe und den Anpassungsmechanismen der Transferleistungen beim Arbeitslosengeld II. Außerdem prüft sie, ob ein eigener Kinderregelsatz eingeführt werden soll.

Ich sage dazu ganz klar meine Position: Ja, wir brauchen einen eigenen Kinderregelsatz, der von der Sozialhilfe abgekoppelt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN)

Insofern ist auf der Bundesebene schon vieles in der Pipeline. Denn es wurde erkannt, dass bei den Kindern aus Familien mit geringem Einkommen oder bei Familien, die Hartz IV beziehen, oft Not herrscht, wenn nach den Sommerferien eingeschult wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn mehrere Kinder in die Schule gehen. Der Bedarf reicht von A wie Anspitzer bis zu Z wie Zeichenblock. Die Liste, die den Eltern mitgegeben wird und auf der steht, was sie für ihre Kinder besorgen müssen, ist lang. Das kann sich ganz schnell relativ heftig summieren.