Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Sie wollen festlegen, dass sich bei der Befassung im Parlament nur eine Mehrheit mit der Anzahl der Mitglieder des Landtags finden muss. Ich glaube, wir täten gut daran, die Formulierung zu nehmen, die jetzt schon in der Verfassung steht. Demzufolge muss es die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder sein. Das sollten wir so festschreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit weniger als 56 Stimmen zu einer Verfassungsänderung kommen sollte, falls nicht alle 110 Abgeordneten anwesend

sind.Wir haben das vorhin schon einmal diskutiert.Das ist wohl auch nicht Ihre Intention.

Ich will damit nur Folgendes sagen: Ich glaube, dass wir Ihren Gesetzentwurf auf jeden Fall an dieser Stelle nachbessern müssen. Es sollte uns nachher nicht so gehen, wie es bei dem Gesetzgebungsverfahren mit den Studiengebühren der Fall war. Dann würde es nämlich wieder heißen: Zu diesem Thema hat keiner etwas gesagt.

Ich möchte auf das Gesetzgebungsverfahren zum Volksbegehren zu sprechen kommen. Hier beantragen Sie, dass das Quorum von 3 % auf 1 % abgesenkt wird. Darüber kann man sicherlich diskutieren. Herr Dr. Jürgens, aber auch hier gilt Folgendes: Ich glaube, es ist nicht so klug, den Mitgliedern der FDP vorzuwerfen, dass sie sich auf 2 % festgelegt haben. Denn Sie selbst halten sich auch nicht mehr an den Kompromiss, der in der Enquetekommission gefunden wurde. Insofern sollten wir das offen und ohne Vorhaltungen diskutieren.

Ich glaube auch, dass man über die Frage, ob man die Zeit der Auslegung von 14 Tagen auf drei Monate verlängern sollte, durchaus diskutieren kann. 14 Tage sind eine kurze Frist.

Aber hinsichtlich des Quorums muss ich Ihnen Folgendes sagen. Bisher liegt es bei 20 %. Sie beantragen, es auf 10 % zu senken. Der weitestgehende Konsens in der Verfassungsenquetekommission war ein Achtel. Das sind, grob gerechnet, 15 % der Bevölkerung. Lassen Sie uns darüber im Ausschuss diskutieren. Ich weiß aber nicht, warum Sie von dem, was wir schon einmal gemeinsam ins Auge gefasst hatten, abweichen wollen.

Ich will allerdings erheblichen Widerstand gegenüber etwas ankündigen, was Sie auch angesprochen haben. Ihrer Vorstellung nach soll in Zukunft jedermann diese Listen auslegen und überall Unterschriften sammeln können. Dazu sage ich ganz deutlich: Das halte ich weder für notwendig noch für angebracht.

Sie wissen doch selbst, wie es gelaufen ist, als Sie die Unterschriften gegen die Studienbeiträge gesammelt haben. In meiner Stadt Marburg hat es z. B. dazu einen Beschluss zu geben, demzufolge die Stadtverwaltung eine Außenstelle in der Mensa eingerichtet hat. Die Stadtverwaltung hat dann die Unterschriften ganz korrekt in der Mensa gesammelt.Das heißt,es gibt durchaus schon Möglichkeiten, dass die Stadtverwaltung auf die Menschen zukommt und die Menschen nicht in die Stadtverwaltung gehen müssen.

Herr Dr. Jürgens, Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass in Zukunft jeder irgendwie Unterschriften sammeln kann. Übrigens kann dann auch nicht immer sichergestellt werden, dass der Gesetzentwurf, um den es geht, neben der Unterschriftenliste liegt. Wir wissen, wie das ist, wenn Unterschriften gesammelt werden. Viele unterschreiben dann. Aber ich halte es für wichtig, dass sich jeder, der unterschreibt, vorher das Gesetz durchlesen kann. Das ist nicht mehr sichergestellt, wenn jeder irgendwie Unterschriften sammeln kann.

Jetzt überlegen Sie sich einmal, was dann geschieht, wenn wir Listen mit 20 Unterschriften haben. Der eine kommt aus Marburg. Der Nächste kommt aus Frankenberg. Der Dritte ist ein Offenbacher und hat unterschrieben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ich bin für Bad Vilbel und Eschborn!)

Ich wünsche da viel Vergnügen. Denn die Verwaltung muss hinterher prüfen, ob das Stimmrecht zu Recht ausgeübt wurde. Herr Dr. Jürgens, ich glaube, dass wir da aufpassen müssen, dass wir nicht mehr Bürokratie schaffen. Ich sehe den Ansatz, das leichter machen zu wollen.Aber wir müssen aufpassen, dass wir damit nicht mehr Bürokratie schaffen, als tatsächlich notwendig ist. Wir dürfen die Last nicht auf den Staat abwälzen.

Ich will noch eine andere Frage ansprechen. Sie sagen, die Eintragungslisten sollten in Zukunft vom Landeswahlleiter zur Verfügung gestellt werden. Ich will Ihnen einmal grob vorrechnen, was das bedeutet, wenn z. B. 200.000 Unterschriften gesammelt werden sollen. Wenn Sie 200.000 Unterschriften sammeln wollen und 20 Unterschriften auf ein Blatt passen, dann brauchen Sie 10.000 Blätter.Wenn Sie das grob berechnen wollen, nehmen Sie 10 Cent pro Blatt an. Das heißt, jemand müsste 1.000 c in die Hand nehmen, wenn er so viele Unterschriften sammeln will.

Ist das denn ernsthaft eine so hohe Hürde, dass wir diese Last dem Staat übertragen müssen? Jeder, der ein Volksbegehren starten will, soll sich demnach erst einmal beim Land melden. Das Land müsste dann die Listen produzieren und verschicken. Es muss sie zur Verfügung stellen, unabhängig davon, ob das Quorum nachher erreicht wird.

Ich glaube, ein Stück der Last des Volksbegehrens sollten wir durchaus bei denjenigen belassen, die das Volksbegehren starten.Wenn man sich überlegt,welcher Aufwand das insgesamt ist, kann man zu dem Ergebnis kommen, dass 1.000 c vielleicht nicht so viel sind, dass man diese Last dem Staat übertragen muss.

Darüber können wir im Ausschuss herzlich gern diskutieren. Da bin ich aber etwas festgelegt. Denn ich glaube, es ist nicht sinnvoll, die Bürgerrechte zu stärken und gleichzeitig den Staat so zu schwächen, dass er die Lasten nachher nicht mehr bewältigen kann.

Ich komme zum letzten Punkt. Da bin ich ein wenig ärgerlich.Aber auch das werden wir gerne im Ausschuss diskutieren. Sie haben hinsichtlich der Volksinitiative, die Volksinitiative heißt, den Vorschlag gemacht, dass nicht das Volk die Initiative starten kann. Vielmehr wollen Sie eine Einwohnerinitiative. Sie schreiben bewusst, dass 50.000 Einwohner des Landes Hessen in der Lage sein sollen, eine solche Initiative zu starten.

(Beifall der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Damit weichen Sie von dem ab, was wir in der Enquetekommission besprochen hatten.

Herr Dr. Jürgens, dazu sage ich: Ich glaube, dass diese Initiative nicht sinnvoll ist. Zur Volksinitiative sage ich Ja. Aber aus meiner Sicht müssen das dann auch 50.000 wahlberechtigte Bürger unterstützen. Ansonsten würden Hoffnungen an der falschen Stelle genährt. Mit dem, was Sie tun wollen, würden Sie die Menschen eher verunsichern und enttäuschen. Im Übrigen würde man damit das Wahlvolk vielleicht stärker verärgern,als es notwendig ist.

Ich begrüße das mit der Volksinitiative. Aber dann sollen das, bitte schön, nur Stimmberechtigte und nicht Einwohner unterstützen.

Ich freue mich auf die Beratungen. Es wird im Ausschuss nicht langweilig werden. Ich finde es auch gut, dass wir noch einmal an die Reform der Verfassung herangehen.

Ich sagte es bereits:Wir befinden uns in der Situation,dass Sie immer daran arbeiten, dass in zwei Monaten die Regierung wechselt. Ob das der richtige Zeitpunkt ist, Hand an die Verfassung zu legen, weiß ich nicht.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss, die sicherlich sehr konstruktiv sein werden.– Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Gotthardt, vielen Dank. – Herr Kollege Dr. Jürgens hat sich zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet. Darf ich bitten, das Pult herunterzufahren? – Danke schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will nur zu wenigen Aspekten kurz Stellung nehmen. Herr Gotthardt, Sie haben sich gewundert, dass wir die Gesetzentwürfe jetzt vorlegen. Ich wundere mich, dass Sie sich wundern, weil das Anliegen eigentlich nichts Neues ist. Das war immer ein besonders wichtiges Anliegen für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Solange wir existieren und solange wir hier im Hessischen Landtag sind, ist dies eigentlich klar. Die Verfassungsänderungen, die wir in der Vergangenheit, in der Geschichte des Landes Hessen, gehabt haben, waren immer einzelne Änderungen an einzelnen Aspekten.

Ich darf daran erinnern, dass Sie es waren, die die letzten Änderungen eingebracht haben. Die Einführung des Sports in die Hessische Verfassung, die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre und das Konnexitätsprinzip – alles einzelne Dinge, die weder in einem inneren Zusammenhang standen, noch eine Paketlösung darstellten.

Wir haben in der letzten Wahlperiode in der Tat den Versuch unternommen – im Übrigen auf Initiative meiner Fraktion –, mit einer Enquetekommission dafür zu sorgen, dass wir nicht nur in einzelnen Punkten, sondern in einem größeren Kontext die Hessische Verfassung reformieren. Wir mussten schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass dieses Vorhaben gescheitert ist. Wir mussten erfahren, dass es offensichtlich in diesem Hessischen Landtag jedenfalls in der letzten Wahlperiode nicht möglich war, so etwas zu starten. Nach diesen Erfahrungen werden Sie verstehen, dass wir von uns aus nicht unbedingt die Initiative ergriffen haben, das noch einmal aufzugreifen.

(Axel Wintermeyer (CDU): Jetzt alles einzeln machen!)

Wenn Sie das machen wollen, gern. Wir wollen jedenfalls nicht, dass die Hessische Verfassung, nur weil es keine Komplettlösung gibt, in der Überarbeitung völlig unangetastet bleibt. Zu vielen Missverständnissen und bürokratischen Sachen, über die man sich sicherlich unterhalten kann, will ich gar nichts sagen. Darüber können wir im Ausschuss reden.

Zum letzten Punkt, den Sie angesprochen haben. Wir haben es sehr bewusst hineingeschrieben, weil wir glauben, dass nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern auch andere Bürgerinnen und Bürger, im Übrigen z. B. auch Minderjährige, die noch nicht wahlberechtigt sind, ein berechtigtes Anliegen haben können, das sie dem Hessischen Landtag unterbreiten können. Da es nur um eine Initiative geht, also das Anliegen, sich mit einem be

stimmten Vorhaben zu beschäftigen, was nicht – wie beim Volksbegehren – zur Konsequenz hat, dass möglicherweise ein Gesetz daraus wird, ist es aus unserer Sicht gerechtfertigt, den Kreis derjenigen, die mitwirken können, zu erweitern,

Herr Kollege Dr. Jürgens, die zwei Minuten sind abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

und zwar über den Kreis der Stimmberechtigten hinaus. Darüber werden wir uns sicherlich unterhalten. Aber Sie haben vollkommen recht: Das war von uns bewusst so gewählt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Kollege Gotthardt hat Gelegenheit zur Antwort.

Frau Präsidentin! Herr Kollege Dr. Jürgens, ich wundere mich – ehrlich gesagt –, dass Sie sich wundern, dass ich mich wundere.

(Allgemeine Heiterkeit)

Herr Dr. Jürgens, wenn Sie sich den Verlauf der jetzigen Debatte angeschaut haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, wer bei Ihren Beiträgen geklatscht hat. Dann wünsche ich gute Verrichtung bei der Änderung der Verfassung.Aber ich will meine besondere Verwunderung an einer Stelle deutlich machen.

Die Enquetekommission hat in der letzten Legislaturperiode ein Kompromisspaket erarbeitet. Es ist zugegebenermaßen ein Kompromisspaket. Wir brauchen darüber nicht zu streiten. Es ist leider zum Schluss gescheitert. Auch das ist richtig.Aber es hat eine weitestgehende Verständigung auf bestimmte Punkte gebracht.

Ich wundere mich deswegen, dass Sie – Herr Dr. Jürgens – jetzt mit verschiedenen Positionen komplett neu in die Debatte hineingehen, weil ich glaube, wenn Sie wirklich die Verfassung ändern und nicht nur sich selber profilieren wollten, wäre es doch klüger, wenn Sie den Kompromiss von damals hier zur Abstimmung gestellt hätten. Das würde es uns zumindest viel schwieriger machen. Deswegen – das ist mein Petitum – glaube ich, dass Sie gar nicht wirklich die Verfassung ändern wollen, sondern Sie wollen sich offensichtlich nur profilieren.Wenn Sie sie ändern wollten, hätten Sie den Kompromissvorschlag einbringen müssen. Aber, wie gesagt, wir werden uns konstruktiv an den Debatten beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Gotthardt. – Die nächste Wortmeldung ist vom Kollegen Hahn für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht hat die „Frankfurter Rundschau“ am 13. August in einem Artikel über unsere Diskussion, die wir hier führen, die Überschrift „Mehr Macht für Bürger“ gewählt. Das ist die Auffassung der hessischen Liberalen schon seit vielen Jahren, um nicht zu sagen: schon seit einem Jahrzehnt. Wir haben durch eine Vielzahl von Initiativen auch in diesem Hause immer wieder gebohrt und immer wieder Mehrheiten dafür gesucht, dass man mehr Macht für die hessischen Bürgerinnen und Bürger sowohl in den Gesetzen – Herr Dr. Jürgens – wie auch in der Verfassung festschreibt.

Da ich seit gestern weiß, dass die GRÜNEN ein besonderes Anliegen darin haben, die Konsequenz von Aktionen der FDP in diesem Hause zu reflektieren,und wir das z. B. gestern beim Thema SED-Vergangenheit in den Schulbüchern diskutiert haben und Sie vorhin sogar dem Kollegen Dieter Posch die Ehre gegeben haben, in Ihrem Wortbeitrag zitiert zu werden, möchte ich Sie zitieren, Herr Kollege Dr. Jürgens.

Sie haben nämlich von diesem Pult aus – bzw. wir waren damals im Rathaus „zwischengelagert“ – anlässlich einer Debatte über die Neuordnung der Hessischen Verfassung, die auf Initiative der FDP angeregt worden ist und wo fast identische Vorlagen zur Abstimmung gestellt worden sind, Folgendes gesagt:

Es geht nicht an, dass wir in dem Prozess der gemeinsamen Arbeit an der Hessischen Verfassung einzelne Ergebnisse herausgreifen und zerreden.

Genau das will ich auch nicht tun. Deswegen enthalte ich mich einer Stellungnahme zu den einzelnen Vorschlägen, die Sie hier gemacht haben. Wir lehnen das Vorgehen der FDP ab.Wir halten daran fest,dass möglichst im Konsens eine Verfassungsänderung durchgeführt werden soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist dem stenografischen Bericht über die Sitzung des Hessischen Landtags am 8. Juni 2005 zu entnehmen.

(Beifall bei der FDP)