Andreas Jürgens

Sitzungen

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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Regionalmanagement Nordhessen gilt bekanntlich der Spruch:Die Lage ist gut. – Das meint, Nordhessen liegt in der Mitte Deutschlands, im Herzen Europas, es meint aber auch, es geht voran mit Nordhessen.
Wir haben im August dieses Jahres erst den HelabaVolkswirtschaftsresearch zur Kenntnis genommen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt in Nordhessen inzwischen über dem von Nordhein-Westfalen und der Zuwachs über dem von Mittelhessen und von Südhessen.Allein in der Stadt Kassel – wir konnten es lesen – sind die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze von 2005 bis 2007 um 6,5 % gestiegen. Die Telekom wird allerdings wieder ins Kontor schlagen, wie wir vorhin gehört haben.
Die Arbeitslosenquote ist von 19,2 auf 13,8 % gesunken.
Sie wissen alle, das weltweit größte Ersatzteillager von VW liegt in Baunatal. Kali + Salz ist Weltmarktführer und schreibt einen Rekordgewinn nach dem anderen. Nur nebenbei bemerkt: Sie könnten einen kleinen Teil dafür einsetzen, um die Werra wieder zu einem Süßwasserfluss zu machen. Der wäre sicherlich sinnvoll angelegt.
SMA in Niestetal exportiert seine Wechselrichter in alle Welt und sucht ständig neue Mitarbeiter. Es geht bergauf mit Nordhessen, und dies alles ohne einen neuen Flughafen und ohne eine neue Autobahn.
Nach einem Rekordbesuch der documenta im letzten Jahr kann niemand mehr behaupten, Nordhessen sei schlecht erreichbar.Aus aller Welt sind die Menschen nach Kassel gekommen, ohne einen Flughafen Kassel-Calden und ohne neue Autobahnen.
Eines ist sicher, der wirtschaftliche Aufschwung der Region ist nicht abhängig von der Menge an Beton, mit der die Landschaft zugekleistert wird. Während die Landespolitik noch Strukturpolitik von vorgestern betreibt, hat Nordhessen längst die Zukunft entdeckt. Das ist das Entscheidende. Die Innovationskraft der Menschen in der Region, der Unternehmen, der Universität und der Netzwerke in Nordhessen haben die Region vorangebracht, und nicht die Konzepte von vorgestern, die Sie immer noch predigen.
Es gibt z. B. die Initiative nordig, Nordhessen digital, die einen schnellen Internetzugang für ganz Nordhessen schafft. Das brauchen wir auch, Datenautobahnen und nicht Betonpisten. Das ISET, dessen 20-jähriges Bestehen wir morgen feiern, wird demnächst Fraunhofer Institut. Die Weltgeltung Nordhessens als Solarregion wird damit anerkannt und noch gesteigert, alles ohne Flughafen.
Metakus, das Anwendungszentrum Metallformgebung in Baunatal, ist eine aktuelle Ausgründung der Uni Kassel Transfer GmbH.Das ist auch wichtig:den Wissenstransfer von der Universität in die Wirtschaft anwendungsbezogen zu organisieren. Hiervon braucht die Region mehr und nicht Flughäfen und Autobahnen. Die Menschen haben Besseres verdient als Wirtschaftspolitik mit dem Betonmischer.
Hierfür wollen wir von grüner Seite die Mittel sinnvoller einsetzen, die Sie für einen unsinnigen Flughafen verbrennen wollen. Das Regionalmanagement Nordhessen, um nur ein Beispiel zu nennen, hat Tausende Ideen, aber hierfür kein Geld. Das wollen wir ihm geben, damit es das endlich umsetzen kann.Anderen geht es ebenso.
Statt der rein virtuellen 1.000 Arbeitsplätze, die mit dem Flughafen versprochen werden, wollen wir nach vorsichtigen Schätzungen mindestens 10.000 Arbeitsplätze schaffen. Ich darf daran erinnern, das Kompetenzzentrum dezentrale Energieversorgung, deENet, hat geschätzt, dass allein im Bereich der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren in Nordhessen 20.000 Arbeitsplätze entstehen können. Die Zukunftsfähigkeit der Region hängt nicht am Flughafen und nicht an neuen Autobahnen.
Der Tag, an dem der Flughafen aufgegeben und ein Strukturprogramm Nordhessen gestartet wird, wie wir es immer gefordert haben, wird ein guter Tag für Nordhessen sein.
Ich bin natürlich kein Prophet und weiß nicht, was bei möglichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD herauskommen wird. Ich weiß nur, was wir wollen, nämlich für Nordhessen einen Politikwechsel.
Das ist aber ganz sicherlich nicht der Fall, wenn eine CDU-Betonpolitik durch eine SPD-Betonpolitik abgelöst wird. Wenn künftig Einweihungsbänder für Autobahnen und Flughäfen nicht mehr von einem Schwarzen, sondern von einer Roten durchgeschnitten werden, dann ist das vielleicht ein Politikerwechsel, aber noch kein Politikwechsel.
Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass die Zukunftsfähigkeit gesteigert wird, dass der Politikwechsel vollzogen wird, zum Wohle Nordhessens und zum Wohle seiner Menschen. – Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich es für notwendig halte, dem Eindruck entgegenzutreten, den der Herr Innenminister hier gerade zu erwecken versucht hat. Er hat versucht, den Eindruck zu erwecken, uns sei es ein Anliegen, sämtlichen Straftätern, die nicht deutscher Staatsangehörigkeit sind, ein dauerhaftes Bleiberecht zu geben oder ihnen zumindest ein Verfahren in der Härtefallkommission zu ermöglichen.
Herr Innenminister, Sie wissen ganz genau, dass in § 23a Aufenthaltsgesetz – der gesetzlichen Grundlage für die Arbeit der Härtefallkommission – steht, dass eine Anerkennung als Härtefall in der Regel ausgeschlossen ist, wenn „Straftaten von erheblichem Gewicht“ begangen
worden sind. Straftaten von erheblichem Gewicht sind solche, die z. B. zu einer Regelausweisung führen würden, also die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, aber auch ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und eine Bestrafung wegen des Einschleusens von Menschen.Das geht sogar teilweise über das hinaus, was Sie hier vorschlagen, wonach nämlich erst bei einer Verurteilung bis zu 180 Tagessätzen eine Anerkennung als Regelfall ausgeschlossen wird.
Eine Anerkennung als Härtefall ist nach der Regelung, die im Aufenthaltsgesetz steht,normalerweise bereits ausgeschlossen, wenn ein Verstoß z. B. gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegt. Selbstverständlich wollen auch wir nicht, dass allen Straftätern ein Verfahren in der Härtefallkommission ermöglicht wird. Aber wir wissen, dass es extreme Einzelfälle gibt – die übrigens von Ihrer Regelung nicht erfasst wären –, bei denen es unter Umständen nötig ist, ein Verfahren auf Feststellung eines Härtefalls durchzuführen. Wir sind aber, wie alle, der Überzeugung, dass Straftäter nicht in ein Härtefallverfahren gehören.
Aber wenn Sie meinen,dass man das,was man nicht zu regeln braucht, im Gesetz auch nicht regeln soll, dann, so sind wir überzeugt, reicht die Regelung im Aufenthaltsgesetz aus. Dann brauchen wir keine hessische Regelung mehr dranzuhängen. Dort ist es bereits ausdrücklich geregelt, und danach muss sich auch die hessische Härtefallkommission eindeutig richten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist an der Zeit, den Menschen in Hessen bessere Möglichkeiten politischer Mitwirkung zu verschaffen. Es ist an der Zeit, mehr direkte Demokratie zu wagen,und es ist an der Zeit, die Hessische Verfassung, die seit mehr als 60 Jahren die Möglichkeit der Volksgesetzgebung vorsieht, endlich mit Leben zu füllen.
Meine Fraktion legt Ihnen deswegen vier Gesetzentwürfe vor, die wir als eine Paketlösung für mehr Bürgerbeteiligung verstehen. Mit drei Gesetzentwürfen soll die Hessische Verfassung geändert werden, ein vierter Gesetzentwurf sieht die Änderung des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid vor.Wir wollen durch unsere Gesetzentwürfe eine bessere Chance für Plebiszite,mehr Gelegenheit für aktive Bürgerbeteiligung eröffnen und damit mehr Gemeinsinn und Zusammengehörigkeitsgefühl durch die Möglichkeit der Mitwirkung schaffen.
Frau Präsidentin, ich hoffe, Sie rechnen meinen Redebeitrag nicht zur Unruhe.
Die Hessische Verfassung ist eine Volksverfassung im besten Sinne.Sie räumt,das haben wir schon mehrfach in diesem Hause erörtert, dem hessischen Volk weiter gehende Mitwirkungsmöglichkeiten ein, als es in vielen anderen Bundesländern der Fall ist.Wir haben die Möglichkeit der
Volksgesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheid, wir haben die obligatorische Volksabstimmung zu einer Verfassungsänderung, und wir haben etwas, was es in kaum einem anderen Land gibt, nämlich die sogenannte Volksklage vor dem Staatsgerichtshof.
Wenn man sich aber die Verfassungswirklichkeit der letzten mehr als 60 Jahre einmal anschaut,dann bringt dies einen ernüchternden Befund. Diese Volksrechte bestehen weitestgehend nur auf dem Papier. Nur ganz selten, man kann es an einer Hand abzählen, wurde überhaupt ein Anlauf für ein Volksbegehren gestartet. Nicht ein einziges Mal in der mehr als 60-jährigen Geschichte des Landes Hessen ist es gelungen, über ein Volksbegehren dem Landtag einen Gesetzentwurf vorzulegen – von einem abschließenden Volksentscheid ganz zu schweigen.
Das hat seine Ursache vor allem in den exorbitant hohen Hürden, die Verfassung und Gesetz vor einem solchen Volksbegehren aufbauen. Ich möchte Ihnen das kurz anhand des Verfahrens erläutern, wie es im Gesetz bzw. in der Verfassung geregelt ist.
Die Einleitung eines Volksbegehrens beginnt nach dem Gesetz mit einem Antrag auf Zulassung. Bereits dieser Zulassungsantrag beim Landeswahlleiter muss von 3 % der bei der letzten Landtagswahl Stimmberechtigten unterstützt werden. Stimmberechtigt waren im Januar dieses Jahres bei der letzten Landtagswahl rund 4,37 Millionen Bürger. Das bedeutet, mehr als 131.000 Menschen müssen eine Unterschrift leisten, um das Verfahren überhaupt in Gang zu setzen. An dieser Hürde ist zuletzt ein von der evangelischen Kirche beabsichtigtes Volksbegehren zur Wiedereinführung des Buß- und Bettages gescheitert.
Hierzu sieht unser Gesetzentwurf als erste Maßnahme vor, diese Hürde, diesen prozentualen Anteil von 3 % auf 1 % zu senken. Das wären immer noch 43.700 Menschen. Es wäre also immer noch gewährleistet, dass nicht – sozusagen beiläufig – eine kleine Gruppe von Menschen irgendetwas starten kann, was dann den Landtag beschäftigt. Im Vergleich der Bundesländer lägen wir nach einer solchen Senkung im Übrigen ungefähr im Mittelfeld. In Nordrhein-Westfalen reichen z. B. 5.000 Unterschriften aus; das sind 0,02 % der wahlberechtigten Bevölkerung. Wir wollten aber nicht so vermessen sein, gleich diese Zahl anzustreben, denn wir wollen die eher skeptischen Fraktionen in diesem Hause nicht überfordern. Wir meinen aber, 1 % wäre durchaus gangbar.
Als ich das in einer Pressekonferenz vorgestellt habe, musste ich mit Erstaunen feststellen, dass die FDP-Fraktion mit einer Presseerklärung darauf reagiert und gesagt hat: Das Quorum sollte von 3 % auf 2 % gesenkt werden, nicht auf 1 %. – Herr Hahn, Sie schauen kritisch, aber Sie haben diese Presseerklärung abgesetzt. – Ich habe mir daraufhin einmal angeschaut, was Ihr Kollege Posch in der Plenardebatte gesagt hat, als wir in der letzten Wahlperiode einen Gesetzentwurf einbrachten, der ebenfalls den Vorschlag der Absenkung auf 1 % enthielt. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll vom 12. Juli 2005. Herr Posch sagte:
Ich bin in der Sache bei Ihnen. Ich habe überhaupt kein Problem, als Mitglied der FDP zu sagen: Ich mache das mit 1 %. Dafür benötigt man etwa 40.000 Unterschriften. Ich bin sofort bei Ihnen.
Die FDP-Fraktion war also schon einmal weiter, und ich bin guten Mutes, dass wir uns im Laufe der Diskussion an dem Punkt noch einigen können.
Immerhin wurde aber das Zulassungsquorum von 3 % in zwei Fällen in Hessen schon einmal erreicht.Das eine Mal war das beim Volksbegehren gegen die Startbahn West, das daran scheiterte, dass es nicht zulässig war, weil es in die Bundeskompetenzen eingriff – so lautete zumindest die damalige Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Das andere Mal war das Volksbegehren zur Einführung der Briefwahl im Jahre 1966. Damals ist es tatsächlich gelungen, 3 % der Stimmberechtigten zu einer Unterstützung zu veranlassen. Allerdings folgte dann die eigentliche Hürde.
Die Verfassung sieht nämlich vor, dass das Volksbegehren von 20 % der Stimmberechtigten unterstützt werden muss. Innerhalb von zwei Wochen müssen sie auf den Kommunalbehörden, in denen diese Unterschriftslisten ausliegen, ihre Unterschrift leisten. Innerhalb von zwei Wochen müssen also 20 % der Stimmberechtigten auf ihre Rathäuser gehen, um das zu unterstützen.
Das eben von mir genannte Volksbegehren ist an dieser Hürde gescheitert. Es haben bei dieser Form der Zustimmung weniger mitgewirkt als bei dem ursprünglichen Antrag,obwohl die damalige Initiative von einer Volkspartei, nämlich der CDU, getragen war. Man sieht, es ist sogar für Volksparteien außerordentlich schwer, diese Hürde zu nehmen.
Deswegen schlagen wir an dieser Stelle gleich verschiedene Maßnahmen vor. Wir wollen, dass das Quorum für ein Volksbegehren nicht mehr 20 % der Stimmberechtigten beträgt,wie es bisher in der Verfassung vorgesehen ist. Vielmehr wollen wir es auf 10 % halbieren.Auch damit lägen wir im Vergleich der Bundesländer immer noch im Mittelfeld, eher sogar im oberen Mittelfeld. Wir würden damit aber nach unserer Einschätzung die Chancen, dass ein Volksbegehren tatsächlich einmal zustande kommt, deutlich erhöhen. Notwendig, aber dann auch ausreichend, wäre dann immer noch, dass rund 437.000 Stimmberechtigte, entsprechend der heutigen Zahl der Wahlberechtigten, das Anliegen unterstützen.
Gleichzeitig wollen wir den Zeitraum verlängern, innerhalb dessen die notwendigen 437.000 Unterschriften gesammelt werden müssen. Wir schlagen vor, diesen Zeitraum von zwei Wochen auf mindestens drei Monate zu verlängern.Auch das ist eine Regelung, die sich im Mittelfeld der Regelungen der Bundesländer befindet. Wir haben im Augenblick die Situation, dass in Hessen innerhalb der kürzesten Frist die meisten Unterschriften gesammelt werden müssen. Das ist auf jeden Fall etwas, was wir ändern wollen.
Drittens wollen wir eine Regelung übernehmen, die es in anderen Bundesländern ebenfalls schon gibt. Die Unterschriftenlisten, auf denen die Unterschriften der 20 % Unterstützer – nach unserer Auffassung 10 % – gesammelt werden, sollen nicht nur bei den Kommunalbehörden ausliegen, sondern es soll auch an anderen Orten für Unterstützung geworben werden können.
Viertens wollen wir die Initiatoren eines Volksbegehrens auch von bürokratischem Aufwand entlasten. Wir wollen nämlich,dass es der Landeswahlleiter übernimmt,die entsprechenden Unterschriftenlisten zu vervielfältigen und den Kommunalbehörden und sonstigen Stellen zur Verfügung zu stellen.
Alle diese Verfahrensregelungen – mit Ausnahme der Absenkung des Quorums von 20 auf 10 % – sind übrigens nicht in der Verfassung geregelt, sondern im Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid. Es bedarf deswegen auch nur eines einfachen, nicht die Verfassung ändernden Gesetzes, das wir zeitgleich mit den Verfassungsänderungen einbringen, die wir zur Annahme vorschlagen, um dies in die Realität umzusetzen.
Bildlich gesprochen, könnte man sagen: Wir wollen die Hürden absenken und den Ablauf verlängern, um diese Hürden zu überwinden. – Wir verstehen dies als Angebot an alle Hessinnen und Hessen: Mischt euch ein, gestaltet unser Bundesland aktiv mit, macht Gebrauch von der Möglichkeit des Volksbegehrens.
Immerhin heißt es in Art. 70 der Hessischen Verfassung – ich zitiere –:
Die Staatsgewalt liegt unveräußerlich beim Volke.
In Art. 71 heißt es dann:
Das heißt, in der Reihenfolge weist die Hessische Verfassung der unmittelbaren Mitwirkung des Volkes sogar den ersten Rang zu vor der mittelbaren Mitwirkung, die z. B. wir im Landtag zu leisten haben.
Die Achtung vor unserer Verfassung, der Respekt vor dem Souverän und das Vertrauen in deren Entscheidungen verlangen von uns geradezu, dass wir die von uns vorgeschlagenen Schritte jetzt in die Tat umsetzen.
Wir wollen aber nicht nur die Volksgesetzgebung erleichtern. Das ist das eine. Wir wollen auch weitere Möglichkeiten der Mitwirkung in der Verfassung verankern.
Die eine Möglichkeit ist auch in dem weiteren Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung verankert, nämlich dass auch die Verfassung selbst im Wege der Volksgesetzgebung geändert werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Es wäre denkbar, dass es Leute gibt, die meinen, dass Abgeordnete nicht erst im Alter von 21 Jahren in den Landtag einziehen können sollen, sondern möglicherweise, wie im Bundestag, bereits mit 18 Jahren, und eine Initiative aus der Mitte des Volkes auf den Weg bringen, um genau dies zu erreichen.
Das ist ein einfaches Beispiel, wie man das möglicherweise machen könnte. Nach der vorherrschenden Verfassungsinterpretation ist das bisher aber ausgeschlossen. Bisher kommt eine Verfassungsänderung nur dadurch zustande, dass der Landtag mit Mehrheit ein verfassungsänderndes Gesetz beschließt und in der nachfolgenden Volksabstimmung dem zugestimmt wird.
Herr Hahn, das ist mir bekannt. Das ändert aber nichts an der Möglichkeit, dass es Leute aus dem Volk geben kann, die das machen wollen. Natürlich ist es auch möglich, dass Leute sagen, man könnte das aktive Wahlalter wieder von 18 auf 21 Jahre heraufsetzen. Das wäre ein anderes Beispiel – was ich weniger gut finden würde, aber hinnehmen müsste, wenn aus der Mitte des Volkes Initiativen zur Verfassungsänderung ergriffen werden können.
Wir wollen jedenfalls die Möglichkeit eröffnen, im Wege des Volksbegehrens auch ein verfassungsänderndes Gesetz auf den Weg zu bringen.Wenn nach der Verfassungsänderung 10 % – wie wir meinen – ein solches Anliegen unterstützen, geht das wie bisher zum Landtag. Wenn dann, so unser Vorschlag, der Landtag dem mit einer Zweidrittelmehrheit, also einer sehr qualifizierten Mehrheit, zustimmt, wäre die Verfassung geändert.
Stimmt er nur, wie bei einer Verfassungsänderung aus der Mitte des Landtags, mit der absoluten Mehrheit, also mindestens 56 seiner Mitglieder, zu, kommt es danach, wie bei der anderen Verfassungsänderung auch, zu einer Volksabstimmung ohne entsprechendes Quorum. Lehnt er aber die Verfassungsänderung ab, die auf Volksinitiative eingeführt werden soll, dann, so schlagen wir vor, bedarf die nachfolgende Volksabstimmung eines Beteiligungsquorums, das wir im Übrigen für besser halten als ein Zustimmungsquorum. Das wäre die andere Alternative. Aber darüber können wir sicherlich reden.
Als Letztes wollen wir bei der Änderung der Verfassung eine sogenannte Volksinitiative einführen. Das ist ebenfalls etwas, was es in anderen Bundesländern gibt. Das ist nichts Neues.
Das Problem besteht darin, dass in der gegenwärtigen Situation einem Volksbegehren immer ein Gesetzentwurf zugrunde liegen muss. Es gibt aber vielleicht auch Anliegen, die nicht unmittelbar in ein Gesetzesvorhaben münden. Auch das kann nach unserer Vorstellung das Volk dem Landtag unterbreiten.
Wir wollen also insgesamt die in der Verfassung vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten verwirklichen. Wir bemühen uns darum, dass wir im Land und natürlich im Landtag auf möglichst breite Zustimmung stoßen. Wir glauben, es ist höchste Zeit, dass wir endlich die Versprechen einlösen, die die Hessische Verfassung schon seit Langem vorhält.
Ich habe im Juli eine Pressekonferenz abgehalten und bereits dort unsere Initiative angekündigt. Herr Wintermeyer von der CDU-Fraktion wurde damals mit dem Anliegen zitiert: „Änderungen der Verfassung sollten nur im Konsens aller Fraktionen durchgeführt werden.“
Daran ist richtig: Je breiter die Zustimmung und die Mitwirkung im Landtag sind, desto besser ist es. Das ist gar keine Frage.Wir wollen auch dafür werben, dass wir möglichst viel Zustimmung bekommen.
Aber die Behauptung, dass in der Vergangenheit Verfassungsänderungen nur im Konsens stattgefunden hätten, ist tatsächlich falsch. Die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre ist ohne Zustimmung der GRÜNEN erfolgt. Jede Fraktion des Hessischen Landtags, mit Ausnahme der jüngsten, die noch keinen einzigen verfassungsändernden Gesetzentwurf eingebracht hat, hat in den letzten 16 Wahlperioden verfassungsändernde Entwürfe in den Landtag eingebracht, ohne vorher sicher zu sein, dass sie eine Mehrheit finden würden.
Ich denke also, wir sollten daran arbeiten, dass wir hier zu einer entsprechenden Einigung kommen. Ich kündige an, dass wir von unserer Fraktion aus sehr kompromissbereit und sehr diskussionsbereit sind. Das betrifft alle Einzelheiten, die wir vorschlagen. Wir bringen die Gesetzentwürfe deswegen sehr frühzeitig ein.
Nach unserer Vorstellung könnte eine Volksabstimmung, die wir für die Verfassungsänderung brauchen, z. B. parallel zur Europawahl Anfang Juni nächsten Jahres stattfinden. Das würde bedeuten, dass die Gesetzesbeschlüsse 60 bis 120 Tage vorher, also in dem Zeitraum von Februar bis spätestens Anfang Mai nächsten Jahres, gefasst werden müssten. Wir haben also aus unserer Sicht ausreichend Zeit, eine fundierte Anhörung im Hauptausschuss zu veranstalten, fundierte Beratungen durchzuführen und dann hoffentlich gemeinsam zu wegweisenden Beschlüssen zu finden. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will nur zu wenigen Aspekten kurz Stellung nehmen. Herr Gotthardt, Sie haben sich gewundert, dass wir die Gesetzentwürfe jetzt vorlegen. Ich wundere mich, dass Sie sich wundern, weil das Anliegen eigentlich nichts Neues ist. Das war immer ein besonders wichtiges Anliegen für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Solange wir existieren und solange wir hier im Hessischen Landtag sind, ist dies eigentlich klar. Die Verfassungsänderungen, die wir in der Vergangenheit, in der Geschichte des Landes Hessen, gehabt haben, waren immer einzelne Änderungen an einzelnen Aspekten.
Ich darf daran erinnern, dass Sie es waren, die die letzten Änderungen eingebracht haben. Die Einführung des Sports in die Hessische Verfassung, die Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre und das Konnexitätsprinzip – alles einzelne Dinge, die weder in einem inneren Zusammenhang standen, noch eine Paketlösung darstellten.
Wir haben in der letzten Wahlperiode in der Tat den Versuch unternommen – im Übrigen auf Initiative meiner Fraktion –, mit einer Enquetekommission dafür zu sorgen, dass wir nicht nur in einzelnen Punkten, sondern in einem größeren Kontext die Hessische Verfassung reformieren. Wir mussten schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass dieses Vorhaben gescheitert ist. Wir mussten erfahren, dass es offensichtlich in diesem Hessischen Landtag jedenfalls in der letzten Wahlperiode nicht möglich war, so etwas zu starten. Nach diesen Erfahrungen werden Sie verstehen, dass wir von uns aus nicht unbedingt die Initiative ergriffen haben, das noch einmal aufzugreifen.
Wenn Sie das machen wollen, gern. Wir wollen jedenfalls nicht, dass die Hessische Verfassung, nur weil es keine Komplettlösung gibt, in der Überarbeitung völlig unangetastet bleibt. Zu vielen Missverständnissen und bürokratischen Sachen, über die man sich sicherlich unterhalten kann, will ich gar nichts sagen. Darüber können wir im Ausschuss reden.
Zum letzten Punkt, den Sie angesprochen haben. Wir haben es sehr bewusst hineingeschrieben, weil wir glauben, dass nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern auch andere Bürgerinnen und Bürger, im Übrigen z. B. auch Minderjährige, die noch nicht wahlberechtigt sind, ein berechtigtes Anliegen haben können, das sie dem Hessischen Landtag unterbreiten können. Da es nur um eine Initiative geht, also das Anliegen, sich mit einem be
stimmten Vorhaben zu beschäftigen, was nicht – wie beim Volksbegehren – zur Konsequenz hat, dass möglicherweise ein Gesetz daraus wird, ist es aus unserer Sicht gerechtfertigt, den Kreis derjenigen, die mitwirken können, zu erweitern,
und zwar über den Kreis der Stimmberechtigten hinaus. Darüber werden wir uns sicherlich unterhalten. Aber Sie haben vollkommen recht: Das war von uns bewusst so gewählt. – Danke schön.
Herr Hahn, Entschuldigung, damit ich es verstehe:Wo sehen Sie denn die deutlichen Verbesserungen,wenn Sie das Einleitungsquorum nur von 3 auf 2 % absenken wollen, das Quorum für das Volksbegehren aber bei 20 % belassen wollen? Wo liegt dann die deutliche Verbesserung?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat im März dieses Jahres eine Vorschrift im Hessischen Rundfunkgesetz für verfassungswidrig erklärt.Wir haben jetzt August.Wir gehen derzeit daran, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Herr Hahn, ich bin ein Freund davon, verfassungswidrige Zustände möglichst zügig zu beseitigen. Man muss Fristen, die gesetzt werden, nicht ausschöpfen.
Dass eine Fraktion im Hessischen Landtag nicht unbedingt auf diejenigen wartet, die es schon einmal versemmelt haben, die nur ein verfassungswidriges Gesetz hinbekommen haben, ist doch wohl nahe liegend.
Man muss doch einmal den Kern der Sache festhalten. Die CDU/FDP-Mehrheit der 15. Wahlperiode hat gegen die Verfassung verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Sie sind im Eifer des Gefechts, in Ihrem Kampf gegen politisch Andersdenkende, über das Ziel hinausgeschossen. Sie haben gegen die Rundfunkfreiheit verstoßen, Sie haben gegen die Eigentumsfreiheit und gegen die Freiheit der Parteien verstoßen. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, wenn das Bundesverfassungsgericht sagen muss: Auch in Hessen gelten die Grundrechte – auch für die CDU und für die FDP.
Ich habe mir den Vorgang noch einmal angeschaut.Es war im Jahr 2002, als zwischen der zweiten und der dritten Lesung des Änderungsgesetzes zum HPRG plötzlich ein Änderungsantrag auf den Tisch kam, mit dem den anderen Fraktionen innerhalb weniger Minuten diese Regelung präsentiert wurde, die das Bundesverfassungsgericht dann aufgehoben hat. Ich habe mir die Debatte in der dritten Lesung noch einmal angeschaut. Da hat der damalige Abgeordnete Volker Hoff eine, wie ich sagen möchte, pointierte Rede gehalten. Das Protokoll vermerkt mehrfach Zwischenrufe des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden, der ihn viermal einen „Schmierfink“ nannte, was der Präsident ursprünglich nicht gehört hat, was dann aber zu einem Ordnungsruf führte. In dieser Rede sagte der Abg.Tarek Al-Wazir:„Herr Hoff,die Rede wird Ihnen noch einmal leidtun.“ Ich glaube, heute ist es soweit. Wenn Herr Hoff feststellt, dass er mit Schaum vor dem Mund einen Gesetzentwurf verteidigt hat, der den Makel der Verfassungswidrigkeit getragen hat, wird ihm diese Rede sicherlich leidtun.
In der Sache geht es um die Frage, in welchem Umfang Parteien eine Beteiligung an Rundfunkunternehmen gestattet sein soll. Es ist völlig unstreitig – das stand auch in der ursprünglichen Fassung des HPRG –, dass eine Partei selbst keinen Rundfunk betreiben darf.Das entspricht der
Staatsferne des Rundfunks.Auch das Bundesverfassungsgericht hat das festgestellt.
Die Parteien sind zwar nicht unmittelbar mit dem Staat gleichzusetzen, aber sie befinden sich doch in einer gewissen Staatsnähe, weil sie zu einem Gutteil darauf ausgerichtet sind, staatliche Macht zu erringen. Insoweit ist das völlig in Ordnung und völlig unstreitig.
Auch dann, wenn eine Partei einen bestimmenden Einfluss auf ein Unternehmen hat, wäre das nach meiner Beurteilung und auch nach der des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig.
Aber Sie sind darüber hinausgegangen und haben das auf jede auch nur irgendwie geartete Beteiligung bezogen.Ich glaube, es ging damals um eine 2-prozentige Beteiligung an dem Radiosender FFH. Dass dies nicht ausreicht, um in die Eigentumsrechte einzugreifen, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Wir werden jetzt im Hauptausschuss, auch unter Hinzuziehung von Sachverständigen, sehr intensiv darüber reden müssen, ob das, was uns die SPD-Fraktion vorgelegt hat, der richtige Weg ist. Sie beziehen sich, nach dem Aktiengesetz, auf die Unternehmen, die von einer Partei beherrscht werden.
Ob das der richtige Maßstab ist oder ob es zwischen diesen zwei Positionen noch etwas gibt, darüber werden wir sicherlich sehr genau reden müssen. Aber dass wir zügig darangehen und nicht unbedingt warten, bis die Frist, die zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands in Hessen gesetzt ist, abgelaufen ist, halte ich für richtig und notwendig. Dieses Verfahren ist jetzt eingeleitet.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich auf der Besuchertribüne zunächst meine Eltern und meinen Bruder begrüßen
möchte, die mich heute an meinem Arbeitsplatz besuchen.
Ihr klatscht, doch wie das bei Eltern so ist, wollen auch meine schauen, mit welchen Leuten ihr Sohn Umgang hat.
Reißt euch daher ein bisschen zusammen, benehmt euch anständig, und macht einen guten Eindruck, damit ich später keinen Stress bekomme.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nun komme ich zu unserem Antrag. Rund 850.000 Menschen beziehen in Hessen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende – davon sind mehrere 10.000 Menschen auf Fördermaßnahmen angewiesen,wenn sie eine Chance auf die Eingliederung in das Erwerbsleben haben wollen. Das Ganze ist im Übrigen besser unter dem Begriff Hartz IV bekannt. Die Bundesregierung möchte nun künftig bei einer Unzahl von Fällen verhindern, dass diesen Menschen tatsächlich geholfen wird. Damit werden einer Unzahl, mehreren 10.000 Menschen, Lebenschancen vorenthalten.Aus Sicht meiner Fraktion hat der Landtag allen Anlass, sich mit dieser Frage zu beschäftigen.
Die Bundesregierung will z. B. die Möglichkeit, dass Arbeitsuchende den nachträglichen Erwerb eines Hauptschulabschlusses gefördert bekommen, künftig verhindern. Sie argumentiert unter anderem, Schulabschlüsse und Schulausbildung seien Angelegenheit der Länder und könnten deswegen nicht zulasten der Grundsicherung für Arbeitsuchende erbracht werden.Abgesehen davon, dass die meisten Menschen, die davon betroffen sind, aus dem Alter der Schulpflicht längst heraus sind, einmal abgesehen davon, dass selbstverständlich ein fehlender Schulabschluss eines der größten Vermittlungshemmnisse in Arbeit und Ausbildung ist: Wäre die Argumentation richtig, müsste das Land für eine Unzahl von Fällen einspringen und den Hauptschulabschluss nachholen lassen. Auch deshalb hat dieser Landtag allen Anlass, sich mit diesem Problem zu beschäftigen.
Ein weiterer Aspekt. Das Landesprogramm „Passgenau in Arbeit“, abgekürzt PiA, ist ebenfalls unmittelbar betroffen. Ich zitiere aus dem entsprechenden Erlass:
Im Rahmen von „PiA“ werden Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit gefördert, die sich aus den Aufgaben der Kreise und kreisfreien Städte nach dem zweiten und dem zwölften Buch des SGB ergeben.
Im Übrigen wird PiA kofinanziert aus dem Europäischen Sozialfonds.Wenn jetzt ein Baustein, nämlich die Leistungen nach SGB II, herausgenommen werden, bricht das ganze Kartenhaus in sich zusammen.Wir haben also allen Anlass, uns mit dieser Frage zu beschäftigen.
Worum geht es im Einzelnen? Es geht um die sogenannten weiteren Leistungen zur Eingliederung in das Erwerbsleben. Bekanntlich ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende, also Hartz IV, aus einer Zusammenlegung
der alten Sozialhilfe und der früheren Arbeitslosenhilfe entstanden. Beide Fürsorgeleistungen zusammenzulegen, war aus unserer Sicht richtig und wichtig. Nach dem Prinzip Fordern und Fördern wurde vielen Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern erstmals ein Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.
Aber man muss auch berücksichtigen: Die Kommunen hatten schon vorher als örtliche Träger der Sozialhilfe vielfach Hilfen entwickelt, die Sozialhilfebezieher bei der Eingliederung in das Erwerbsleben unterstützen sollten. Diese kommunalen Erfahrungen, der bunte Strauß an Angeboten, der sich je nach örtlichen Besonderheiten und Kreativität der Akteure entwickelt hatte, war der originäre Beitrag, den die Kommunen in die gemeinsame Grundsicherung für Arbeitsuchende einbringen konnten. Daraus entstand in der Gesetzgebung § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, also Sozialgesetzbuch zweites Buch, eine Generalklausel,die großen Spielraum für passgenaue Hilfen im Einzelfall eröffnen sollte. Nach dieser Regelung – ich zitiere – „können weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind“.Im Gesetz folgen einige Beispiele, die aber nicht abschließend sind.
Zu dieser Vorschrift vertritt die Bundesregierung seit November letzten Jahres eine außerordentlich restriktive Auffassung. Zu diesen weiteren Leistungen sollen nur noch ausnahmsweise irgendwelche Maßnahmen im Einzelfall gehören,aber nicht mehr Angebote an ganze Gruppen von Betroffenen. Das steht nach unserer Überzeugung im Widerspruch zu den Grundregeln des Gesetzes. Damit verhindert die Bundesregierung passgenaue Hilfen für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser. Die Einheit von Fördern und Fordern, ein Konsens bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wird einseitig von ihr aufgekündigt.
Ich darf Ihnen ein paar Beispiele erläutern, um Ihnen klarzumachen,worum es im Einzelfall geht.All die Dinge, die ich jetzt aufzählen werde, sind davon bedroht, künftig nicht mehr aus Mitteln des SGB II finanziert werden zu können. In Offenbach z. B., so haben wir erfahren, unterstützt ein sogenannter Jugendcoach junge Menschen, die eine Ausbildungsstelle angenommen haben, hierbei aber eine begleitende Betreuung benötigen, damit sie regelmäßig zur Ausbildungsstelle gehen, dass sie sich einfinden, usw.
Die Main-Arbeit,das Jobcenter in Offenbach,fördert z.B. 90 Plätze in einer Produktionsschule. Das sind Schulen, in denen die Produktion und die Ausbildung sozusagen Hand in Hand gehen, für diejenigen, die mehr in praktischer Arbeit leisten können als in theoretischem Unterricht in der normalen Schule, die dort aber auch einen Hauptschulabschluss machen können.
Das Gleiche gilt übrigens auch für den Lahn-Dill-Kreis. Die dortige Produktionsschule Neumühle in Breitscheid, die nach dem gleichen Prinzip arbeitet, ist akut bedroht. In beiden Fällen würde übrigens auch eine Kofinanzierung durch den Europäischen Sozialfonds wegfallen.
Die Main-Arbeit bietet weiter eine Berufsorientierung für ALG-II-Empfängerinnen mit integrierter Kinderbetreuung oder ein Programm „Neustart“ mit individuellen Beratungsgesprächen für alle Fragen der Selbstständigkeit an. All das könnte nicht mehr angeboten werden,
wenn die Anweisungen der Bundesregierung tatsächlich umgesetzt werden.Wir halten das für ein Unding.
Weiter. Darmstadt hat gute Erfahrungen mit Wechselprämien für Arbeitgeber gemacht, die geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in sozialversicherungspflichtige Arbeit umgewandelt haben. Das ist für die Betroffenen sicherlich ein wichtiger Schritt. Die Berufsausbildungsvorbereitung für besonders benachteiligte Jugendliche wird vom Land Hessen gefördert und von der Arge, also der Arbeitsgemeinschaft, in Darmstadt kofinanziert. Das Jobcenter ist auch am Bundesprogramm Kompetenzagenturen beteiligt, mit dem Jugendliche mit schlechten Startchancen an der Schwelle von der Schule in den Beruf unterstützt werden, ähnlich wie der Jugendcoach in Offenbach.
Dies ist alles ebenso gefährdet wie die Berufsorientierung für Migrantinnen und Migranten, die ein intensiveres Sprachtraining brauchen, als das in den Regelsprachkursen vorgesehen ist. Wir halten es für ein Unding, dass all diese sinnvollen Maßnahmen vor dem Aus stehen.
In Frankfurt – man konnte es neulich in der Presse lesen – stehen viele junge Menschen, die den Hauptschulabschluss nachmachen wollen, vor dem Nichts. Die Lehrerkooperative Frankfurt, die mit einer Erfolgsquote von rund 90 % Jugendlichen einen Hauptschulabschluss ermöglicht, teilweise im zweiten oder dritten Anlauf, wird ihre Arbeit einstellen oder zumindest stark reduzieren müssen. In Marburg-Biedenkopf werden z. B. schon – ich könnte schon sagen – von Alters her, also vor Einführung des SGB II, Ausbildungszuschüsse an Arbeitgeber gezahlt. Auch das steht auf der Kippe. Das ist umso unverständlicher, als die betriebliche Ausbildung, die dort gefördert wird, für die meisten sehr viel sinnvoller ist als die überbetriebliche, die ungefähr dreimal so teuer ist, von der Bundesagentur aber weiter finanziert werden soll. Es ist also völlig unverständlich, was hier passiert.
Die Auffassung der Bundesregierung führt letztlich dazu, dass vielen eingliederungsfähigen und eingliederungswilligen Menschen der Weg in den ersten Arbeitsmarkt versperrt bleibt. Ich sage es noch einmal: Diesen Menschen werden Lebenschancen verbaut. Das ist ungerecht, das ist wirtschaftlich unsinnig und verheerend für das soziale Gleichgewicht in diesem Land.
Nun begründet die Bundesregierung ihre Auffassung damit, dass die genannten Hilfen und viele andere – man könnte noch unzählige Dinge aufzählen – keine Rechtsgrundlage im Sozialgesetzbuch II hätten. Zunächst ist diese Auffassung höchst zweifelhaft. Ich darf an eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom November 2006 erinnern. Dort wurde festgestellt, dass die genannte Vorschrift – ich zitiere – „eine Generalklausel für ergänzende Eingliederungsleistungen aller Art enthält, für die die nicht abschließend in Satz 2 der Vorschrift aufgeführten Einzelleistungen die Rolle von Hauptbeispielen übernehmen.“
Da ist keine Rede davon, dass nur Einzelfallhilfen zulässig sein sollen.Das Gericht führt weiter aus,dass auch Hilfen zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit darunter fallen, und erklärt dann – ich zitiere –: „Die näheren Modalitäten, z. B. hinsichtlich der Art, Dauer und Höhe,
einer weiteren Eingliederungsleistung zur Fortsetzung selbstständiger Erwerbstätigkeit sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Diese steht grundsätzlich im Ermessen der Verwaltung.“
Es sollte also gerade ein weiter Ermessensspielraum für die Verwaltung eröffnet werden. Diese Ausführungen sprechen eher für eine weite Auslegung, die auch wir für richtig halten, in Übereinstimmung z. B. mit dem Deutschen Landkreistag oder auch mit dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge.
Aber selbst wenn die Rechtsauffassung der Bundesregierung zutreffend wäre, könnte man daraus auch die notwendige Folgerung ziehen, dass Maßnahmen, die wirtschaftlich sinnvoll und notwendig sind, dadurch weiterhin ermöglicht werden müssen, dass die Gesetzesgrundlage dafür angepasst wird. Die Bundesregierung will diese Maßnahmen aber alle schleifen, weil angeblich die Rechtsgrundlage fehlt. Die Bundesregierung der Großen Koalition ist wie in so vielen Fällen auch hierbei auf dem Holzweg. Wir wollen deshalb mit unserem Antrag erreichen, dass die geschäftsführende Landesregierung gegenüber der Bundesregierung und gegenüber dem Bundesrat für die Fortsetzung passgenauer Hilfen für Arbeitsuchende eintritt. Dem dient unser Antrag. Ich bitte um Zustimmung.
Ich frage die geschäftsführende Landesregierung:
Hat sie dafür gesorgt, dass zum Schuljahresbeginn 2008/2009 mehr Lehrerinnen und Lehrer für den gemeinsamen Unterricht zur Verfügung stehen, damit mehr behinderten Kindern ein gemeinsamer Unterricht mit nicht behinderten Kindern ermöglicht wird?
Herr Kultusminister, der Stadtelternbeirat Frankfurt am Main hat kürzlich moniert,der gemeinsame Unterricht sei rückläufig; insbesondere werde an der Römerstadtschule und der Heinrich-Seliger-Schule immer weniger Kindern der gemeinsame Unterricht ermöglicht. Teilen Sie diese Einschätzung der Eltern,dass trotz zunehmenden Bedarfs an gemeinsamem Unterricht die Möglichkeiten des gemeinsamen Unterrichts in Hessen mehr und mehr rückläufig sind?
Herr Minister, trifft es zu, dass in dem von Ihnen genannten Zeitraum die Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer an den Förderschulen ungleich stärker gestiegen ist als die der Lehrkräfte im gemeinsamen Unterricht, die – wie wir gerade gehört haben – rückläufig ist?
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Hessen beziehen fast 450.000 Menschen in 218.000 Haushalten Leistungen nach SGB II. Das sind vor allem das Arbeitslosengeld II sowie Eingliederungsleistungen in Arbeit, gut bekannt unter Hartz IV. Um diese Menschen geht es uns, wenn wir über die künftige Organisation der Hilfe diskutieren. Wir haben nicht über irgendwelche bürokratischen Vorlieben zu diskutieren, sondern darüber, wie wir diesen Menschen möglichst passgenaue Hilfen zur Verfügung stellen können.
Im SGB II wurden die alte Sozialhilfe und das alte Arbeitslosengeld in einem neuen einheitlichen Leistungssystem zusammengeführt. Jetzt sind die Arbeitsgemeinschaften, die diese neue Leistung vor allem verwaltungsmäßig abgebildet haben, vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Jetzt droht in der Tat – Frau Müller-Klepper hat es schon angesprochen – das sogenannte kooperative Jobcenter. Das ist jedenfalls der Vorschlag von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz.
Was würde das bedeuten? Kommunen und Arbeitsagenturen würden jeweils ihre Aufgaben selbst wahrnehmen, nach dem Motto: „§ 1, jeder macht seins“. Das geschieht zwar unter einem Dach,aber für die Betroffenen würde es bedeuten: Sie müssten erst einmal im Büro der Arbeitsagentur den Regelsatz nach Hartz IV beantragen. Sie müssten dann nach nebenan zum Büro des Sozialamtes der jeweiligen Kommune gehen, um die Wohnungskosten zu beantragen. Wenn sie Arbeitsvermittlung oder zusätzliche Leistungen haben wollen, müssen sie wieder zurück zur Agentur. Die sogenannten sonstigen weiteren Leistungen müssen sie wieder bei der Kommune beantragen. – Dieser Sozialslalom macht aus unserer Sicht überhaupt keinen Sinn,
auch dann nicht, wenn die sozialbürokratischen Slalomstangen unter einem Dach angesiedelt sind. Deswegen gibt es im Übrigen auch fast keinen Fachmann, der das Modell von Herrn Scholz gut findet.
Wir sind der Meinung, die Hilfe für die Betroffenen muss weiter aus einer Hand erbracht werden und nicht nur unter einem Dach. Deswegen ist eine einheitliche Zustän
digkeit für die einzelne Person für alle Leistungen nach dem SGB II für uns zwingende Voraussetzung für eine vernünftige Lösung. Wir wollen andererseits aber auch nicht den Bund aus seiner Verantwortung entlassen. Er muss weiterhin ein einheitliches, bundesweit geltendes Leistungssystem zur Verfügung stellen, und er muss sich vor allem auch entsprechend stark an den Kosten beteiligen.
Aber die Leistungen müssen nach unserer Überzeugung dezentral unter wesentlicher Verantwortung der Kommunen erbracht werden. Wir erleben gerade im Zusammenhang mit den sogenannten sonstigen weiteren Leistungen, welche fürchterlichen Folgen bürokratisch engstirnige Vorgaben des Bundesministeriums bzw. der Bundesagentur für die Betroffenen haben. In der letzten Woche konnte man es in der „Frankfurter Rundschau“ nachlesen. Künftig soll z. B. die Nachholung eines Hauptschulabschlusses für Personen, die noch keinen Hauptschulabschluss haben und ihn für die Verbesserung ihrer Chancen am Arbeitsmarkt brauchen, nicht mehr aus Mitteln des SGB II gefördert werden. So ist die zentrale Vorgabe. Das führt in Frankfurt dazu, dass viele junge Menschen, die den Hauptschulabschluss nachmachen wollen, ab dem 1. September vor dem Aus stehen und ihre Ausbildung abbrechen sollen. Das macht aus unserer Sicht keinen Sinn.
Die Lehrerkooperative, die bisher mit einer Erfolgsquote von über 90 % die jungen Menschen ausgebildet hat,steht praktisch vor dem Aus. Sie muss auf jeden Fall ihre Arbeit stark reduzieren. Das kann so nicht bleiben.
Das ist darauf zurückzuführen, dass es zentrale Vorgaben gibt, wo die Bundesagentur bzw. das Bundesministerium die Steuerungssysteme des SGB III, in dem der Kernbereich der Bundesagentur zur Arbeitsförderung geregelt ist, einfach überträgt auf das SGB II und dabei übersieht, dass es sich hier um Personen handelt, die gerade aus dem Leistungsbereich und Steuerungssystem des SGB III herausgekommen sind, weil es für sie nicht ausgereicht hat. Deswegen sind sie Langzeitarbeitslose. Sie brauchen intensivere Hilfe nach dem SGB II, und die kann insbesondere kommunal gesteuert, verwaltet und zur Verfügung gestellt werden.
Wir wollen also keine zentralistischen Vorgaben, sondern Entscheidungsmöglichkeiten vor Ort, wobei ich mich allerdings schon ein bisschen gewundert habe, Frau Müller-Klepper, über Ihre einseitige Lobhudelei für die Optionskommunen in der Presseerklärung von letzter Woche. Wir haben bisher von der Landesregierung immer noch keine verlässlichen statistischen Vergleiche der Erfolge der Optionskommunen einerseits und der Arbeitsgemeinschaften andererseits. Wir haben selbst einmal gerechnet und dabei festgestellt, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit von Dezember 2005 bis Dezember 2007 bundesweit bei 18,2 % lag. Bei den hessischen Arbeitsgemeinschaften in Ihrem Zuständigkeitsbereich lag er bei 16,9 % und bei den Optionskommunen nur bei 15,5 %.
Es ist also keine Rede davon, dass nachgewiesen ist, dass die Optionskommunen immer besser arbeiten. Es gibt wahrscheinlich sowohl bei den Optionskommunen als auch bei den Arbeitsgemeinschaften eher Gute und eher Schlechte.
Wir wollen den Kommunen Wahlmöglichkeiten eröffnen. Wir wollen vor allem auch ermöglichen, dass die Zusammenführung der kommunalen Kompetenz und der Kompetenz der Arbeitsagenturen in einem Jobcenter vor
Ort weiterhin möglich ist. Wenn dafür das Grundgesetz geändert werden muss, was nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wahrscheinlich ist, dann sollten wir dies im Interesse der Menschen auch tun. Passgenaue Hilfe zu leisten sollte unser Ziel sein.– Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben gegen Ende der letzten Wahlperiode mit den Stimmen aller Fraktionen im Hause einen Beschluss gefasst, mit dem die Konzepte für ein Haus des Jugendrechts als interessante Ansätze zur Bekämpfung der Jugendkriminalität begrüßt wurden. Zugleich wurde die Landesregierung aufgefordert, diese Ansätze weiterzuverfolgen und ein Konzept für deren Umsetzung in Hessen vorzulegen.
Herr Kollege Klein hat sicherlich vergessen, zu erwähnen, dass die CDU-Fraktion – oder überhaupt die CDU – zwischenzeitlich, vor allem im Wahlkampf, versucht hat, die Jugendkriminalität mit eher untauglichen Mitteln zu bekämpfen. Sie haben im Wahlkampf versucht, Ressentiments zu schüren. Darauf wollten Sie Ihren Wahlerfolg gründen. Das ist zum Glück richtig schiefgegangen. Es reicht allerdings sicherlich nicht aus, jetzt zu dem Modellprojekt Jugendrechtshäuser zurückzufinden, um in diesem Punkt wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen.
Das stellt man erst recht fest, wenn man sich das Verfahren anschaut, mit dem es hier weitergegangen ist. Mit Datum vom 7. April brachte die Landesregierung auf der Grundlage des damaligen Beschlusses einen Bericht auf den Weg. Praktisch zeitgleich mit diesem Bericht, nämlich mit dem Datum vom 15. April, erreichte die anderen Fraktionen der Antrag von CDU und FDP.
Daran ist zweierlei bemerkenswert. Erstens ist die Tatsache bemerkenswert, dass CDU und FDP trotz des einstimmigen Beschlusses, den wir schon in der letzten Wahlperiode hatten, überhaupt nicht den Versuch gemacht haben, möglicherweise zu einem fraktionsübergreifenden Antrag zu kommen. Eigenprofilierung vor Einmütigkeit ist – wie man sagen möchte – nicht nur ein Rückfall in den alten, sondern sogar ein Rückfall in den uralten Landtag.
Zweitens hat der Herr Justizminister entgegen seinen Ankündigungen zwei Fraktionen dieses Hauses mit Informationen versorgt, die er anderen Fraktionen vorenthalten hat. In Ihrem Antrag wird nämlich – ich zitiere – „die Ankündigung der Landesregierung, schon im Jahr 2008 in Frankfurt-Höchst das Modell des ,Hauses des Jugendrechts‘ zu erproben“, begrüßt.
Ich weiß nicht,welche Ankündigung der Landesregierung Sie damit meinen. In dem Bericht steht von FrankfurtHöchst nichts. Ich habe extra noch einmal nachgeschaut: Auch in den Presseerklärungen des Ministeriums steht nichts über den Standort Frankfurt-Höchst. Das heißt, Sie haben offenbar in geheimen Gesprächen mit dem Herrn Minister Informationen erhalten,die wir nicht hatten.Das
sollen wir jetzt plötzlich begrüßen. Das ist eine ziemliche Zumutung.
In Ihrem Antrag geht es noch weiter. Ich zitiere noch einmal: „Dort“ – in dem Haus des Jugendrechts – „sollen Jugendgerichtshilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft“ – jetzt kommt es – „unter Einbindung des Gerichts und einer speziellen Jugendbewährungshilfe unter einem Dach vereint werden.“
Aus dem Bericht des Herrn Justizministers ergibt sich keinerlei Einbindung eines Gerichts. Weder im Zusammenhang mit den bestehenden Einrichtungen in Baden-Württemberg, über die berichtet wurde, noch im Zusammenhang mit dem eigenen Konzept in Frankfurt-Höchst war davon die Rede. Es bleibt in Ihrem Antrag auch unklar, welches Gericht eigentlich gemeint ist: der Jugendstrafrichter, das Jugendschöffengericht, die Jugendstrafkammern oder alle gemeinsam?
Auch hier gilt: Entweder wissen Sie mehr als alle anderen Fraktionen in diesem Haus, weil Ihnen der Herr Justizminister die Einbindung der Gerichte angekündigt hat – uns aber nicht –, oder Sie haben eine kreative Weiterentwicklung versucht, mit der Sie allerdings, wie ich finde, völlig falschliegen.
Die Einbindung von Gerichten bei der Ermittlung von Straftaten, um die es im Jugendrechtshaus geht, wäre aus unserer Sicht eher kontraproduktiv, weil sich jeder Strafrichter, der sich über die Verfahrensordnung hinaus in ein Ermittlungsverfahren einbinden lässt, für jedes nachfolgende Strafverfahren befangen machen würde. Darüber sollte man noch einmal gründlich nachdenken.
Meine Damen und Herren, man kann eine im Kern gute Sache – auch wir glauben, dass dies ein sinnvoller Ansatz ist – gegen die Wand fahren, wenn sie schlecht oder überstürzt umgesetzt wird.Es hätte allen Anlass gegeben, über den Bericht des Justizministers, den wir haben, und über seine Vorstellungen zunächst einmal im Rechtsausschuss zu beraten.
Übrigens ist uns eine Evaluierung der Einrichtung in Ludwigshafen zwar angekündigt worden; sie liegt uns aber noch nicht vor.Auch daher hätte es allen Anlass gegeben, noch ein wenig zu warten. Die Evaluierung ist für das Frühjahr dieses Jahres angekündigt worden. Sie müsste also irgendwann in den nächsten Tagen kommen. Sie liegt uns noch nicht vor. Ich weiß nicht, ob die rechte Seite des Hauses auch an der Stelle mehr Informationen hat als wir. Das kann natürlich sein.
Inzwischen wissen wir vor allem auch – das konnten wir gestern der Presse entnehmen –, dass die Pläne des Justizministers auf Kritik stoßen. Die vorgesehene Einbindung der Jugendhilfe, ohne die ein Haus des Jugendrechts wahrscheinlich schwer zu realisieren wäre, wird von der zuständigen Frankfurter Dezernentin, Frau Birkenfeld, die übrigens der gleichen Partei wie der Justizminister angehört, erheblich kritisiert. In der Presse war von einem Schnellschuss die Rede, den man nicht mittragen wolle. Herr Minister Banzer, Sie hätten besser daran getan, Ihre Parteikollegin in Frankfurt rechtzeitig zu informieren, statt einzelne Fraktionen des Hauses zu einem Schnellschuss zu motivieren, der vielleicht eher kontraproduktiv ist.
Es geht in der Sache um eine wichtige Frage, nämlich ob die Vermischung der Zuständigkeiten von Strafverfolgung und Jugendhilfe, aber auch von Strafverfolgung und Bewährungshilfe sinnvoll ist oder zu Akzeptanzproblemen bei den Jugendlichen führt.
Ich denke, wir sollten uns im Ausschuss sehr sorgfältig darüber unterhalten,wie eine vernünftige Sache auch vernünftig gemacht werden kann, bevor durch eine übereilte und fehlerhafte Umsetzung mehr Schaden angerichtet wird, als dass Vorteile geschaffen werden.Wir sind jedenfalls zu einer produktiven Diskussion im Ausschuss bereit. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bewährtes beizubehalten und weiterzuentwickeln macht zweifellos Sinn, dafür einen Staatsvertrag zu schließen ebenfalls, wenn es um eine überschaubare Anzahl von Personen geht, die ausgebildet werden. Dass sich da mindestens 13 von 16 Ländern zusammenschließen und ein gemeinsames Ausbildungsverfahren regeln, ist durchaus vernünftig. Auch ein gemeinsames Prüfungsamt einzurichten ist vernünftig.
Dieses gemeinsame Prüfungsamt trägt dann die schöne Bezeichnung – ich zitiere –: „Gemeinsames Prüfungsamt der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für die Abnahme der Amtsanwaltsprüfung“. Das ist ein großer Name für ein kleines Prüfungsamt.
Ich habe mir überlegt: Ein Mitarbeiter dieses Prüfungsamts wird von jemandem gefragt: „Was machst du eigentlich?“ Der muss dann sagen: „Ich bin beim Gemeinsamen
Prüfungsamt der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für die Abnahme der Amtsanwaltsprüfung.“ Spätestens beim Saarland ist, glaube ich, der Gegenüber entweder eingeschlafen oder laut schreiend davongelaufen.
Aber es bestehen gute Chancen,dass dieses Wortungetüm noch ein bisschen ungetümer wird. Denn es gibt Regelungen darüber, dass auch andere Länder diesem Staatsvertrag beitreten können. Natürlich hat das dann auch Auswirkungen auf den Namen des gemeinsamen Prüfungsamts. Ich zitiere § 16 Abs. 3:
Im Falle des Beitritts eines Landes wird die Bezeichnung des gemeinsamen Prüfungsamtes um den Namen des beitretenden Landes ergänzt.
Also um ein Beispiel zu wählen: Der Freistaat Sachsen würde dieser Vereinbarung beitreten. Dann hieße das gemeinsame Prüfungsamt nicht mehr: „Gemeinsames Prüfungsamt der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für die Abnahme der Amtsanwaltsprüfung“, sondern es hieße dann: „Gemeinsames Prüfungsamt der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für die Abnahme der Amtsanwaltsprüfung“. Wenn sich das Land Thüringen noch entschließen würde, beizutreten,
können Sie sich vorstellen, wie der Name dann lauten würde.
Das wird für meine Fraktion kein Anlass sein, diesen Staatsvertrag abzulehnen, aber vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass man sich bei künftigen Gestaltungen vor solchen Wortungetümen hütet. Das passt ja nicht einmal auf ein Dienstsiegel und macht jeden Briefkopf so voll, dass nichts Gescheites mehr auf den Brief passt.
Wir werden den Gesetzentwurf im Ausschuss beraten und zügig, denke ich, zu einem Ergebnis führen. Dann wird es vielleicht auch künftig nicht mehr zu solchen Wortungetümen kommen. – Danke schön.
Herr Präsident,liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Auch in einem reichen Land wie Hessen existiert Armut. Nach Informationen des Hessischen Statistischen Landesamtes stehen rund 13 % der hessischen Bürgerinnen und Bürger am Rande der Armut oder sind bereits von ihr betroffen. Besonders stark davon betroffen sind Familien zu 26 % sowie Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, ebenfalls zu rund 26 %.
In den letzten Jahren ist der Anteil der Menschen mit einem Armutsrisiko ständig gestiegen. Insbesondere die für den Zusammenhalt des demokratischen Staates so wichtige Mittelschicht wird im Augenblick immer kleiner, und zwar hauptsächlich durch sozialen Abstieg und ganz selten durch sozialen Aufstieg. Dies ist die Erkenntnis der Armuts- und Reichtumsberichte, die inzwischen auf Bundesebene und in einigen Ländern bereits regelmäßig erstellt werden.
Unser Anliegen mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf ist, dass auch Hessen endlich einen Armuts- und Reichtumsbericht, eine Sozialberichterstattung bekommt.
Lang anhaltende Erwerbslosigkeit, Niedrigeinkommen, geringe Bildungschancen für einen Großteil der Bevölkerung, Kinderarmut, das erneute Steigen der Altersarmut, die Folgen des demografischen Wandels drohen insgesamt, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verfestigen.
Auch in Hessen droht die Schere sich verfestigender Armut auf der einen und wachsenden Reichtums auf der anderen Seite immer weiter auseinanderzugehen. Eine auf den Prinzipien der Solidarität,der Teilhabe und der Chancengleichheit beruhende Landespolitik, die meine Fraktion immer vertreten hat, steht deshalb in der Verantwortung, auf diese sich verändernden sozialen Bedingungen zu reagieren.
Man kann unterschiedliche Konzepte dafür haben, wie man hier reagiert und mit welchen Mitteln man Armut bekämpfen will. Aber es müsste eigentlich unstreitig sein, dass die Informationsgrundlage über Ursachen und über die Wirksamkeit der dagegen vorgehenden Methoden zunächst einmal geschaffen und durch eine Berichterstattung veröffentlicht werden muss.
Genau aus diesem Grund fordern die hessischen Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaften seit Jahren auch für Hessen eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung, wie es sie im Bund und in anderen Bundesländern längst gibt.
In der letzten Legislaturperiode hat meine Fraktion, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mehrere Anläufe unternommen, um den sozialpolitischen Blindflug der CDURegierung zu beenden und eine verlässlichen Armutsund Reichtumsberichterstattung zu installieren.
Dabei wollen wir keine bunten Broschüren und Allgemeinplätze, sondern eine konkrete Landessozialberichterstattung und -planung zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Wir sind der Überzeugung, der von uns geforderte Armuts- und Reichtumsbericht ist die Grundlage für eine nachhaltige Landessozialpolitik.
Armut entsteht durch das Fehlen finanzieller Mittel: bei zu geringem Einkommen oder zu geringen sozialen Transferleistungen – aber eben auch durch unzureichenden Zugang zur Bildung,zu Beratungen,zu Dienstleistungen und sonstigen Angeboten in kommunalen und anderen Bereichen wie bezahlbarem Wohnraum usw.
Deshalb darf sich auch eine wirksame Landessozialberichterstattung nicht auf die Darstellung finanzieller Aspekte – also Einkommen und soziale Transferleistungen – beschränken, sondern muss auch die sozialen Lebenslagen abbilden, beispielsweise die Bildung.
Deshalb ist es auch Gegenstand unseres Gesetzentwurfs, dass derartige Dinge wie Bildung, Erwerbsbeteiligung, Gesundheit, Wohnen, Migration und weitere soziale Lebenslagenaspekte der verschiedenen Bevölkerungsgruppen dargestellt und zur Diskussion gestellt werden.
Besondere Berücksichtigung in der Analyse und Darstellung sollen Kinder und Jugendliche finden. Die Kinderarmut nachhaltig zu bekämpfen, sehen wir als eine der ganz zentralen Herausforderungen in der Armutsbekämpfung insgesamt an.
Nach unserer Überzeugung greift der von der CDU vorgeschlagene Kinder- und Familienbericht zu kurz. Was ist dann mit der Altersarmut? Was ist mit den Folgen von Niedriglöhnen oder unzureichender sozialer Transferleistungen usw.? Das alles wäre dann nicht Gegenstand der Berichterstattung. Das finden wir unzureichend, und deswegen halten wir eine umfassende Armuts- und Reichtumsberichterstattung für sinnvoller.
Wir wollen aber auch keine Datenberge, die einmal pro Legislaturperiode in den Schubladen der Expertinnen und Experten verschwinden. Um tragfähige politische Entscheidungen herbeiführen zu können, ist eine qualitative Armuts- und Reichtumsberichterstattung in angemessenen Zeitabständen unabdingbar eine, die Auskunft über die sozialen Entwicklungen, über Veränderungen im gesellschaftlichen Zusammenleben, über geänderte Familienstrukturen, sich verändernde Erwerbsbiografien usw. gibt. Sie ist auch notwendig, um der Tabuisierung des Armutsproblems entgegenzutreten.
Qualitativ heißt aber eben auch, dass die regelmäßig erhobenen Daten zusammengefasst, über Zeitläufe verfolgt und interpretiert werden. Nach unserer Überzeugung reicht dafür ein zweijähriger Rhythmus aus.
Bedauerlicherweise hat sich die CDU-Landesregierung in der Vergangenheit beharrlich geweigert, eine Landes
sozialberichterstattung einzuführen – nicht zuletzt,um die Folgen der „Operation düstere Zukunft“ mit der Streichung von rund 30 Millionen c und die Beliebigkeit ihrer Sozialpolitik nicht offenkundig werden zu lassen.Wir wollen diesen sozialpolitischen Blindflug jetzt beenden.
Angesichts einer geschäftsführenden Landesregierung und der Verweigerungshaltung der CDU in der Vergangenheit sehen wir dies nur durch ein Gesetz gewährleistet, das wir heute einbringen.
Ehrlich gesagt, verstehe ich deswegen auch den Antrag der Linksfraktion nicht so ganz. Wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, verpflichtet diese die Landesregierung, eine solche Berichterstattung abzugeben. Dann ist es relativ wenig sinnvoll, in einem weiteren Antrag die Landesregierung dazu aufzufordern.
Wenn Sie inhaltlich erweiternde Vorschläge haben, dann wäre es sinnvoll, diese in einem Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf zum Ausdruck zu bringen. Das böte dann die Möglichkeit, sich im Gesetzgebungsverfahren vernünftig darüber zu unterhalten. Ich glaube, das wäre sinnvoller als Ihr gegenwärtig gestellter Antrag. Denken Sie noch einmal darüber nach.
Wir werden im Ausschuss über die Einzelheiten diskutieren, und ich bitte um breite Zustimmung. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben im letzten Jahr im Hessischen Landtag ein Gesetz zu einem umfassenden Nichtraucherschutz in öffentlichen Gebäuden und im Gastgewerbe verabschiedet. Dieser Nichtraucherschutz war damals nicht nur hier im Landtag, sondern auch draußen bei den Menschen sehr weitgehend akzeptiert und ist auf nahezu einhellige Zustimmung gestoßen.
Jetzt, kurze Zeit später, versucht die FDP zum wiederholten Male den Nichtraucherschutz in Gaststätten praktisch wieder aufzuheben. Denn nichts anderes wäre es, wenn wir Ihrem Gesetzentwurf folgen würden. Sie wollen in allen Einraumgaststätten den Nichtraucherschutz wieder aufheben, und das bedeutet: in der weit überwiegenden Anzahl aller Geschäfte.Wenn Sie sich hier in Wiesbaden
einmal im Innenstadtbereich bei den Gaststätten rund um den Landtag umschauen,dann werden Sie feststellen:Das sind, jedenfalls soweit ich sie kenne, in der weit überwiegenden Anzahl Einraumgaststätten, und zwar auch die Restaurants und Speisegaststätten, von denen Sie selbst gesagt haben, dass der Nichtraucherschutz dort allgemein akzeptiert ist und teilweise sogar zu Umsatzverbesserungen geführt hat. Also selbst in Ihrem eigenen Bestreben, die Eckkneipen zu schützen, schießen Sie noch über das Ziel hinaus und wollen den Nichtraucherschutz generell den wirtschaftlichen Interessen opfern. Das ist aus unserer Sicht nicht vernünftig.
Meine Fraktion hat sich im letzten Jahr die Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht. Sie haben darauf hingewiesen, dass in allen Fraktionen darum gerungen wurde. Eine große Mehrheit im Landtag hat sich schließlich zu einer
Lösung durchgerungen. Es gibt aus unserer Sicht bei den wesentlichen Gründen, die uns damals geleitet haben, derzeit überhaupt keine neuen Erkenntnisse, die uns zu einer Änderung unserer Position bewegen sollten.
Inzwischen habe ich allerdings Zweifel, mit welcher Ernsthaftigkeit dieses Anliegen eigentlich von der damals in der Mehrheit befindlichen CDU-Fraktion mitgetragen wurde.
Ohne neue Erkenntnisse in der Sache, lediglich veranlasst durch vorläufige Entscheidungen – ich betone: vorläufige Entscheidungen – der Gerichte, Entscheidungen, die auch in eine andere Richtung gingen – Herr Spies hat darauf hingewiesen, und ich komme darauf nachher zurück –, gerät plötzlich, das müssen wir erleben, die geschäftsführende Gesundheitsministerin politisch ins Schwanken und kündigt ihr totales Umfallen an. In allem Ernst, Frau Lautenschläger: Welche Ihrer Positionen soll man Ihnen künftig eigentlich noch abnehmen, wenn Sie in einer so zentralen Frage wie dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung plötzlich den gesundheitspolitischen Wendehals geben? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Die Fakten sind nach wie vor unverändert.Wir haben die Studie über die Schädlichkeit des Passivrauchens der Deutschen Krebsforschungsgesellschaft studiert. Wir haben die Auswirkungen des Passivrauchens in der Schwangerschaft, durch Studien belegt, zur Kenntnis genommen. Wir haben uns auf dieser Grundlage für einen konsequenten Nichtraucherschutz entschieden.
Aber die Frage ist: Hat die CDU-Fraktion sich eigentlich mit dieser Frage nicht beschäftigt, oder haben Sie neue Studien, die wir noch nicht kennen, die diese älteren Studien widerlegen? Gibt es irgendeinen nachvollziehbaren Grund, warum Sie, Frau Lautenschläger, als Gesundheitsministerin umfallen? Gibt es denn all diese Gefahren durch das Passivrauchen plötzlich nicht mehr? Oder, anders ausgedrückt: Haben Sie im letzten Jahr unzulässig dramatisiert, oder verharmlosen Sie heute die Gefahren? Beides wäre aus unserer Sicht unverantwortlich. Diese Fragen müssen Sie beantworten.
Wir haben uns auf der Grundlage der Anhörung auch sehr intensiv mit der Gesundheitsgefährdung von Beschäftigten im Gaststättengewerbe befasst. Da die Große Koalition in Berlin aus SPD und CDU nicht in der Lage war, einen umfassenden Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz zu gewährleisten, hat meine Fraktion und haben die meisten anderen hier im Hause einer landesrechtlichen Regelung zugestimmt.
Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen:Wenn das Krebsrisiko durch Passivrauchen im Gaststättengewerbe bis zu 50 % über dem Durchschnitt liegt, dann handelt es sich hier nicht um eine gesundheitspolitische Bagatelle.
Ich darf daran erinnern: Auf unsere Frage in der Anhörung im März 2007 an den Vertreter des DEHOGA, also des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, was er
denn vorschlage, um die Gefährdung der Mitarbeiter zu reduzieren, hat dieser geantwortet – ich zitiere –:
Hier gibt es wirklich Probleme. Das gebe ich offen und ehrlich zu. Ich werde an den Bundesverband den Hinweis weitergeben, inwieweit hier Lösungen für den Mitarbeiterschutz gefunden werden können.
Wir als Gesetzgeber mussten diese Lösung treffen. Wir haben sie getroffen, und wir können nicht freiwillige Leistungen außen vor lassen, vor allem in einem Bereich, der von prekären Jobs und hoher Arbeitsbelastung bei geringen Löhnen gekennzeichnet ist und in dem sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht zur Wehr setzen können.
Wir haben diesen Gesundheitsschutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als sehr hohes Gut gewertet und deshalb für das Gesetz gestimmt.
Aber, Frau Lautenschläger oder auch meine Damen und Herren von der FDP, was hat sich denn aus Ihrer Sicht seit dem letzten Jahr geändert? Haben Sie neue Erkenntnisse zum Mitarbeiterschutz? Ist es jetzt weniger gefährlich, in einer Rauchergaststätte zu arbeiten? Gibt es irgendeinen nachvollziehbaren Grund, warum Sie, Frau Lautenschläger, als geschäftsführende Gesundheitsministerin ins Schwanken geraten? Ich glaube, nicht.
Jetzt wird von der FDP gesagt: Die wirtschaftliche Entwicklung ist so, dass die gesetzliche Regelung unzumutbar ist. – Ich finde es schon einmal falsch und auch von der Gerichtsentscheidung nicht gedeckt, dass man den Gesundheitsschutz mit den wirtschaftlichen Entwicklungen abwägt und sagt: „Wenn wir es uns nicht leisten können, dann geben wir den Gesundheitsschutz auf.“ So kann es ja wohl nicht sein. Das hat im Übrigen auch das Gericht nicht gesagt, sondern es hat gesagt: Der Gesundheitsschutz ist ein berechtigtes Anliegen.Wir wollen nur nicht, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen unterschiedlichen Gaststätten kommt.
Sie hätten also durchaus mit einer gewissen Logik die Konsequenz ziehen können: Dann untersagen wir die Raucherräume in den anderen Gaststätten.
Das wäre eine logische Konsequenz gewesen. Ob diese richtig ist, lasse ich einmal dahingestellt. Aber die Konsequenz, die Sie ziehen, in allen Einraumgaststätten, auch da, wo das Rauchverbot akzeptiert ist, das Rauchen wieder zuzulassen, macht aus unserer Sicht keinen Sinn.
Wir haben uns bei den Beratungen des Gesetzes durchaus auch mit Umsatzrückgängen in den Ländern beschäftigt,die das Rauchverbot in Gaststätten bereits seit Jahren eingeführt haben. Das ist keine neue Erfahrung. Dort war durchaus zu beobachten – ich betone das hier noch einmal –, dass in der Tat kurz nach Einführung des Rauchverbots die Umsätze zurückgingen. Allerdings war auch zu beobachten, dass sie später wieder anstiegen und heute in der Regel über den Umsätzen vor dem Rauchverbot liegen.
Wir haben uns mit dem Umsatzrückgang in der deutschen Gastronomie befasst. Er besteht schon seit vielen Jahren, als das Rauchen in den Gaststätten noch erlaubt war. Er ist also völlig unabhängig vom Rauchverbot.
All dies haben wir bei unserer damaligen Entscheidung berücksichtigt. Haben Sie in der CDU- oder in der FDPFraktion das eigentlich nicht diskutiert? Oder hat sich daran jetzt irgendetwas geändert? Bisher haben Sie überhaupt nichts dazu vortragen können, wonach wir unsere Entscheidung von damals – die alle jetzt erkennbaren Umstände berücksichtigt hat – revidieren müssten.
Inzwischen haben wir auch die ersten Konjunkturstatistiken der Statistischen Landesämter, die die Umsatzentwicklung zu Beginn des Jahres 2008 differenziert nachvollziehbar machen.Ein Ergebnis daraus ist,dass die Gastronomieumsätze in den einzelnen Bundesländern auf verschiedenen Niveaus verlaufen. Sie folgen regionalen Schwankungen – welche Überraschung –, liegen jedoch weitgehend im Trend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Insgesamt liegen die Umsätze im Jahr 2007 niedriger als im Rekordjahr 2006 mit der Fußballweltmeisterschaft. Das ist aber doch naheliegend – dass es da vor allem in der Gastronomie Einschränkungen gegeben hat. Das hat aber mit dem Rauchverbot zunächst gar nichts zu tun.
Die Getränkegastronomie hat größere Einbußen zu verzeichnen als die Speisegastronomie. Das stimmt. Aber beispielsweise in Baden-Württemberg, wo das Rauchverbot bereits seit dem 1.August gilt,also schon länger als bei uns, zeigt sich bereits ein deutlicher positiver Trend der Umkehr gerade auch der Umsätze in der Getränkegastronomie. Damit scheint sich auch in Deutschland das zu bestätigen, was wir schon aus anderen Ländern wussten: Es dauert seine Zeit, aber es kommt, dass sich die Konsumgewohnheiten von Rauchern und Nichtrauchern, aber auch der Angebote von Wirtinnen und Wirten an die Lage anpassen. Das wird sich nach einiger Zeit durchaus wieder einregulieren.
Wir konnten vor zwei Tagen in der „Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen“ lesen, dass zwei Wirte von erheblichen Umsatzeinbußen sprachen und zwei Wirte sich sehr zufrieden mit dem Nichtraucherschutz äußerten. Einer aus einer Einraumkneipe sagte: Die Luft war unerträglich, es ist wesentlich besser geworden, und jetzt kommen mehr Leute zu uns als vorher. – Auch solche Beispiele gibt es ohne Weiteres.
Völlig abstrus ist das Argument, hessische Gastwirte würden benachteiligt – das hat die Frau Ministerin in einem Interview gesagt –, weil das Rauchen in anderen Bundesländern erlaubt sei. Einmal abgesehen davon, dass vermutlich niemand aus Wiesbaden extra nach Hannover oder nach München fliegen wird, um abends sein Bier zu trinken,
muss doch festgehalten werden, dass insbesondere der Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz bisher das Rauchverbot lediglich in einem Eilverfahren ausgesetzt hat. Es wurde also nur eine vorläufige Entscheidung getroffen. Dennoch wollen Sie daraufhin schon eine endgültige Regelung treffen. Das ist aus unserer Sicht nicht verständlich.