Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Das eben von mir genannte Volksbegehren ist an dieser Hürde gescheitert. Es haben bei dieser Form der Zustimmung weniger mitgewirkt als bei dem ursprünglichen Antrag,obwohl die damalige Initiative von einer Volkspartei, nämlich der CDU, getragen war. Man sieht, es ist sogar für Volksparteien außerordentlich schwer, diese Hürde zu nehmen.

Deswegen schlagen wir an dieser Stelle gleich verschiedene Maßnahmen vor. Wir wollen, dass das Quorum für ein Volksbegehren nicht mehr 20 % der Stimmberechtigten beträgt,wie es bisher in der Verfassung vorgesehen ist. Vielmehr wollen wir es auf 10 % halbieren.Auch damit lägen wir im Vergleich der Bundesländer immer noch im Mittelfeld, eher sogar im oberen Mittelfeld. Wir würden damit aber nach unserer Einschätzung die Chancen, dass ein Volksbegehren tatsächlich einmal zustande kommt, deutlich erhöhen. Notwendig, aber dann auch ausreichend, wäre dann immer noch, dass rund 437.000 Stimmberechtigte, entsprechend der heutigen Zahl der Wahlberechtigten, das Anliegen unterstützen.

Gleichzeitig wollen wir den Zeitraum verlängern, innerhalb dessen die notwendigen 437.000 Unterschriften gesammelt werden müssen. Wir schlagen vor, diesen Zeitraum von zwei Wochen auf mindestens drei Monate zu verlängern.Auch das ist eine Regelung, die sich im Mittelfeld der Regelungen der Bundesländer befindet. Wir haben im Augenblick die Situation, dass in Hessen innerhalb der kürzesten Frist die meisten Unterschriften gesammelt werden müssen. Das ist auf jeden Fall etwas, was wir ändern wollen.

Drittens wollen wir eine Regelung übernehmen, die es in anderen Bundesländern ebenfalls schon gibt. Die Unterschriftenlisten, auf denen die Unterschriften der 20 % Unterstützer – nach unserer Auffassung 10 % – gesammelt werden, sollen nicht nur bei den Kommunalbehörden ausliegen, sondern es soll auch an anderen Orten für Unterstützung geworben werden können.

Viertens wollen wir die Initiatoren eines Volksbegehrens auch von bürokratischem Aufwand entlasten. Wir wollen nämlich,dass es der Landeswahlleiter übernimmt,die entsprechenden Unterschriftenlisten zu vervielfältigen und den Kommunalbehörden und sonstigen Stellen zur Verfügung zu stellen.

Alle diese Verfahrensregelungen – mit Ausnahme der Absenkung des Quorums von 20 auf 10 % – sind übrigens nicht in der Verfassung geregelt, sondern im Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid. Es bedarf deswegen auch nur eines einfachen, nicht die Verfassung ändernden Gesetzes, das wir zeitgleich mit den Verfassungsänderungen einbringen, die wir zur Annahme vorschlagen, um dies in die Realität umzusetzen.

Bildlich gesprochen, könnte man sagen: Wir wollen die Hürden absenken und den Ablauf verlängern, um diese Hürden zu überwinden. – Wir verstehen dies als Angebot an alle Hessinnen und Hessen: Mischt euch ein, gestaltet unser Bundesland aktiv mit, macht Gebrauch von der Möglichkeit des Volksbegehrens.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Immerhin heißt es in Art. 70 der Hessischen Verfassung – ich zitiere –:

Die Staatsgewalt liegt unveräußerlich beim Volke.

In Art. 71 heißt es dann:

Das Volk handelt nach den Bestimmungen dieser Verfassung unmittelbar durch Volksabstimmung (Volkswahl, Volksbegehren und Volksentscheid) , mittelbar durch die Beschlüsse der verfassungsmäßig bestellten Organe.

Das heißt, in der Reihenfolge weist die Hessische Verfassung der unmittelbaren Mitwirkung des Volkes sogar den ersten Rang zu vor der mittelbaren Mitwirkung, die z. B. wir im Landtag zu leisten haben.

Die Achtung vor unserer Verfassung, der Respekt vor dem Souverän und das Vertrauen in deren Entscheidungen verlangen von uns geradezu, dass wir die von uns vorgeschlagenen Schritte jetzt in die Tat umsetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir wollen aber nicht nur die Volksgesetzgebung erleichtern. Das ist das eine. Wir wollen auch weitere Möglichkeiten der Mitwirkung in der Verfassung verankern.

Die eine Möglichkeit ist auch in dem weiteren Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Verfassung verankert, nämlich dass auch die Verfassung selbst im Wege der Volksgesetzgebung geändert werden kann. Um ein Beispiel zu nennen: Es wäre denkbar, dass es Leute gibt, die meinen, dass Abgeordnete nicht erst im Alter von 21 Jahren in den Landtag einziehen können sollen, sondern möglicherweise, wie im Bundestag, bereits mit 18 Jahren, und eine Initiative aus der Mitte des Volkes auf den Weg bringen, um genau dies zu erreichen.

Das ist ein einfaches Beispiel, wie man das möglicherweise machen könnte. Nach der vorherrschenden Verfassungsinterpretation ist das bisher aber ausgeschlossen. Bisher kommt eine Verfassungsänderung nur dadurch zustande, dass der Landtag mit Mehrheit ein verfassungsänderndes Gesetz beschließt und in der nachfolgenden Volksabstimmung dem zugestimmt wird.

Herr Kollege Dr. Jürgens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hahn?

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja, gern!)

Bitte, Herr Kollege Hahn.

Herr Kollege Dr.Jürgens,ist Ihnen bekannt,dass der Hessische Landtag in den Neunzigerjahren zwar mit großer Mehrheit die Absenkung des Wahlalters beschlossen hat, die anschließende Abstimmung des Volkes aber zur Folge hatte, dass es weiterhin bei dem Wahlalter von 21 Jahren blieb?

Herr Hahn, das ist mir bekannt. Das ändert aber nichts an der Möglichkeit, dass es Leute aus dem Volk geben kann, die das machen wollen. Natürlich ist es auch möglich, dass Leute sagen, man könnte das aktive Wahlalter wieder von 18 auf 21 Jahre heraufsetzen. Das wäre ein anderes Beispiel – was ich weniger gut finden würde, aber hinnehmen müsste, wenn aus der Mitte des Volkes Initiativen zur Verfassungsänderung ergriffen werden können.

Wir wollen jedenfalls die Möglichkeit eröffnen, im Wege des Volksbegehrens auch ein verfassungsänderndes Gesetz auf den Weg zu bringen.Wenn nach der Verfassungsänderung 10 % – wie wir meinen – ein solches Anliegen unterstützen, geht das wie bisher zum Landtag. Wenn dann, so unser Vorschlag, der Landtag dem mit einer Zweidrittelmehrheit, also einer sehr qualifizierten Mehrheit, zustimmt, wäre die Verfassung geändert.

Stimmt er nur, wie bei einer Verfassungsänderung aus der Mitte des Landtags, mit der absoluten Mehrheit, also mindestens 56 seiner Mitglieder, zu, kommt es danach, wie bei der anderen Verfassungsänderung auch, zu einer Volksabstimmung ohne entsprechendes Quorum. Lehnt er aber die Verfassungsänderung ab, die auf Volksinitiative eingeführt werden soll, dann, so schlagen wir vor, bedarf die nachfolgende Volksabstimmung eines Beteiligungsquorums, das wir im Übrigen für besser halten als ein Zustimmungsquorum. Das wäre die andere Alternative. Aber darüber können wir sicherlich reden.

Als Letztes wollen wir bei der Änderung der Verfassung eine sogenannte Volksinitiative einführen. Das ist ebenfalls etwas, was es in anderen Bundesländern gibt. Das ist nichts Neues.

Das Problem besteht darin, dass in der gegenwärtigen Situation einem Volksbegehren immer ein Gesetzentwurf zugrunde liegen muss. Es gibt aber vielleicht auch Anliegen, die nicht unmittelbar in ein Gesetzesvorhaben münden. Auch das kann nach unserer Vorstellung das Volk dem Landtag unterbreiten.

Wir wollen also insgesamt die in der Verfassung vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten verwirklichen. Wir bemühen uns darum, dass wir im Land und natürlich im Landtag auf möglichst breite Zustimmung stoßen. Wir glauben, es ist höchste Zeit, dass wir endlich die Versprechen einlösen, die die Hessische Verfassung schon seit Langem vorhält.

Ich habe im Juli eine Pressekonferenz abgehalten und bereits dort unsere Initiative angekündigt. Herr Wintermeyer von der CDU-Fraktion wurde damals mit dem Anliegen zitiert: „Änderungen der Verfassung sollten nur im Konsens aller Fraktionen durchgeführt werden.“

Daran ist richtig: Je breiter die Zustimmung und die Mitwirkung im Landtag sind, desto besser ist es. Das ist gar keine Frage.Wir wollen auch dafür werben, dass wir möglichst viel Zustimmung bekommen.

Aber die Behauptung, dass in der Vergangenheit Verfassungsänderungen nur im Konsens stattgefunden hätten, ist tatsächlich falsch. Die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre ist ohne Zustimmung der GRÜNEN erfolgt. Jede Fraktion des Hessischen Landtags, mit Ausnahme der jüngsten, die noch keinen einzigen verfassungsändernden Gesetzentwurf eingebracht hat, hat in den letzten 16 Wahlperioden verfassungsändernde Entwürfe in den Landtag eingebracht, ohne vorher sicher zu sein, dass sie eine Mehrheit finden würden.

Ich denke also, wir sollten daran arbeiten, dass wir hier zu einer entsprechenden Einigung kommen. Ich kündige an, dass wir von unserer Fraktion aus sehr kompromissbereit und sehr diskussionsbereit sind. Das betrifft alle Einzelheiten, die wir vorschlagen. Wir bringen die Gesetzentwürfe deswegen sehr frühzeitig ein.

Nach unserer Vorstellung könnte eine Volksabstimmung, die wir für die Verfassungsänderung brauchen, z. B. parallel zur Europawahl Anfang Juni nächsten Jahres stattfinden. Das würde bedeuten, dass die Gesetzesbeschlüsse 60 bis 120 Tage vorher, also in dem Zeitraum von Februar bis spätestens Anfang Mai nächsten Jahres, gefasst werden müssten. Wir haben also aus unserer Sicht ausreichend Zeit, eine fundierte Anhörung im Hauptausschuss zu veranstalten, fundierte Beratungen durchzuführen und dann hoffentlich gemeinsam zu wegweisenden Beschlüssen zu finden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank,Herr Kollege Dr.Jürgens.– Als Nächster hat sich Herr Kollege Gotthardt für die CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

(Das Rednerpult wird längere Zeit hochgefahren.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die erste Minute ist herum. – Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ehrlich gesagt:Wenn die GRÜNEN heute einen Gesetzentwurf eingebracht hätten, der zum Inhalt hat, dass man einen Ministerpräsidenten mit vielleicht 51 % wählen kann oder dass es die Möglichkeit einer Volksinitiative zur Initiierung von Neuwahlen geben soll, hätte ich auch das geglaubt. Aber ich gestehe ganz freimütig, dass ich etwas überrascht darüber war, dass Sie zum jetzigen Zeitpunkt vier Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung eingebracht haben.

Sie haben eben sehr deutlich gesagt, Sie wollten, dass das nächstes Jahr mit der Europawahl – –

(Ein Geräusch ist zu vernehmen.)

Herr Minister, wenn du mich treffen willst, musst du es ein bisschen weiter hier herüberwerfen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der Minister sitzt noch!)

Sie wollen, dass darüber am Tag der Europawahl abgestimmt wird. Vielleicht haben wir dann auch eine Landtagswahl. Dann gäbe es einen etwas anderen Bezug.

Ich will schon sagen, dass ich etwas erstaunt war, dass Sie das zum jetzigen Zeitpunkt eingebracht haben. Denn die Enquetekommission zur Änderung der Hessischen Verfassung hatte wirklich zahlreiche Änderungsvorschläge vorgesehen. Zwischen den Fraktionen bestand weitestgehend ein Konsens darüber, wie so etwas aussehen könnte.

Letztes Jahr gab es eine Initiative der FDP-Fraktion mit dem Ziel, an der einen oder anderen Stelle etwas zu verändern. An und für sich waren wir hier im Parlament immer der Auffassung, dass wir die Verfassungsänderungen in einem größeren Paket und in einem breiten Konsens vornehmen wollen. Deswegen bin ich über das Vorpreschen der GRÜNEN etwas erstaunt. Denn es stellt sich natürlich schon die Frage, warum Sie nur diesen Teil des Pakets, das wir damals miteinander verabredet hatten, jetzt in die Debatte einbringen. Es stellt sich natürlich schon die Frage, warum Sie die Punkte, die wir damals schon weitestgehend verabredet hatten, nicht in der Form einbringen, wie wir es damals verabredet hatten, sondern das mit einigen grünen Sonderlösungen tun. Das will ich in der Debatte gleich noch einmal verdeutlichen.

Insofern entsteht schon ein bisschen der Eindruck, dass Sie im Moment die Verfassung gar nicht reformieren wollen. Denn Sie wissen, dass das nur im Konsens geht. Vielmehr wollen Sie sich als GRÜNE mit diesem Thema profilieren. Damit gehen Sie hinter das zurück, was vor drei Jahren schon einmal verabredet war.

Ich will eines ganz deutlich sagen. Ich glaube, es ist wichtig, dass das hier noch einmal betont wird.Wenn wir in einer repräsentativen Demokratie die Elemente der direkten Demokratie ein Stück weit stärken, dann, finde ich, ist das durchaus sehr vernünftig. Ich glaube aber, dass es dazu hier in diesem Haus einen breiten Konsens geben muss. Es reicht nicht, wenn sich dafür nur eine einfache Mehrheit findet.

Lassen Sie mich auf die Inhalte zu sprechen kommen. Ich komme jetzt auf die Verfassungsänderungen zu sprechen. Da möchte ich z. B. einen Vorschlag ansprechen, den ich nicht sehr gelungen finde. Herr Dr. Jürgens, das will ich in Ihre Richtung sagen.

Sie sehen Folgendes vor. Wenn eine Initiative vom Volk ausgeht und im Landtag nur die einfache Mehrheit findet – also keine Zweidrittelmehrheit, sondern eine einfache Mehrheit –, dann soll es Ihrer Ansicht nach in der sich anschließenden Volksabstimmung keines Quorums mehr bedürfen. Ich glaube, dass es klüger ist, die Volksabstimmung immer einheitlich durchzuführen. So war das in der Verfassungsenquetekommission auch abgesprochen worden. Wir sollten immer sagen: Es muss bei einer Verfassungsänderung ein Mindestquorum von 25 % der Zustimmung aller Wahlberechtigten geben. Ich glaube, wir sollten die Messlatte nicht tiefer hängen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will einen weiteren Punkt anfügen. Das können wir in den Ausschusssitzungen gerne diskutieren.

Sie wollen festlegen, dass sich bei der Befassung im Parlament nur eine Mehrheit mit der Anzahl der Mitglieder des Landtags finden muss. Ich glaube, wir täten gut daran, die Formulierung zu nehmen, die jetzt schon in der Verfassung steht. Demzufolge muss es die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder sein. Das sollten wir so festschreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mit weniger als 56 Stimmen zu einer Verfassungsänderung kommen sollte, falls nicht alle 110 Abgeordneten anwesend