Protokoll der Sitzung vom 23.09.2008

Herr Kollege Greilich, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Ich komme zum letzten Satz. – Lernen Sie daraus, oder, um es in Anlehnung an einen ehemals wichtigen SPD-Politiker zu sagen, der sich mit der hessischen Variante der Ich-AG befasste: Versuchen Sie nicht zum zweiten Mal mit dem gleichen Kopf gegen die Wand zu rennen. Das tut auf die Dauer verdammt weh.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Greilich. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Schaus für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unsere Fraktion ist sehr froh, dass wir in dieser Frage weitergekommen sind und nach entsprechender Anhörung und Diskussion im Innenausschuss nun dazu übergehen, tatsächlich eine Härtefallkommission zu schaffen,die im Wesentlichen aus Expertinnen und Experten von Verbänden und Organisationen besteht, die sich mit dieser Materie am besten auskennen, die damit vertraut sind. Insofern vertrauen wir auf deren Urteils- und Entscheidungskraft.

Wir hatten zu Beginn dieser Debatte auch hier im Plenum gefordert, dass auch Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen der Härtefallkommission angehören sollen, um der Entscheidung oder dem Vorschlag an den Innenminister mehr Gewicht zu geben.

Wir haben in der Anhörung sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Verbände in dieser Sache eine andere Position vertreten und durchaus die Frage problematisiert haben, inwieweit Mitglieder des Petitionsausschusses,die im Ausschuss logischerweise mit den gleichen Fällen befasst sind, an der Härtefallkommission beteiligt werden sollen. Das hat in unserer Fraktion nach Diskussion dazu geführt, dass wir diesem sehr starken Votum der Expertinnen und Experten aus der Anhörung gefolgt sind und davon Abstand genommen haben, diese Forderung aufrechtzuerhalten.

Ich denke, dass die vorgeschlagene Zusammensetzung der Härtefallkommission – zehn Vertreterinnen und Vertretern der Verbände,neu hinzugekommen sind nach dem Vorschlag des Innenausschusses Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände, des Innen- und des Sozialministeriums sowie der zentralen Ausländerbehörden –, insgesamt gesehen, die richtige Besetzung ist, auch hinsichtlich der Zahl und damit der Arbeitsfähigkeit der Härtefallkommission. Sie wird künftig aus 17 stimmberechtigten Mit

gliedern bestehen. Nach dem anderen Vorschlag hätte sie aus 22 Mitgliedern bestanden, eine Größenordnung, die diese Kommission etwas überdimensioniert hätte.

Was den Änderungsantrag der CDU-Fraktion angeht, wollen wir ganz bewusst die bisherigen Ausschlusstatbestände nicht in das neue Gesetz übernehmen

(Wolfgang Greilich (FDP): Das wundert mich nicht!)

dass Sie das nicht wundert, wundert mich nicht, insofern sind wir uns an der Stelle einig –, weil wir sehr wohl der Meinung sind, dass die Urteilsfähigkeit der Expertinnen und Experten in der Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles zu einer Entscheidung führen wird, die die Dinge insgesamt bewertet und zum richtigen Ergebnis kommt. Es ist nicht notwendig, Ausschlusstatbestände im Gesetz festzulegen. Wir trauen den Mitgliedern der Härtefallkommission genug Urteilskraft zu. Deshalb lehnen wir diesen Änderungsvorschlag ab.

Was die Frage der Mehrheitsentscheidung angeht, sollten wir durchaus darüber diskutieren, ob ein Votum der Härtefallkommission, dass nur mit wenigen Stimmen gefasst wurde, das Gewicht hat, dem Innenministerium einen Vorschlag zu machen. Deshalb halten wir es für durchaus diskussionswürdig, im Ausschuss noch einmal darüber nachzudenken, wie man zu tragfähigen Mehrheitsentscheidungen kommt.

Was die Belastung der Kommunen angeht, sind wir auf der Seite der Antragsteller, von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Denn auch wenn es, insgesamt gesehen, nicht sehr viele Fälle sind, die von der Härtefallkommission bisher positiv entschieden wurden – wir hoffen, dass es in der neuen Kommission einige mehr werden –, denken auch wir, dass die Belastungen, die durch solche Entscheidungen möglicherweise auf die Kommunen zukommen, finanziell ausgeglichen werden müssen. Das muss aber erst festgestellt werden, das muss erst errechnet werden. Dann ist nach dem Konnexitätsprinzip aber selbstverständlich das Land gefordert, die Kosten zu übernehmen, wenn eine Entscheidung getroffen wurde, die die Kommunen finanziell belastet.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schaus.

Ich darf auf der Besuchertribüne den ehemaligen Kollegen Michael Denzin begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Für die Landesregierung darf ich nun Herrn Innenminister Bouffier das Wort erteilen.

Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Im Interesse der gemeinsamen weiteren Planung will ich nur einige wenige Bemerkungen machen.

Erstens. Ich verweise auf meine Ausführungen in der ersten Lesung.

Zweitens. Ich will mich den Ausführungen der Kollegen Bellino und Greilich ausdrücklich anschließen.

Drittens. Einige wenige weitere Bemerkungen. Ich habe gleich zu Beginn der Legislaturperiode in diesem Hause vorgetragen: Ich bin offen für eine Erweiterung dieser Kommission über den Kreis der Abgeordneten hinaus. Das hätte durch Verordnung geschehen können. Das wollten die GRÜNEN nicht. Das Gesetz hätte Symbolcharakter.Inhaltlich gesehen,ist es im Grunde genommen nichts Neues. Im Gegenteil, die Dinge werden nach meiner Überzeugung verschlechtert. Natürlich haben Sie aber das Recht, ein Gesetz zu beschließen.

Nur: Ich will ausdrücklich festhalten, dass ich es für einen Fehler halte, dass Abgeordnete in der Kommission nicht mehr mitwirken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich halte es für grob daneben, dass diese Kommission de facto entscheiden soll, wobei niemand in dieser Kommission etwas verantwortet. Die Kommissionsmitglieder tragen keinerlei Verantwortung. Das unterscheidet sie von Abgeordneten, die im Rahmen ihres Mandats Verantwortung zu tragen haben. Die, die sich in dieser neuen Kommission finden, sind von ihrer jeweiligen Organisation – oder von wem auch immer – entsandt.Das ist zwar in Ordnung,aber diese Leute tragen niemandem gegenüber Verantwortung, sie sind niemandem rechenschaftspflichtig. Sie sind reine Interessenvertreter. Das kann man zwar wollen, aber ich halte es für falsch.

(Beifall bei der FDP)

Nicht nur für falsch, sondern schlicht für indiskutabel halte ich den Verzicht auf jegliche Ausschlussgründe. Meine Damen und Herren, das muss ein bisschen zurechtgerückt werden. Es ist nicht wahr, was Sie hier vortragen, es ist nicht der wirkliche Grund. Sie sagen: Bei Straftätern wollen wir genau hingucken. – In Wirklichkeit wollen Sie im Gesetz freie Hand haben und begründen das damit, dass dem Einzelfall Rechnung getragen werden soll. Da frage ich Sie:Was haben wir in den vergangenen Jahren eigentlich gemacht? – Natürlich haben wir dem jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen. Ich glaube aber, dass Sie hier zu weit gehen, denn es geht ausschließlich um Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben – und zwar nicht deshalb, weil irgendeine Stelle der Verwaltung das festgestellt hat, sondern deshalb, weil das Gerichte letztlich und endgültig festgestellt haben. Das kann man für gut oder schlecht halten, aber das ist der Sachverhalt.

Eine Härtefallentscheidung ist vom Begriff her eine Ausnahmeentscheidung. Sie tendieren in Ihren Debattenbeiträgen zu der Aussage, dass das die Regelentscheidung sein soll. Jemand, dem die höchsten Gerichte bestätigt haben, dass er in Deutschland kein Aufenthaltsrecht hat, kann sich in einer extremen Situation als Härtefall darstellen. Deshalb habe ich in meiner Amtszeit 65-mal dem Ersuchen der Härtefallkommission zugestimmt, und dort, wo ich nicht überzeugt war, habe ich das Ersuchen zurückgewiesen. Wir sind aber immer von Folgendem ausgegangen: Es handelt sich um Ausnahmefälle, und Ausnahmefälle müssen in der Gesamtabwägung vertretbar sein. – Ich kann nicht verstehen, insbesondere bei den Sozialdemokraten nicht, dass es jemanden gibt, der allen Ernstes die These vertritt, dass auch derjenige, der erheblich straffällig geworden ist, überhaupt in eine Härtefalldiskussion hineinkommt. Meine Damen und Herren, wir sind in diesem Lande davon abhängig, dass die Bevölkerung auch Ausnahmeentscheidungen akzeptiert, und hier handelt es sich eindeutig um Ausnahmeentscheidungen.

(Günter Rudolph (SPD): Das, was Sie sagen, ist falsch!)

Was ist daran falsch? – Ich wollte es ja gar nicht so ausführlich machen, aber wenn es der Kollege Rudolph wünscht, sage ich es gerne noch einmal, damit man es mitschreiben kann.Es bestand in diesem Hause bisher völlige Übereinstimmung, und es war bei der SPD-Fraktion noch im Frühjahr klar, dass jemand, der erheblich straffällig geworden ist, nicht in den Genuss einer Ausnahmeregelung kommen kann. Wenn Sie diese Haltung aufgeben, setzen Sie ein falsches Signal, insbesondere an diejenigen, die in Deutschland bleiben wollen, und sie überstrapazieren die Bereitschaft der rechtstreuen Bevölkerung in diesem Lande, zu sagen: Der hat zwar kein Aufenthaltsrecht, aber wir nehmen ihn auf.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Deshalb ist dieses Gesetz der Lackmustest,ob Sie bewusst und vorsätzlich auf die Einhaltung dieses Grundsatzes verzichten. Das ist nicht nur fehlerhaft, sondern aus meiner Sicht unvertretbar.

Der Kollege Greilich hat auf den entscheidenden Punkt hingewiesen. Alles, was Sie erreichen wollen, hätte durch Verordnung geklärt werden können. Sie wollten keine Verordnung, Herr Kollege Rudolph, sondern Sie – nicht Sie in Person, sondern die SPD-Fraktion, ich weiß da schon zu differenzieren –

(Günter Rudolph (SPD): Ich stehe dazu!)

mussten ein Symbolgesetz beschließen. Wenn Sie schon ein überflüssiges Gesetz beschließen, dann gilt aber wenigstens die Gesetzessystematik. Dann sind alle wesentlichen Aspekte in das Gesetz aufzunehmen. Eines geht aber nicht, auf der einen Seite zu sagen: „Wir brauchen kein Gesetz, das können wir über eine Verordnung machen“, und auf der anderen Seite zu sagen: „Wir wollen ein Gesetz, aber wesentliche Teile nicht im Gesetz regeln“. Das lässt nur den Schluss zu, Sie wollen sich von dem Konsens verabschieden, dass Straftäter hier keinen Aufenthalt haben. Wer diesen Konsens aufgibt, der überschreitet den Rubikon der Gemeinsamkeiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Innenminister. – Nun hat sich Herr Kollege Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch einmal zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich es für notwendig halte, dem Eindruck entgegenzutreten, den der Herr Innenminister hier gerade zu erwecken versucht hat. Er hat versucht, den Eindruck zu erwecken, uns sei es ein Anliegen, sämtlichen Straftätern, die nicht deutscher Staatsangehörigkeit sind, ein dauerhaftes Bleiberecht zu geben oder ihnen zumindest ein Verfahren in der Härtefallkommission zu ermöglichen.

Herr Innenminister, Sie wissen ganz genau, dass in § 23a Aufenthaltsgesetz – der gesetzlichen Grundlage für die Arbeit der Härtefallkommission – steht, dass eine Anerkennung als Härtefall in der Regel ausgeschlossen ist, wenn „Straftaten von erheblichem Gewicht“ begangen

worden sind. Straftaten von erheblichem Gewicht sind solche, die z. B. zu einer Regelausweisung führen würden, also die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, aber auch ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und eine Bestrafung wegen des Einschleusens von Menschen.Das geht sogar teilweise über das hinaus, was Sie hier vorschlagen, wonach nämlich erst bei einer Verurteilung bis zu 180 Tagessätzen eine Anerkennung als Regelfall ausgeschlossen wird.

Eine Anerkennung als Härtefall ist nach der Regelung, die im Aufenthaltsgesetz steht,normalerweise bereits ausgeschlossen, wenn ein Verstoß z. B. gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegt. Selbstverständlich wollen auch wir nicht, dass allen Straftätern ein Verfahren in der Härtefallkommission ermöglicht wird. Aber wir wissen, dass es extreme Einzelfälle gibt – die übrigens von Ihrer Regelung nicht erfasst wären –, bei denen es unter Umständen nötig ist, ein Verfahren auf Feststellung eines Härtefalls durchzuführen. Wir sind aber, wie alle, der Überzeugung, dass Straftäter nicht in ein Härtefallverfahren gehören.

Aber wenn Sie meinen,dass man das,was man nicht zu regeln braucht, im Gesetz auch nicht regeln soll, dann, so sind wir überzeugt, reicht die Regelung im Aufenthaltsgesetz aus. Dann brauchen wir keine hessische Regelung mehr dranzuhängen. Dort ist es bereits ausdrücklich geregelt, und danach muss sich auch die hessische Härtefallkommission eindeutig richten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Es ist beantragt, den vorliegenden Gesetzentwurf und die Änderungsanträge zur Vorbereitung der dritten Lesung an den Innenausschuss zu überweisen. – Wir verfahren so, kommen aber zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung, Drucks. 17/681 zu Drucks. 17/57.

Wer dieser Beschlussempfehlung die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

(Zurufe)

Wie bitte? Wenn irgendetwas los ist, bitte ich Sie, dass sich irgendwer zur Geschäftsordnung meldet. Sonst verstehe ich hier nichts. – Herr Kollege Wintermeyer.

Frau Präsidentin, das war miteinander verbunden. Wenn eine dritte Lesung beantragt wird, wird normalerweise auch die Beschlussempfehlung an den Ausschuss überwiesen. Ich denke, dass so verfahren werden sollte.

(Reinhard Kahl (SPD): Deshalb stimmen wir auch nicht ab!)