Hermann Schaus
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Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Fraktion DIE LINKE sind wir sehr glücklich darüber, dass wir die Ersten waren, die die Beteiligung des Hauptausschusses in dieser Frage thematisiert und letztendlich auch durchgesetzt haben.
Herr Hahn, ich finde es schon interessant, wenn ich Ihren Antrag lese. Da steht etwas von „Verwerfungen am Finanzmarkt“ und „Eingriffen der öffentlichen Hand“. Da kann ich nur sagen: Herr Hahn, herzlich willkommen. Sie sind bei den Positionen angekommen, die wir als LINKE schon seit Jahren vertreten und fordern.
Sie sind dort angekommen, wo es darum geht, multinationale Konzerne, wie es General Motors einer ist, tatsächlich zu kontrollieren und denen nicht ohne Weiteres für ihre Globalisierungstätigkeiten Geld in den Rachen zu werfen.
Diese Kritik stammt nicht nur von uns, sondern die ist z. B. seit Jahr und Tag eine Forderung der globalisierungskritischen Organisation Attac, die sehr frühzeitig darauf hingewiesen hat, wie hier weltpolitisch gewirtschaftet wird.
Meine Damen und Herren,wenn in der Finanzwelt so verharmlosend von Derivaten gesprochen wird, wenn es also darum geht, dass Konzerne, auch Automobilkonzerne, in der Vergangenheit mehr Geld damit verdient haben, dass sie mit ihren Mitteln am Finanzmarkt spekuliert haben,
und zwar Spekulationen auf fallende Kurse – das muss man sich sowieso einmal überlegen, was das heißt, Spekulationen mit Milliardengeldern, die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwirtschaftet wurden, auf fallende Börsenkurse –, und damit erst diese Blasen entstanden sind, über die wir jetzt diskutieren und wofür jetzt
Milliardengelder derjenigen investiert werden müssen, die diese Werte erwirtschaftet haben, nämlich der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dann ist das geradezu die Wirtschaft auf den Kopf gestellt, wenn wir diese Diskussion betrachten und das,was in der Folge noch an Wirtschaftskrise auf alle, nicht nur in diesem Land, zukommen wird.
Meine Damen und Herren, heute Morgen habe ich in einem Interview gehört, dass Herr Ackermann von der Deutschen Bank gesagt hat,
die Kapitalrendite, die die Bank im Jahr 2008 angestrebt hat,von 25 % sei wohl nicht zu halten.Jetzt frage ich mich: Wo kommt denn diese Erwartung von 25 % her? Sie kann doch wohl nicht aus den Produktivitätssteigerungen in den wirtschaftenden Unternehmen herkommen, sondern sie kann doch nur daher kommen, dass entsprechende Spekulationsgewinne, die jetzt nicht mehr eintreten, in großem Stil eingeplant waren. Das ist das Thema auch im Zusammenhang mit der richtigen Rettung von Arbeitsplätzen.
Die öffentliche Hand soll und muss auch dafür herhalten, dass diese Spekulationen letztendlich den Ausschlag für die Krise gaben, die sich jetzt entwickelt. Autos kaufen keine Autos. Deshalb sind wir auch dafür, dass es nach wie vor und gerade in dieser Zeit sowohl öffentliche Investitionen als auch Programme zur Sicherung der Arbeitsplätze gibt. Die müssen aber mit ganz konkreten Auflagen verbunden werden, damit diejenigen, die die Werte in diesem Land erwirtschaften, nicht letztendlich wieder die sogenannte letzte Karte gezogen haben und dafür mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder mit Einkommensverlusten herhalten müssen.
In diesem Sinne ist unser Änderungsantrag zu verstehen, und ich bitte, ihm zuzustimmen.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke sehr,Herr Schaus.– Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen jetzt die Beschlussfassung in fünf Schritten vorschlagen.
Erster Schritt. Wir stimmen über den Dringlichen Antrag der FDP ab. Überweisung an den Hauptausschuss war verlangt. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so geschehen.
Im zweiten Schritt lasse ich über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 17/777, zum Unternehmensstabilisierungsgesetz abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Fraktion DIE LINKE.Wer ist dagegen? – Die übrigen Fraktionen. Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Drittens lasse ich in erster Lesung abstimmen über den Gesetzentwurf für ein Unternehmensstabilisierungsgesetz; so nenne ich es jetzt verkürzt. Wer in erster Lesung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Einstimmig angenommen.
Jetzt brauchen wir wieder die Zweidrittelmehrheit, um in die zweite Lesung eintreten zu können. Zunächst muss es eine Fraktion beantragen. – Das macht jetzt Herr Wintermeyer, wenn ich es richtig sehe.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion, DIE LINKE, hat mit dem vorliegenden Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde einen Entschließungsantrag verbunden, der sich mit der aktuellen Gefährdung von 350 Arbeitsplätzen in den hessischen Regionen Kassel und Gießen auseinandersetzt; denn Politik hat die Aufgabe, die mit diesen 350 Arbeitsplätzen verbundenen Schicksale plus die Schicksale der betroffenen Familien nicht sich selbst,nicht den freien Kräften des Marktes und auch nicht der in diesem Fall höchst unsozialen Beschäftigungspolitik der Telekom zu überlassen.
Politik hat vielmehr die Aufgabe, sich für die Menschen so einzusetzen, dass für die betroffenen Regionen sowie für die einzelnen Menschen der Verlust von Arbeitsplätzen verhindert werden kann, sofern es irgend möglich ist. Dass dies bei entsprechendem Willen der beteiligten Akteure möglich wäre, will ich hier kurz aufzeigen.
Zunächst ein kurzer Blick auf die Ursache des Problems. Per Vorstandsbeschluss der Deutschen Telekom sollen 83 Callcenter in bisher 63 Städten in Deutschland auf nur noch 24 Standorte reduziert werden. Hiervon sind auch die Callcenter in Kassel und Gießen mit insgesamt 350 Beschäftigten betroffen. Die Telekom spricht in diesem Zusammenhang aber nicht von Kündigungen, sondern davon, dass die Beschäftigten aus Kassel und Gießen künftig einfach in Fulda und in Eschborn eingesetzt werden. Dies ist blanker Zynismus, denn von den 350 Beschäftigten sind über 70 % Frauen, ein großer Teil davon aus familiären Gründen in Teilzeitbeschäftigung. Dazu gibt es eine sehr hohe Zahl von Schwerbehinderten, weil die Tätigkeit in Callcentern Schwerbehinderten immer eine Beschäftigungsmöglichkeit bietet.
Bei diesen Beschäftigten – ich sage es nochmals: überwiegend Frauen mit Familien und ein überproportional hoher Anteil an Schwerbehinderten – von einem „Angebot“ zu sprechen, wenn sie künftig pro Tag zwei bis vier Stunden Fahrzeit zum Arbeitsplatz und zurück in Kauf nehmen sollen, ist schlicht und ergreifend unmöglich. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur zu unannehmbaren Bedingungen weiterhin beschäftigt werden sollen, dann handelt es sich um Kündigungen durch die Hintertür und um das Anlegen von Daumenschrauben bei gleichzeitigem Aufsetzen von Unschuldsmienen. Gegen eine solche Politik, die mit dem wirtschaftlichen Schicksal von Menschen spielt, muss sich der Landtag entschieden aussprechen.
Es gibt auch gar keinen Grund, warum Callcentergespräche von einem anderen Ort aus besser zu führen sein sollen; denn Anrufe können an jeden Arbeitsplatz in Deutschland geroutet werden. Die Präsenz in der Fläche wäre wegen einer größeren Kundennähe und einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit unternehmenspolitisch sogar ein Vorteil.
Dass nun trotzdem 350 Menschen täglich zusätzlich zwei bis vier Stunden pendeln sollen, um in größeren, weit entfernten Callcentern zu arbeiten, ist arbeitsökonomisch, sozialpolitisch, in Bezug auf die Unternehmensperspektive und auch ökologisch so unsinnig,dass wir nach den eigentlichen Gründen der Telekom-Beschäftigungspolitik suchen müssen.
Verständlicher wird das sogenannte Angebot erst dann, wenn man weiß, dass die Callcenter in Eschborn und Fulda überhaupt nicht die Kapazität besitzen, weitere Arbeitsplätze in dieser Größenordnung anzubieten. Es müssten also zusätzliche Flächen angemietet oder gebaut werden.
Viel entscheidender ist aber, dass es für die Beschäftigten einen Kündigungsschutz gibt und dass dieser Kündigungsschutz jetzt durch die Hintertür sozusagen zunichte gemacht werden soll.
Verständlicher wird die Entscheidung, wenn man weiß, dass es Vereinbarungen zur Beschäftigungspolitik zwischen der Konzernleitung, dem Betriebsrat und den Gewerkschaften gibt, die von der Neustrukturierung erst aus den Medien erfahren durften.
Verständlicher wird die Entscheidung aber auch erst dann, wenn man weiß, dass die Telekom weiterhin großflächig aus den bestehenden Tarifverträgen aussteigt und bis zum Jahresende in Deutschland weitere mehr als 6.000 Beschäftigte aus den Netzzentren in Servicegesellschaften auslagern möchte. Hiervon wären in Hessen 1.400 Beschäftigte an den Standorten Darmstadt, Heusenstamm, Fulda und Frankfurt betroffen.
Ich komme zum Schluss. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein ehemals stolzes Staatsunternehmen, das der Privatisierung zugeführt wurde – in dem die Bundesrepublik Deutschland mit über 30 % Anteil aber immer noch der Hauptaktionär ist –, seine verfehlte Kunden- und Beschäftigungspolitik und seine weltweiten Expansionsgelüste auf den Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer austrägt.
Die Bundesregierung muss im Aufsichtsrat endlich handeln und hier Einhalt gebieten. Insofern unterstützen wir die Proteste der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die morgen in Bonn stattfinden. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt mehrmals intensiv im Ausschuss und auch durch die Anhörung der Experten das Thema Härtefallkommission diskutiert. Ich glaube, das, was uns heute vorliegt, ist ein gutes Ergebnis.
Es ist durchaus ein Kompromiss, der darin besteht, dass unter anderem die Regelung, die seitens der CDU – und, soweit ich weiß, auch der FDP – hinsichtlich der Abstimmungsmehrheit in der Härtefallkommission gewünscht war, in der letzten Sitzung des Innenausschusses noch in den Gesetzentwurf aufgenommen wurde.
Wir sind sehr wohl der Meinung,die Härtefallkommission soll oder muss eine Kommission sein, die unabhängig arbeitet und in der Expertinnen und Experten entscheiden und Empfehlungen an den Innenminister, die Innenministerin geben – in der Hoffnung, dass zukünftig die Empfehlungen dieser Härtefallkommission umgesetzt werden.
Insbesondere nach der Anhörung haben wir Abstand von unserer Forderung genommen, Politikerinnen und Politiker der Fraktionen mit einzubeziehen. Denn wir sind der Meinung, sowohl die Experten aus den Organisationen, den Kirchen und Verbänden als auch die Expertinnen und Experten aus den Ministerien – das muss an dieser Stelle ebenfalls gesagt werden – sowie die Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände sollen dort gemeinsam zu Entscheidungen kommen.
Insofern denken wir als Fraktion, das ist ein guter Tag für Hessen, wenn es heute gelingt, mit dieser Entscheidung eine unabhängige Härtefallkommission zu institutionalisieren und insbesondere dann die Entscheidungen über die Einzelfälle auch ohne Ausnahmetatbestände durch die Mitglieder der Kommission selbst vornehmen zu lassen.
Daher ist es wichtig, dass sich die Härtefallkommission selbst eine Geschäftsordnung geben soll und auch eigenständig – mit Unterstützung des Ministeriums – arbeiten soll und wird.
Wir bitten, dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zuzustimmen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch wirklich Verlass auf die CDU. Wir danken Ihnen recht herzlich für die Publicity, die Sie unserer Veranstaltung am Sonntag schon jetzt bereitet haben.
Die LINKE versteht sich als Teil der demokratischen Protestbewegung gegen die neue Landebahn.
Dabei beziehen wir uns im Übrigen auf die Zusage, die seinerzeit die Landesregierung von Herrn Börner gegeben hat, dass es nach dem Bau der Startbahn West keinen
weiteren Ausbau mehr geben wird. Der CDU-Versuch, die Kriminalisierung der Protestbewegung bereits im Vorfeld vorzunehmen und dabei Bezug zu nehmen auf die Ereignisse bei der Startbahn West – da bitte ich Sie,noch einmal nachzudenken.
Diese Protestbewegung war eine breite Protestbewegung. Im Hüttendorf gab es eine Kirche. Es gab Häuser und Gebäude von Gewerkschaften und auch von Parteien.Wenn Sie jetzt schon hergehen und dies im Vorfeld kriminalisieren, dann ist das ungehörig und unrecht.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Schaus, letzter Satz. Die Redezeit ist zu Ende.
Es gibt Verabredungen mit der Stadt Kelsterbach über das Camp, und an diese Verabredung halten wir uns. In diesem Rahmen bewegen wir uns auch.– Nochmals vielen Dank für die Publicity.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Für die Landesregierung darf ich Herrn Staatsminister Bouffier das Wort erteilen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte ist richtigerweise sehr viel über Deeskalation und über die Frage des Rechtsstaates gesprochen worden. Ich will an dieser Stelle klar zum Ausdruck bringen, dass auch das, was unsere Fraktion in der Frage des Flughafenausbaus diskutiert, und wie sie handelt, ein Beitrag zur Deeskalation ist.
Das ist deshalb ein Beitrag zur Deeskalation, weil wir die berechtigte Sorge derjenigen aufgreifen, die gegen diesen Flughafenausbau sind und die auch Angst davor haben, dass in den noch anstehenden Verfahren – oder ich sage es so: während der noch vor dem Verwaltungsgerichtshof laufenden Verfahren – Fakten gesetzt werden. Das ist sozusagen der Hintergrund für das Hüttendorf – das es ja noch gar nicht ist – im Kelsterbacher Wald. Diese Sorge besteht dort – unabhängig von unserer politischen Position.
Wir haben klar gesagt und stehen auch dazu, dass es notwendig ist, das Planfeststellungsverfahren nochmals aufzuschnüren. Denn aus unserer Sicht gibt es in den vielen Klageverfahren eine Reihe von Indizien, die das rechtfertigen könnten.
Herr Boddenberg, es gibt da z. B. das Problem der Schadstoffbelastung sowie die unterschiedlichen Zahlen, die die Fraport im ersten und im zweiten Planfeststellungsverfahren vorgelegt hat.
Auch zum Nachtflugverbot haben wir eine klare Position geäußert. Frau Wissler hat das heute Morgen bereits zum Ausdruck gebracht. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Nacht nicht die Mediationsnacht ist, sondern die, die weltweit definiert wird, d. h. von 22 bis 6 Uhr.
Ich will aber ausdrücklich sagen: Das ist eine politische Diskussion.
Auch wir wollen, dass der Rechtsstaat gewinnt. Deshalb hoffen wir sehr, dass in den 260 Klageverfahren, die beim Verwaltungsgerichtshof liegen, mit aller Sorgfalt sämtliche Aspekte aller Kläger zur Verhandlung kommen und dann entschieden werden.
Wir vertrauen darauf – das ist ein weiterer entscheidender Punkt –, dass die Baumaßnahmen erst dann begonnen werden, wenn all diese Verfahren rechtsgültig abgeschlossen sind, und nicht – das ist die Angst derjenigen, die am Flughafen im Kelsterbacher Wald demonstrieren – im nächsten Frühjahr nach den vorläufigen Rechtsentscheidungen. Darüber muss man dann diskutieren.
Herr Ministerpräsident, ich habe nur die Sorge derjenigen zum Ausdruck gebracht, die im Kelsterbacher Wald demonstrieren.
Das ist auch unsere Sorge – dass mit einer vorläufigen Rechtsetzung bei nicht abgeschlossenen Verfahren Fakten geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Herr Ministerpräsident, es geht doch nicht um die Frage des Rechtsstaats.
Ach, Herr Wagner. Herr Wagner, Herr Ministerpräsident, ich habe alles gesagt, was von unserer Fraktion zu dieser Frage zu sagen ist.
Ich denke, es ist klar geworden, dass wir uns selbstverständlich an rechtsstaatliche Entscheidungen halten, dennoch die Sorge derjenigen teilen, die im Kelsterbacher Wald demonstrieren. – Vielen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Präsident!
Ich hoffe,dass ich noch Aufmerksamkeit für einen,wie ich finde, nicht unwesentlichen Gesetzentwurf unserer Fraktion erhalte.
Meine Fraktion hat in den letzten Wochen zwei parlamentarische Initiativen in dieses Haus eingebracht, die beide dasselbe Ziel verfolgen, nämlich weiteren bisher in der Politik außen stehenden Teilen unserer Bevölkerung demokratische Mitspracherechte zu gewähren. Beide Initiativen könnten zu mehr Demokratie beitragen, wo wir sie am dringendsten brauchen, nämlich in den hessischen Städten und Gemeinden, also dort, wo die Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben und sich im Sinne eines lebendigen und demokratischen Gemeinwesens am besten einbringen können und wollen.
Unser Antrag fordert die Unterstützung einer Bundesratsinitiative, mit der das Kommunalwahlrecht auch jenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zugesprochen werden soll, die zum Teil vor vielen Jahren oder Jahrzehnten aus Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören – –
Danke schön. – Auf unseren Antrag zur Unterstützung einer Bundesratsinitiative, mit der das kommunale Wahlrecht auch jenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zugesprochen werden soll, die zum Teil vor vielen Jahren oder Jahrzehnten aus Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, zu uns nach Deutschland gekommen sind, möchte ich an dieser Stelle nur kurz hinweisen. Ich verbinde das mit der Hoffnung, dass der Antrag hier im Haus große Zustimmung von möglichst allen Parteien findet, damit es dann durch Entscheidungen im Bundestag und im Bundesrat zu einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes kommt.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf, mit welchem auch jungen Menschen in Hessen ab dem 16. Lebensjahr das kommunale Wahlrecht gegeben werden soll, möchte ich zunächst auf Folgendes hinweisen. Es ist allgemein festzustellen, dass es aus Sicht der LINKEN keine belastbaren Gründe gibt, warum jungen Menschen das kommunale Wahlrecht nicht gegeben werden sollte. Junge Menschen sollten ihre Interessen ebenso selbstständig wie ältere ver
treten können. Erlauben Sie mir den Hinweis, es gibt schließlich auch keine Wahlaltersobergrenze.
In einer älter werdenden Gesellschaft dürfen die Interessen der Jugend nicht unberücksichtigt bleiben und müssen einen hohen Stellenwert behalten. Jugendliche müssen für die Demokratie gewonnen werden, indem sie daran unmittelbar teilnehmen und das hohe Gut des demokratischen Gemeinwesens schätzen lernen. Jugendliche müssen die Demokratie gewinnen, damit unser Gemeinwesen lebendig bleibt und die politischen Prozesse nicht nur reine Formsache sind.
Die meisten Jugendlichen verlassen heutzutage lange vor ihrer ersten Wahlentscheidung die Schule. Doch gerade im Unterricht könnte unter der Voraussetzung eines Wahlrechts ab 16 Jahren ein wesentlicher Beitrag zur politischen Bildung geleistet werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle ein oft bemühtes Vorurteil aufgreifen, dass nämlich junge Menschen die Tragweite einer Wahlentscheidung noch nicht im vollen Umfange ermessen könnten. Viele junge Menschen, die sich in ihrem sozialen Umfeld durch Familie und Freundeskreis mit Politik auseinandersetzen, können politische Entscheidungen oftmals besser beurteilen, als viele unterstellen.
Entscheidend ist mitnichten das Alter eines Menschen,als vielmehr sein Interesse und sein Engagement für Politik. Dies spricht aus Sicht meiner Fraktion umso mehr dafür, Jugendliche möglichst früh für Politik zu interessieren, und zwar – wie könnte dies besser erreicht werden? – durch die mögliche Teilnahme an Wahlen in der eigenen Stadt oder in der eigenen Gemeinde.
Zudem kann das Vorurteil, Jugendliche wären geradezu politikunfähig, durch die langjährige Praxis in anderen Bundesländern und die dort gemachten Erfahrungen widerlegt werden. Seit Ende der Neunzigerjahre werden in Berlin,in Mecklenburg-Vorpommern,in Niedersachen, in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein die Wähler im Alter ab 16 Jahren zu den Urnen gerufen, ohne dass es zu politisch vollkommen wirren Wahlentscheidungen gekommen wäre.
Zu Hessen lässt sich an dieser Stelle bedauerlicherweise sagen, dass auch bei uns die damalige rot-grüne Landesregierung das kommunale Wahlrecht ab 16 Jahren eingeführt hatte. Doch bevor dies ein einziges Mal zum Tragen gekommen wäre, wurde die progressive neue Regelung mit dem Wahlsieg der Konservativen durch die sich anschließende CDU/FDP-Regierung 1999 unmittelbar wieder abgeschafft. Es sei der Hinweis gestattet, dass die CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen mit ihrer Machtübernahme im Jahre 2005 weitaus klüger damit umgegangen ist und das Wahlrecht in diesem Punkt nicht angetastet hat. Vernünftige Entscheidungen im Sinne der Demokratie sind also auch jenseits von Parteilinien woanders – möglicherweise außerhalb Hessens besser – möglich.
Meine Damen und Herren, wir beraten in Gremien des Hessischen Landtags eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen und Anträgen, mit denen das Ziel von mehr Demokratie verfolgt wird – Gesetzentwürfe für Volksinitiativen und Volksbegehren, für mehr wirtschaftliche Beteiligung der hessischen Kommunen, für mehr Demokratieteilnahme der Einwohner und mit unseren Initiativen auch für mehr Beteiligung der Jugend und von Migrantin
nen und Migranten aus Nicht-EU-Staaten mit dauerhaftem Lebensmittelpunkt in Hessen.
Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Ich bin zuversichtlich, dass die neue Parlamentsmehrheit darin ein gemeinsames Anliegen sieht und unsere Auffassung mehrheitlich getragen wird. Lassen Sie mich dennoch den Wunsch äußern, dass auch die Fraktionen von CDU und FDP dem nähertreten wollen und können. Lassen Sie uns gemeinsam bei der sich immer weiter reduzierenden Wahlbeteiligung im kommunalen Bereich auch an dieser Stelle ein Angebot für mehr Demokratie machen. – Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Müller-Klepper – –
Es ist schön, dass ich Ihre nette Stimme wieder hören kann, Herr Irmer. Ich habe sie in den letzten vier Wochen wirklich vermisst. Aber es ist gut, dass Sie sich gleich zu Beginn einführen.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Irmer, ich darf Sie bitten, Herrn Schaus jetzt reden zu lassen. Solche Zwischenrufe sind an der Grenze des Vertretbaren.
Frau Müller-Klepper, Sie haben von einem knallroten Gummiboot gesprochen. Vielleicht darf ich daran erinnern, dass ein knallrotes Gummiboot sich dadurch auszeichnet, dass es äußerst flexibel auf Meer, Land und See transportiert werden kann.
Bei der Stabilität kommt es in der Tat auf die Größe dieses knallroten Gummiboots an. Es ist auf jeden Fall flexibler als ein träger, dröger Tanker. Im Übrigen hat es noch weitere Vorteile: Es ist weitab immer sichtbar.
Jetzt zur Sache, genau. – Die Lobeshymne auf die Agenda-2010-Politik, die uns heute präsentiert wurde,
war eine bewusste Verkürzung auf die Hartz-Reformen, und selbst davon wurden nur die Änderungen der HartzIII- und Hartz-IV-Reformen von Frau Ministerin Lautenschläger angesprochen. Nun weiß ich nicht, Frau Ministerin, wie ich Ihre Rede einordnen soll. Fast war ich nach dem Lesen des Manuskripts versucht, sie als Angebot an eine Große Koalition zu verstehen, wenn Sie die Agendapolitik der ehemals rot-grünen Bundesregierung so loben. Aber vielleicht lobten Sie nur den Anteil,den der kleinere Koalitionspartner daran hat.
Nach Ihrer Rede ist mir aufgefallen, Sie wollten offensichtlich nur auf Ihre eigenen hessischen Beiträge dazu verweisen. Deshalb wundert es mich, was Sie, meine Damen und Herren, mittlerweile alles unter Agendapolitik subsumieren: also sozusagen ein Wettbewerb, ein Run darauf, den ich nicht nachvollziehen kann.
Auf jeden Fall war Ihre Darstellung höchst unvollständig. Deshalb möchte ich uns allen nochmals in Erinnerung rufen, welche sogenannten Reformen mit der Agenda 2010 verbunden sind.
Da haben wir zunächst die Gesundheitsreform. Durch sie wurde 2006 der Beitrag der Arbeitnehmer zum Krankengeld um 0,5 Prozentpunkte einseitig erhöht, und die Arbeitgeber mussten fortan nicht mehr bezahlen. Dann wurde die Zuzahlung bei Arzneimitteln und bei Heilmitteln massiv erhöht und eine Praxisgebühr pro Arzt und Quartal eingeführt. Gleichzeitig wurden die Leistungen bei Zahnersatz reduziert. Gänzlich gestrichen wurden in diesem Zusammenhang das Sterbegeld und die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung für schwer Gehbehinderte.
Warten Sie doch ab, Herr Irmer. Nur nicht so ungeduldig. Das kommt alles noch.
Meine Damen und Herren, die Rentenreform brachte weitere Verschlechterungen für die davon Betroffenen. So fiel als Erstes die Rentenerhöhung 2004 völlig aus. Der vorzeitige Rentenbeginn nach Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit oder für Schwerbehinderte wurde vom 60. auf das 63. Lebensjahr erhöht, natürlich mit entsprechenden Abschlägen. Das Rentenalter wird seitdem kontinuierlich vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben – ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm, welches die Altersarmut in den kommenden Jahren verdoppeln wird.
Aber damit noch lange nicht genug. So müssen ab 2004 Rentnerinnen und Rentner nicht mehr den halben, sondern den vollen Beitragssatz von 1,7 % in die Pflegeversicherung einzahlen. Gleiches gilt natürlich für den vollen Beitragssatz bei Betriebsrenten. Die Steuerreform war eine weitere Glanzleistung mit durchschlagendem Erfolg.
So wurden die Spitzensteuersätze bei der Einkommensteuer zunächst von 48,5 % auf 45 % reduziert, um dann nochmals auf 42 % gesenkt zu werden,um dann jüngst bei einem kleinen Teil als sogenannte Reichensteuer bei sehr hohen Einkommen wieder auf 45 % angehoben zu werden.
Eine Gegenfinanzierung dieser Maßnahme erfolgte durch Kürzungen bei der Pendlerpauschale für Arbeitnehmer und bei der Eigenheimzulage. Da die Bundesregierung den Steuerhinterziehern, die ihr Vermögen jahrzehntelang ins Ausland geschafft haben, entgegenkommen wollte, wenn sie es bis März 2005 nachdeklarierten, wurden sie auch noch belohnt, indem sie 25 % und damit nur die Hälfte an Steuern zahlen mussten. So wurde der Straftatbestand der Steuerhinterziehung auch noch gewinnbringend legalisiert.
Dieser konsequenten Politik der Umverteilung von unten nach oben folgte die ebenso konsequente Unternehmensteuerreform, die zu weiteren Einnahmeverlusten von mindestens 30 Milliarden c pro Jahr führte. Hätten wir die Steuergesetzgebung aus dem Jahre 1997, dann flössen in die öffentlichen Haushalte jährlich zusätzlich 60 Milliarden c.
Gleichzeitig wurde der Meisterzwang in der Handwerksordnung bei 53 von 94 Berufen abgeschafft und der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben geschliffen – alles mit dem Versprechen, die Arbeitslosenzahlen bis 2005 – bis 2005! – um 2 Millionen zu halbieren. Was daraus geworden ist, das wissen wir alle, meine Damen und Herren.
Doch kommen wir zur heute schon viel gepriesenen Hartz-Gesetzgebung. Sie beinhaltet zunächst mit Hartz I die Ausweitung der Leiharbeit.Diese Maßnahme ist so erfolgreich, dass sich die Zahl der Leiharbeitnehmer in den letzten vier Jahren auf rund 800.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr als verdoppelte. Darüber hinaus fanden die Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten von Arbeitsverhältnissen älterer Arbeitnehmer und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelung statt. Heute gibt es für Langzeitarbeitslose faktisch keinerlei Zumutbarkeitsregelungen mehr. Diese Maßnahme ist ein Kernstück unsozialer Arbeitsmarktpolitik, die der Lohndrückerei Tür und Tor öffnete.
Mit Hartz II wurden die sogenannten Ich-AGs – von Ihnen schon angesprochen – eingeführt. Das war ein Programm zur Förderung der Selbstständigkeit, welches einige Zeit später wegen der hohen Zahl der Mitnahmeeffekte sang- und klanglos wieder eingestellt wurde. Statt alle Arbeitseinkommen der Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen, wie es die Gewerkschaften schon seit vielen Jahren zu Recht fordern, wurden wieder sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse bis zu 400 c pro Monat eingeführt. Diese Beschäftigungsverhältnisse sollten vorzugsweise in Privathaushalten entstehen. In kürzester Zeit wurden so mehr als 1 Million Arbeitnehmer zusätzlich in Minijobs beschäftigt, und reguläre Arbeitsplätze fielen weg.
Mit der Hartz-III-Reform wurde eine Neustrukturierung der Arbeitsverwaltung vorgenommen, und die Arbeitsämter wurden zu sogenannten Jobcentern.
In dieser Phase entstanden auch die sogenannten Optionskommunen; daran war die Hessische Landesregie
rung über den Bundesrat beteiligt. Im Übrigen war die Umstrukturierung der Arbeitsverwaltung in Richtung Arbeitsagentur zu diesem Zeitpunkt gar nichts Neues. Das war nämlich schon im Jahre 2000 durch das Programm „Arbeitsamt 2000“ von der Gewerkschaft ÖTV maßgeblich mit angestoßen und umgesetzt worden.
Ich verstehe die Diskussion über Argen und Optionskommunen, wie sie heute hier geführt wird, überhaupt nicht. Ein regionaler Arbeitsmarkt ist immer ein eingeschränkter Arbeitsmarkt. Insofern ist es notwendig, dass überregionale Arbeitsmarktpolitik tatsächlich stattfindet und greift, damit die Leute nicht in Arbeitsverhältnisse gezwungen werden,die regional zu schaffen möglich ist,sondern nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten, möglicherweise auch entsprechend ihren Qualifikationen eingesetzt werden können. Danach ist die Frage zu beurteilen, ob man regionale oder überregionale Arbeitsmarktpolitik betreiben will – nicht nach der reinen Frage, ob die Grenze auf Kreisgebiet, auf Landes- oder auf Bundesebene gezogen werden soll.
Das Kernstück der Agendapolitik ist und bleibt jedoch die Regelung nach Hartz IV, die Hartz-IV-Gesetzgebung mit der Einführung des Arbeitslosengeldes I und des Arbeitslosengeldes II. Wurde vormals ein Arbeitnehmer langzeitarbeitslos,so hatte er einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld bis zu 32 Monaten – bei über 55Jähringen. Mit der Neuregelung des Arbeitslosengeldes II wurde und wird die Dauer der Zahlung auf maximal 12 bzw. 18 Monate reduziert, ganz gleich, ob ein Arbeitnehmer zuvor fünf oder 35 Jahre lang regelmäßig Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat.
Diese brutalstmögliche Arbeitsmarktpolitik bezeichnen Sie, Frau Ministerin Lautenschläger, als „konsequentes Fordern und Fördern“ und als einen „aktivierenden Sozialstaat“. Das ist für mich Zynismus pur. Die viel gepriesene Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mag verwaltungstechnisch sicherlich als Fortschritt angesehen werden; bürgerfreundliche Strukturen sehen jedoch anders aus, denn mit dieser Zusammenlegung fielen die bisherigen Leistungen des Bundessozialhilfegesetzes, z. B. Beihilfen in besonderen Lebenslagen, gänzlich weg.
Seit dieser Zeit gibt es Hunderttausende Sozialgerichtsverfahren und Auseinandersetzungen um Leistungskürzungen und Mehrbedarf. Die Beratungseinrichtungen für Erwerbslose können täglich davon berichten, mit welch eiserner Hand gerade in den Optionskommunen berechtigterweise beantragte Leistungen oftmals verweigert werden. Ein Erwerbslosenverein berichtete mir jüngst, dass er in 90 % seiner Klagefälle obsiegt bzw. die Forderung vor Gericht zugestanden wird. Angesichts dieser Situation sprechen Sie, Frau Ministerin, von „notwendiger Nähe zu den Menschen“.
Darüber hinaus wurden die sogenannten 1-c-Jobs geschaffen, wovon derzeit bundesweit über 300.000 Beschäftigte – die übrigens in den Statistiken nicht mehr als arbeitslos gelten – betroffen sind. Weil der Regelsatz von 351 c nicht ausreicht, um auch nur die minimalen Bedürfnisse zu befriedigen, werden entsprechende Angebote von den Arbeitslosen in der Hoffnung auf Übernahme in ein festes Beschäftigungsverhältnis angenommen. Die 1-c-Jobber sollen, so steht es im Gesetz, zusätzliche Aufgaben, die es bisher nicht gegeben hat, in Bereichen öffentlichen Interesses übernehmen. Hiergegen wurde jedoch von Anfang an bewusst verstoßen. So wurden und werden z. B. im öffentlichen Dienst Stellen, z. B. in der Grünflächenbewirtschaftung, zunächst gestrichen,
um sie später mit 1-c-Jobbern zu besetzen. Besonders in öffentlichen Betrieben werden diese Arbeitnehmer – auch in Konkurrenz zu den örtlichen Handwerksbetrieben,z.B.im Reinigungsgewerbe – gesetzwidrig eingesetzt. Weil sich dies nicht mehr verheimlichen lässt, wurden die Missbrauchsquoten von 25 % sogar öffentlich zugestanden. Gegen den Missbrauch wurde bisher aber nichts unternommen.
In Deutschland gibt es derzeit über 7 Millionen Menschen mit Hunger- und Niedriglöhnen. 2006 mussten 5,5 Millionen Beschäftigte für weniger als 7,50 c pro Stunde arbeiten. Die Zahl der Betroffenen steigt rapide; zwei Jahre zuvor waren es noch 1 Million Beschäftigte weniger. Für Löhne unter 5 c pro Stunde arbeiten derzeit rund 2 Millionen Menschen.Von diesen geringen Löhnen sind vor allem Frauen betroffen. 70 % der Beschäftigten mit einem sogenannten Minijob und 40 % aller unter 25-Jährigen müssen sich auf Löhne unter 7,50 c pro Stunde einlassen. Rund 3 Millionen Menschen verdienen so wenig, dass sie eigentlich einen Rechtsanspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II haben. Doch nur 1,2 Millionen nehmen diese zusätzlichen Leistungen tatsächlich in Anspruch. Vielen wird eine Zuzahlung verwehrt,weil ihr sogenanntes Schonvermögen höher ist.Andere schämen sich schlichtweg, zum Amt zu gehen. Sogar mehr als 500.000 Vollzeitbeschäftigte erhalten zusätzliche Leistungen nach dem Arbeitslosengeld II. Dies ist die Wirklichkeit der Agendapolitik. Deshalb brauchen wir einen existenzsichernden, allgemein verbindlichen, gesetzlichen Mindestlohn.
Alle diese Maßnahmen führten dazu,dass die Lohnpolitik der Gewerkschaften erheblich geschwächt wurde. Dies ist der wahre Grund dafür, dass sich die Einkommen in Deutschland – anders als in vergleichbaren Staaten der EU – negativ entwickelten.
Erstens. Das angebliche Mehr an Arbeitsplätzen, das Sie beschrieben haben, sieht in Wirklichkeit so aus, dass von 2003 bis 2008 nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Arbeitsagentur mindestens 900.000 Vollzeitarbeitsplätze weggefallen sind. Hinzugekommen sind 300.000 1-c-Jobs, 400.000 Leiharbeitnehmer, 500.000 ausschließlich in Minijobs Tätige und 1,2 Millionen Teilzeitbeschäftigte. Dies alles erklärt, warum wir in Europa Spitzenreiter mit mehr als 20 % Beschäftigten im Niedriglohnbereich geworden sind.
Zweitens. Das Wirtschaftswachstum ist in der gegenwärtigen Aufschwungphase im Übrigen genauso hoch wie im letzten Zyklus von 1998 bis 2001.
Drittens. Die Beschäftigung ist sogar schwächer gestiegen. Zugenommen haben vor allem die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, z. B. Leiharbeitsverhältnisse, der Umfang befristeter Beschäftigung und die Zahl der Minijobs.
Viertens. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist in stärkerem Maße der demografischen Entwicklung geschuldet. Aufgrund von Veränderungen in der Arbeitslosenstatistik tauchen darüber hinaus 3 Millionen Arbeitslose gar nicht mehr auf.
Fünftens. Der Skandal bei dieser Entwicklung ist jedoch, dass die Löhne in den letzten drei Aufschwungjahren um 4 % gesunken sind, während sie zwischen 1998 und 2001 noch um 3,5 % angestiegen sind.
Sechstens. Aufgrund dieser Politik leben – das ist unbestritten – doppelt so viele Kinder in Armut wie in der Vergangenheit.
Die Reform von Hartz wird von den Menschen mit Sozialabbau, Ängsten vor sozialem Abstieg und der Schaffung prekärer Lebensverhältnisse verbunden. Deshalb muss Hartz als Begriff und als Reform von der politischen Agenda verschwinden.
Den Aufschwung und die Agenda 2010 schönzureden ist zynisch. Wir brauchen höhere Einkommen und sichere Jobs. Wir brauchen eine gerechte Umverteilung von Reichtum und Armut.
Frau Müller-Klepper, wenn Sie wiederum die Aussage „Sozial ist,was Arbeit schafft“ in die Debatte werfen,sage ich Ihnen: Das gilt nur für Arbeit in Würde, unter angemessenen Arbeitsbedingungen und bei einem gerechten Lohn; denn nur durch Arbeit werden Werte geschaffen, nicht aber durch Spekulationen und Roulettespielen an den Weltbörsen.
Nur dann haben alle etwas vom Wachstum. Deshalb bleiben wir dabei: Die unsägliche Agendapolitik darf nicht fortgesetzt werden. Insbesondere Hartz IV muss weg.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke schön, Herr Schaus. – Frau Schott, Sie haben jetzt die Gelegenheit, zehn Minuten lang Ihre Position darzulegen. Bitte schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, was sich hier offensichtlich abzuzeichnen droht oder abzeichnet – je nachdem, wie man das will. Die Fakten sind folgende: Es gab einen Gesetzentwurf der SPD, der zugunsten eines Gesetzentwurfs der Landesregierung zurückgezogen wurde. Das haben wir unterstützt und im Ausschuss begrüßt, weil es darum geht und darum ging, die Vereinbarung, die die Landesregierung mit den Tarifvertragsparteien getroffen hat, das Tarifergebnis für die Landesbeschäftigten, zeit- und inhaltsgleich auf die Beamtinnen und Beamten zu übertragen. Meine Damen und Herren, da stand nichts von „drei Monate später“ oder „für Teile drei Monate später“.Das ist erst in der Debatte gekommen. Jetzt nehme ich zur Kenntnis, dass die CDU-Fraktion in diesem Hause im Moment daran denkt, der eigenen Landesregierung in dieser Frage das Vertrauen zu entziehen.Das muss man erst einmal zur Kenntnis nehmen.
Dann warten wir ab, wie das im Ausschuss diskutiert wird. Herr Beuth, Sie haben vorhin gesagt, wir lösen uns von der Freibierpolitik für alle. Das Zitat – das kann ich Ihnen versichern – werde ich in den nächsten Monaten bei allen Beamtinnen und Beamten verwenden, die damit diffamiert werden, obwohl sie mit 42 Stunden die höchste Wo
chenarbeitszeit aller Bundesländer haben. Sie werden diffamiert, obwohl sie ständig Leistung erbringen müssen und das auch in diesem Hause immer wieder gelobt wird.
Freibierpolitik für alle im Zusammenhang mit der Beamtenbesoldung ist völlig unzutreffend, steht völlig außerhalb jeder Diskussion,
wenn ich an den Stellenabbau von 7.500 Stellen und an die Verstärkung der Aktivitäten der noch verbliebenen Beamtinnen und Beamten in diesem Zusammenhang denke.
Meine Damen und Herren, die GRÜNEN haben mit ihrem Änderungsantrag das Gleiche wieder eingebracht, jetzt bezogen auf den Gesetzentwurf der Landesregierung, was wir schon im Ausschuss diskutiert und abgelehnt haben – mit den Stimmen der FDP,mit den Stimmen der CDU, mit den Stimmen der SPD und mit unseren Stimmen abgelehnt haben. Noch im Ausschuss haben Sie das als soziale Komponente bezeichnet. Das haben Sie heute glücklicherweise nicht mehr getan.Aber ich will das trotzdem aufgreifen, weil ich denke, dass das, was Sie in Ihrem Änderungsantrag vorschlagen, keine soziale Komponente ist. Das haben auch die Vertreterinnen und Vertreter von FDP und CDU schon gegenüber den Beamten gesagt. Denn eine soziale Komponente heißt: Man gibt den niedrigen Einkommen mehr, und den höheren Einkommen nimmt man etwas weg.Was Sie aber machen, ist ein kollektives Wegnehmen, von einem geringen Teil abgesehen – das wissen Sie sehr wohl –, dem geringsten Teil, den es in der Beamtenschaft gibt:dem einfachen und mittleren Dienst. – Das zur Haushaltskonsolidierung.
Werte Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, eines will ich Ihnen an dieser Stelle zu Ihrem Änderungsantrag ins Stammbuch schreiben. Dieser Änderungsantrag ist nichts anderes als die konsequente Fortsetzung der Politik der „Operation düstere Zukunft“.
Das ist nichts anderes, weil auch darin bereits in einem großen Maße enthalten ist,
dass Beamtinnen und Beamte wieder zur Kassen- und Haushaltskonsolidierung herhalten sollen. Mit unseren Stimmen wird das nicht passieren.
Zum Abschluss noch einmal zu dem knallroten Gummiboot.
Nein, „Gummiboot“ haben Sie gesagt. – Meine Damen und Herren, die Masse der Gummiboote ist immer noch gelb. Rote kenne ich sehr wenige. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrem Redebeitrag davon gesprochen, dass sich die Situation des Landes – die finanzielle Situation, so habe ich es verstanden – seit dem Juni verändert habe und dass Sie sich deshalb überlegen, eine Änderung Ihrer eigenen Gesetzesvorlage vorzuschlagen. So habe ich es zumindest verstanden.
Nun kenne ich mich im Verfahren nicht so genau aus und weiß nicht, ob das jetzt hier oder im Ausschuss passiert. Auf jeden Fall bin ich sehr verwundert darüber.Wenn sich nämlich seit dem Juni eine Veränderung im Landeshaushalt abzeichnet und Sie dann den Eindruck erwecken, dass es sozusagen ein Diskussionspunkt sein könnte, eine Verschiebung bei wesentlichen Teilen der schon schriftlich zugesagten und mit den Gewerkschaften vereinbarten Besoldungserhöhungen vorzunehmen, weiß ich nicht, warum der Herr Innenminister in der Innenausschusssitzung am letzten Donnerstag kein Wort darüber verloren hat.
Entweder bestand die Situation schon vorher. Dann wurde uns in der Innenausschusssitzung eine wichtige Information vor der Abstimmung vorenthalten. Oder es ist seit Freitag etwas passiert, was aufgeklärt werden müsste. Dann müssten Sie dem Parlament Rede und Antwort stehen und erklären,
was denn so dramatisch daran sei, dass Sie darüber nachdenken, diese Änderung vorzunehmen.
Diese Frage lasse ich bewusst im Raum stehen, und ich hoffe, dass sie beantwortet wird.
Ich will auf den Beitrag von Herrn Hahn verweisen.
Herr Hahn, für uns LINKE ist klar, dass das Beamtenrecht stets dem Tarifrecht folgen muss. Ein Beispiel dafür, dass wir diese Position einnehmen, ist diese Debatte. Wenn das nämlich nicht so ist, werden die Beamtenbesol
dung sowie möglicherweise auch die Beamtenversorgung und das materielle Beamtenrecht zum Spielball politischer Auseinandersetzungen in diesem Landesparlament. Das kann und darf nicht sein. Das sind wir unseren Kolleginnen und Kollegen sowohl im Landes- als auch im Kommunaldienst schuldig.
Ich denke, deshalb muss sich die FDP genau überlegen, was sie macht. Wie Sie wissen, ist das nämlich durchaus von Bedeutung. Sie können angesichts der Debatte, die hier stattfindet, nicht sagen: Mit uns gibt es keine Sonderopfer, aber wir enthalten uns möglicherweise der Stimme, und dann sind wir es nicht gewesen. – Herr Hahn und Herr Greilich, so einfach wird das nicht gehen.
Ich erwarte von Ihrer Fraktion eine klare Entscheidung in dieser Debatte.
Ich erwarte von dieser Fraktion eine klare Entscheidung; denn alles andere wäre noch leichter als ein gelber Luftballon.
Ja, natürlich.
Wir jedenfalls stützen inhaltlich den vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung.
Wir unterstützen in dieser Frage inhaltlich den vorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung.Wir wollen kein weiteres Sonderopfer für 97.000 hessische Beamtinnen und Beamte.
Frau Präsidentin, ich bin beim letzten Satz. – Die Föderalismusreform I ist nicht dazu gemacht worden und darf auch nicht dazu missbraucht werden, jedes Jahr wieder eine Haushaltskonsolidierung auf dem Rücken der im öffentlichen Dienst Beschäftigten vorzunehmen. Das müssen sich alle Fraktionen in dieser Stunde und in den nächsten Stunden genau überlegen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unsere Fraktion ist sehr froh, dass wir in dieser Frage weitergekommen sind und nach entsprechender Anhörung und Diskussion im Innenausschuss nun dazu übergehen, tatsächlich eine Härtefallkommission zu schaffen,die im Wesentlichen aus Expertinnen und Experten von Verbänden und Organisationen besteht, die sich mit dieser Materie am besten auskennen, die damit vertraut sind. Insofern vertrauen wir auf deren Urteils- und Entscheidungskraft.
Wir hatten zu Beginn dieser Debatte auch hier im Plenum gefordert, dass auch Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen der Härtefallkommission angehören sollen, um der Entscheidung oder dem Vorschlag an den Innenminister mehr Gewicht zu geben.
Wir haben in der Anhörung sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Verbände in dieser Sache eine andere Position vertreten und durchaus die Frage problematisiert haben, inwieweit Mitglieder des Petitionsausschusses,die im Ausschuss logischerweise mit den gleichen Fällen befasst sind, an der Härtefallkommission beteiligt werden sollen. Das hat in unserer Fraktion nach Diskussion dazu geführt, dass wir diesem sehr starken Votum der Expertinnen und Experten aus der Anhörung gefolgt sind und davon Abstand genommen haben, diese Forderung aufrechtzuerhalten.
Ich denke, dass die vorgeschlagene Zusammensetzung der Härtefallkommission – zehn Vertreterinnen und Vertretern der Verbände,neu hinzugekommen sind nach dem Vorschlag des Innenausschusses Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände, des Innen- und des Sozialministeriums sowie der zentralen Ausländerbehörden –, insgesamt gesehen, die richtige Besetzung ist, auch hinsichtlich der Zahl und damit der Arbeitsfähigkeit der Härtefallkommission. Sie wird künftig aus 17 stimmberechtigten Mit
gliedern bestehen. Nach dem anderen Vorschlag hätte sie aus 22 Mitgliedern bestanden, eine Größenordnung, die diese Kommission etwas überdimensioniert hätte.
Was den Änderungsantrag der CDU-Fraktion angeht, wollen wir ganz bewusst die bisherigen Ausschlusstatbestände nicht in das neue Gesetz übernehmen
dass Sie das nicht wundert, wundert mich nicht, insofern sind wir uns an der Stelle einig –, weil wir sehr wohl der Meinung sind, dass die Urteilsfähigkeit der Expertinnen und Experten in der Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles zu einer Entscheidung führen wird, die die Dinge insgesamt bewertet und zum richtigen Ergebnis kommt. Es ist nicht notwendig, Ausschlusstatbestände im Gesetz festzulegen. Wir trauen den Mitgliedern der Härtefallkommission genug Urteilskraft zu. Deshalb lehnen wir diesen Änderungsvorschlag ab.
Was die Frage der Mehrheitsentscheidung angeht, sollten wir durchaus darüber diskutieren, ob ein Votum der Härtefallkommission, dass nur mit wenigen Stimmen gefasst wurde, das Gewicht hat, dem Innenministerium einen Vorschlag zu machen. Deshalb halten wir es für durchaus diskussionswürdig, im Ausschuss noch einmal darüber nachzudenken, wie man zu tragfähigen Mehrheitsentscheidungen kommt.
Was die Belastung der Kommunen angeht, sind wir auf der Seite der Antragsteller, von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Denn auch wenn es, insgesamt gesehen, nicht sehr viele Fälle sind, die von der Härtefallkommission bisher positiv entschieden wurden – wir hoffen, dass es in der neuen Kommission einige mehr werden –, denken auch wir, dass die Belastungen, die durch solche Entscheidungen möglicherweise auf die Kommunen zukommen, finanziell ausgeglichen werden müssen. Das muss aber erst festgestellt werden, das muss erst errechnet werden. Dann ist nach dem Konnexitätsprinzip aber selbstverständlich das Land gefordert, die Kosten zu übernehmen, wenn eine Entscheidung getroffen wurde, die die Kommunen finanziell belastet.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die verstärkte Nutzung des Internets sowie der neuen Medien ergeben sich grundsätzlich neue Chancen der Kommunikation und Information, aber auch verstärkte Gefahren für die Freiheit des Einzelnen. Neue Techniken ermöglichen es Behörden, aber auch Arbeitgebern, eine totale Überwachung mit relativ geringem technischem Aufwand zu betreiben. Der gläserne Mensch ist möglich geworden.
Umso wichtiger sind der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre. Ausgelöst durch irritierende Vorgänge im Zusammenhang mit Mitarbeiterbespitzelungen bei Firmen wie Lidl, Aldi, Telekom und anderen, sind viele von uns aufgeschreckt.
Gerade die Betriebe stellen eine besondere Herausforderung dar. Jetzt rächt sich, dass ein schon seit Langem von vielen Experten geforderter besonderer Datenschutz in den Betrieben von konservativer und marktliberaler Seite als Gängelung der Wirtschaft abgelehnt wurde.
Hier brauchen wir, vor allem auf Bundesebene, dringend gesetzliche Maßnahmen, um zu einem wirksamen Datenschutz zu kommen.Dazu zählen vor allem unangemeldete Kontrollen in den Betrieben, eine Stärkung des betrieblichen Datenschutzes, der betrieblichen Datenschutzbeauftragten sowie eine Verschärfung der Strafvorschriften.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die GRÜNEN die Initiative ergreifen, um hier ein Informationsfreiheitsgesetz einzubringen, das es in anderen Ländern bereits gibt. Dieses Begehren werden wir unterstützen.
Wenn aber nach dem Bundesdatenschutzgesetz, worauf Herr Kollege Weiß bereits hingewiesen hat, die unbefugte Erhebung,Verarbeitung und Weitergabe von Daten lediglich mit Geldbuße bis zu 250.000 c bestraft werden kann – also mit einem Betrag, den z. B. die Telekom aus ihrer
Portokasse bezahlen kann –, bleiben die Vorschriften des Datenschutzes stumpf.
Notwendig ist aber auch die Herstellung eines kritischen Datenschutzbewusstseins, insbesondere bei Jugendlichen. In den Schulen muss eine besondere Aufklärungsarbeit über die Folgen des problemlosen Umgangs mit den eigenen Daten, insbesondere im Internet, erfolgen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass es schwierig ist, alle Last den Schulen aufzubürden. Aber ich denke, dass der Unterricht im Umgang mit diesem Thema, was das Internet angeht, in den Schulen besser aufgehoben ist als im Elternhaus; denn viele Eltern können aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr nachvollziehen, wie lange und in welcher Art und Weise ihre Kinder im Internet surfen und welche Daten sie täglich von sich aus preisgeben.
Im Übrigen ist aber Datenschutz – wirklich im Sinne von Schutz – zunächst einmal die originäre Aufgabe des Parlaments. Es ist also unsere Aufgabe. Das verwirklicht sich nicht von alleine in den allgemeinen Datenschutzgesetzen und -richtlinien, sondern vor allem in den Einzelgesetzen. In ihnen ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger auszuformen. Jedes einzelne Gesetz muss daraufhin überprüft werden, ob es dem Rechtsanspruch der Bürger gerecht wird, ob es ihn einengt oder verletzt.
Die langjährige vorbildliche Arbeit des Hessischen Datenschutzbeauftragten, den wir heute Nachmittag sicher wieder in seinem Amt bestätigen werden – davon gehe ich aus –, kann uns viele nützliche Informationen bringen, auch für die inhaltliche Arbeit im privatwirtschaftlichen Bereich. Dies sollten wir nutzen.Aber ob dies auch zu einer organisatorischen Zusammenführung zweier staatlicher Stellen führen soll, darüber muss nach unserer Meinung noch intensiv diskutiert werden. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Da wir als neue Fraktion erstmals an dieser Verfassungsdebatte hier im Landtag teilnehmen, erlaube ich mir zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen, bevor ich dann zu einigen Detailfragen kommen möchte.
Für uns ist die demokratische Beteiligung aller Einwohner – ich betone ausdrücklich: Einwohner, da greifen wir den Gedanken der GRÜNEN sehr gerne auf, denn das ist uns wichtig – an den Entscheidungen über Belange der Allgemeinheit ein Eckpfeiler einer demokratischen Politik.
Mehr direkte Demokratie, die Erweiterung der Möglichkeiten und die Bereitschaft zur Mitgestaltung in der Gesellschaft sind notwendig und sinnvoll.
Deshalb treten wir dafür ein, wirksame Formen direkter Beteiligung in Gemeinden, Landkreisen und auf Landesebene einzuführen.
Die hessischen Regelungen zur direkten Demokratie und zur Mitentscheidung der Bevölkerung sind aber – das wurde bereits ausgeführt – bundesweit die schlechtesten; damit meine ich: diejenigen mit den höchsten Hürden.
Deshalb begrüßt DIE LINKE ausdrücklich die Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur verbesserten Gestaltung von Volksbegehren und Volksentscheid. SPD, GRÜNE und LINKE haben in der lebendigen Gestaltung unserer Demokratie durch direkt-demokratische Elemente und die Betonung der Bedeutung des Einzelnen für das demokratische Ganze ein gemeinsames Anliegen.
Man kann auch sagen, die GRÜNEN haben sich hier an der Umsetzung eines für die Demokratie in unserem Lande wichtigen Projektes gewagt – zu einem Zeitpunkt, an dem andere Landtagsfraktionen eher Lippenbekenntnisse zur Bedeutung der demokratischen Grundordnung abgeben.
Wir als LINKE haben bereits einen Gesetzentwurf zur Absenkung des Alters bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre auf den Weg gebracht.
Einen weiteren Antrag – die Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger – können wir hier bereits ankündigen.
Das eingeleitete Gesetzgebungsverfahren für mehr Bürgerbeteiligung und Wirtschaftsaktivität in den hessischen Gemeinden wird ebenso eine Diskussion über eine Neugestaltung der HGO und der HKO für mehr gelebte Demokratie mit sich bringen.
Die Hessische Verfassung sieht den Weg der Volksgesetzgebung zwar ausdrücklich vor, die hohen Quoren in unserer Verfassung und die Hürden des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid tragen jedoch dazu bei,dass in über 50 Jahren noch kein einziger Volksentscheid erfolgreich durchgeführt werden konnte.
Bürgerentscheide, also die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene, haben sich beispielsweise in Bayern seit ihrer Einführung Mitte der Neunzigerjahre bewährt. Entgegen der Erwartung der CSU-geführten Landesregierung, dass wenige Chaoten alles regieren würden, wurden
dort seither Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu einem allgemein akzeptierten und weithin verbreiteten Entscheidungsinstrument mit mehr als 1.750 Verfahren, davon waren fast 970 Bürgerentscheide. Eine solch lebhafte, direkt-demokratisch gestaltete Politik können wir uns für Hessen nur wünschen. Hier wird ein weiteres Feld zu bestellen sein.
Bei Volksbegehren und Volksentscheiden liegt jedoch noch ein großes Stück vor uns. Der Verein „Mehr Demokratie“, der sich in allen Bundesländern und auch auf Bundesebene für die Durchführung von Volksentscheiden einsetzt und dabei auch von bundesdeutschen Spitzenpolitikern Unterstützung erfährt, weist auf folgendes Dilemma hin: „In allen Bundesländern können die Bürger durch Volksentscheide politisch mitagieren: Sie treffen dann anstelle des jeweiligen Landtages die Entscheidung über ein Gesetz. Doch hohe Hürden machen dieses Recht in vielen Ländern zur Farce:Nur vier Bundesländer haben wenigstens teilweise bürgerfreundliche Verfahren.“
Das Land Hessen ist bisher nicht dabei. Wir hoffen, dass sich das nach dieser Diskussion ändern wird. Dabei wird in Sonntagsreden oftmals mehr demokratisches Engagement eingefordert. Bei vielen Regierungen ist die Scheu vor der Selbstgesetzgebung des Volkes immer groß genug, letztendlich doch Bedenken gegen die Einführung von Volksentscheiden vorzutragen. Dabei ist mit der Einführung von Elementen direkter Volksgesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheide mehr verbunden als nur die Beteiligung des Einzelnen an ihn unmittelbar betreffenden Entscheidungen.
Es geht auch um die Disziplinierung von Mandats- und Amtsträgern, denn sie werden so manche Entscheidung vielleicht doch nochmals überdenken, wenn die Bevölkerung negativ betroffen ist. So kann man sich beispielsweise fragen, ob der Flughafen Frankfurt am Main ausgebaut würde, wenn hierzu ein Volksentscheid möglich wäre, oder ob Biblis A nicht eventuell eine Betriebsgenehmigung versagt werden würde. Das sind jedoch nur Beispiele denkbarer Initiativen.
Das Aufbrechen von Legislaturperioden und Entscheidungsrhythmen würde möglich, weil Wahlversprechen vor der Wahl sowie „Wahlverbrechen“ nach der Wahl ein Stück mehr risikobehaftet wären. Die Möglichkeit, generell auch außerparlamentarisch Politik und politische Opposition zu betreiben,würde die Politik in die Gesellschaft hineintragen. Dies gilt es nicht zu fürchten, sondern zu begrüßen und zu unterstützen.
Es stärkt die Auseinandersetzung mit politischen Themen und Strukturen, und es ist wie in Bayern für die Opposition eine Möglichkeit, auch gegen die Alleinregierung politische Entscheidungen durchzusetzen.
Für den von den GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf geben wir nur einige Bedenken oder, wenn Sie so wollen,Anregungen für das sich anschließende Gesetzgebungsverfahren und die Diskussion hier im Parlament mit auf den Weg.
Wir begrüßen es sehr, dass, wie das auch bei einem Gesetzentwurf der GRÜNEN aus dem Jahre 2007 der Fall war, der Begriff des „Einwohners“ wenigstens in das Zentrum der Volksinitiative gerückt wird. DIE LINKE möchte so bald wie möglich eine Änderung der Hessi
schen Gemeindeordnung initiieren,mit der eine Verschiebung der Rechte der Bürger zugunsten der Einwohner einhergeht. Jeder Einwohner, der seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt in einer hessischen Gemeinde gewählt hat, sollte auf die Gestaltung seiner Gemeinde Einfluss ausüben können.
Wir regen auch an, zu klären, ob und wie eine Abstimmungskostenerstattung für die Initiatoren geregelt werden könnte, denn Wahlkampf, das wissen wir, kostet schließlich Geld. Daher würden wir über das hinausgehen, was Sie an technisch-organisatorischer Unterstützung leisten wollen und was wir selbstverständlich auch begrüßen und unterstützen.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis zu den Volksklagen und den Staatsgerichtshofverfahren. Im Jahre 1985 war ich als Gewerkschaftssekretär daran beteiligt, eine Volksklage zur Beteiligung der Gewerkschaften an einem Verfahren des Staatsgerichthofs zur Veränderung des Hessischen Personalvertretungsgesetzes einzubringen, das seinerzeit von SPD und GRÜNEN zur Verteidigung dieses Gesetzes eingereicht worden war und vom Landesanwalt angegriffen wurde. Damals war es ein Leichtes, innerhalb von 14 Tagen 121.000 beglaubigte Unterschriften vorzulegen, damit die Gewerkschaften an diesem Staatsgerichtshofverfahren beteiligt werden konnten und wurden.
Deshalb war ich auch für die Gewerkschaften in der sogenannten Task-Force, die die organisatorische Vorbereitung der Volksklage gegen die Studiengebühren mitorganisiert hat. Das Erste, worüber wir gestolpert waren, war, dass die Hessische Landesregierung im Jahre 2000 durch Rechtsverordnung die Einholung von Beglaubigungen, also die Unterschrift beglaubigen zu lassen, nach dem Staatsgerichtshofverfahren verändert hatte.
Vom Jahre 1985 bis zum Jahre 2000 war es nämlich möglich gewesen, dass jede dienstsiegelführende Behörde, also nicht nur die kommunalen Einwohnermeldeämter, beglaubigen konnte.Das war bei der Volksklage gegen die Studiengebühren nicht mehr möglich. Daher wurde unsere Anregung in vielen Fällen befolgt, in unmittelbarer Nähe der Einwohnermeldeämter Infostände aufzuschlagen, die Menschen dort anzusprechen und Unterschriften zu sammeln.
Das zeigt aber in Bezug auf das Verwaltungshandeln sowie die Initiierung von Volksbegehren und Verfahren vor dem Staatsgerichtshof, dass genau geschaut werden muss und dass es nicht nur darum geht,die Verfassung sowie die entsprechenden Gesetze zu ändern,sondern dass auch die Verwaltung aktiv daran beteiligt und verpflichtet sein muss, entsprechende Initiativen zu unterstützen sowie mitzutragen. Das geht in der Tat über das hinaus, was in den Gesetzentwürfen der GRÜNEN, die wir sehr begrüßen, steht.
Wir wollen einen weiteren Vorschlag in die Debatte einbringen, der nach unserer Meinung zu mehr Gerechtigkeit beitragen könnte: eine Orientierung an den Stimmberechtigten der letzten Landtagswahl. Es ist zu überlegen, inwieweit sich die Quoren dem Wählerverhalten bei Landtagswahlen anpassen müssen. Das würde bedeuten, dass bei einem Quorum von 10 % nicht mehr rund 410.000 Menschen notwendig wären, sondern aufgrund des leider zurückgehenden Wahlverhaltens gäbe es im Moment eine Größenordnung von 280.000 bis 300.000. Daher wäre es interessant, zu diskutieren, ob man even
tuell eine solche Konkurrenzsituation, wie ich es zunächst nennen möchte, will. Es wäre allemal legitim, sich auf die Anzahl der Stimmberechtigten der letzten Landtagswahl zu beziehen statt lediglich auf die Anzahl der Abstimmungsberechtigten.
Auch über die Höhe des Quorums würden wir gerne reden,wenn man bedenkt,dass gerade noch zwei Drittel der Wahlberechtigten wählen gehen und die Tendenz fallend ist.
Lassen Sie es mich zusammenfassen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für diese vier Gesetzesinitiativen und schließe mit dem berühmten Wort von Willy Brandt: „Lassen Sie uns gemeinsam mehr Demokratie wagen.“ – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei der Lenkungsgruppe, die hier vorgeschlagen wird, ist es das Problem, dass sie überhaupt eingerichtet werden soll. Sicherlich kann eine Bauausstellung, gar eine internationale Bauausstellung, positive Effekte für die Entwicklung einer Region haben.
Wir haben das in Nordrhein-Westfalen gesehen. Dort wurde die IBA Emscher Park als Zukunftsprogramm des Landes umgesetzt, um eine Region neu auszurichten und sie als Wohn- und Erholungszentrum für die Einwohner aufzuwerten, nachdem sie einen grundlegenden Strukturwandel zu verkraften hatte.
Berlin hat in der Nachkriegszeit gleich zwei IBAs ausgerichtet – um zerbombte Gebiete und später solche, die aus sozialen und finanziellen Gründen abgerutscht waren, wieder lebenswert zu gestalten.
Das Land Brandenburg will mit der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land dem Strukturwandel wirtschaftliche, künstlerische und ökologische Impulse geben, nachdem der Tagebau in der Niederlausitz eingestellt worden ist.
Auch in Sachsen-Anhalt läuft noch bis zum Jahr 2010 eine landesweite IBA Stadtumbau Sachsen-Anhalt. Hier geht es um neue Perspektiven für Städte, die unter Arbeitslosigkeit und Wegzug, Suburbanisierung und demografischem Wandel leiden.