Protokoll der Sitzung vom 24.09.2008

Dass sich eine Fraktion dieses Landtags bei klaren Verhältnissen entschließt, dort rechtswidrig ein Fraktionsbüro einer Landtagspartei einzurichten, geschieht, soweit ich weiß, zum ersten Mal – auch in ganz Deutschland. Das ist ein unglaublicher Vorgang, und es ist der Beweis dafür, dass die Fraktion der LINKEN ein gebrochenes Verhältnis zum Rechtsstaat hat und völlig ungeeignet ist, in unserem Land Verantwortung zu tragen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Staatsminister Bouffier. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich ihr Vorsitzender, Herr Al-Wazir, gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gab ein Wort – es war, wenn ich es richtig gehört habe, das einzige Wort, das von allen Rednerinnen und Rednern gebraucht wurde –, das die Debatte bestimmt hat: Das war das Wort „Deeskalation“. Das hat gerade im Hessischen Landtag einen Grund, wie man weiß, wenn man die Vorgeschichte der Auseinandersetzung über den Bau der Startbahn West mit allem, was folgte, kennt.

Herr Innenminister, wir sind gern bereit, uns mit allen in diesem Haus über die Frage auseinanderzusetzen, was eskalierend und was deeskalierend wirkt.Aber, Herr Innenminister, Sie sollten sich einmal selbstkritisch fragen, ob Ihre Rede ein Beitrag zur Deeskalation war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bouffier, ich glaube, an dem Punkt, als Sie gesagt haben: „Herr Kahl, jetzt sagen Sie doch einmal, dass mit den LINKEN nichts geht, solange die ihr Büro nicht räumen“, haben Sie bewiesen, dass es Ihnen nicht um Deeskalation geht, sondern um eine ziemlich kleine, billige parteipolitische Münze.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Hier geht es um mehr als Taktik, Herr Al-Wazir!)

Gerade angesichts der hessischen Geschichte finde ich das unangemessen. Ich sage Ihnen: Ich war als Kind des Öfteren im Hüttendorf im Flörsheimer Wald, unter anderem deshalb, weil mein Stiefvater dort Sanitäter aufseiten der Demonstranten war. Bei uns auf dem Küchentisch stand eine Kiste, in der Polaroidfotos von verletzten Demonstranten abgelegt wurden.

Ich weiß, wie es war, wenn damals der andere – aus Sicht der Demonstranten war der andere immer der Polizist – nur noch als Gegner wahrgenommen wurde. Ich weiß, wie das damals war. Als ich 1995 ins Parlament kam und innenpolitischer Sprecher wurde, hatte ich natürlich auch Termine bei der Polizei, unter anderem mit sogenannten Aufsteigern, also Polizisten in Ausbildung, die schon länger im Dienst waren.

Damals habe ich erstmals gemerkt, dass es auch in der heutigen Generation der Polizistinnen und Polizisten ein Startbahntrauma gibt. Die haben gesagt: Nie wieder dürfen uns die Politiker,nur weil sie nicht in der Lage sind,die Probleme zu lösen, immer wieder in diese Konflikte hineinschicken. – Da ist mir noch einmal klar geworden, welch eine Tragik – auch aus heutiger Sicht – dieser Konflikt um die Startbahn West eigentlich war.

Herr Kollege Beuth, wenn Sie Kurt Oeser schon erwähnen, müssten Sie auch sagen, dass es Kurt Oeser war, der die Hüttenkirche im Dorf im Flörsheimer Wald geweiht hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Demnach wäre auch Kurt Oeser einer dieser Rechtsbrecher, so, wie Sie es heute gesagt haben.

Wir müssen unseren Beitrag dazu leisten,dass dieser Konflikt nicht eskaliert.Ich sage Ihnen ausdrücklich:Ich finde, es gibt in der Auseinandersetzung Unterschiede. Einer der Unterschiede zwischen heute und damals ist, dass 1981 keine Ausbaugegner im Hessischen Landtag saßen und dass diejenigen,die gegen den Ausbau waren,das Gefühl hatten,sie seien ohnmächtig.Das ist übrigens ein gro

ßer Unterschied zu heute. Es gibt in diesem Parlament auch Leute, die sagen: Ich halte diesen Ausbau für falsch. – Deshalb muss man sich überlegen, ob die Protestformen von damals heute noch tragen oder nicht.

Aber, Herr Innenminister, ich hielte es für völlig falsch, wenn man versuchte, den Weg der Deeskalation, den wir alle miteinander gehen müssen,zu verlassen,nur weil man eine Fraktion, die Sachen macht, die man selbst nicht für richtig hält und die die eigene Fraktion auch nicht machen würde, in ein schlechtes Licht rücken möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Innenminister, wenn die Aussage mit dem Rechtsbruch ernst gemeint ist, der da täglich stattfinden soll, dann frage ich Sie, ob es richtig ist, dass die Polizei bisher – ich finde: zu Recht – deeskalierend wirkt. Ist es dann richtig, dass z. B. die Polizei letzte Woche, als dort ein Blindgänger aus dem Weltkrieg entschärft wurde, ausdrücklich gesagt hat, sie greife nicht ein, auch wenn die Bewohner heraus- und nachher wieder hineingingen? Herr Innenminister, ich sage ausdrücklich: Ich finde es richtig,dass sich alle darum bemühen,dass dieser Konflikt nicht eskaliert. Herr Innenminister, ich finde, Ihr Beitrag war keiner zur Deeskalation. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, den Weg der Deeskalation nicht zu verlassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Al-Wazir, danke schön. – Als Nächster erhält Herr Hahn, der Fraktionsvorsitzende der FDP, das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin mit einigen Zwischenrufen und auch einem kleinen Duell an Zwischenrufen zwischen Herrn Kollegen van Ooyen und mir die Frage erörtert, ob ein Widerstandsrecht besteht. Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN hat erklärt, das ergebe sich aus der Verfassung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon schade, dass man einem neuen Mitglied eines Verfassungsorgans mitteilen muss, dass er damit schlicht unrecht hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Er hat damit schlichtweg unrecht. Art. 20 Abs. 4 unseres Grundgesetzes schreibt Folgendes fest:

Gegen jeden, der es unternimmt,...

(Zurufe zwischen den Abgeordneten)

Wenn ich störe, warte ich gerne.

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Hier geht es nicht darum, dass die bundesstaatliche Ordnung oder der demokratische und soziale Bundesstaat als gefährdet anzusehen sind. Vielmehr geht es hier darum, dass rechtsstaatlich getroffene Entscheidungen einer Behörde, die teilweise auch schon von Gerichten bestätigt wurden, zu achten sind. Herr Kollege van Ooyen, dagegen haben Sie kein Widerstandsrecht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das haben Sie im Rahmen der Gewaltenteilung und gerade auch als Mitglied der ersten Gewalt zu akzeptieren. Ansonsten würden Sie die bundesstaatliche Ordnung damit auf den Kopf stellen. Aber das wollen Sie in diesem Hause als Postkommunisten ganz offensichtlich machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich komme zu meiner zweiten Bemerkung. Ich beziehe mich dabei auf die Rede des Herrn Kollegen Al-Wazir. – Ich habe immer das Pech,dass,wenn ich die Menschen anspreche, sie gerade von anderen abgelenkt werden.

Herr Kollege Al-Wazir, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie von diesem Pult aus die Botschaft verkünden, dass Sie von jedem erwarten, dass er sagt, die Deeskalation müsse weiter betrieben werden. Ich habe das jetzt sehr bewusst mit Blick auf den Innenminister gesagt.

Herr Kollege Al-Wazir, sind Sie nicht auch wie ich der Auffassung, dass gerade die LINKEN mit ihrer Aktion „Wir machen ein Fraktionsbüro in diesem Wald auf“ zur Eskalation beitragen?

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie der Mi- nister Volker Bouffier und Volker Hoff)

Haben Sie nicht wie ich das Gefühl, dass sie ganz bewusst an dem Gerüst unseres Rechtsstaats rütteln und dass sie ganz bewusst diese rechtswidrig erbaute Hütte nutzen wollen, weil sie eine stärkere Eskalation haben wollen? Denn von einer Eskalation können nur die Postkommunisten gewinnen. Wenn wir Demokraten vernünftig wären, würden wir weiterhin gemeinsam die Deeskalation betreiben. Herr Kollege Al-Wazir und Frau Kollegin Ypsilanti, dazu rufe ich Sie auf. Schließen Sie doch mit uns, den Liberalen, und den Konservativen wieder einen Pakt, wie er im Übrigen Anfang der Achtzigerjahre geschlossen wurde. Damals waren die GRÜNEN noch nicht im Parlament.Wir sollten in diesem Hause einen Pakt zur Deeskalation organisieren. Grenzen wir doch endlich die Eskalierer der LINKEN bei diesem Thema aus.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie des Mi- nisters Volker Bouffier)

Ich möchte eine dritte, sehr persönliche Bemerkung machen. Herr Kollege Al-Wazir, Sie haben von Ihren Erfahrungen gesprochen, die Sie Anfang der Achtzigerjahre gemacht haben. Ich möchte das jetzt auch tun.

Ich wusste damals nicht, dass ich einmal sein Nachfolger als Landesvorsitzender der hessischen FDP werden würde. Ich war damals persönlicher Mitarbeiter des ehemaligen Innenministers Ekki Gries. Er war das übrigens im Kabinett Holger Börner. Ich sage das, damit die Sozialdemokraten wissen, wovon ich spreche.

(Zuruf: Das war ein guter Mann!)

Ich war an dem Tag vor Ort, als der damalige hessische Innenminister Ekki Gries mit den Demonstranten sprach. Viele von Ihnen werden noch das Bild mit den Demonstranten mit den nackten Oberkörpern vor Augen haben.

Lieber Herr Kollege Al-Wazir, wenn Sie in jungen Jahren das erlebt haben, was ich erlebt habe, werden Sie nachvollziehen können, dass ich der Auffassung bin, dass die Staatsmacht immer darauf aus sein muss, zu deeskalieren. Einige Jahre später mussten wir in eine Kirche in Frankfurt gehen, weil Polizeibeamte erschossen wurden. Man muss also auch wissen, dass eine Deeskalation immer so angelegt sein muss, dass sie nachher auch erfolgreich ist.

Deshalb sage ich hinsichtlich dessen, was dort in diesem Hüttendorf passiert:Wehret den Anfängen.

(Beifall bei der FDP und der CDU sowie des Mi- nisters Volker Hoff)

In den Jahren 1980 und 1981 war es auch so, dass manche erst einmal damit begonnen haben.

Aufgrund zahlreicher Gespräche mit Pfarrer Oeser, die wir unter vier Augen geführt haben, darf ich Ihnen Folgendes sagen. Ich hatte niemals das Gefühl, dass Pfarrer Oeser derjenige war, der mit großer Freude in diese Hütten und in diese Kirche gegangen ist.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist richtig!)

Vielmehr hat er gegen seine persönliche Auffassung seine Autorität dazu genutzt, dort dafür zu sorgen, dass es zur Deeskalation kommt.