Protokoll der Sitzung vom 09.05.2008

Europa muss seinen Bürgern vor internationalem Terrorismus und Kriminalität Schutz bieten. Der Wegfall der Grenzen in Europa darf nicht ein Wegfall der Sicherheit bedeuten. Wir stehen für effektive Terrorismusbekämpfung und Kriminalitätsbekämpfung zum Schutze unserer Bürger. Europa braucht Grenzen und darf nicht ständig ausgeweitet werden.

Aber Europa ist trotz manchem Skeptiker schon längst bei der Jugend angekommen. Für sie ist Europa jenseits großer Worte tagtäglich erfahrene positive Realität: Reisen in Nachbarländer ohne Grenzaufenthalte, ohne das mulmige Gefühl, sich dabei einer fremden Staatsmacht auszusetzen. Bei manchen östlich gelegenen Ländern, die heute ganz selbstverständlich Teil des Europas der Freizügigkeit sind,war ein Grenzübertritt oft auch schlicht mit Angst verbunden.

Kurz entschlossen, mit den Euros, die man gerade in der Tasche hat, kann losgefahren und in Salzburg, Straßburg oder Bozen, Amsterdam, Antwerpen oder Kopenhagen das Mittagessen bezahlt werden. Eine gemeinsame Währung für Europa – das hat es seit dem römischen Imperium vor fast 2.000 Jahren nicht mehr gegeben. Die Erleichterung einer gemeinsamen und allen Unkenrufen zum Trotz stabilen Währung nimmt man heute schon wie selbstverständlich hin. Aber es ist ein riesiger Fortschritt. Unsere Jugend macht auch Gebrauch von dieser Freizügigkeit.

Die EU fördert seit Jahren den Austausch Jugendlicher in jetzt 27 Ländern Europas. Zahlreiche Förderprogramme von SOKRATES, LEONARDO, COMENIUS und ERASMUS bieten jungen Menschen vielfache Möglich

keiten, an ausländischen Universitäten zu studieren, die Sprachen der Nachbarländer vor Ort zu erlernen, ein Praktikum, ein Teil ihrer Ausbildung oder einen Fachkurs im europäischen Ausland zu absolvieren, etwa als Auszubildender im Holzbau in Schweden,in einem italienischen Architekturbüro oder als Elektroinstallateur in Frankreich.

An unseren Schulen werden unzählige Programme angeboten. Gerade in der letzten Woche konnten wir bei Veranstaltungen in den Schulen anlässlich der Europawoche wieder feststellen, wie engagiert Schülerinnen und Schüler das Thema Europa begreifen. 140 Veranstaltungen gab es an hessischen Schulen.

Meine Damen und Herren, nach diesem Exkurs in die erfreuliche europäische Realität zurück zum Reformvertrag, der diese Wirklichkeit weiter garantieren wird. Insgesamt kann man feststellen: Der Reformvertrag ist ein Kompromiss, aber er ist ein guter Kompromiss. Er stattet Europa mit dem nötigen Rüstzeug aus, damit Europa als gleichberechtigter globaler Partner in der Welt agieren kann. Unsere Zukunft beginnt jetzt heute hier in diesem Parlament.

Die CDU-Fraktion kann sich daher dem Antrag der GRÜNEN mit einer kleinen Einschränkung anschließen. Frau Hammann hat vorhin schon gesagt, dass es kein Problem sei und das Wort „aufgefordert“ durch „gebeten“ ersetzt wird. Ich denke mir, die Landesregierung wird dieser Bitte gern nachkommen.

Wenn wir alle dem Antrag der GRÜNEN zustimmen, hätte ich mir gedacht, erübrigt sich eigentlich der Antrag der SPD-Fraktion Drucks. 17/141.

Ein Wort zum Antrag der LINKEN. In diesem Antrag stellt sich die LINKE erneut ins Abseits. Sie zeigt damit ihre Distanz zu einer der tragenden Säulen der Demokraten in diesem Land.

(Beifall bei der CDU)

Nach den Schrecken zweier Weltkriege ist das vereinte Europa ein Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Dass die LINKE ein Problem mit dieser Freiheit hat,muss nicht verwundern. Dass die LINKE eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb in ihrem Antrag als „neoliberales Dogma“ bezeichnet, ist einmal mehr Beleg dafür, dass sie als Nachfolgeorganisation der SED aus dem historisch gescheiterten Experiment des Sozialismus rein gar nichts gelernt hat.

(Zurufe und Beifall bei der CDU und Abgeordne- ten der FDP)

Noch ein Weiteres zeigt sich in diesem Antrag. Verantwortung ist für die LINKE ein Fremdwort. In der letzten Sitzung dieses Hauses haben wir erlebt, dass die LINKE keine Verantwortung für künftige Generationen kennt und mit abenteuerlichen Verschuldungsplänen unseren Kindern und Enkeln untragbare Lasten aufbürden will. Dazu passt, dass die LINKEN in ihrer Begründung zum Lissabon-Antrag die europäischen Stabilitätsanforderungen an die öffentlichen Haushalte ablehnen.

Der von der LINKEN erhobene Vorwurf einer Militarisierung der Europäischen Union durch den Vertrag von Lissabon zeigt nun, dass die LINKEN die internationale Verantwortung Deutschlands und Europas für Frieden und Stabilität der Weltgemeinschaft ablehnen.

Wir haben uns in der letzten Sitzung am Beispiel Tibets einstimmig zur Universalität der Menschenrechte be

kannt. Dazu gehört aber auch, Menschenrechte effektiv zu schützen. Wir haben in Europa nach dem Verfall Jugoslawiens die leidvolle Erfahrung machen müssen, dass zum Schutz von Menschenrechte im äußersten Fall auch militärische Interventionen möglich sein können – denken Sie nur an das Kosovo.

Dieses Mindestmaß an internationaler Verantwortung anzuerkennen sind die LINKEN nicht in der Lage. Der Antrag der LINKEN ist daher mehr als ärgerlich, aber er hat wieder einmal Klärung gebracht. Die LINKEN stehen nicht auf dem Boden des Grundkonsenses der vier demokratischen Parteien dieses Landtags.Einmal mehr hat sich gezeigt, dass man es dieser Fraktion niemals erlauben darf, Einfluss auf das Regierungshandeln in diesem Land zu bekommen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, nach dem Fall der Mauer – im nächsten Jahr wird das 20 Jahre her sein – hat sich die Europäische Union zu einer Gemeinschaft erweitert,die beinahe den gesamten europäischen Kontinent umfasst, bestehend aus Staaten, die vorher nicht in Freiheit und Demokratie leben durften.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die brüderliche Unterdrückungshilfe des SED-Staates bei der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968. Dieses Europa wird nächstes Jahr stärker und selbstbewusster denn je sein.Wir Deutsche in seiner Mitte werden davon großen Nutzen haben. Ich wünsche mir, dass Hessen, dass die Bundesrepublik Deutschland auf diesem europäischen Weg weiter vorangehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank,Frau Osterburg.– Als Nächster hat Herr van Ooyen für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident, verehrte Damen und Herren! Der von den Staats- und Regierungschefs der EU am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnete „Vertrag über eine Verfassung in Europa“ wurde in einigen Mitgliedstaaten dem Volk, also dem Souverän, zur Abstimmung vorgelegt. In Frankreich und den Niederlanden wurde dieser Verfassungsentwurf mehrheitlich abgelehnt.

Die Gründe dafür waren in erster Linie die Festschreibung einer konsequent neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche sich über den Nizza-Vertrag auch im vorliegenden Reformvertrag wiederfindet, aber auch die – dies ist bisher einmalig in einer Verfassung – Verankerung einer Aufrüstungspolitik, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet – ich zitiere –, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“.

Um Volksentscheide über diesen Text in Zukunft zu vermeiden, wurde bewusst die Bezeichnung „Verfassung“ vermieden und das Vertragswerk umbenannt in – jetzt zitiere ich das einmal, damit das klarer wird – „Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“. Jedoch sind genau die Punkte, die zur mehrheitlichen Ablehnung in Frankreich und den

Niederlanden führten, weiterhin Grundbestandteile des nun vorliegenden Vertrags.

Ich will daran erinnern, dass über den Vorgängervertrag zum nunmehr anstehenden Lissabon-Vertrag eine breite politische Debatte stattgefunden hat. Auch die Gewerkschaften, die Friedens- und die sozialen Bewegungen haben mit den 2002 in Florenz, dann in Paris, London und vor zwei Jahren in Athen fortgesetzten Sozialforen an einer europäischen Charta gearbeitet.

Dies wollen wir nun im September in Malmö fortsetzen. In dem Aufruf zu Malmö heißt es unter anderem – ich zitiere –:

Wir streiten in Malmö für ein gerechtes, friedliches, demokratisches und umweltfreundliches Europa. Das Europäische Sozialforum ist der richtige Ort, um über Alternativen zu beraten und Schritte zu diskutieren, die uns unseren Zielen näherbringen. Hier können wir uns fit machen für gemeinsame Aktionen.

Und weiter heißt es:

Wir wollen ein Signal setzen gegen die Phrasen des neoliberalen Einheitsdenkens, die uns vorgaukeln, es gäbe keine Alternativen zur herrschenden Politik.

(Michael Boddenberg (CDU):Welche denn?)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr van Ooyen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rentsch?

Nein, jetzt nicht; nachher.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die Position ist ziemlich identisch mit der NPD!)

Nein. Ich komme nachher darauf, Herr Irmer. Da sagen wir sehr deutliche Worte. Hören Sie einfach einmal zu.

Angeblichen „Zwängen der Globalisierung“ sowie einer Europäischen Union, die uns lediglich Militarisierung, Umweltzerstörung und weiteren Sozialabbau bringt, die globale Armut und globale Probleme mehrt,setzen wir eine Globalisierung der Solidarität, des Widerstands und der Alternativen entgegen.

Das bedeutet für uns: mehr Demokratie, Abrüstung, zivile Konfliktlösungen, die Gleichstellung von Migranten und Migrantinnen und ein menschlicher Umgang mit Flüchtlingen und Migranten und Migrantinnen. Migration ist kulturelle Bereicherung. Für die Außenpolitik der EU müssen die Rechte der Armen in den Entwicklungsländern Vorrang vor billigen Agrarprodukten, Profit und Rohstoffsicherung für europäische Konzerne haben.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Klären Sie doch einmal die Position von Lafontaine zu den Fremdarbeitern!)

Die können Sie von Herrn Lafontaine selbst erfragen. Ich trage das vor, was wir hier meinen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Der gehört doch zu Ihnen! – Michael Boddenberg (CDU): Zitieren Sie doch mal!)

Weil wir Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und prekäre Beschäftigung in ganz Europa nicht hinnehmen, setzen wir uns für eine Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik ein, die sich nicht an den Börsennotierungen, sondern an den Bedürfnissen der Menschen und dem Schutz der Natur orientiert.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Also kein Sozialismus!)

Dazu gehören sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, Mindeststandards bei Krankengeld,Arbeitslosengeld und Renten sowie europäische Mindestlöhne. Der Ausbau der Mitbestimmungsrechte gehört für uns zu einem demokratischen Europa. Die Wirtschaft muss konsequent ökologisch umgebaut werden. Qualitativ hochwertige Bildung ist für uns ein öffentliches Gut, zu dem alle Menschen freien Zugang haben müssen.... Wir erwarten Geschlechtergleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Bei den Europäischen Sozialforen arbeiten Menschen aller Schichten, aller Klassen und aller Religionen zusammen. Nur Rassismus und Nationalismus müssen draußen bleiben.

Meine Damen und Herren, mit zahlreichen Initiativen und Veranstaltungen haben wir – wie viele Organisationen und Basisgruppen der Friedensbewegung – versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und die Öffentlichkeit über den EU-Reformvertrag zu informieren.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Es ist beim Versuch geblieben!)

Aufklärungsbedarf bestand und besteht bis heute vor allem hinsichtlich der außen- und sicherheitspolitischen Feststellungen, die mit der Annahme des Reformvertrags getroffen werden.