Aufklärungsbedarf bestand und besteht bis heute vor allem hinsichtlich der außen- und sicherheitspolitischen Feststellungen, die mit der Annahme des Reformvertrags getroffen werden.
Wir kritisieren insbesondere folgende Bestimmungen: Die EU-Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten „schrittweise zu verbessern“ – Art. 28c. Die Einrichtung einer Europäischen Verteidigungsagentur, die Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors ergreifen soll – Art. 28a. Diese Verteidigungsagentur besteht bereits seit 2004, also schon ohne gesetzliche Grundlage – um das gleich zu sagen.Wir aber sagen, wir wollen keine Verteidigungsagentur, sondern wir brauchen eine Abrüstungsagentur.
Generell. Wir können ja noch einmal über die KSZE und ihre Auswirkungen diskutieren, wie wir damals, 1975, agiert haben.
Die Einführung bestimmter Verfahren, um den schnellen Zugriff – hören Sie zu, was in dem Text, den Sie beschließen wollen, drinsteht – auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten, damit Militäreinsätze, sogenannte Mis
sionen, durchgeführt werden können. Hierfür wird ein sogenannter Anschubfonds gebildet. Der Aufbau der schnellen Eingreifgruppen, sogenannter Battle Groups, Schlachtgruppen, die zu Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung benötigt werden, ist dort festgeschrieben. Die Einstufung des schwer kriminellen Tatbestands des Terrorismus als eine Handlung, die mit militärischen Mitteln, also mit Krieg, beantwortet werden kann.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was schlagen Sie denn vor? – Michael Boddenberg (CDU):Was schlagen Sie denn vor? Einfach laufen lassen, oder was wollen Sie?)
Die Konstruktion einer exklusiven Gruppe von Staaten der EU, welche die ständig strukturierte Zusammenarbeit bilden sollen. In dieser Gruppe sind Staaten, „die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen“ – Art. 28a und die Art. 1 und 2 des Protokolls über die ständig strukturierte Zusammenarbeit.
Die Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments. Das Europäische Parlament wird in Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik lediglich informiert und angehört.Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat,also die Exekutive der EU. Der ganze Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik wird rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen. Nach Art. 240 ist der Gerichtshof der Europäischen Union hierfür nicht zuständig – ganz eindeutig.
Der europäische Außenminister – auch eine solche Konstruktion – mit der Bezeichnung „Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ ist gleichzeitig Vizepräsident der Kommission, erhält also ein besonderes Gewicht im Institutionengefüge der Union. Zu kritisieren ist daran besonders, dass zum ersten Mal in einem europäischen Land die Zusammenführung von Außen- und Verteidigungspolitik erfolgt. Auch das signalisiert, dass hier der Verdacht naheliegt, dass die EUPolitik vornehmlich als Militärpolitik begriffen wird.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Oje, oje! – Michael Boddenberg (CDU): Waren Sie letzte Woche in Moskau, Herr Kollege?)
Erstens. Militärinterventionen in aller Welt und somit Kriege werden zum selbstverständlichen Mittel der Außenpolitik der EU. Die EU militarisiert sich.
Zweitens. Die Militarisierung und die ständige Verbesserung der militärischen Fähigkeiten kosten Geld,das in anderen Bereichen fehlen wird.
Drittens. Mit der inneren und äußeren Militarisierung verliert die Europäische Union zukünftig an Attraktivität als Zivilmacht.
Sie wird zu einem hoch gerüsteten Global Player und trägt damit zur Verschärfung weltweiter Konflikte und Spannungen bei.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Hat das Gysi unterschrieben? – Gegenruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE): Es tut weh, zuzuhören!)
Auch in den Gewerkschaften mehren sich die Stimmen gegen den Lissabon-Vertrag. So hat beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen auf ihrem
Bundeskongress am 19. Mai 2008 in Kassel den LissabonVertrag abgelehnt. In der Begründung heißt es – ich zitiere –:
Dieser Vertrag schreibt die antisoziale und antidemokratische Politik des Maastrichter Vertrags... fest.... Der Lissabon-Vertrag übernimmt den Artikel über den Binnenmarkt, in dessen Namen alle EU-Richtlinien für die Privatisierung der öffentlichen Dienste (Bahn, Post, Telekommunikation, Strom, Gas) erlassen und in allen europäischen Ländern umgesetzt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in seinem politischen Gehalt ist der Reformvertrag nichts anderes als der Verfassungsvertrag, der im Jahr 2005 in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden ist.
Ich will daran erinnern, dass die Vorlage zur letzten Fassung des Verfassungsvertrages eine breite europäische politische Debatte erzeugt hat, begleitet von vielfältigen Aktionen, z. B. europaweit gegen die Bolkestein-Richtlinie – und zwar auch deshalb, weil er stärker in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Beispielsweise erhielten in Frankreich alle Haushalte – einschließlich meines eigenen – den zur Abstimmung stehenden Vertrag als Exemplar ausgehändigt. Ich weiß dies, weil auch bei mir in der Familie immerhin drei französische Stimmen zur Verfügung standen, die – ich will es gar nicht leugnen – zum „Non“ in Frankreich beigetragen haben.
Es zeugt von einem merkwürdigen Demokratieverständnis, wenn dasselbe Papier unter einem anderen Namen und mit gleichzeitig kosmetischen Änderungen heute als Reformvertrag von den Parlamenten durchgewinkt werden soll. Volksabstimmungen darüber werden als riskant eingestuft und sollen deshalb unterbleiben. Das ist nicht das Europa, das wir wollen.
Wir in Hessen sollten uns ein Beispiel an Irland nehmen. Dort wurde immerhin eine Volksabstimmung zur Bedingung für die Akzeptanz des Vertrages gemacht. Auch unsere Hessische Verfassung schreibt in Art. 123 vor:
Eine Verfassungsänderung kommt dadurch zustande, dass der Landtag sie mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder beschließt und das Volk mit der Mehrheit der Abstimmenden zustimmt.
Wir sollten unser Grundgesetz und unsere Hessische Verfassung ernst nehmen und nicht einen antidemokratischen Vertrag zum Maßstab für die europäische Zukunft machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus all diesen Gründen fordert DIE LINKE den hessischen Ministerpräsidenten auf, dem EU-Reformvertrag im Bundesrat nicht zuzustimmen.
Wer für die weitere Integration der EU als anerkannte Zivilmacht ist, der muss ihre Umwandlung in einen Militärpakt ablehnen.
Wir sollten gemeinsam eine breite politische Debatte über die Zukunft eines freiheitlichen,friedlichen,solidarischen und grenzenlosen Europa initiieren.
Ich wünsche mir von diesem Land Hessen in Anlehnung an die revolutionären Gedanken der Paulskirche-Bewegung von 1848,diesem Gedanken wirklich gerecht zu werden und die öffentliche Debatte dazu zu beginnen. – Ich darf mich für die Aufmerksamkeit bedanken.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Die würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie wüssten, dass sie von Ihnen bemüht werden!)
Vielen Dank, Herr van Ooyen. – Herr Krüger, Sie haben sich für die FDP-Fraktion als Nächster zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Wenn Sie mich eben nicht so auffällig aufgerufen hätten, hätte ich wirklich gedacht, ich träume – nach diesem Beitrag, den ich hier eben gehört habe.
Man kann sehr viel vertragen.Man kann auch sehr viel ertragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Falle war ich eigentlich der Meinung, nachdem dieser Antrag schriftlich verteilt worden ist, es handelt sich hierbei um eine Pflichtübung, die die neu in den Hessischen Landtag gewählte LINKE als Auftrag aus Berlin bekommen hat.
Aber nach diesem Vortrag muss man wirklich glauben,die meinen das auch noch ernst, was sie da formuliert haben.
Dabei ist das wirklich scharf an der Grenze, sehr scharf. Denn man muss sich tatsächlich überlegen, ob man nicht den Worten zu viel Gewicht beilegt, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt. Auf der anderen Seite ist natürlich die absolute Grenze dort gegeben, wo es darum geht, diesen Überlegungen entgegenzutreten.
In erster Linie aber geht es um ein paar ganz simple Dinge. Wenn man diesen Antrag liest und diesen Vortrag eben gehört hat,muss man sich wirklich fragen:Wer hat es schon jemals geschafft – und dafür, meine Damen und Herren von den LINKEN, verdienen Sie eigentlich wirklich einen Preis –, so viele Plattitüden nebeneinander in einen einzigen Antrag zu schreiben?