Protokoll der Sitzung vom 09.05.2008

In erster Linie aber geht es um ein paar ganz simple Dinge. Wenn man diesen Antrag liest und diesen Vortrag eben gehört hat,muss man sich wirklich fragen:Wer hat es schon jemals geschafft – und dafür, meine Damen und Herren von den LINKEN, verdienen Sie eigentlich wirklich einen Preis –, so viele Plattitüden nebeneinander in einen einzigen Antrag zu schreiben?

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Da lese ich: „neoliberale Wirtschaftspolitik“. Was ist das? Gehen Sie doch einmal hierher – das kann man auch bei

anderer Gelegenheit fragen –, und erklären Sie, was neoliberal eigentlich ist.

(Michael Boddenberg (CDU): Das kann Ihnen keiner erklären!)

Darauf warte ich seit mehreren Jahren. Ich verstehe, was „liberal“ ist. Ich verstehe auch, was „liberale Wirtschaftspolitik“ ist.Aber „neoliberal“?

Dann ist dort die Rede von „Militärinterventionen nach außen“. – Ich bin schon etwas älter, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass die EU aktiv Krieg nach außen geführt hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Aber offensichtlich scheint es bei den LINKEN so zu sein, dass das, was im Wesentlichen friedensstiftende Maßnahmen und Polizeieinsätze gewesen sind – das können Sie genau wie jeder andere nachlesen –, neuerdings „Militärinterventionen“ gewesen sind. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Meine Damen und Herren, ein weiteres Schlagwort: Was ist denn „wenig demokratisch“? Ich will hier keine semantischen Diskussionen führen, aber entweder ist etwas demokratisch, oder es ist nicht demokratisch oder undemokratisch. Aber „wenig demokratisch“ ist ein Balanceakt, sicherlich ein Übermittlungsfehler zwischen Berlin und Wiesbaden.

Meine Damen und Herren – damit will ich es bewenden lassen –, diese Sprache entlarvt eigentlich schon diesen Antrag. Im Grunde genommen sollte man es vermeiden, sich damit etwas weiter und inhaltlich tiefer zu beschäftigen.

Aber es taucht noch eine interessante Frage auf: Wir wissen alle, es geht um die Ratifizierung in den 27 Staaten. Wir wissen auch alle, dass bis heute 13 von den 27 Staaten diesen Vertrag von Lissabon ratifiziert haben. Sie wurden vorhin in der Regierungserklärung namentlich aufgezählt. Wenn man sich nun noch einmal die Namen dieser Staaten vor Augen führt, und das darf ich jetzt einmal tun, dann ist es interessant,dass acht von diesen 13 Staaten aus dem osteuropäischen Raum sind.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Das sind Staaten aus der Ecke,von der Sie bis kurz vor der Wiedervereinigung der Meinung waren, dort sei eigentlich alles richtig. Da frage ich mich: Warum drängen ausgerechnet diese Staaten Bulgarien, Rumänien, diese neuen Staaten, ich will das nicht wiederholen, die neuen Staaten Lettland, Litauen usw., darauf, diesen Vertrag von Lissabon zu ratifizieren? Es ist doch erlaubt, diese Frage zu stellen.

So etwas aber stört Ihre Kreise, meine Damen und Herren, insbesondere von der LINKEN. An Ihrer Wortwahl und an Ihrem Vortrag kann man sehen, dass Sie in einer anderen Welt leben.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Jedenfalls kann ich nicht feststellen, dass die Mehrheit dieses Hauses Ihnen in irgendeinem Einzelpunkt folgen kann.

Herr Präsident, ich will nicht aus den „EU-Nachrichten“ zitieren, sondern nur zwei Dinge daraus erwähnen.

Dort kann man zum Vorentwurf des Haushalts 2009 ein paar ganz interessante Eckdaten nachlesen. Man kann dort lesen, dass es vorbehaltlich der Lesungen und der Änderungen voraussichtlich um insgesamt 116 Milliarden c an Ausgaben geht, dass 60 Milliarden c für Wachstum und Beschäftigung vorgesehen sind. Nachdem die Agrarausgaben auf 32 % des Haushaltsvolumens zurückgegangen sind, kann man nachvollziehen, dass es dort nicht mehr ausschließlich um Subventionen geht. Meine Damen und Herren,dann kann man dort noch lesen – und ich gehe davon aus, dass das nicht dem Besuch unseres Ministerpräsidenten in Brüssel zu verdanken ist –, dass unter der Unterüberschrift „Ein grüner Haushalt“ 14 Milliarden c ausgewiesen sind, die die Kommission für Umwelt und Ähnliches vorgesehen hat.

Schon allein dies sagt, dass es bei dem weiteren Weg nach Europa nicht, absolut nicht um diese Schlagworte geht, die uns hier von den LINKEN präsentiert werden.

Um der unerträglichen Spannung vorzubeugen: Insofern werden wir von der FDP natürlich auch dem GRÜNENAntrag zustimmen. Nachdem das Wort „auffordern“ aus beiden Anträgen entfernt wurde, gehe ich davon aus, dass man aus diesen beiden Anträgen von SPD und GRÜNEN am Ende doch noch einen gemeinsamen Antrag wird machen können, unter Einbeziehung der Regierungserklärung.

Meine Damen und Herren,damit ist meines Erachtens etwas Wesentliches,was dieser Landtag erreichen wollte,erreicht. Es ist klar und deutlich eine politische Abgrenzung von dem, was sich DIE LINKE nennt. Da müssen sich natürlich einige hier im Hause fragen lassen, nachdem in Berlin bereits festgestellt worden ist, dass DIE LINKE nicht koalitionsfähig ist, weshalb sie dann in Hessen koalitionsfähig sein soll – erst recht nach einer solchen Diskussionsstunde.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich möchte noch ein Letztes anmerken. Wenn ich richtig recherchiert habe,dann ist die Mitwirkung des Hessischen Landtags in Europaangelegenheiten seit den Jahren 1995 und 1996 etwas spärlich ausgefallen. Es gab nämlich den Beschluss vom 14.12.1995 zu einem Antrag – diesen möchte ich an dieser Stelle inhaltlich nicht zitieren – sowie verschiedene andere Dinge, aber das war es dann auch.

In diesem Zusammenhang möchte ich natürlich auch erwähnen – das habe ich vorhin sehr interessiert beobachtet –, welche Präsenz hier vorherrschte, als wir das Thema Europa diskutiert haben. Das darf man vielleicht als Kritik an uns allen verstehen – außer an denjenigen, die im Europaausschuss tätig sind.Diese Präsenz ist selbsterklärend gewesen. Da es um das Errichten und um tolle Planungen ging, wurde ich etwas an dieses Haus erinnert, denn die Europäische Union wurde ebenfalls lange geplant, und es gab viele Hindernisse. Das hat viel Geld gekostet, doch wenn man sich umsieht,muss man feststellen:Es gibt noch eine ganze Menge Baustellen zu bewältigen – kleinere Baustellen, die ausschließlich der Verbesserung dienen. Das ist mein Synonym für dieses Haus. Manchmal ist man sprachlos.Auch das ist heute vorgekommen. Man ist auch in der Europäischen Union manchmal sprachlos.

Meine Damen und Herren, ich glaube aber, es ist es wert, diesen großen Gedanken fortzuführen, denn schon länger als ein halbes Jahrhundert lang herrscht nun schon Frieden. Es ist es wert, am Ende mehr als 500 Millionen Menschen, Bürgerinnen und Bürger aus 27 Staaten, in einer Verfassung vereint zu haben.Wenn man das in einen Ver

gleich mit anderen Regionen dieser Welt setzt, dann stelle ich fest: Es ist den Schweiß aller wert, dieses Werk weiter voranzutreiben. Daher ist es mehr als eine Selbstverständlichkeit, wenn hier die demokratischen Parteien die Bitte an die Landesregierung verabschieden, am 23. Mai dieses Jahres im Bundesrat dem Vertrag von Lissabon zuzustimmen. Wer sich dem nicht anschließen kann, der richtet sich selbst. Das möchte ich explizit derart hart formulieren. Dieser richtet sich erst recht mit solchen Phrasen und Leerformeln selbst, wie wir sie haben hören müssen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Krüger, vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr Herr Lenz das Wort. Herr Lenz, Ihnen stehen noch fünf Minuten Redezeit zur Verfügung.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es reizt mich, ausschließlich auf den vorliegenden Dringlichen Antrag der LINKEN einzugehen. Herr van Ooyen, mit Ihrer Rede haben Sie erfrischend Ihre antidemokratische und antieuropäische Position entlarvt.

(Beifall bei der CDU)

Bisweilen hilft ein Blick in die Geschichte. Im November 1932 organisierten Kommunisten und Nazis gemeinsam gegen die Gewerkschaften einen illegalen Streik der Berliner Verkehrsbetriebe.Walter Ulbricht und Joseph Goebbels waren damals die beiden Organisatoren, die Schulter an Schulter mit ihren Anhängern versuchten, die verhasste bürgerliche Regierung in die Knie zu zwingen. Ihr gemeinsames Ziel war es, mit diesem Streik die Weimarer Republik zu zerstören, die sie tragenden demokratischen Parteien zu diskreditieren und jeweils ihrer politischen Couleur eine Diktatur zu errichten:

Les extrêmes se touchent.

Der Streik blieb zwar erfolglos, aber wenige Monate später gelang es der extremen Rechten, ihr Ziel zu erreichen. Was daraus wurde, bleibt bis heute das Trauma unserer Geschichte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, DIE LINKE fordert mit ihrem Antrag, den von allen demokratischen Mitgliedstaaten der EU ausgearbeiteten Vertrag von Lissabon kategorisch abzulehnen und damit die Zukunft Europas sowie dessen Entwicklungschancen aufs Spiel zu setzen.Dabei wird mit Diffamierungen nicht gespart. Es ist teilweise schon gesagt worden – ich zitiere –, dass Europa als „tödliche Festung“ bezeichnet wird.

(Axel Wintermeyer (CDU): Unglaublich!)

Die Politik der EU sei auf „Militärinterventionen“ ausgerichtet,und „im Inneren“ herrsche „Militarisierung“.Dies ist eine historische Verfälschung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das sagen ausgerechnet Sie, deren Partei sich aus der Mitte der SED entwickelt hat. Was geschah denn im August des Jahres 1968? Es war die Nationale Volksarmee des SED-Staates DDR, die mit ihren bewaffneten Soldaten und mit ihren Panzern in die CSSR einmarschierte und gemeinsam mit dem Bruderland Sowjetunion die im

Aufbruch befindliche demokratische Entwicklung niederwalzte.

Sie sind – das haben wir heute festgestellt – mit Ihrem Antrag hier im Parlament isoliert. Stehen Sie damit aber allein? Ich zitiere im Folgenden aus dem Wahlprogramm einer anderen Partei: „Die Europäische Union ist keine Institution, die den Völkern Europas dient. Sie ist vielmehr eine Institution zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals und zur persönlichen Bereicherung ihrer Entscheidungsträger. Im Zentrum der Politik der EU steht die Durchsetzung der Globalisierungsideologie, von der lediglich Großkapitalisten profitieren.“ Dies ist ein wörtliches Zitat aus dem Europa-Programm der NPD.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Herzlichen Glück- wunsch!)

Sie haben mit Ihrer Rede von „neoliberalem Dogma“ und fehlender Sozialstaatlichkeit auch wiederum den Punkt getroffen. Ich zitiere weiter aus dem Programm der NPD: „In ihrer Funktion als Durchsetzer neoliberaler Interessen verstößt die EU klar gegen das Stabilitätsgebot des Sozialprinzips...“ Da sage ich wiederum:„Les extrêmes se touchent.“

Meine Damen und Herren, auch die NPD im Sächsischen Landtag hat einen Antrag mit dem Betreff „EU-Reform verhindern“ vorgelegt. So viel zur NPD im Sächsischen Landtag. Meine Damen und Herren von den LINKEN, Sie haben gegen Europa wirklich würdige Bündnispartner.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sie schreiten Seit’ an Seit’ mit der NPD gegen ein Europa, das für alle demokratischen Parteien unserer Republik die Zukunft unseres Kontinents verkörpert, ohne das wir in überholtem nationalstaatlichem Denken verharren würden. Eine solche überholte – wie Frau Hammann richtig formuliert hat – rückwärtsgewandte Politik umschreibt man schlichtweg mit dem Fremdwort „reaktionär“.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dass Sie als Antieuropäer von überholten Zuständen der Vergangenheit träumen und aktuelle Entwicklungen verleugnen, belegt ein Ereignis der vergangenen Woche. In einer Anzeige der „Frankfurter Rundschau“ vom 5. Mai dieses Jahres feiert Ihre Fraktion in einer Unterschriftenaktion den 190. Geburtstag von Karl Marx. Sie preisen dort wortwörtlich dessen Ideen als „zukunftsweisend“.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))