Protokoll der Sitzung vom 14.05.2008

Frau Habermann, Sie haben die Diskussion mit dem Sportbund doch auch im Wahlkampf miterlebt. Natürlich haben alle Sportverbände, alle Jugendverbände und politischen Verbände, ebenso die freiwilligen Feuerwehren Angst vor der gebundenen Ganztagsschule, weil die Kinder dann dorthin gehen müssen und nicht mehr in die Vereine kommen können. Diese Angst muss man ihnen nehmen. Das kann man damit machen, indem man G 8 mit nachmittäglichen Angeboten beginnt. Dafür sollen Sportvereine und andere Einrichtungen in die Schule gehen. Da, wo die Schülerinnen und Schüler sind, müssen auch die Angebote hingehen.

Das, was Sie jetzt zu Ihrer Oberstufe gesagt haben, war wirklich schon sehr verräterisch.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das steht in Ihrem Wahlprogramm auch!)

Sie haben klar und deutlich gesagt, Sie wollen die jetzige Oberstufe verändern. Sie wollen eine größere Wahlfreiheit haben. Größere Wahlfreiheit heißt dann auch: Ich kann verschiedene Dinge abwählen, die ich hinterher nicht mehr in die Prüfung einbringen muss.

Da sage ich Ihnen ganz klar und deutlich: Das ist Abitur light,das ist eine Abwertung des qualitätsvollen Abiturs in Hessen, und das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Ich denke, ihr seid die Partei der Freiheit!)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke schön, Frau Henzler. – Als Nächster hat Herr Kollege Irmer für die CDU-Fraktion das Wort.

Verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Habermann, Sie haben zu Recht darauf hinge

wiesen, dass Kinder Zeit zum Lernen brauchen. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. Aber wenn das richtig ist,dann stellt sich doch die Frage,was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit gemacht haben, um dieses Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Wenn Sie das heute ansprechen, müssen Sie einen winzigen Exkurs von einer Minute aushalten. – Lieber Kollege Wagner, es gibt hier auch neue Kolleginnen und Kollegen, die die bildungspolitische Historie nicht so gut kennen. Von daher betrachten Sie es als kleine kostenlose Nachhilfestunde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Liebe Frau Kollegin Habermann, Sie haben während Ihrer Regierungsverantwortung – nicht Sie ad personam – die Stundentafel in den Klassen 1 bis 10 durchgängig um 10 % gekürzt. Sie haben damit den hessischen Schülern 50.000 Stunden Unterricht weniger zukommen lassen. Das war zum 01.08.1993.

Sie wissen – das haben wir zigmal diskutiert –, dass Sie durch fehlende Lehrerzuweisung dafür Sorge getragen haben, dass rund 100.000 Stunden Unterricht pro Woche zusätzlich ausgefallen sind.Wenn also damals ein Schüler in Hessen nach 13 Jahren das Abitur bestanden hat, dann hat er aufgrund der von Ihnen zu verantwortenden Unterrichtskürzungen maximal 11,5 Jahre effektiven Unterricht gehabt, d. h. weniger als heute.

(Axel Wintermeyer (CDU): Hört, hört!)

Damit haben Schüler heute, ganz nüchtern betrachtet, mehr Zeit als während Ihrer Regierungsverantwortung. – So weit dazu.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Habermann, zweitens finde ich es nicht ganz fair, wenn Sie jetzt Frau Kollegin Henzler Hektik in Zusammenhang mit dem Thema G 8 und G 9 bei den kooperativen Gesamtschulen vorwerfen. Ich erinnere an die letzte Plenardebatte. Da habe ich hier gestanden und darauf hingewiesen, dass das aus unserer Sicht umsetzungstechnisch sehr schwierig ist. Sie alle haben im Kulturpolitischen Ausschuss gesagt:Wir wollen es aber, wir setzen es durch. – Wir haben uns angeschlossen und gesagt: Wenn wir es machen, dann gemeinschaftlich, und dann tragen wir gemeinsam die Verantwortung dafür, wenn es möglicherweise Schwierigkeiten gibt.

Sie haben zugestimmt, und es ist nicht ganz fair, wenn Sie jetzt der FDP vorwerfen, sie würde Hektik produzieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ein dritter und letzter Punkt. Liebe Frau Kollegin Habermann, wenn ich bösartig wäre, was ich nicht bin – –

(Heiterkeit bei der CDU und der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glauben nur die neuen Abgeordneten!)

Ich sage das ganz liebevoll: Man könnte sagen, das ist schon wieder ein Wahlbetrug oder ein Wortbruch, den Sie heute begehen.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Pragmatismus!)

Ich will es nicht vertiefen. Das müssen Sie mit sich selber ausmachen. Der erste Punkt war die Frage: Mache ich et

was mit den LINKEN, oder mache ich es nicht? Das Zweite war, dass Sie im bildungspolitischen Bereich zum Thema U+/verlässliche Schule mehrfach öffentlich gesagt haben: Nur noch ausgebildete Lehrer dürfen an die Schule, nur noch Profis, keine Amateure.

(Heike Habermann (SPD): In den Unterricht!)

Dann haben Sie hier einen Vorschlag eingereicht, der inhaltlich exakt identisch mit dem ist, was wir die ganze Zeit mit verlässlicher Schule gemacht haben.

(Beifall bei der CDU)

Also, Kehrtschwenk, marsch. Sie haben den Leuten gesagt, mit Ihnen gibt es das nicht, aber jetzt machen Sie es. – Gut, Lernfortschritt ist in Ordnung. Als Pädagoge darf ich das sagen.

Dritter Punkt: Sitzenbleiben abschaffen, Querversetzung.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich komme noch darauf. Ich habe noch Zeit, Herr Kollege Wagner. Ich habe ein ganz kurzes Konzept. Ich genieße das im Moment. – Querversetzung abschaffen; das haben Sie in Ihrem Antrag eingehalten. Aber wenn Sie konsequent wären, müssten Sie sagen, dass Sie im Wahlkampf die Abschaffung des Sitzenbleibens gefordert haben.Da stelle ich mir schon die Frage,warum Sie das in logischer Konsequenz Ihrer Versprechen jetzt nicht gesetzesmäßig in die Tat umsetzen wollen.

Der letzte Punkt betrifft G 8/G 9. Frau Ypsilanti hat in mehreren Interviews, z. B. in der „Wetzlarer Neuen Zeitung“ im Mai letzten Jahres,erklärt,das frühe Abitur nach zwölf Jahren werde abgeschafft. – Das ist eine klare Aussage.

Im „Darmstädter Echo“ am 5.Dezember 2007 hieß es,mit Beginn des Schuljahres 2008/2009 gebe es eine Rückkehr zu G 9. Im Wahlprogramm der SPD steht, G 8 wird beendet.

Meine Damen und Herren, wenn ich das lese – ich unterstelle Ihnen, dass Sie es ehrlich meinen –, dann stellt sich für mich schon die Frage: Was ist aus diesem Wahlversprechen geworden?

Ich begrüße, wenn Sie sich verändern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie es ehrlich meinen. Diese Zweifel teile ich mit Frau Henzler. Diese Zweifel werden genährt, wenn ich vom Kollegen Merz am 23.04. in der „Gießener Allgemeinen Zeitung“ lesen muss, dass das SPD-Ziel bleibe, G 8 in Gänze abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, was Ihre Position wirklich ist, weiß ich nicht genau. Ich unterstelle aber, Frau Kollegin Habermann, Sie meinen das, was Sie jetzt gesagt haben, ernst und ehrlich. Dann ist es in der Tat, wie Frau Henzler es gesagt hat, ein Rollenwechsel, und Sie gehen heute in Richtung G 8 zusätzlich, was Sie früher kategorisch ausgeschlossen haben.

(Zuruf der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Im Übrigen geht das inhaltlich in die Richtung, die mittlerweile auch Herr Beck aus Rheinland-Pfalz als Letzter in Deutschland anerkannt hat. Er wird zum Schuljahresbeginn 2008/2009 die ersten G-8-Gymnasien einführen. Sie befinden sich damit im Grunde genommen auf der Position der schleswig-holsteinischen SPD und der dortigen Kultusministerin, die erklärt hat, G 8 sei nötig, weil es einen besseren Anschluss zum Studium gibt, eine bessere

Chance für die Berufsausbildung. Das Gleiche sagt die SPD Hamburg. Die Schüler gewinnen Zeit. Sie können früher in den Beruf, in die Ausbildung, es gibt einen Motivationsschub. Es deckt sich mit dem Beschluss der SPD Deutschland auf dem Bundesparteitag, G 8 einzuführen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Finnland.

Meine Damen und Herren, wir haben im Gegensatz zu dem, was gelegentlich öffentlich kolportiert wird, sehr wohl versucht, das Ganze in Ruhe einzuführen, was viele gar nicht mehr wissen.Wir haben als einziges Bundesland G 8 in zwei Tranchen eingeführt, um damit Zeit zu geben. Es hat vorher eine Lehrplankommission gegeben, die versucht hat, Inhalte zu verändern. Gleichwohl müssen wir konstatieren, dass das, was an Veränderungen vorgeschlagen wurde, offensichtlich nach wie vor Gegenstand der Kritik war. Diese Kritik haben wir ernst genommen, und deshalb hat es bereits Ende letzten Jahres eine weitere Lehrplankommission gegeben, die sich zum Ziel gesetzt hat: Wir müssen das, was wir bereits überarbeitet haben, offensichtlich noch einmal überarbeiten. Es gibt vielleicht noch Defizite. – Ich halte es nicht für tragisch, darauf zu hören und zu sagen: Jawohl, das haben wir gelernt, wir haben verstanden, da müssen wir offensichtlich noch nacharbeiten.

Ich darf darauf hinweisen, dass die KMK im November letzten Jahres übereinstimmend beschlossen hat, eine Auswertung der G-8-Erfahrungen aller Bundesländer vorzunehmen. In Sachsen und Thüringen läuft es alles reibungslos. Ich denke, dass es richtig ist, wenn sich alle Bundesländer auf der KMK-Ebene Gedanken machen, was man möglicherweise anders machen kann.

Frau Kollegin Henzler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es einige Schulleiter gibt, die gesagt haben, dass sie bei allen Schwierigkeiten gerne bei G 8 bleiben möchten. Die Oberstudiendirektorenkonferenz hat G 8 als Chance bezeichnet. Die Arbeitsgruppe Bildungsfaktor Abitur Hessen, also eine Vereinigung von Oberstudiendirektoren, hat sich für die Beibehaltung der verkürzten Gymnasialbildung ausgesprochen. Das Goethe-Gymnasium Frankfurt warnt vor einem bunten Flickenteppich, wenn es hier Veränderungen geben würde. Die Liebig-Schule Frankfurt erklärt, eine Rückkehr sei keine Alternative. Selbst der Kreisschülerrat des Landkreises LimburgWeilburg erklärt, G 8 sei der richtige Weg.

Der Schulleiter des Gymnasiums Philippinum Weilburg erklärt, die Beibehaltung von G 8 sei notwendig, weil ein Schulwechsel sonst erschwert wäre. Das Gymnasium in Bad Homburg erklärt, es habe zwar bei der Einführung etwas geknirscht, aber jetzt laufe es. Die Gymnasien des Main-Taunus-Kreises sagen, sie hätten viel Arbeit investiert in die Umstellung auf G 8. Jetzt wollen sie aber, bitte schön, dabei bleiben. Das Dillenburger Gymnasium sagt: Keine Rückkehr zu G 9, G 8 reguliert sich, wenn Inhalte überarbeitet sind.

Als letztes Beispiel nehme ich das Herborner Gymnasium. Danach ist G 8 der richtige Weg. Sie haben heute mehr Stützkurse, Hausaufgaben usw. usf. Der PISA-Forscher Prenzel erklärt öffentlich, G 8 sei eine fantastische Chance.

Meine Damen und Herren, der Tenor ist: positiv, wenn... Das will ich überhaupt nicht verschweigen. Es wird hinzugefügt, gleichwohl wolle man in einigen Bereichen die Rahmenbedingungen verbessert haben. Ich zitiere aus Vorschlägen von Schulpraktikern: verstärkte Absprache in Klassenkonferenzen, Hausaufgaben auf das Notwen

dige reduzieren, Reduktion von Tests oder Klassenarbeiten z.B.in Nebenfächern.Zu Lehrplänen sage ich bewusst nicht Entschlacken oder Entrümpeln, weil das eine negative Assoziation ist. Aber man kann über Ballast bei den Inhalten nachdenken und dort sicherlich das eine oder andere verändern.

Im Übrigen will ich darauf hinweisen, dass die Lehrpläne zu Vorlagen für Bildungsstandards werden, d. h. einen Rahmen vorgeben, statt die Lerninhalte kleinschrittig zu erörtern.

Wir brauchen außerdem – gerade in den Klassen 5, 6 und 7, wo wir teilweise zu große Klassen haben – zusätzliche Stunden für Übungs- und Vertiefungsphasen sowie für Differenzierungsmaßnahmen.