Meine Damen und Herren, dazu gehört auch: Die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel sind nicht gut. Nicht nur die Leistungen, die die Beschäftigten im Einzelhandel erbringen, verdienen eine stärkere gesellschaftliche Anerkennung, sondern der Einzelhandel braucht endlich einen verbindlichen Mindestlohn.
In der Realität ist es so: Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen den Mindestlohn, sie brauchen ihn auch, um den Einzelhandel wieder attraktiver für den Nachwuchs zu machen; aber der Einzelhandelsverband und ver.di schieben sich seit einigen Jahren gegenseitig den Schwarzen Peter in dieser Frage zu. Damit muss endlich Schluss sein.
Ihr Antrag, den wir im Ausschuss noch ausführlicher beraten werden, enthält im Wesentlichen drei Forderungen. Die ersten beiden Forderungen nach dem Engagement der Landesregierung in Sachen Schlecker sind sicher nicht falsch, allerdings – das wissen Sie auch – so allgemein, dass sie bestenfalls appellativen Charakter haben.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir konkretisieren das noch! – Janine Wissler (DIE LINKE): Das wäre aber ein Fortschritt!)
Ihre dritte Forderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich so allerdings nicht unterstützen. Ja, die Familie Schlecker ist in der Haftung. Das ist auch richtig so. Aber die Frage der privaten Haftung der Familie Schlecker entscheiden in diesem Land nun einmal Gerichte und weder der Hessische Landtag noch die Landesregierung, und das ist auch gut so.
Gerade im Einzelhandel mit seinen vielen Teilzeitstellen trifft es leider besonders viele Frauen. Wenn der Ministerpräsident heute aus Anlass des Internationalen Frauentages verkünden würde, dass er sich von der Arbeitswirklichkeit im Einzelhandel ein eigenes Bild macht
und z. B. seine Haarpflegeprodukte in Zukunft selbst kauft und nicht seine Frau schickt, wie er das letztes Jahr in der „Bild“ mitgeteilt hat,
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In unseren Fächern lag heute ein Gruß der Hessischen Landesregierung zum Internationalen Frauentag mit einem angeklebten Keks.
(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war der Putzschwamm! – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich nach der Rede der Kollegin der CDU so beginnen: Die Landesregierung und auch die CDU gehen den Frauen in der Tat auf den Keks, nicht nur heute, am Internationalen Frauentag.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Bei Ihnen trifft das zu! Sie gehen uns auf den Keks, und das zu Recht!)
Meine Damen und Herren, Opel, Schaeffler, Continental, Arcandor, manroland, Schlecker – was verbindet diese Unternehmen? Zumindest zwei Dinge: der Ruf nach Staatshilfen aufgrund von Insolvenz bzw. drohender Insolvenz und der massive Abbau von Arbeitsplätzen. Darüber hinaus haben sie aber wenig gemein. Mit dem Ruf nach bedingungslosen Staatshilfen für Schlecker, wie sie teilweise von ver.di in Baden-Württemberg oder jetzt auch von den LINKEN ins Gespräch gebracht wurden, habe ich jedoch Bauchschmerzen; denn Staatshilfen muss ein zukunftsfestes Konzept zugrunde liegen. Dazu gehören insbesondere Löhne, von denen Menschen auch leben können müssen. Das sind die Bedingungen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Es gibt doch eine Tarifbindung!)
Meine Damen und Herren, mehr als 12.000 Beschäftigte bangen um ihren Arbeitsplatz, hauptsächlich Frauen, die teilweise Teile des Familieneinkommens erbringen, teilweise aber auch als Alleinverdienerinnen eine ganze Familie ernähren müssen. Deshalb muss es ganz klar im Interesse der Beschäftigten und das Ziel des Insolvenzverfahrens sein, möglichst viele Filialen und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten und einen eventuellen Stellenabbau sozial verträglich zu gestalten. Das wird zweifelsohne ein sehr schwieriges Unterfangen, weil tariflich eingruppierte Arbeitsplätze oder gar Vollzeitarbeits plätze im Einzelhandel inzwischen Seltenheitswert haben und Mangelware sind.
Wir müssen allerdings auch sehen – darauf lege ich schon Wert –, mit wem wir es zu tun haben. Der Drogeriediscounter Schlecker ist ein Unternehmen, das für die systematische Behinderung von Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechten steht. Er ist der Bad Boy in der Branche
und der übelste Arbeitgeber im Einzelhandel. Schlecker hat Entlassungslisten teurer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geführt, um sie dann loszuwerden. Er hat versucht, den Kündigungsschutz auszuhebeln. Alte Schlecker-Filialen wurden geschlossen und unter neuem Namen – Schlecker XL – wiedereröffnet. Damit hat das Unternehmen die alten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht übernehmen müssen.
Schlecker hat – sagt die Gewerkschaft, ich sehe das genauso – die Belegschaften genötigt. Mitarbeiterinnen konnten den Arbeitsplatz entweder aufgeben und einen Job in einer weit entfernten alten Filiale annehmen – es ist toll, wenn man in Fränkisch-Crumbach gearbeitet hat und dann in Darmstadt arbeiten darf – oder aber mittels einer Leiharbeitsfirma neue Verträge unterschreiben, die nicht nur befristet waren, sondern zu allem Überfluss auch noch einen wesentlich geringeren Lohn beinhalteten. Die Löhne wurden von 12,50 € auf 6,60 € brutto gedrückt. Nur aufgrund der massiven öffentlichen Proteste und selbstverständlich der Arbeit der Betriebsrätinnen und Betriebsräte hat Schlecker davon wieder Abstand genommen und zahlt inzwischen einheitliche Tariflöhne. Aber von Unrechtsbewusstsein kann bei diesem Konzern keine Rede sein.
Nicht nur die Lohndrückerei hat Schlecker schwer geschadet, sondern auch die Arbeitsbedingungen. Ich erinnere daran, dass in vielen kleineren Drogeriemärkten, insbesondere auf dem Land, in der Regel eine einzige Mitarbeiterin beschäftigt war. In diesen Filialen gab es noch nicht einmal ein Telefon. Die Kolleginnen waren Raubüberfällen ausgesetzt. Erst ab 2004, als eine Kollegin in Köln bei einem solchen Überfall ermordet wurde, wurden die Filialen mit Telefonen und Überfallknöpfen ausgestattet. Offiziell hat sich das Unternehmen reumütig gegeben und gesagt: Die Familie Schlecker räumt dem Schutz des Lebens absoluten Vorrang ein. – In einem internen Schreiben aber hat sich das ganz anders angehört.
Dem Risiko eines Überfalls ist man überall ausgesetzt. Er gehört inzwischen zum allgemeinen Lebensrisiko.
Anstatt daraus zu lernen, hat sich nicht viel geändert. Allein im Jahr 2010 sind 380 Schlecker-Filialen überfallen worden, und das Unternehmen geht mit den teilweise sehr traumatisierten Kolleginnen nicht besonders zimperlich um. Auch mit Kranken wurde nicht zimperlich umgegangen. Sie bekamen unangemeldeten Besuch ihrer Vorgesetzten. Es gab Briefe, in denen ihre Fehlzeiten der letzten Jahre aufgelistet waren, und, und, und. Jahrelang haben die Medien darüber berichtet, dass Überwachung, Druck und Kontrolle bei diesem Handelskonzern Methode haben.
Herr Kollege, ich komme zum Schluss. – Wir können diese Machenschaften in den Filialen nicht wegwischen. Ich sage: Wir wollen nicht, dass es solche Arbeitsplätze in Hessen gibt. Aber die Kolleginnen und Kollegen bei Schlecker sollen natürlich nicht unter diesem Missmanagement der Familie und des Managements leiden. Wir
sehen die Insolvenz als Chance, die Arbeitsbedingungen endlich zu verändern, die Unternehmensführung abzulösen und insofern dieser frauen- und arbeitnehmerfeindlichen Unternehmensführung den Garaus zu machen. – Ich bedanke mich.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Firma Schlecker ist in der Vergangenheit sicherlich falsch aufgestellt gewesen. Daran gibt es keinen Zweifel, und das Ergebnis sehen wir jetzt auch.
Es ist besonders bedauerlich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass dieses Unternehmen nun in die Insolvenz gegangen ist. Aber es sind nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es sind auch viele andere Gläubiger. Dazu gehört z. B. eine ganze Reihe von Vermietern, die jetzt auf viel Geld verzichten müssen und auch davon betroffen sind. Auch davon hängen wiederum Arbeitsplätze ab.
(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist wieder typisch FDP! Die Mieteinnahmen! – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)
Frau Fuhrmann, das ist wieder typisch FDP? – Ich will Ihnen eines sagen. Frau Wissler, vielleicht hören Sie mir auch einmal zu. Die Firma Schlecker – Sie haben es alle erwähnt – war in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Debatten. Aber keiner von Ihnen auf der linken Seite überlegt sich, was mit einem Unternehmen passiert, besonders wenn es mit Endverbrauchern zu tun hat, wenn es hier Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen ist.
Meine Damen und Herren, Frau Wissler, gerade DIE LINKE hat einen erheblichen Anteil an der Situation, in der sich die Firma Schlecker jetzt befindet.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Dann sind wir an der Insolvenz schuld? Wollen Sie das damit sagen? – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Sie tragen damit eine Verantwortung. Ihre Diskussion, in der Sie eine Unternehmensentscheidung zum Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen gemacht haben, hat das Vertrauen bei den Endverbrauchern endgültig zerstört.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Hätten die Beschäftigten das hinnehmen sollen? – Hermann Schaus (DIE LINKE): Schlecker war das! – Glockenzeichen des Präsidenten)
Sie können Ihre Verantwortung hier nicht wegwischen, und Sie sind sich nicht darüber im Klaren, welche Auswirkungen die Politik hat, die Sie hier zum Teil betreiben.
Sie haben eben die Firma Opel angesprochen. Sie haben gesagt, wenn es sich um die Firma Opel handeln würde, wäre es natürlich Gegenstand von Diskussionen gewesen. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die FDP- und die CDU-Fraktion hier nie Unternehmen in die politische Debatte hineinziehen, weil es nicht hierher gehört? Es ist eine Frage von unternehmerischen Entscheidungen und von Rahmenbedingungen, die wir setzen sollen, aber niemals der Auseinandersetzung in politischen Debatten.