Protokoll der Sitzung vom 27.06.2012

Aber es gehört eben auch zur Wahrheit, dass die Arbeitsmarktentwicklung in ganz Deutschland gut ist. Deutschland profitiert von seiner starken Rolle in Europa. Die hessischen Arbeitslosenquoten aber sind keineswegs besonders positiv, sondern sie bewegen sich genau im Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer.

Wenn wir ins Jahr 2000 zurückschauen – das machen Sie ja sonst immer so gerne –, dann erinnern wir uns, Hessen war lange zu Recht stolz darauf, wirtschaftlich in einer Liga mit seinen Nachbarländern im Süden zu spielen und besser zu sein als Rheinland-Pfalz.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Und heute? Bayern und Baden-Württemberg haben Hessen bei der Arbeitsmarktentwicklung längst abgehängt.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Selbst Rheinland-Pfalz hat bessere Arbeitslosenquoten,

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

und, ich sagte es bereits, Hessen liegt gerade einmal im Schnitt der Westländer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU)

Erster Punkt also: gute Arbeitslosenquote in ganz Deutschland, auch in Hessen – aber keine Sonderentwicklung. Im Gegenteil: In den letzten zehn Jahren ist Hessen sogar hinter Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zurückgefallen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Zu einer seriösen Rechnung gehört es auch, sich anzuschauen, welche Jobs in Hessen entstanden sind. Hier ist festzustellen: Ja, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt auch in Hessen. Aber im Vergleich der Länder ist Hessen zurückgefallen.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Verglichen mit dem Jahr 2000 stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gerade einmal um 2,7 %. Im gleichen Zeitraum ist sie in Baden-Württemberg um 4,8 %, in Rheinland-Pfalz um 5,3 % und in Bayern sogar um 8,3 % gestiegen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist doch eine Frage der Ausgangsbasis!)

Zweiter Fakt also: Ja, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hessen steigt – allerdings steigt diese Zahl in unseren Nachbarländern signifikant mehr als bei uns. Hessen wird abgehängt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Warum zahlen wir dann in den Länderfinanzausgleich ein?)

Frau Lannert, schauen wir uns zum Dritten die von Ihnen genannten Wachstumszahlen an. Auch hier: Ja, das hessische Bruttoinlandsprodukt wächst – eine aus wirtschaftlicher Sicht erfreuliche Entwicklung. Aber auch das ist eben nicht losgelöst von der Entwicklung im Rest der Republik.

Erstens hat Hessen nun einmal eine besondere Wirtschaftsstruktur. Die Wertschöpfung pro Erwerbstätigem ist im Finanzsektor – der Hessen ja in besonderem Maße trägt – erheblich höher als in anderen Branchen, weil hier vergleichsweise große Summen bewegt werden.

Zweitens. Betrachtet man die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im letzten Jahrzehnt genau, dann stellt man fest, Hessen steht eben nicht an der Spitze, sondern es liegt sogar unter dem Bundesdurchschnitt auf Platz sechs

der Liste, hinter z. B. Bayern, Bremen oder Baden-Württemberg.

Selbst beim Pro-Kopf-Einkommen, das lässt sich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder leicht entnehmen, steht Hessen nicht an der Spitze. Dritter Fakt also: Andere Länder lassen Hessen bei zentralen wirtschaftlichen Kennzahlen zunehmend hinter sich.

Sie unterschlagen wieder einmal, dass Hessen bei den nach vorne gerichteten Fragestellungen sehr schlecht abschneidet. Beim Mittelstandsbarometer von Ernst & Young – da wird nach den aktuellen Rahmenbedingungen für den Mittelstand in den Ländern gefragt – beispielsweise liegt Hessen gerade einmal auf Rang elf der 16 Bundesländer. Bei der wirtschaftlichen Dynamik, die die „Wirtschaftswoche“ jährlich ermittelt, ist es gar nur Platz zwölf.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Wie Sie vor diesem Hintergrund dazu kommen – eben haben Sie es gerade wiederholt –, zu behaupten, Hessen nutze die gute konjunkturelle Lage besser für sich als andere Länder, das bleibt auch nach Ihrer Rede leider völlig schleierhaft.

Beispielsweise haben Sie jahrelang den Ausbau der Datenautobahn verweigert, den wir GRÜNE schon vor zehn Jahren eingefordert haben, und jetzt wollen Sie sich dafür feiern lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für Sie besteht wirtschaftliche Infrastruktur nach wie vor aus Beton und Asphalt – sonst hätten Sie wenigstens beim hessischen Konjunkturpaket den Ausbau des Breitbandnetzes im Programm gehabt. Fehlanzeige, verlorene Jahre für Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Sabine Waschke und Brigitte Hof- meyer (SPD))

Man werfe also jede Menge Zahlen in einen großen Kessel, wie das Frau Lannert hier vorgeführt hat, würze sie mit einer ordentlichen Prise Selbstbeweihräucherung, serviere es im Brustton der Überzeugung, und lirum, larum, Löffelstiel, fertig ist der Setzpunkt. Für wie dämlich halten Sie eigentlich die Hessinnen und Hessen, dass Sie ihnen eine solche Grütze vorsetzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Waschke (SPD) – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, ganz ehrlich: Roland Koch wäre das peinlich gewesen.

Frau Lannert, wirklich erschreckend aber finde ich eines: Sie schaffen es tatsächlich, zehn Minuten zur hessischen Wirtschaft zu sprechen und dabei ausschließlich in die Vergangenheit zu blicken. Sie feiern sich für vermeintliche Verdienste.

(Judith Lannert (CDU): Da stimmt doch gar nicht!)

Nun haben wir seit Kurzem einen neuen Minister. Irgendwie hätte man erwarten können, dass da ein paar neue Impulse kommen und ein bisschen Perspektive sichtbar wird.

(Zuruf des Abg. Peter Stephan (CDU))

Aber im Gegenteil: nichts erreicht und nichts mehr vor – das ist und bleibt die Überschrift über der Regierung Bouffier/Hahn.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kein Wort zu den Leitmärkten der Zukunft: zu umweltfreundlichen Energien, zu Rohstoff- und Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltiger Wasserwirtschaft und nachhaltiger Mobilität; kein Wort dazu, wie Sie die hessische Wirtschaft wenigstens etwas aus ihrer extremen Exportabhängigkeit befreien und regionale Wirtschaftskreisläufe stärken wollen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das erzählen Sie uns jetzt!)

Kein Wort dazu, wie Sie endlich von Ihrer „Think big, and you’ll be big“-Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts wegkommen wollen,

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

weg vom Denken in überdimensionierten Großprojekten, hin zur Unterstützung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen. Kein Wort dazu, wie Sie dafür sorgen wollen, dass öffentliche Aufträge vor allem im Interesse der Wirtschaft in Hessen endlich fair und transparent vergeben werden – nach Ihren unzähligen Skandalen. Kein Wort dazu, wie Unternehmertum und Innovation gefördert werden sollen, wie die Nachfragemacht des Landes und der Kommunen zielgerichtet genutzt werden sollen.

(René Rock (FDP): Ihre Fraktion ist schon eingeschlafen!)

Nichts davon in Ihrer Rede, wie Sie die Wirtschaftsförderung und die Hessen-Agentur künftig aufstellen wollen – komplette Leerstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Noch aber regieren Sie dieses Land, und deshalb wäre es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen – wenn Sie hier schon so auf dicke Hose machen –, wenigstens ein paar Vorstellungen zu skizzieren, wie Sie sich die wirtschaftliche Zukunft des Landes, der hier ansässigen Unternehmen und der dort Beschäftigten eigentlich vorstellen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Jetzt kommen Sie einmal mit Ihren Ideen!)

Die Botschaft, wenn CDU und FDP regieren, geht es Hessen gut,

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

ist so platt wie falsch. Die nimmt Ihnen schon lange niemand in diesem Land mehr ab.